Gastfreund
schaft,
die schöne, besonders im Altertum und Orient hochgehaltene Sitte, reisende, des Obdaches und Schutzes bedürftige Fremdlinge als Freunde und als Gäste zu betrachten und zu behandeln. Da unter den alten Völkern, wenigstens in der frühern Zeit, von eigentlichen Gast- und Wirtshäusern in unserm Sinne noch keine Rede war und überdies die Fremden den Einheimischen gegenüber mehr oder weniger zurückgesetzt und in ihren Rechten beschränkt waren (s. Fremdenrecht), so wäre ohne jene Sitte das Reisen und der Aufenthalt in fremden Ländern und Orten, wenn nicht unmöglich, doch wenigstens sehr erschwert gewesen.
Zeus (Kunstdarstellung

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Zeus.
Die
Beobachtung der Gastfreund
schaft aber, welche durch religiöse
Satzungen öfters noch besonders vorgeschrieben wurde,
bot für unsre zur
Aufnahme Reisender bestehenden Anstalten hinlänglichen
Ersatz. Zur Homerischen Zeit wurden bei den Griechen
alle
Fremden ohne Ausnahme als besondere Schützlinge des über
Götter und
Menschen gebietenden
Zeus
[* 2] angesehen, der deshalb
den Beinamen des »Gastlichen« führte. Jeder einkehrende, ein
gastliches Obdach suchende
Wanderer wurde gebadet, umgekleidet und nach besten
Kräften bewirtet.
Gasthaus - Gastmahl

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Erst nach mehreren
Tagen forschte man nach seinem
Namen, seiner Abkunft und
Heimat, wenn er sich nicht vorher von freien
Stücken
zu erkennen gegeben, und doppelt groß war die
Freude, wenn man entdeckte, daß man von früherer Zeit
oder von den Vorfahren her durch vertragsmäßig geschlossene Gastfreund
schaft mit ihm verbunden war.
Da aber der
Fremde die Gastfreund
schaft nie als ein
eigentliches
Recht in Anspruch nehmen konnte, weil dieselbe eben nur als eine freiwillig übernommene und durch das Herkommen
sanktionierte Verbindlichkeit betrachtet und geübt wurde, so suchte man diesem schwankenden und unsichern,
von äußern Umständen abhängenden
Verhältnis dadurch abzuhelfen, daß ganze
Stämme und
Völkerschaften durch Bündnisse,
einzelne Individuen und
Familien durch
Verträge sich gegenseitig Gastfreund
schaft (hospitium) zusicherten. Im letztern
Fall reichte man sich
wechselseitig
Geschenke, und ein solches Übereinkommen dauerte fort und pflegte noch von den beiderseitigen Nachkommen in
Ehren gehalten zu werden. Besonders bei den
Römern bildete sich das Gastfreund
schaftsverhältnis in dieser
Weise aus. Es wurde
hier durch gegenseitiges Gelöbnis,
Handschlag und Austausch eines schriftlichen Gastvertrags (tabula hospitalis) oder eines
statt desselben dienenden Zeichens (tessera oder
¶
mehr
symbolum) geschlossen und konnte nur durch förmliche Aufkündigung wieder gelöst werden; außerdem hatte es bindende Kraft,
[* 4] galt für heilig und unverletzlich und schloß vornehmlich die politische Vertretung des Gastfreundes
, namentlich vor Gericht,
in sich. Bei den Griechen hieß ein solcher Vertreter Proxenos; er mußte Bürger des Staats sein, innerhalb dessen
er den Fremden zu vertreten hatte, und wurde öfters von seiten des andern Staats, dessen Bürger er vertreten sollte, ernannt.
Er glich demnach den heutigen Konsuln und hatte außerdem noch die Verpflichtung, sich gegen alle Fremden aus dem Staate, dessen
Proxenos er war, gastfreundlich
zu erweisen, die von dorther kommenden Gesandten bei der Regierung seines
eignen Staats einzuführen, die Rechte des auswärtigen Staats und der Angehörigen desselben vor Gericht zu vertreten und letztern
überhaupt Hilfsleistungen, z. B. beim Besuch des Theaters, zu gewähren.
Griechenland

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Griechenland.
Ähnlich gestaltete sich das römische Gastfreund
schaftsverhältnis, doch vertraten die römischen Gastfreunde zwar ihre
auswärtigen Freunde den Magistraten und Gerichten gegenüber, nahmen dieses aber ihrerseits in andern Staaten
von ihren dortigen Gastfreunden nicht in Anspruch, da ihnen hier eigne römische Beamte hierfür zur Seite standen. Proxenos
oder Patronus eines fremden Staats zu werden, galt für eine hohe Ehre; daher kam es, daß die Proxenia in Griechenland
[* 5] und
das Patronat in Rom
[* 6] öfters nichts weiter zu bedeuten hatten als eine Ehrenbezeigung für die, denen man es
übertrug.
Als der Verkehr zwischen Städten, Ländern und Völkern sich erweiterte und vervielfachte, reichte die alte Sitte der Gastfreundschaft
für
das gesteigerte Bedürfnis nicht mehr aus und wurde nach und nach durch das aufkommende eigentliche Gastwirtschaftswesen
verdrängt. Im Mittelalter sehen wir zwar die Gastfreundschaft
unter den germanischen und slawischen Völkern noch beobachtet
und hochgehalten, aber in beschränkterer Weise als früher, und nur Mönche und Einsiedler übten sie gegen jedermann.
Auch das Rittertum eignete sich dieselbe an; jedoch artete sie hier bald in ein leeres Zeremoniell aus,
und dieser Charakter ist ihr bis auf unsre Zeiten geblieben. Im Orient dagegen wird die Gastfreundschaft
noch heutzutage als heilige Pflicht
angesehen, und besonders die Beduinen der Syrischen und Arabischen Wüste üben sie ungeachtet ihres Räuberlebens in so strenger
Weise, daß ihnen selbst der Todfeind, wenn er als Gast ihre Hütte betritt, für unverletzlich und schutzberechtigt
gilt.