Gebet
(von beten, d. h. ursprünglich bitten), eigentlich Bitte, womit man sich an göttliche
Wesen wendet; dann im weitern
Sinn jede Anrufung höherer Mächte; im weitesten
Sinn überhaupt
Erhebung des
Herzens zu Gott,
Sammlung und
Konzentration der Gedankenwelt in der
Richtung auf das Göttliche, daher s. v. w.
Andacht (s. d.). Das Gebet
ist
sonach die erste, natürlichste Äußerung der subjektiven
Religion und gestaltet sich im einzelnen
Fall teils zur Bitte um
göttliche
Hilfe, teils zum Dank für
Erfahrung derselben (Lobgebet
), teils, da jede
Religion zugleich ein
Ausdruck eines Gemeinschaftsbewußtseins
ist, zur
Fürbitte (s. d.). In allen drei
Formen setzt das Gebet
voraus, daß sich der menschliche
Geist dem
göttlichen als ein
Ich dem
Du gegenübergestellt finde.
Während man aber neuerdings fast durchgängig die Wirksamkeit des Gebets
darin sucht, daß in der Berührung
mit Gott und
der Vergegenwärtigung einer übersinnlichen
Welt der Betende sich über die weltlichen
Dinge erhoben, ins
Gleichgewicht
[* 3] gebracht,
von den Bestrebungen des Alltäglichen und
Gemeinen gereinigt, nach der gottverwandten Seite seines innern
Lebens hin gekräftigt fühlt, waren die
Ansichten über das in einem frühern
Stadium des geistlichen
Lebens anders beschaffen,
sofern im G. vielmehr ein
Handeln auf Gott, ein Bestimmtwerden
Gottes bezweckt wurde, daher dasselbe auch im ganzen
Altertum
bei den verschiedenartigsten Vorgängen im
Staat und in der
Familie eine viel ausgedehntere
Rolle spielte.
Selbst noch in den
Blütezeiten der griechischen und römischen Staatenbildung wurde wenigstens bei allen wichtigern Veranlassungen
das Gebet
für unerläßliche
Pflicht gehalten, deren
Versäumnis den
Zorn des vernachlässigten
Gottes nach sich zog. In zahlreichen
Fällen waren die Gebete
von
Opfern begleitet, um die
Götter geneigter zu machen, die
Wünsche und Bitten
der
Menschen zu erfüllen. Viele Gebete
waren daher in bestimmte
Formeln gefaßt, wie die um
Schutz für die
Feldfrüchte, bei
Geburten und
Hochzeiten und namentlich die bei öffentlichen Feierlichkeiten von den
Magistraten oder
Priestern gesprochenen,
bei welchen das
Versprechen oder
Stocken immer für ein übles
Anzeichen gehalten wurde, wie man überhaupt durchweg von der
Voraussetzung einer dem Gebet
innewohnenden Zauberkraft ausging. Selbst die äußern
Gebräuche beim Gebet
waren bedeutungsvoll.
Man pflegte zuvor seine
Hände zu waschen, denn mit unreinen oder gar mit blutigen
Händen zu den
Göttern
zu flehen, war
Frevel. Während aber der Grieche mit unbedecktem
Haupt zur
Gottheit aufschaute, verhüllte der
Römer
[* 4] sein
Angesicht
beim Gebet.
Vgl. E. v.
Lasaulx, Über die Gebete
der Griechen und
Römer (Würzb. 1842).
Seinen ständigen
Ort hat das Gebet
im
Kultus (s. d.). Im Alten
Testament werden bestimmte, an Zeit und
Ort gebundene
Gebets
formeln, außer
5. Mos. 26, 5-10. bei der
Darstellung der
Erstlinge, nicht gefunden. Erst als im nachexilischen
Judentum
strenge Gesetzlichkeit die ganze Außenseite der
Religion zu beherrschen begann, führte man auch bestimmte Gebets
formeln
und Gebets
zeiten ein, und seitdem sank das Gebet gleich dem
Fasten (s. d.) zur vorschriftsmäßigen Verrichtung,
zum verdienstlichen Werk herab und wurde sogar Gegenstand raffinierter
Kasuistik.
Schon vor Jesu
Zeiten finden wir das dreimalige um die dritte, sechste und neunte Tagesstunde, die langen Gebets
formeln und
den
Gebrauch der sogen. Denkzettel und
Gebetriemen beim Gebet.
Die vom
Talmud vorgeschriebenen und von orthodoxen
Juden
auch heute noch beobachtete Gebets
ordnung ist auf dem Weg des Gebetsmechanismus
noch erheblich weiter gegangen, erkennt übrigens
nur die Gebete
in hebräischer
Sprache
[* 5] als heilkräftig an. Auch darin verleugnet der orthodoxe
Jude noch heutigestags seine
orientalische Herkunft nicht, daß er mit bedecktem
Haupt betet, denn der
Hut
[* 6] ist sein
Turban auch unter
dem abendländischen
Himmel,
[* 7] und daß er, wenn thunlich, im
Freien zu beten pflegt, ohne aber die
Sonne
[* 8] selbst anzusehen, um
sich nicht den Sonnenanbetern gleichzustellen. - Das Gebet
der
Christen war von alters her ausschließlich an Gott gerichtet
(s.
Vaterunser) und darum eigentlich allemal ein
Bekenntnis zu dem einigen Gott und
Vater. Es hatte daher
wie zuvor im Synagogengottesdienst, so auch in den christlichen Versammlungen seine geregelte und unabkömmliche
Stellung.
Gebete
an
Märtyrer,
Heilige,
Engel sowie an die
Jungfrau
Maria kommen vor dem 4. Jahrh. nicht vor, wohl aber in dem
Maß, als
eine höhere
Christologie (s. d.) Platz griff, an
Christus. Die
Sitte, stehend zu beten, kam von dem
Judentum
ins
Christentum herein
(Mark. 11, 25);. nur den Büßenden war das Stehen beim Gebet
ausdrücklich
untersagt. Das Kniebeugen (genuflexio) ist gleichfalls dem jüdischen Kult entlehnt. Auch das altertümliche Aufheben der
Hände (manuum sublatio) findet sich
1. Tim. 2, 8. und auf den Katakombenbildern.
Das später aufgekommene Falten der
Hände (conjunctio sive complicatio manuum et digitorum) erklärte
Papst
Nikolaus I. für
ein Zeichen, daß sich die
Christen als
Knechte und
Gebundene des
Herrn erkennen sollten. Was die Entblößung und
Bedeckung des
Hauptes bei dem Gebet
betrifft, so hielt sich die alte
Kirche streng an die apostolische Vorschrift
1. Kor.
11, 4. ff. Dieser zufolge beteten die
Männer mit entblößtem, die
Weiber mit bedecktem
Haupt. Auch der
Gebrauch, das
Gesicht
[* 9] nach
Morgen zu richten, kam schon früh auf.
Trotz
Matth. 6, 6. ward das Hersagen, sogar das oft wiederholte, von
Gebets
formeln als verdienstliches Werk allmählich zur weitverbreiteten, von der
Kirche beförderten
Praxis. Dagegen ist im
protestantischen
Gottesdienst das öffentliche Gebet
auf einen engern
Raum reduziert worden, indem es mit dem Gemeindegesang abwechselte
und seine
Stelle vorzugsweise nach der
Predigt fand (s.
Liturgie). Dabei legt
Luther hohen Wert auf das liturgisch
fixierte Gemeindegebet, während
Zwingli in dieser Beziehung eine gewisse
Freiheit beansprucht.
Beide
Reformatoren vertreten aber auch bezüglich der Beurteilung des Gebets
überhaupt zwei in der religiösen
Welt sich gegenseitig
bedingende
Pole. Für
Luther bewegt sich das ganze religiöse
Leben in scharf geschiedenen
Akten und
Gegensätzen; das
Heil des
Ganzen und des Einzelnen hat seine Geschichte, seine dramatischen
Momente, und das Gebet ist eine mächtig
darin eingreifende
Handlung, während für
Zwingli das religiöse
Leben mehr als ein ruhiger Verlauf und das Gebet als eine
Erscheinung
des sich immer gleichbleibenden
Grundes desselben in Betracht kommt. - Auch der
Islam weist seine
Bekenner
auf ausschließliche und häufige Anrufung des einigen wahren
Gottes hin, und
Mohammed hat selbst alle Waschungen, Gebärden,
Kniebeugungen und sonstigen beim Gebet zu beobachtenden
Zeremonien genau geregelt. Die fünf Gebets
stunden werden durch dazu bestimmte
Ausrufer
(Muezzins) von den
Minarets der
Moscheen herab den Gläubigen angezeigt. Obwohl aber das Gebet im
Islam für besonders verdienstlich gilt, so gehört es doch fast ganz der Privaterbauung an, nicht dem öffentlichen
Kultus, ist auch mehr
Preis- und Dank- als Bittgebet. Während der Verrichtung des
¶
mehr
Gebets
wird das Gesicht nach Mekka hin gewandt. - Die Hindu schreiben dem Aussprechen gewisser heiliger Namen, Worte und Silben
eine übernatürliche Kraft
[* 11] zu. Sie zählen ihre Gebete an Kugeln oder Korallen
[* 12] ab, und man hat vermutet, daß der Gebrauch des
Rosenkranzes von ihnen zu den Mohammedanern und von diesen zur Zeit der Kreuzzüge zu den Christen sich
verbreitet habe. Buddhisten und Bekenner des Lamaismus haben aber den Gebets
mechanismus in der Gebetmaschine (s. d.) bis zum
Extrem getrieben.
Vgl. Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen und Lehren [* 13] von dem Gebet (Götting. 1825);