Gebirge.
Die
Erfahrungen, welche die geologische Untersuchung der letzten Jahre über den
Bau der
Erdrinde in den wichtigsten
Gebirgen zu
Tage gefördert hat, lassen den Unterschied zwischen den beiden Hauptgebirgstypen, den
Ketten- und Massengebirgen
, in Bezug auf ihre Entstehung und
Entwickelung nunmehr schärfer erfassen, als es bisher möglich
war.
Beispiele von Kettengebirgen
sind: die
Pyrenäen,
Alpen,
[* 2]
Apenninen,
Karpathen, der
Balkan,
Kaukasus,
Elburz
in
Persien,
[* 3]
Hindukusch,
Himalaja und die
Züge, welche die Westküste
Amerikas vom Nördlichen
Eismeer bis zum
Kap
Horn begleiten.
Das spanische
Mittelgebirge (Meseta), das französische Zentralplateau,
Vogesen und
Schwarzwald,
Thüringer Wald,
Sudeten, das
rheinische Schiefergebirge
sind Vertreter der alten
Massen. Die charakteristischen Eigentümlichkeiten, durch welche sich
die beiden Haupttypen voneinander unterscheiden, werden durch das
Alter des
Gebirges bedingt: die
Ketten
sind die jungen, die
Massen die alten
in den erstern hat die gebirgsbildende
Kraft
[* 4] noch in der zweiten Hälfte der Tertiärzeit
gewaltige Massenbewegungen hervorgerufen, während die Massengebirge
schon seit viel älterer Zeit unbewegt geblieben sind.
Die jungen Gebirge
sind hoch, schroff, zerrissen, mit ausgesprochener
Ketten- und Gipfelbildung versehen, die
alten Gebirge
sind niedriger, zeigen gerundete
Formen und sanfte
Abdachung ohne klare Kettenbildung. Dieser
Gegensatz in der äußern
Gestalt der Kettengebirge
und alten
Massen rührt von dem Vorwiegen der einen oder der andern der beiden
Kräfte her,
die fortwährend verändernd auf die Erdoberfläche einwirken. Die tellurischen
Kräfte, wie
Erdbeben,
[* 5]
Vulkanismus und die Gebirgsbildung
[* 6] selber, erzeugen Unebenheiten und geben der
Erde
Relief, die siderischen
Kräfte, welche sich in der
Verwitterung,
Erosion
[* 7] und
Denudation zu erkennen geben, ebnen alle Hervorragungen der Erdoberfläche wieder ein. Wenn die Gebirgsbildung in einem
Gebiet in voller Thätigkeit ist, überwiegt ihre
Wirkung im allgemeinen diejenige der
Verwitterung und Abtragung; dagegen
erhalten diese letztern die Oberhand, sobald die zusammenschiebenden u. aufrichtenden
Kräfte ihre Wirksamkeit einstellen.
So werden allmählich durch
Erniedrigung und
Abwaschung im Verlauf langer Zeiträume
¶
mehr
aus den Kettengebirgen
alte Massen, die letztern sind nur noch die Überbleibsel und Ruinen ehemaliger Kettengebirge.
Als solche
hat man die vorgenannten Gebirgszüge des mittlern und westlichen Europa
[* 9] erkannt; manche dieser Massen zeigen in der Anordnung
ihrer Schichten und dem Verlauf ihrer Falten eine so auffallende Übereinstimmung, daß sie unzweideutig
als Bruchstücke eines ehemals zusammenhängenden Gebirgslandes anzusehen sind. An mächtigen Bruchlinien sind große Teile
dieses Landes in die Tiefe gesunken, während andre erhalten sind und als Horste mitten zwischen den niedergebrochenen Partien
des mitteleuropäischen Schollenlandes stehen geblieben sind (vgl. Dislokation, S. 205). Dieses gewaltige Kettengebirge
verlief
von SW. nach NO., also der Richtung der Alpen parallel, und begann im östlichen Frankreich etwa an einer
Linie, welche aus der Gegend von Douai u. Valenciennes im N. nach dem Quellgebiet der Dordogne bei Clermont-Ferrand in der Auvergne
zieht; von da erstreckte sich dasselbe nach NO. bis etwa zum Meridian von Görlitz,
[* 10] wo die Umbiegung nach
SO. erfolgte.
Wie bei den meisten Kettengebirgen
herrschte auch in diesen sogen. mitteldeutschen Alpen einseitiger Bau in der Weise vor, daß
an der Innenseite des Bogens die ältesten Gebilde liegen: die Gneise des Schwarzwaldes und der Vogesen, des Fichtelgebirges,
Erzgebirges, Riesengebirges;
die der Außenseite des Bogens angehörigen Stücke, wie das rheinische Schiefergebirge
,
der Harz, Thüringer Wald, Frankenwald, bestehen aus jüngern, paläozoischen Ablagerungen. In enger Verbindung mit diesen mitteldeutschen
Alpen steht ein zweites Hochgebirge im westlichsten Teile Europas, welches durch das nördliche Frankreich und das südliche
England im Bogen
[* 11] nach NW. streicht, dessen Fortsetzung sich aber nicht verfolgen läßt, da es an den Küsten
des Atlantischen Ozeans abbricht.
Lassen so die deutschen Mittelgebirge das Schicksal eines verfallenden Kettengebirges erkennen, so kann man anderseits auch die Vorgeschichte eines entstehenden in ihren Umrissen darlegen. Ein Hauptzug in der heutigen Gestaltung der Erdoberfläche besteht darin, daß zwei große Landmassen, Amerika [* 12] im W. und Europa-Asien mit Afrika [* 13] im O., aus der nördlichen Polarregion bis in die südliche gemäßigte Zone hinabreichen und das langgestreckte Becken des Atlantischen Ozeans zwischen sich einschließen.
Während der mesozoischen Periode dagegen reichte quer über den Indischen Ozean eine Festlandsbrücke von Vorderindien nach Südafrika, [* 14] deren Trümmer heute noch Madagaskar [* 15] und kleine Inselgruppen darstellen; ebenso bestand während dieser Periode eine Verbindung zwischen Südafrika und Brasilien [* 16] mitten über den heutigen südlichen Atlantischen Ozean, und im N. stand Nordamerika [* 17] mit Skandinavien im Zusammenhang. Der Atlantische Ozean existierte noch nicht, wohl aber ein langgestrecktes zentrales Mittelmeer, welches die nördlichen Landmassen von den südlichen trennte und sich von Mittelamerika bis zur Tiefebene des Ganges erstreckte.
Zwischen der Lage des zentralen Mittelmeers [* 18] und derjenigen der Hauptzone des jungen Kettengebirges besteht nun ein ausgesprochener Zusammenhang insofern, als die Kettengebirgsregion den bleibenden, immer überfluteten und tiefsten Teil des zentralen Mittelmeers bildet, während die nördlich und südlich anstoßenden Gebiete in junger Zeit nicht gefaltet wurden. Als die gebirgsbildenden Kräfte in dem Gebiete dieses Mittelmeers in Wirksamkeit traten, wurden gerade die tiefsten Meeresstrecken zu den höchsten Gebirgen aufgetürmt. Diese Thatsache legt die Vermutung nahe, daß auch ein genetischer Zusammenhang zwischen der Mächtigkeit der Meeresablagerungen und der Gebirgsbildung besteht.
Vgl. M. Neymayr, Ketten- und Massengebirge (»Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins«, 1888).