Titel
Geburtshilfe
(franz.
Accouchement). Der Inbegriff aller bei der Behandlung der Schwangern, Gebärenden und Wöchnerinnen
anwendbaren
Regeln stellt den
Inhalt der Geburtshilfe
als
Kunde (Geburtshil
fekunde), und die Anwendung dieser
Regeln auf die bestimmten
Fälle den
Inhalt der Geburtshilfe
als
Kunst oder die Geburtshil
fekunst dar. Durch die Vereinigung beider kommt alsdann die eigentliche
Hilfe beim Geburtsakt selbst zu stande.
Zu einem regelmäßigen Verlauf der Geburt ist es nötig, daß mehrere Bedingungen sowohl von seiten der Mutter als von seiten der Frucht und ihrer Umgebung vereint erfüllt werden. Diese sind von seiten der Mutter einerseits die Regelmäßigkeit der Wehen in Bezug auf ihre Kraft [* 2] und Aufeinanderfolge, anderseits der regelmäßige Bau der Geburtsteile sowie die natürliche Beschaffenheit der in den Geburtsteilen, insbesondere in dem Becken, befindlichen Organe; von seiten der Frucht deren normale Bildung und Gestaltung sowie deren regelmäßige Lage im mütterlichen Körper. In Bezug auf die Lage der Frucht (Kindslage) im Mutterleib kurz vor Eintritt der Geburt kommen die meisten Abweichungen vor, und durch sie wird meistens die Regelwidrigkeit einer Geburt bedingt. Die regelmäßige Lage der Frucht ist daher eins der Haupterfordernisse zu einer natürlichen Geburt. Die normale Lage ist die Schädellage. Dabei steht der Kopf entweder im linken schrägen Beckendurchmesser, der Rücken des Kindes links ¶
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nahe der Wirbelsäule oder vorn am Bauch [* 4] der Mutter, oder der Kopf steht im rechten schrägen Durchmesser, der Rücken hinten rechts oder wieder am Bauch der Mutter, wonach man diese Stellungen als 1., 2., 3., 4. Schädellage bezeichnet. Bei Wehenschwäche, engem Becken, Nabelschnurvorfall oder andern Umständen, welche eine Beschleunigung der Geburt wünschenswert machen, geben diese Kindslagen Veranlassung zum Anlegen der Zange. [* 5] Weniger normal, aber immerhin häufig und ohne Kunsthilfe zu beenden ist die Geburt bei Steißlage.
Der Steiß tritt zuerst ins kleine Becken, er ist dem höchsten Druck ausgesetzt und zeigt häufig wie der Kopf bei Schädellagen eine weiche Blutbeule oder Blutgeschwulst (Kopfgeschwulst, caput succedaneum, Steißgeschwulst). Erfordert die Steißgeburt Kunsthilfe, so wird mit dem gekrümmten Finger oder mit stumpfem Haken das Kind in den Hüftbeugen erfaßt und herausgezogen. Ähnlich ist die Fußlage, bei welcher zuerst ein Fuß durch den Muttermund tritt, welcher dann behufs der weitern Entwickelung des Körpers gefaßt wird und als Handhabe zum Ziehen dient; sobald die Schultern eintreten, müssen die Arme gelöst und hervorgezogen werden, worauf dann der Kopf den Schluß macht.
Verzögert sich die Geburt, nachdem schon fast der ganze Leib geboren ist, so treten zuweilen, durch den Reiz der Kälte bedingt, vorzeitige Atembewegungen auf, welche durch Verschlucken von Fruchtwasser gefährlich werden können. Entschieden abnorm ist die Querlage, bei welcher zuerst ein Arm in die Scheide vorfällt. In dieser Kindslage kann die Geburt nur von statten gehen, nachdem die Querlage durch Eingehen des Geburtshelfers mit der Hand [* 6] in die Gebärmutter [* 7] in eine Schädel-, Steiß- oder Fußlage umgewandelt ist.
Dieser Akt, der, wenn irgend thunlich, in der Chloroformnarkose ausgeführt wird, heißt Wendung. Am übelsten ist die Gesichtslage, welche sich, wenn der Geburtshelfer rechtzeitig zur Stelle ist, in eine Schädel- oder durch Wendung in eine Fußlage verwandeln läßt. Ist dagegen der Kopf des Kindes im Becken bereits festgekeilt, so bleibt nichts übrig, als den Kopf zu durchbohren (Perforation) oder zu zerbrechen (Kranioklasis) und dann die Geburt mit der Zange zu beenden.
Die Ausführung der Wendung steht gesetzlich der Hebamme nur dann zu, wenn ärztliche Hilfe nicht binnen notwendiger Frist zu erreichen ist. Das Anlegen der Zange oder gar das Töten des Kindes durch Perforation ist nur dem Arzt gestattet. Der Mechanismus der Geburt bei der Schädellage kann als typisch angesehen werden. Er beruht darauf, daß der Kopf des Kindes bei seinem Durchgang durch das Becken eine doppelte Bewegung erleidet, nämlich eine Drehung um seinen Querdurchmesser, wodurch er eine solche Richtung erhält, daß seine großen Durchmesser stets den großen Durchmessern des Beckeneinganges entsprechen und seine Achse (der Durchmesser von dem Kinn zur kleinen Fontanelle) mit der Beckenachse zusammenfällt; sodann eine Drehung um seine Höhenachse, welche ihm für die Durchmesser der Beckenmitte und des Beckenausganges die angemessene Richtung gibt, worauf wieder eine Drehung um seinen Querdurchmesser folgt. Auf diese Weise beschreibt das Kind bei seiner Geburt gleichsam eine Spirallinie. Die regelmäßige Geburt ist ein Akt der Naturthätigkeit allein, und die Thätigkeit des Geburtshelfers besteht daher mehr in bloßer Unterstützung, Erleichterung und Verhütung von Regelwidrigkeiten als im Eingreifen in den Geburtsvorgang.
Die hat sich in den ältesten Zeiten auf die wenigen Hilfsleistungen beschränkt, welche man ohne besondere Kenntnis vom Bau und von den Verrichtungen des Körpers den gebärenden Weibern angedeihen lassen konnte. Ohne Zweifel wurden aber diese Hilfsleistungen von Frauen ausgeübt. Wir finden in den heiligen Büchern bei den Israeliten und Ägyptern nur Wehmütter genannt. Griechen und Römer [* 8] hatten unter ihren Göttern, die dem Gebärungsakt vorstanden, nur weibliche Gottheiten.
Auch finden wir bei den alten römischen und griechischen Klassikern nur Hebammen erwähnt. Die Hippokratischen Schriften enthalten
allerdings viel auf die Geburtshilfe
sich Beziehendes; wir ersehen daraus, daß Ärzte in schwierigen Fällen Rat
erteilten und auch wohl mit Händen und eignen Werkzeugen Hilfe leisteten, deren nähere Auseinandersetzung indes nur auf eine
höchst beschränkte Einsicht in das ganze Geburtsgeschäft schließen läßt. Das erste Lehrbuch für Hebammen in Fragen und
Antworten schrieb Moschion um 220 n. Chr.; es behandelt die Anatomie der Geschlechtsteile, gibt den Hebammen
den nötigen Rat zur diätetischen und ärztlichen Behandlung der Schwangern, Gebärenden und Neugebornen und lehrt, was bei
der Geburt selbst zu beobachten ist. Durch die arabischen Ärzte ist für die Geburtshilfe
wenig geschehen. Im christlichen Abendland
befand sich die Geburtshilfe
nur in Händen ununterrichteter Weiber oder höchstens männlicher Pfuscher. Man begnügte
sich oft damit, in schwierigen Fällen Geistliche zu Gebärenden zu rufen, welche durch abergläubische Mittel Hilfe zu leisten
versuchten. Nicht viel besser sind die Lehren
[* 9] des berühmten Mich. Savonarola in Padua,
[* 10] welche derselbe in seiner »Practica«
(Vened. 1497) vorträgt.
Erst mit dem 16. Jahrh. fing die an, eine bessere Gestalt anzunehmen.
Das erste geburtshilfliche Werk aus dieser Zeit ist das Hebammenbuch des Eucharius Rößlin: »Der
swangern Frawen und Hebammen Rosengarten« (1513, mit Holzschnitten). Obwohl auch hier manches von Frühern bereits Vorgetragene
benutzt ist, so finden wir doch manches Eigentümliche und Neue darin. So gedenkt der Verfasser der in
Vergessenheit geratenen Wendung auf die Füße wieder und empfiehlt diese da, wo die Wendung auf den Kopf nicht gelingt, erkennt
die Kopflagen als die natürlichsten an und räumt nach diesen der Fußgeburt die nächste Stelle ein. Wohlthätig mußte
auf die geburtshilflichen Lehren der damals wieder erwachende Eifer für die Anatomie wirken, und besonders
bemühten sich Vesal (gest. 1564), dessen Schüler Reald. Columbus (1559), Fallopia (gest. 1562) u. a., über alles, was sich
auf Anatomie und Physiologie des weiblichen Organismus wie der Leibesfrucht bezieht, Aufklärung zu geben. Da indessen immer nur
die schwersten Fälle der männlichen Hilfe anheimfielen, auch diese selbst nur durch Anwendung von mechanischen
Mitteln geleistet wurde, so finden wir die in genauer Vereinigung mit der Chirurgie. Es ist vorzugsweise die operative Seite,
welche in den geburtshilflichen Werken P. Francos, Parés, Fabr. Hildanus' u. a. hervorgehoben wird; man verbesserte die ältern
Methoden, erfand neue, welche die Anwendung so mancher das Leben des Kindes gefährdender älterer Operationen
wenigstens beschränken sollten, und empfahl die Wendung des Kindes im Mutterleib auf die Füße (s. oben), welche einen enormen
Fortschritt bezeichnet und zu den glänzendsten Resultaten führte. So verschafften die Bestrebungen dieser Männer nach und
nach der männlichen Geburtshilfe
mehr Eingang und Vertrauen. Der Umstand, daß Ludwig XIV. einen Wundarzt, Namens
J. Clément aus Arles, zur Entbindung der königlichen Geliebten,
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Madame de Lavallière, berief, welcher nach glücklicher Vollziehung seines Auftrags zum ersten Geburtshelfer des Hofs ernannt
wurde, trug nicht wenig dazu bei, diese Kunst in Aufnahme zu bringen. In Deutschland
[* 12] entwickelte sich die Geburtshilfe
nur langsam; es
blieb fast alles den Hebammen überlassen, welche nur in sehr gefährlichen Fällen Wundärzte hinzuriefen.
Notdürftig wurde durch Hebammenbücher für den Unterricht der erstern gesorgt. Zu nennen sind: Welsch' »Hebammenbuch«, aus
dem Italienischen des Scipione Mercurio (Leipz. 1653),
und Völlters »Neueröffnete Hebammenschule« (1679). Unter den Hebammen
erlangte Just. Siegmundin (1690), die brandenburgische Hofwehmutter, den bedeutendsten Ruf. Sie war die erste, welche sich
der sogen. Wendungsstäbchen zur Anlegung der Fußschlinge bediente. Einen
würdigen Schlußstein dieser Periode bildet der Holländer van Deventer, der Verfasser der »Morgenröte der Hebammen« (Leid. 1696)
und des »Neuen Hebammenlichts« (das. 1701). Letzteres Werk ist das erste wissenschaftliche Buch über Geburtshilfe
Vortrefflich ist die
von ihm abgehandelte Beckenlehre, worin er seinen Vorgängern durch richtige Auffassung und praktische
Bemerkungen weit vorgeschritten ist; er suchte ferner den Gebrauch der mörderischen zur Zerstückelung des Kindes benutzten
Instrumente zu vermindern und erwarb sich große Verdienste um die weitere Verbreitung der Wendung auf die Füße. Im J. 1723 erfand
Palfyn in Gent
[* 13] ein Instrument zur Lösung des eingekeilten Kopfes; hiermit war die Bahn gebrochen, denn wenngleich
das Palfynsche Instrument noch an großen Mängeln litt, so konnten doch Verbesserungen desselben nicht ausbleiben. Bald trat
nun auch der Engländer Chapman (1735) mit seiner Zange hervor, und somit verbreitete sich von zwei Ländern aus dieses Instrument,
welches eine große Umgestaltung der ganzen praktischen Geburtshilfe
hervorbrachte. In Frankreich suchte Levret
(gest. 1780) die Geburtszange
[* 14] (s. d.) zu verbessern, indem er ihr eine zweckmäßigere Form
gab und für ihre Anwendung bestimmtere Regeln aufstellte, als es bisher geschehen war; auch schrieb er in einem ausführlichen
Werk über die Ursachen und Zufälle verschiedener schwerer Geburten und gab eine Menge geburtshilflicher
Instrumente an. Er bildete viele Schüler im In- und Ausland, und von ihm an datiert die rasche Entwickelung der Geburtshilfe
als Wissenschaft
in Frankreich. Solayrés de Renhac stellte in seiner Abhandlung »De partu viribus maternis absoluto« (Par. 1771) dynamische
und mechanische Regeln, nach welchen die Natur bei der Geburt verfährt, auf das treffendste und so wahrheitsgetreu
dar, daß Spätere ihn hierin kaum übertrafen. In England fing die Geburtshilfe
erst in der Mitte des 18. Jahrh. an, sich auf eine
ausgezeichnete Art durch Smellie (gest. 1763) zu entwickeln, welcher durch seine Schriften für ihre Vervollkommnung in
England wirkte. Er lehrte die Art und Weise, wie das Kind bei einer natürlichen Geburt vorrücke, verbesserte die Geburtszange,
erläuterte deren Anwendung und gab zu diesem Behuf außer seinen Lehrbüchern ein großes Kupferwerk heraus.
Die künstliche Frühgeburt wurde von englischen Geburtshelfern in der Mitte des 18. Jahrh. zuerst in
Vorschlag gebracht und ausgeführt, um bei engem Becken Kaiserschnitt und Perforation zu vermeiden und so
Mutter und Kind am Leben zu erhalten. In Deutschland begann die Geburtshilfe
erst nach der Mitte des 18. Jahrh. eine bessere
Gestalt zu gewinnen. Wenngleich Böhmer (1647) die Zange und ihre Anwendung in seinem Vaterland bekannt
machte, so behielten doch noch Perforation und Zerstückelung des Kindes
in schwierigen Fällen die Oberhand. Erst durch Röderer
bekam die in Deutschland eine gediegenere Richtung. Sein Schüler Stein (gest. 1803) verpflanzte Levrets Grundsätze auf deutschen
Boden, gab zur Ausmessung des Beckens besondere Instrumente an, suchte über die Wendung klare und richtige
Ansichten festzustellen und bemühte sich, die richtige Anwendung der (Levretschen) Zange unter seinen Landsleuten zu verbreiten.
Einflußreich waren die Lehren des Dänen Saxtorph (gest. 1801), der in einer klassischen Schrift: »De diverso partu ob diversam
capitis ad pelvim relationem mutuam« (Hannov. 1772), den natürlichen Geburtshergang bei
Kopflagen beschrieb und in spätern Schriften sich besonders um die Operationen der Wendung und mit der
Zange verdient machte. Von dem größten Einfluß auf die Geburtshilfe
sind die in diesem Jahrhundert errichteten Lehranstalten und Entbindungshäuser
geworden. In Frankreich wurde das Hôtel-Dieu auch als Lehranstalt für in Paris
[* 15] eingerichtet, allein nur Hebammen
durften diese treffliche Gelegenheit benutzen, während bei der 1728 in Straßburg
[* 16] errichteten Entbindungsanstalt auch Studierende
zugelassen wurden. In Großbritannien
[* 17] wurden zwar Entbindungshäuser, in Dublin
[* 18] 1745, in London
[* 19] 1739, errichtet; allein eine
eigne Lehranstalt ward erst 1765 mit dem Westminster-lying-in-Hospital unter der Direktion Leakes errichtet, wo Ärzte und Wundärzte
zum Unterricht zugelassen wurden. In Deutschland ward von Friedrich II. die erste Hebammenschule zu Berlin
[* 20] in der Charitee 1751 nach dem Muster der Straßburger errichtet und der Direktion Meckels übergeben; letzterm folgten Henkel
und Hagen
[* 21] im Amt nach. In demselben Jahr ward auch in Göttingen
[* 22] eine Entbindungsanstalt errichtet, deren Leitung Röderer übernahm.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts standen sich in Deutschland zwei Schulen gegenüber.
Osiander zeigte, wie weit die sogen. künstliche es bringen konnte, und brachte lediglich
mit der Zange und der Wendung den größten Teil der seiner Sorge anvertrauten Geburten zu Ende; Boer dagegen setzte die durch
voreiliges Eingreifen der Kunst beeinträchtigte Natur in ihre vollen Rechte ein und ward so der Gründer
einer Geburtshilfe
, deren wohlthätige Folgen in der neuesten Zeit immer schöner sich zeigen. Im Lauf der ersten Hälfte des gegenwärtigen
Jahrhunderts sind allmählich an allen Universitäten geburtshilfliche Institute zum theoretischen und praktischen Unterricht
in der Geburtshilfe errichtet worden. In neuester Zeit werden dieselben mit allem erdenklichen
Komfort ausgerüstet, sowohl was die Baulichkeiten, die Ventilation, die Zimmereinrichtungen betrifft, als auch namentlich
betreffs der Betten, welche bis zu Kunstwerken verfeinert sind, um den äußersten Grad von Sauberkeit zu ermöglichen.
Reinlichkeit ist das Losungswort der modernen Chirurgie und nicht minder der Geburtshilfe, denn die geschickte Leitung des Gebäraktes selbst ist nur die erste Aufgabe des Geburtshelfers, ihr gleich steht an Wichtigkeit die zweite Anforderung: die Behandlung der Wöchnerin. Nur die äußerste, peinlichste Sauberkeit, die sich auf die Ärzte, Hebammen und Wärterinnen erstreckt, und die auf Wäsche, Betten, Instrumente etc. ausgedehnt wird, vermag in völkerreicher Gegend und besonders im Spital die höchst ansteckende Seuche des Wochenbettfiebers zu verhüten. Wenn man aus diesem Gesichtspunkt die Statistik großer Krankenhäuser vergleicht mit den Resultaten früherer Jahre, so wird man in der Geburtshilfe den Segen der neuen Karbolära ohne Scheu mit dem Umschwung, den einst die Einführung ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Geburtshilfe,
die Wissenschaft, welche die physiol. und pathol. Vorgänge im weiblichen Körper von der Empfängnis an bis zu Ende der unmittelbaren Folgen der Geburt für Mutter und Kind darstellt und zugleich die Mittel angiebt, durch die der regelmäßige Verlauf dieser Vorgänge befördert, den Unregelmäßigkeiten in denselben aber passend begegnet wird. Da der letztere Teil dieser Wissenschaft, der praktische, jedoch auch oft unmittelbar thätliche Hilfe vorschreibt und zu dieser wieder eine gewisse Fertigkeit nötig wird, so schließt die Geburtshilfe auch eine Kunst, die Entbindungskunst oder Obstetrik (ars obstetricia), ein, deren Ausübung für die Menschheit von solcher Wichtigkeit ist, daß in den meisten civilisierten Staaten nur besonders darin geprüften Ärzten, den sog. Geburtshelfern oder Accoucheurs, die Erlaubnis dazu erteilt wurde, während die diätetische und therapeutische Behandlung einer Schwangern, Gebärenden oder Wöchnerin, wenn kein manueller Eingriff nötig war, jedem andern Arzte, und der Beistand bei leichten, regelmäßigen Geburten den Hebammen überlassen werden konnte.
Nach den neuern gesetzlichen Bestimmungen erhält dagegen im Deutschen Reich kein Arzt die staatliche Approbation zur Ausübung der Praxis, der nicht genügende geburtshilfliche Kenntnisse nachzuweisen vermag. Man darf die Geburtshilfe nicht als einen Teil der Medizin im engern Sinne oder der Chirurgie ansehen, da nicht nur die Kenntnis jener beiden Zweige sich vereinigen, sondern noch vieles, was jene in ihrer gewöhnlichen Bedeutung nicht einschließen, hinzutreten muß, um einen vollkommenen Geburtshelfer zu bilden.
Aus diesem Grunde erfordert die Erlernung der Geburtshilfe eine besondere Klinik (geburtshilfliche Klinik), worin die geburtshilfliche Pathologie und Therapie gelehrt werden und zu der die mediz. und chirurg. Klinik als Vorbereitungen dienen. Die Vorübungen zu den geburtshilflichen Operationen nimmt man am sog. Phantom (s. d.) vor. Geburtshilfliche Operationen sind nötig, wenn wegen Schwäche, Asthma, Blutungen oder anderer entweder schon eingetretener oder doch zu fürchtender übler Zufälle, welche der Mutter die Fortsetzung der Geburtsanstrengungen unmöglich oder doch sehr gefährlich machen, eine Beschleunigung der Geburt erfordert wird, oder wenn die Größe der Frucht oder die Kleinheit des Beckens den Austritt derselben verhindert, auch wenn die Lage des Kindes dessen Durchgang durch die Geburtsteile verwehrt, oder wenn Regelwidrigkeiten in den Teilen, die der Mutter sowohl als dem Kinde angehören, einem von beiden oder beiden zugleich Gefahr drohen, z. B. zu dicke Eihäute, zu kurze oder zu lange Nabelschnur, Knoten, Vorfall, Zerreißung u. dgl.
Die Geschichte der Geburtshilfe schließt sich eng an die der gesamten Heilkunde an; nur stand die in ihrer Ausbildung hinter den übrigen Teilen der Medizin bis in das 18. Jahrh. weit zurück, da sie mit noch mehr Vorurteilen als jene zu kämpfen hatte. Schon in den ältesten Urkunden der Geschichte, in den heiligen Büchern der Inder, Ägypter und Israeliten, wird der Hebammen oder Wehmütter als besonderer Klasse gedacht, und bei den Griechen wie bei den Römern wurden mehrere weibliche Gottheiten als Schutzgöttinnen der Gebärenden verehrt.
Erst um die Mitte des 4. Jahrh. v. Chr. scheint bei den Griechen männliche Hilfe von den Gebärenden in Anspruch genommen worden zu sein. Hippokrates hat mehrere Schriften über Geburt und Geburtshilfe geschrieben und zeigt sich auch in ihnen als großen Naturbeobachter, obgleich er in Hinsicht auf die Ausübung der Kunst nur wenig aufstellte, was nicht der spätern Berichtigung bedurft hätte. Unter den spätern Ärzten, denen wir Nachrichten über die damalige Geburtshilfe verdanken, sind zu erwähnen: Celsus, Galenus, Moschion, im 3. Jahrh., der sich besonders nach Soranus, dessen Schriften aber verloren gegangen sind, richtete und das erste uns bekannte Hebammenbuch verfaßte;
ferner Aetius von Amida im 6. Jahrh. und Paul von Ägina im 7. Jahrh. Im Mittelalter war die Geburtshilfe ebenso wie die übrigen Wissenschaften gänzlich vernachlässigt.
Die arab. Ärzte bildeten meist nur die irrigen Ansichten der Griechen weiter aus, ließen aber das Gute in den Schriften ihrer Vorgänger unberücksichtigt, während im Abendlande die Geburtshilfe der rohen Empirie der Mönche und Hebammen allein überlassen blieb.
Erst mit dem 16. Jahrh. wurde der Geburtshilfe wieder mehr Aufmerksamkeit zugewendet; 1513 erschien das erste gedruckte und mit Holzschnitten versehene geburtshilfliche Lehrbuch von Eucharius Rößlin: «Der swangern Frawen und Hebammen Rosengarten», dem die ähnlichen Werke von Jak. Ruff in Zürich [* 23] (1533) und Walth. Reiff in Straßburg (1561) folgten. Praktisch wurde die Wissenschaft fortgebildet durch Vesalius, Falopia u. a.; doch blieben, da nur in sehr schwierigen Fällen Männer an das Geburtsbett gerufen wurden, die Naturbeobachtung sehr mangelhaft und die Fortschritte hauptsächlich auf die operative Seite der Geburtshilfe beschränkt. Auch wurde die Geburtshilfe nur als ein Teil der Chirurgie angesehen und hatte mit dieser dasselbe Schicksal. Als daher letztere an Ausbildung gewann, wurde auch erstere gefördert, namentlich in Frankreich, wo Franco, Paré und Guillemeau (gest. 1613) sich bedeutende Verdienste um dieselbe erwarben und der Ausübung der Geburtshilfe seitens männlicher Ärzte nach und nach mehr Eingang verschafften. Die Vorurteile gegen die Geburtshilfe wurden endlich wenigstens in den höhern Ständen dadurch fast gänzlich besiegt, daß Ludwig XIV. den berühmten Wundarzt Clement aus Arles zur Entbindung der Lavallière rufen ließ und ihn dann zum ersten Geburtshelfer des Hofs ernannte. Diese Auszeichnung ermunterte die franz. Ärzte zur Ausbildung der Geburtshilfe, und ¶
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vorzüglich berühmt machten sich unter ihnen Mauriceau, Portal, Pen, Dionis und La Motte. Viel weiter zurück stand die in Deutschland, wo sie fast immer nur von Hebammen ausgeübt wurde, für deren Unterricht man nur sehr dürftig sorgte. Unter ihnen erreichte Justine Siegmundin, die kurbrandenb. Hofwehmutter (1690), durch geschicktes und glückliches Operieren und durch Veröffentlichung eines brauchbaren Hebammenbuchs den bedeutendsten Ruf. Gleichzeitig mit ihr legte der Holländer Heinr. von Deventer durch seine beiden Bücher «Morgenröte der Hebammen» (Leid. 1696) und «Das neue Hebammenlicht» (1701) den ersten Grund zur wissenschaftlichen Fortbildung der Geburtshilfe.
In diese Zeit fällt auch die folgenreiche Erfindung des für die Geburtshilfe wichtigsten Instruments, der Geburtszange (s. d.). Von nun an nahm die Geburtshilfe einen mächtigen Aufschwung. Levret, Puzos, Astruc, Solayrés de Renhac und Baudelocque verbreiteten in Frankreich, sowie in England, wo vorher nur wenig geleistet wurde, William Smellie (geb. 1680, gest. 1763) durch Lehren und Schriften viel Licht [* 25] über die neue Wissenschaft. Auch in Deutschland hob sich diese Wissenschaft schnell durch Johann Georg Röderer (geb. 1726, Professor der Anatomie und Chirurgie zu Göttingen, gest. 1763), welchem sein Schüler Georg Wilhelm Stein (gest. 1803) folgte. Der Erfolg der Bestrebungen dieser Männer, die allgemeinere Verbreitung geburtshilflicher Kenntnisse, wurde hauptsächlich gesichert durch die Errichtung von Entbindungshäusern, mit denen Lehranstalten für studierende und Hebammen verbunden waren. Während in Paris nur eine Hebammenschule im Hôtel-Dieu bestand, war in Straßburg 1728 ein Entbindungshaus eingerichtet worden, das unter Fried (gest. 1769) lange Zeit großen Ruf genoß. In England wurde ein solches zuerst 1765 eröffnet.
Die erste Hebammenschule in Deutschland errichtete 1751 Friedrich d. Gr. in Berlin in der Charité; ihr folgte in demselben Jahre unter der Leitung Röderers die zu Göttingen, worauf bald noch andere entstanden. In Deutschland entstanden unter F. B. Osiander (geb. 1759, gest. als Professor zu Göttingen 1822), der die operative Geburtshilfe auf eine hohe Stufe erhob, und unter Boer (gest. al5 Professor in Wien [* 26] 1835), der fortan der Naturhilfe ihre Anerkennung im vollsten Umfange sicherte, zwei Schulen, die, obgleich in schroffer Opposition einander gegenüberstehend, die Wissenschaft auf eine vordem ungeahnte Höhe führten. Neben ihnen sind hervorzuheben: Schmitt (gest. 1827), A. E. von Siebold, Weidmann (gest. 1819), Wenzel (gest. 1827) und Wigand (gest. 1817), in Frankreich Lachapelle und in England Denman;
aus neuerer Zeit: Nägele, Jörg, d'Outrepont, Ritgen, Kilian, E. K. J. von Siebold, Kiwisch von Rotterau, Scanzoni, Roßhirt, Credo, Späth, Martin, Braun, Schröder, Winckel, Schatz, Ahlfeld, Leopold, Sänger, B. Schultze, Spiegelberg, Kleinwächter, Zweifel, Olshausen, Veit, Fritsch,Hegar, Kaltenbach, Kehrer, Dohrn, Freund, Fehling u. a. Eine neue segensreiche Ara begann für die Geburtshilfe mit der Einführung der antiseptischen Wundbehandlung, durch welche es gelungen ist, das vordem so gefürchtete Kindbettfieber (s. d.) in immer engere Schranken zurückzuweisen und dadurch die Sterblichkeit in den Entbindungshäusern auf ein Minimum herabzudrücken.
Besonders nutzbringend hat sich die innige Verbindung der Geburtshilfe mit der Gynäkologie (s. d.) erwiesen, die beide vermöge ihrer gemeinsamen anatomisch-physiol. Grundlagen zueinander in der engsten Beziehung stehen. -
Vgl. Siebold, Versuch einer Geschichte der Geburtshilfe (2 Bde., Berl. 1839-45);
H. Häser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin (3. Aufl., Bd. 1, Jena [* 27] 1875);
Schröder, Lehrbuch der Geburtshilfe (12. Aufl., Bonn [* 28] 1893);
Spiegelberg, Lehrbuch der Geburtshilfe (3. Aufl., Lahr [* 29] 1891);
P. Müller, Handbuch der Geburtshilfe (3 Bde., Stuttg. 1888-89).
Winckel, Lehrbuch der Geburtshilfe (2. Aufl., Lpz. 1893); Zweifel, Lehrbuch der Geburtshilfe (3. Aufl., Stuttg. 1892).
Geburtshilfe bei Tieren gehört zu den wichtigsten Verrichtungen des Tierarztes. Wenn derselbe auch nicht, wie der Arzt, zur Leitung und Überwachung normaler Geburten hinzugezogen wird, so verlangt doch die große Zahl von vorkommenden Geburtshindernissen, namentlich bei Kühen, sachverständige Geburtshilfe. Die Hilfeleistung ist verschieden, je nachdem die Gebärschwierigkeit in einer fehlerhaften Beschaffenheit der Organe der Mutter (zu große Enge oder Verwachsungen der Geburtswege) oder in einer abnormen Größe oder abnormen Lagerung des Jungen ihren Grund hat. Im erstern Fall müssen unter Umständen, wie z. B. bei Verhärtung des Muttermundes, die mütterlichen Teile durch das Messer [* 30] erweitert werden, im letztern Fall sucht man zuerst durch Eingehen mit der Hand die Lage des Jungen so einzurichten, daß dasselbe «entwickelt» werden kann (Kopf- oder Steißgeburt) und unterstützt die Wehen durch kräftigen Zug, nachdem an der Frucht Stricke angeschleift oder mittels Haken befestigt worden sind. -
Vgl. Zürn, Handbuch der tierärztlichen Geburtshilfe (2. Aufl., Lpz. 1863);
Baumeister, Die tierärztliche Geburtshilfe (6. Aufl., Stuttg. 1878);
Harms, Lehrbuch der tierärztlichen Geburtshilfe (2. Aufl., Hannov. 1884);
Franck, Handbuch der tierärztlichen Geburtshilfe (2. Aufl., Berl. 1887).