Geburt
(lat. partus; frz. accouchement), derjenige Vorgang,
durch den die
Leibesfrucht des
Menschen aus dem mütterlichen Körper an die Außenwelt gelangt. (S. auch
Geburt
der
Tiere.) Die Geburt
beginnt regelmäßigerweise, sobald die
Frucht hinlänglich entwickelt ist, um außerhalb des Mutterleibes
ihrer Bestimmung vollkommen entsprechend fortleben zu können. Die menschliche
Frucht ist in der 40. Woche nach der Empfängnis
reif. Zu dieser Zeit nun, und zwar in der Mehrzahl der Fälle nachts zwischen 12 und 3
Uhr,
[* 2] fängt die
Gebärmutter
[* 3]
an sich zusammenzuziehen, was sich dem Gefühle der Schwangern durch
Schmerzen ankündigt, die sich von der Kreuzgegend
nach dem untern
Teile des
Bauchs hin erstrecken und, wie die Zusammenziehungen selbst, anfangs nur mäßig,
vereinzelt
¶
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und von kürzerer Dauer sind, allmählich aber immer heftiger, häufiger und anhaltender werden. Wegen dieser mit ihnen verbundenen
Schmerzen werden die Zusammenziehungen der Gebärmutter bei der Geburt
Wehen genannt. Sie beginnen von dem obern geschlossenen Teile
der Gebärmutter und drängen dadurch die Frucht, die noch von den Eihäuten und den darin enthaltenen Flüssigkeiten
s. Embryo) ^[öffnende Klammer fehlt] umgeben und gewöhnlich mit ihrer Längsachse in der Längsachse der Gebärmutter gelegen
ist, nach dem untern offenen Teile derselben, dem Mutterhalse und Muttermunde, der dadurch erweitert und zum Durchgange der
Frucht vorbereitet wird.
Die Eihäute, durch die Flüssigkeit und den nachfolgenden Kindeskörper herabgedrängt, bilden im Muttermunde eine angespannte elastische Blase, die zur allmählichen Erweiterung des Muttermundes viel beiträgt. Diese Blase, die nur in manchen Fällen künstlich geöffnet werden muß, zerreißt endlich (Blasen- oder Wassersprung); die Flüssigkeit wird entleert, und der vor der Öffnung liegende Teil des Kindes (in den meisten Fällen der Kopf desselben) tritt nun in den Muttermund ein.
Hiermit ist die erste Periode der Geburt
, die sog. Eröffnungsperiode, während welcher die weichen Geburt
steile
eröffnet und für den Durchtritt des Kindes vorbereitet werden, beendet und es beginnt der zweite Geburt
sabschnitt, die sog.
Austreibungsperiode, während welcher die Frucht durch die Geburt
swege hindurchgetrieben und endlich ausgestoßen
wird. Durch die nachdrängenden Wehen wird das Kind immer weiter vorgeschoben, und daß dies nur sehr allmählich geschieht,
hat seine Ursache zum Teil in der eigentümlichen Gestalt des gekrümmten Kanals, den der untere Teil des weiblichen Beckens (s. d.)
darstellt.
Der Durchschnitt desselben ist zwar überall oval, aber der größte Durchmesser dieses Ovals hat an verschiedenen Stellen des Kanals eine verschiedene Richtung. Nun hat zwar auch der Körper des Kindes am Kopfe und in der Gegend der Schultern und Hüften eine ovale Gestalt, der größte Durchmesser liegt aber wiederum verschieden: am Kopfe von vorn nach hinten, an Schultern und Hüften von rechts nach links, überdies ist der Beckenkanal nur gerade so weit, daß das Kind bloß dann in ihn hineinpaßt, wenn die Teile seines Körpers so gestellt sind, daß ihr größter Durchmesser genau in die Richtung des größten Durchmessers der verschiedenen Stellen des Kanals fällt.
Mit andern Worten: das Kind muß bei seinem Durchgang durch jenen Kanal,
[* 5] während es in gekrümmter Lage
vorwärts geschoben wird, zugleich auch immer etwas um seine Längsachse gedreht werden, sodaß es auf diesem Wege gewissermaßen
eine Spirallinie beschreibt. Auch die äußern Geburt
steile setzen dem Austritt des Kindes noch ein und zwar oft nicht
geringes Hindernis entgegen, indem sie dabei um ein Beträchtliches über ihre gewöhnliche Weite ausgedehnt werden müssen,
sodaß sie mitunter selbst Einrisse und andere Verletzungen erleiden. Während der Austreibungsperiode wirken außer den
Zusammenziehungen der Gebärmutter auch das Zwerchfell und die Bauchmuskeln mit, indem die Gebärende unter Anhalten des Atems
mit angezogenen Schenkeln und fest angestemmten Füßen nach unten drängt (sog.
Verarbeiten der Wehen).
Es ist somit eine in dem Baue des menschlichen Weibes begründete Notwendigkeit, daß das Gebären bei ihm nur langsam und
immer
mit einer gewissen Schwierigkeit erfolgt, während es bei den Tieren im allgemeinen infolge ihres geräumigen Beckens
leichter und schneller vor sich geht. Nachdem die Gebärmutter das Kind selbst auf die angegebene Weise
ausgetrieben hat, entleert sie noch die Organe, die vorher zur Ernährung und zum Schutze des Fötus dienten, aber schon während
der Geburt
des Kindes gewisse Veränderungen erlitten haben, nämlich den sog. Mutterkuchen und dessen Anhängsel,
die durchrissenen Eihäute und einen Teil des Nabelstrangs (dritter Zeitraum der Geburt
, sog. Nachgeburt
speriode).
Dieser Reste seines frühern Inhalts, die zusammengenommen Nachgeburt genannt werden, entledigt sich die Gebärmutter durch
neue, ebenfalls mit Schmerzen (Nachwehen) verbundene Zusammenziehungen, die zunächst den Mutterkuchen von der Innenfläche
der Gebärmutterschleimhaut vollends lostrennen, wobei aus den zerreißenden Gefäßen etwas Blut ergossen
wird, und ihn sodann nebst seinen Anhängseln ausstoßen, worauf die Gebärmutter sich selbst allmählich noch weiter zusammenzieht.
Dieser Abgang der Nachgeburt erfolgt meistens innerhalb einer halben bis ganzen Stunde nach der Geburt
des Kindes; damit ist der
Geburt
svorgang beendet und es beginnt nun das Wochenbett (s. d.).
Das Gebären selbst ist demnach an und für sich ein physiol. Prozeß, d. h.
eine Verrichtung des weiblichen Körpers, die in seiner Natur und Bestimmung begründet ist. Zu dem regelmäßigen Verlaufe
der Geburt
gehört aber, daß das Becken und die äußern Geburt
steile der Mutter regelmäßig gebaut seien, daß die Größe
der Frucht der Weite des Beckens entspreche, und daß die Lage der Frucht den Austritt durch dasselbe verstatte. Sind diese Bedingungen
erfüllt und tritt sonst kein störendes Moment ein, so verläuft die Geburt verhältnismäßig leicht, wenn auch nicht ohne Schmerzen,
in einer Zeit von 6 bis 12 Stunden.
Sie kann jedoch eines viel längern Zeitraums und viel bedeutenderer Anstrengung zu ihrer Vollendung bedürfen, ohne regelwidrig zu werden, z. B. wenn das vorgerückte Lebensalter der Mutter eine größere Straffheit der Fasern derselben bedingt, sodaß die Erweiterung des Muttermundes nicht so schnell erfolgt, wobei freilich auch die Schmerzen gesteigert werden, selbst wenn eine oder mehrere jener Bedingungen nicht erfüllt sind, wird der Widerstand, den die Geburt dadurch findet, noch oft durch geduldiges Abwarten der Naturhilfe überwunden, z. B. bei unregelmäßig gebautem Becken der Mutter oder bei ungünstiger Lage des Kindes.
Ist dies jedoch der Natur nicht möglich, oder erfordern anderweite Umstände die Beschleunigung der Geburt, so muß die Geburtshilfe (s. d.) einschreiten und eine künstliche Geburt vermitteln. Andere bei der Geburt vorkommende Unregelmäßigkeiten beziehen sich auf die Länge der Zeit, welche die Frucht im Körper der Mutter eingeschlossen gewesen ist. Von diesem Gesichtspunkte aus nennt man eine Geburt, durch welche eine Frucht von noch nicht 17 Wochen, die also noch nicht lebensfähig ist, zur Welt gebracht wird, eine Fehlgeburt (s. d.). Erfolgt die Geburt zwischen der 17. und 28. Woche, so nennt man sie eine unzeitige Geburt (partus immaturus), bei welcher ebenfalls das Kind noch nicht lebensfähig ist. Eine Frühgeburt (s. d.) findet statt, wenn das Kind zwischen der 28. und 36. Woche der Schwangerschaft zur Welt gebracht wird, zu ¶
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welcher Zeit es zwar noch nicht reif, aber doch lebensfähig ist und oft durch sorgfältige Pflege noch erhalten wird. Ob es eine Spätgeburt (partus serotinus oder retardus) in dem Sinne gebe, daß die Geburt nach einer länger als 40 Wochen dauernden Schwangerschaft eintrete, ist sehr zweifelhaft, zumal da die Mutter, auf deren Angabe die Berechnung der Schwangerschaftsdauer sich hauptsächlich gründen muß, über die Zeit der Empfängnis sich leicht täuschen kann. Der Schein einer zu späten Geburt wird aber bisweilen dadurch hervorgebracht, daß die Dauer des Geburtsvorgangs selbst sich bis zu zwei Wochen und vielleicht noch länger ausdehnen kann.
Die Ausdrücke Kopf-, Steiß-, Knie- und Fußgeburt werden gebraucht, um anzugeben, welcher Teil des Kindes bei der Geburt desselben vorausgeht und zuerst an die Außenwelt gelangt, wohingegen die Ausdrücke Mißgeburt (s. d.), Zwillings-, Drillingsgeburt u. s. w. sich nicht auf den Geburtsvorgang, sondern auf das Geborene beziehen. Daß sich bei den vielen verschiedenartigen Vorgängen, welche die Geburt mit sich führt, für den Arzt, schon mit Ausschluß der ganzen Geburtshilfe in engerm Sinne, in diätetischer und therapeutischer Hinsicht ein weiter Wirkungskreis darbietet, liegt am Tage. Allein auch dem gerichtlichen Zweige der Medizin werden oft Untersuchungen über Geburt, z. B. über dagewesene Schwangerschaft, über Alter eines Kindes, über die Zeit, wann die Geburt stattgefunden hat u. dgl. vorgelegt, die in vielen Fällen mit den größten Schwierigkeiten verknüpft sind. -
Vgl. Wigand, Die Geburt des Menschen (2. Aufl., 2 Bde., Berl. 1839);
C. Schröder, Lehrbuch der Geburtshilfe (11. Aufl., Bonn [* 7] 1891);
ferner die Lehrbücher von Zweifel, Winckel u. a.; Ploß, über die Lage und Stellung der Frau während der Geburt bei verschiedenen Völkern (Lpz. 1872);
Engelmann, Die Geburt bei den Urvölkern (deutsch von Hennig, Wien [* 8] 1884);
Ploß, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde (3. Aufl., 2 Bde., hg. von Bartels, Lpz. 1891).
Mit der vollendeten Geburt fängt nach bürgerlichem Recht der lebende Mensch an und tritt als Kind in die Familie. Nur in gewissen Beziehungen datieren seine Rechte schon aus der Zeit, als er noch Embryo (s. d.) war. Strafrechtlich als Gegenstand des Verbrechens der Tötung beginnt nach der bei den Juristen herrschenden Praxis der Mensch mit dem Anfang der Geburt. Solange noch kein Teil des Kindeskörpers aus dem Mutterleib herausgetreten ist, würde ein Attentat gegen das Kind Abtreibung der Leibesfrucht sein. Daß nicht vollendete Geburt erforderlich ist, ergiebt sich aus §. 217 des Deutschen Strafgesetzbuchs: «Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter 3 Jahren bestraft.»