Gedächtnis
pflege
im
Unterricht. Über den hohen Wert eines treuen und umfassenden Gedächtnisses
für die geistige
Ausbildung des
Menschen kann kaum ein Zwiespalt der
Ansichten bestehen.
Wohl aber ist in der pädagogischen
Welt darüber gestritten worden, ob dem
Gedächtnis auch unmittelbar eine besondere
Pflege durch Auswendiglernen zu teil werden
soll. Die ältere
Weise des
Unterrichts, namentlich vor Verbreitung des Buchdrucks, nahm das
Gedächtnis stark in Anspruch.
Nach dem Grundsatz der Alten, daß man nur so viel wisse, wie man im Gedächtnis halte, wurde fast alles Wissen durch Auswendiglernen vermittelt. Grundsätzlichen Einspruch dagegen erhob im Beginn des 17. Jahrh. Wolfgang Ratichius (s. d.); er wollte nichts auswendig lernen, sondern alles nur verstandesmäßig aneignen lassen. Auch J. J. Rousseau (s. d.) sagt: »Emil soll nie etwas auswendig lernen«; der Zögling soll sich nach ihm nur Urteile, nicht Worte aneignen. Ihm folgten im wesentlichen die Philanthropen.
Die neuere
Pädagogik, namentlich durch das
Verdienst
Herbarts (s. d.), hat hierin sich für einen psychologisch begründeten
Mittelweg entschieden. Sie verlangt, daß vorzugsweise das Verständnis, die innere Aneignung, gepflegt und durch
diese unter Zuhilfenahme geeigneter Wiederholungen und gegenseitiger Verknüpfung verwandter
Vorstellungen und Vorstellungsreihen
das unwillkürliche Behalten des unterrichtlich Dargebotenen angebahnt werde. Um aber solche Gegenstände des
Unterrichts,
an denen neben dem
Inhalt der
Vorstellungen auch die Form, in der sie miteinander zu einem Ganzen verwoben sind, wesentlichen
Wert hat, Kernsprüche, klassische
Dichtungen etc., zum unverlierbaren
Eigentum zu machen und zugleich
das unwillkürliche
Gedächtnis der zunehmenden
Masse des aufzunehmenden
Stoffes entsprechend zu kräftigen, muß ein in sorgfältigem
Anschluß an den
Unterricht ausgewählter
Schatz von Wissenswürdigem doch auch durch planmäßiges Einprägen memoriert werden.
Dagegen ist jede bloß äußerliche Aneignung, jede für sich bestehende Gedächtnis
übung und namentlich
jeder
Unterricht, der lediglich oder vorzugsweise auf gedächtnis
mäßiger Einprägung beruht (memoriale Unterrichtsmethode),
unbedingt zu verwerfen.