Titel
Gandersheim.
1)
Kreis
[* 2] im Herzogtum
Braunschweig,
[* 3] hat 548,15 qkm, (1890) 45021 (22099 männl., 22922 weibl.) E., darunter 44125
Evangelische, 510 Katholiken
und 268 Israeliten, 30 andere
Christen und 88 mit unbestimmter und ohne
Religion, 5699
Wohnhäuser,
[* 4] 10163 Haushaltungen, 2
Städte
und 72 Landgemeinden und umfaßt die Amtsgerichtsbezirke Gandersheim
, Seesen,
Lutter am Barenberge und Greene.
–
2) Kreisstadt im
Kreis Gandersheim
, 78 km im
SW. von
Braunschweig, an der zur Leine gehenden Gande und an der Linie
Magdeburg-Holzminden
der
Preuß. Staatsbahnen,
[* 5] ist Sitz einer Kreisdirektion, eines Amtsgerichts (Landgericht
Braunschweig) sowie einer Generalsuperintendentur
und hat (1890) 2712 E., Post zweiter
Klasse,
Telegraph,
[* 6] ehemaliges herzogl. Schloß (1528–95), jetzt
Gerichtsgebäude und Kreisgefängnis,
Stifts- und Stadtkirche (853–883 erbaut, 1170–72 gänzlich umgebaut), Rathaus (1580),
Realprogymnasium,
Bürgerschule, höheres Mädcheninstitut; Bierbrauerei,
[* 7] Damast- und Leinweberei,
Rübenzucker und Cigarrenfabrikation,
Dampfmolkerei, Ziegelei, Obstwein- und Obstschaumweinkelterei.
Dicht bei der Stadt das herrlich gelegene
Herzog-Ludolfsbad (Soolquelle) und das Wilhelm-Augustastift,
Feierabendhaus für ehemalige Lehrerinnen. – Die berühmte ehemalige reichsfürstl.
Abtei Gandersheim
, deren Kaisersaal mit den lebensgroßen
Ölbildern der
Kaiser und Äbtissinnen geschmückt ist, ward 844 von
Herzog Ludolf von
Sachsen
[* 8] in
Brunshausen gegründet und 852 hierher
verlegt, aber erst 881 durch
Bischof Wigbert von Hildesheim
[* 9] eingeweiht. Sie erwarb viele
Güter, Einkünfte,
Freiheiten und Privilegien. 1570 wurde sie in ein evangelisches kaiserl.
Reichsstift für
Damen aus reichsfürstl. und reichsgräfl.
Häusern umgewandelt; zu Äbtissinnen wurden meist Prinzessinnen aus deutschen Fürstenhäusern berufen. Die
Äbtissin hatte
Sitz und
Stimme auf der Rheinischen Prälatenbank, einen Hofstaat mit eigenen
Erbämtern und einen
Lehnshof,
an welchen selbst
der Kurfürst von Hannover
[* 10] wegen des
Amtes Elbingerode, der König von
Preußen
[* 11] wegen der Herrschaft
Dernburg
gewiesen waren. Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 fiel die
Abtei an die
Herzöge von
Braunschweig. In Gandersheim
lebte
im 10. Jahrh. als Nonne die Dichterin Roswitha (s. d.).