Gefängniss
tatistik,
s. Justizstatistik.
Seite 18.341 Jahres-Supplement 1890-1891
Gefängnisstatistik
3 Wörter, 41 Zeichen
Gefängnisstatistik,
s. Justizstatistik.
Die J. als Massenbeobachtung auf dem Gesamtgebiet der Rechtspflege ist ein wichtiger und umfangreicher Teil der Verwaltungs- und Administrationsstatistik und zerfällt in zwei Gebiete: in die Statistik der Zivilrechtspflege und jene der Strafrechtspflege, einschließlich des Gefängniswesens. Die Ausbildung dieser Gebiete ist eine höchst verschiedene, ebenso auch ihre methodische Bedeutung für die Sozialwissenschaften.
Die Statistik der Zivilrechtspflege befindet sich noch vollkommen im sogen. administrativen Stadium, d. h. sie wird von den richterlichen Organen und ¶
ausschließlich in Anlehnung und für die Zwecke des prozessualen Vorgangs gehandhabt; sie ist danach geradezu vollkommen eine Justizgeschäftsstatistik, welche weder ein allgemeines noch ein spezifisch wissenschaftliches Interesse besitzt. Sie gliedert sich wieder in die Statistik der Streitsachen und in jene der sogen. außerstrittigen Angelegenheiten. Bei der erstern kommt es vorwiegend auf die Konstatierung der Prozesse und ihrer relevanten Phasen an, ohne daß auf die soziale Bedeutung und Eigenart des Rechtsstreites als auf die zu Grunde liegende soziale Erscheinung selbst Rücksicht genommen würde.
Aber auch eine solche Ermittelung dieser Streitthatsachen selbst würde nur eine unvollkommene Erkenntnis vermitteln, denn das Wesentliche sind hier die auf dem Boden des bürgerlichen Rechtes erfolgenden gesellschaftlichen Beziehungen, ihre Begründung, Dauer, Beendigung, ihre einverständliche oder prozessuale Existenz. Diese Beziehungen aber werden, wenn überhaupt, durch ganz andre Gebiete der Verwaltungsstatistik, z. B. die Bevölkerungs-, Wirtschafts- etc. Statistik, vermittelt oder bleiben ganz unbekannt.
Somit bleibt eine Zurückführung der Streitsachen auf die zu Grunde liegenden bürgerlichen Rechtsbeziehungen im allgemeinen unmöglich, womit ein steter empfindlicher Mangel der J. auf dem Gebiet der Streitsachen gegeben ist. Schon von größerer methodisch-wissenschaftlicher, aber auch praktischer Bedeutung ist die Statistik der außerstrittigen Angelegenheiten, wie z. B. die Statistik der Konkurse, der Ehescheidungen und Ehetrennungen, der Vormundschafts-, Kuratel-, Erbschaftsangelegenheiten etc. Hier läßt sich nicht nur eine Beschreibung der sozial wichtigen Merkmale der zu Grunde liegenden Thatsachen, z. B. der Konkurse, Eheprozesse etc., leicht vornehmen, sondern auch eine Zurückführung derselben auf die analogen Verhältnisse des bürgerlichen Rechtes, z. B. der Konkurse auf die Geschäftsbetriebe, der Ehestreite auf die bestehenden Ehen etc. Mit dieser Möglichkeit einer bessern Gestaltung der J. auf diesem Gebiet geht allerdings die faktische Ausbildung derselben heute noch nicht Hand [* 4] in Hand.
Fast nur die Statistik der Ehescheidungen ist (allerdings auch noch nicht genügend) durchgebildet, während die Konkurse, so wichtig dies wäre, nicht entfernt ausreichend beobachtet werden. Ein wesentlicher Fortschritt ließe sich erzielen, wenn, wie dies gegenwärtig in Italien [* 5] beabsichtigt wird, eine eigne Notariatsstatistik geschaffen würde. In dieser ließen sich die wesentlichsten außerstrittigen Rechtserscheinungen zusammenfassen und durch Vermittelung der Notare als vollkommen sachverständiger Organe erheben. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß mit dieser Bezeichnung einer Notariatsstatistik nur ein Sammelname gegeben sein soll, der sich von dem erhebenden Organ herleitet, wobei die ja sozial ganz verschiedenen Erhebungsthatsachen je nach ihrer Eigenart ganz besonders behandelt werden müßten.
Während so die Ziviljustizstatistik ein bisher ganz unvollkommen ausgebildetes und zurückgebliebenes Gebiet der J. darstellt, hat die Strafjustizstatistik eine verhältnismäßig größere Ausbildung und auch eine hohe wissenschaftliche Bedeutung erlangt. Auch dieses Gebiet ist nicht einheitlich, sondern zerfällt in eine Reihe von Spezialgebieten. Dieselben sind: die Kriminalstatistik als das wichtigste, umfassend das Zuwiderhandeln gegen das Strafrecht im weitesten Sinne;
dann die Statistik der administrativen Strafjustiz mit ihren Gebieten der Statistik des Polizeistrafrechts und des Finanzstrafrechts.
Dazu kommt endlich noch die Gefängnisstatistik. Doch sind diese Teile der Strafjustizstatistik sehr verschieden ausgebildet. Die Statistik der administrativen Strafsachen, insbesondere der Polizeiübertretungen und der Finanzsachen, ist bisher ganz rudimentär. Die erstere hängt in ihrer geringen Ausbildung mit dem geheimen und unzureichenden Zustand des Polizeistrafrechts zusammen; außer etwa den schönen Arbeiten G. v. Mayrs über Bayern [* 6] und den statistischen Ausweisen einiger hauptstädtischer (London, [* 7] Wien [* 8] etc.) und städtischer Polizeibehörden überhaupt ist kaum etwas hierüber anzutreffen. Es ist dies zu bedauern, indem sozial höchst wichtige Erscheinungen, wie z. B. die Prostitution, die Vagabondage, das Betteln etc., kaum auf einem andern Wege als auf jenem der Statistik des Polizeistrafrechts erfaßt werden können.
Auch die Statistik der Finanzstrafjustiz (des sogen. Gefällsstrafrechts) ist von dem mehr geheimen Charakter beeinflußt, welchen die Finanzverwaltung selbst heute noch vielfach an sich trägt; was hierüber bekannt ist, kann auch nur als ganz lückenhaft bezeichnet werden. Die Gefängnisstatistik ist dagegen in den meisten Staaten sehr gut ausgebildet. Sie umfaßt im Wesen Thatsachen, welche auch in das Gebiet der eigentlichen Kriminalstatistik gehören. Durch die besondere verwaltungsrechtliche Ausbildung, welche das Gefängniswesen genommen hat, hat aber auch seine Statistik der Kriminalstatistik gegenüber vielfach eine Selbständigkeit behauptet (so in Österreich, [* 9] Frankreich, England, Italien, Schweden, [* 10] den Niederlanden etc.). Die Gefängnisstatistik scheidet sich in einen administrativen und einen sozialen Teil und wird meist von den zentralen Justiz- oder den Gefängnisbehörden und nicht von den statistischen Ämtern durchgeführt.
Die administrative Gefängnisstatistik gliedert sich zunächst in die Realstatistik, welche sich auf die bei der Durchführung der Strafe notwendigen Sachgüter und Dienstleistungen bezieht (Lokalitäten, Bildungsmittel, Ökonomika, Dienstpersonale, humanitäre und sanitäre Einrichtungen), und dann in die Personalstatistik der Gefangenen (Alter, Geschlecht, Beruf und Beschäftigung, Zugang und Abgang nebst deren Ursachen, als Tod, Selbstmord etc., Erkrankungen). Die soziale Gefängnisstatistik dient in gleicher Weise wie die eigentliche Kriminalstatistik dazu, um zu der Erforschung der Ursachen der kriminellen Bethätigung vorzudringen; sie geht zum Teil mit der Kriminalstatistik parallel, zum Teil über diese hinaus, ist aber im Wesen doch mit dieser gleichartig, so daß für dieselbe dasjenige gilt, was nun über die Kriminalstatistik zu sagen ist.
Die Kriminalstatistik ist das weitaus wichtigste und ausgebildetste Gebiet der J. Ihre Bedeutung liegt zunächst auf dem Gebiet der Moralstatistik (s. d., Bd. 11, S. 794), indem durch die Anwendung der Massenbeobachtung Regelmäßigkeiten auf diesem Gebiet der menschlichen Willensbethätigung hervortreten und es möglich ist, zu den Ursachen dieser letztern und der Regelmäßigkeiten vorzudringen; speziell das Problem der menschlichen Willensfreiheit ist durch die Kriminalstatistik in eine neue Phase getreten.
Ferner liegt die Wichtigkeit der Kriminalstatistik auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft und damit der Gesetzgebung. Der beste Beweis hierfür ist die große Bedeutung, welche die Reformbestrebungen im Strafrecht der Statistik beilegen, wie dies z. B. auch seitens der neubegründeten Internationalen kriminalistischen Vereinigung und der italienischen kriminalistischen Schule der Fall ist. Nicht zu übersehen ist dabei vornehmlich die Bedeutung der ursachlichen Erfassung einer Strafsache, die Beobachtung der Wirkung der ¶
Strafen und die gesamte ethische Auffassung des Deliktes als einer sozialen Erscheinung. Endlich aber wird die Kriminalstatistik auch auf dem Gebiet der Strafrechtspflege von Belang, indem sie es ermöglicht, jeden Einzelfall im Rahmen der Massenerscheinung zu erfassen. Die Kriminalstatistik ist gegenüber den übrigen Zweigen der Verwaltungsstatistik frühzeitig und in nicht geringer Ausdehnung [* 12] gepflegt worden, obgleich bis heute das oben bei Besprechung der Ziviljustizstatistik bemerkte formale Moment der Geschäftsstatistik noch störend einwirkt. In Frankreich beginnen die Nachweisungen schon 1827 (für 1825), in Österreich 1828, in Schweden 1830, in Belgien [* 13] 1831, in Dänemark [* 14] 1832, in den Niederlanden 1850; die Gefängnisstatistik in Frankreich 1852, in Schweden 1835, in den Niederlanden 1854 etc. In den Staaten des Deutschen Reichs ist die Pflege der Kriminalstatistik sehr verschieden gewesen, am besten in Bayern, gut in Sachsen, [* 15] unvollkommener in Preußen. [* 16] Im Deutschen Reiche und in Italien beginnt die Pflege der Statistik dieses Gebietes bald nach deren Konstituierung, und zwar geht von diesen beiden Staaten die reformatorische Bewegung aus, welche wir gegenwärtig in der Kriminalstatistik sehr zu deren Vorteil sowie zum Vorteil der Wissenschaft und Verwaltung bemerken. Die Hauptpunkte dieser Reform sind: Organisierung eigner statistischer Behörden hierfür, die volle Scheidung der Justizgeschäftsstatistik von der sozialen Kriminalstatistik, die Einführung der Zählkarten, die Anlegung von Verbrecherkatastern, endlich die Herstellung der Verbindung mit der Gefängnisstatistik.
Was zunächst die spezielle Organisation der Kriminalstatistik anbelangt, so fehlt eine solche bisher bis auf eine einzige Ausnahme, nämlich Italien. In diesem Staate besteht, gegründet auf ältere einheimische Vorbilder (Sardinien [* 17] 1852-57), eine Kommission für die Zivil-, Handels- und Kriminalstatistik (Commissione per la statistica civile, commerciale e penale) auf Grund königlicher Dekrete von 1882 etc., deren Thätigkeit bisher vorwiegend der Kriminalstatistik zugewendet ist.
Diese Kommission ist von beratender Funktion und befaßt sich vorwiegend mit der methodischen Ausbildung, aber auch mit der Kontrolle der amtlichen Statistik, endlich mit der Herstellung des Zusammenhanges zwischen dieser und der Justizverwaltung; da aber außer höhern Administrativbeamten auch Vertreter der Wissenschaft Mitglieder sind, so ist es klar, daß auch die Anforderungen der Wissenschaft zur Geltung kommen. Außer dieser Kommission besitzt aber Italien noch eine weitere vortreffliche hierher gehörige Einrichtung, nämlich die Inauguralreden der Generalprokuratoren an den 24 Appellgerichtshöfen, bei welchen in öffentlicher Sitzung die Hauptresultate der Kriminalität des verflossenen Jahres vorgetragen werden.
Unleugbar ist mit dieser Einrichtung eine bedeutende volkspädagogische Einwirkung verbunden, die um so höher anzuschlagen ist, wenn man bedenkt, wie verbreitet die unrichtigen Anschauungen über die Bewegung der Verbrechensziffern im allgemeinen unter der Bevölkerung [* 18] sind. In den übrigen Staaten gehen einfach die Daten von den allgemeinen statistischen Ämtern aus. Nur hat das Deutsche Reich [* 19] seit 1882 mit richtigem Blicke die von Schweden schon 1830 eingeführte vollkommene Scheidung der justizgeschäftlichen Ausweise von den kriminalstatistischen vorgenommen; die erstern werden unter Einfluß des Justizministeriums, die zweiten allein vom kaiserlichen statistischen Reichsamt bearbeitet. - Was ferner die Methodik der Kriminalstatistik anbelangt, so liegt die allerorten als notwendig erkannte und im Deutschen Reiche sowie in Italien (Direktor Bodio) bereits seit 1882, resp. 1890 durchgeführte Reform in der Verwendung der Zählkarten statt der bisher sonst allgemein verwendeten Listen, welche eigentlich nur auf dem Gebiet der Justizgeschäftsstatistik Geltung behalten sollten.
Die im Deutschen Reiche mit § 563 der Protokolle des Bundesrats vom und in Italien mit eingeführten Zählkarten werden von den Justizbehörden für jeden Einzelfall besonders ausgefüllt und in dem Statistischen Amte aufgearbeitet. Die Kosten der Aufbereitung belaufen sich im Deutschen Reiche auf 51,000 Mk., und zwar für 4 Beamte und 18 Hilfsbeamte, zusammen für 22 Personen, auf 41,000 Mk. und für den Druck auf 10,000 Mk. jährlich. Die Zählkarten enthalten in den beiden Staaten, abgesehen von prozessualen Notizen (die in Klammern [* 20] stehenden Angaben werden nur in Italien erhoben):
1) die Personaldaten für den Angeklagten, Name, Geburtsort, Geburtstag, Zivilstand (Legitimität, Filiation, Familienverhältnis der Minderjährigen), Beruf (strafrechtlicher Zustand), strafrechtliche Vergangenheit;
2) die strafbaren Handlungen, Bezeichnung der That (nach der Anklage) nach dem Urteil, nach Ort und Zeit;
3) die Beendigungsformen und die Strafen. In Österreich scheint eine methodische Reform der Kriminalstatistik mit der Einführung eines neuen Strafgesetzbuches geplant zu sein, womit überhaupt ein sehr geeigneter Zeitpunkt für Reformen auf diesem Gebiet gegeben ist.
Die J. und speziell die Kriminalstatistik setzt der internationalen Vergleichung bedeutende Schwierigkeiten entgegen, da es sich nicht um allgemeine und überall gleichbleibende Erscheinungen, sondern um gesetzlich formulierte Thatsachen handelt, wobei die Fixierung in jedem Staate und zu den verschiedenen Zeiten erheblich verschieden ist. Bis zu einem gewissen Grade sind die sich einer internationalen Regelung oder Vergleichung entgegenstellenden Hindernisse geradezu unübersteiglich, insbesondere dürfen die einfachen Zahlen nie als vergleichbar angesehen werden.
Abgesehen von der Justizgeschäftsstatistik kommen insbesondere die internationalen Bestrebungen bezüglich der Kriminal- und der Gefängnisstatistik in Betracht. Die erstgenannten gehen von dem internationalen statistischen Kongreß und zwar insbesondere seiner Session zu Petersburg [* 21] 1872 aus und erstreben neben der allgemeinen Einführung der Zählkarte vornehmlich die Herstellung einer einheitlichen Nomenklatur der durch die Strafgesetze der verschiedenen Staaten vorhergesehenen Delikte, was auf mehreren Sessionen des Kongresses (Wien, London, Florenz, [* 22] Paris) [* 23] allerdings erfolglos versucht wurde, jedoch zu mehreren Arbeiten von Taganzew, Baumhauer, Foinitzky und in neuerer Zeit von Würzburger u. a. führte. Die Gefängnisstatistik wurde zwar auch vom allgemeinen statistischen Kongreß (besonders Paris 1855, Budapest [* 24] 1876), dann aber von dem internationalen Gefängniskongreß (London 1872, Stockholm [* 25] 1878, Petersburg 1890 etc.) gepflegt, welche Bestrebungen unter anderm zur »Statistique pénitentiaire internationale« von Beltrani-Scalia führten.
Die Ergebnisse der administrativen Kriminalstatistik sind von hervorragender Bedeutung für die Wissenschaft geworden und haben eine bedeutende, sich nach mehreren Richtungen spaltende moralstatistische Litteratur hervorgerufen. Die älteste ist die metaphysische Richtung Quételets, die sogen. Sozialphysik, welche durch Buckle in England und durch A. Wagner ¶