(lat.), in der
Grammatik eine Form des
Verbums, welche die Zukunft ausdrückt.
Alle indogerman.
Sprachen besitzen
von Anfang an als Futurum eine Form, deren charakteristischer Bildungsbestandteil ein s ist, wie
grch. δώ-σ-ω (dō-s-ō), altind. dā-syā-mi «ich
werde geben». Diese Form ist indes von den meisten indogerman.
Sprachen aufgegeben, und so ist entweder keine besondere Verbalform
für das Futurum vorhanden, indem die Präsentia auch im futurischen
Sinne gebraucht werden (so im ältesten und vielfach auch
noch im heutigen
Deutsch, im
Slawischen), oder es wird die Umschreibung mit einem Hilfsverbum gewählt,
z. B. frz. aimerai = ameir-ai, entstanden aus lat.
amare habeo, «zu lieben habe ich», d. h.
«ich soll» oder «werde lieben»,
engl. shall und will (sollen und wollen),
deutsch «werden»; im lat. ama-bo, «ich
werde lieben», ist das -bo ebenfalls ein mit einer ursprünglichen Infinitivform verbundenes Hilfsverbum.
Das Futurum exactum ist die Form zur Bezeichnung einer in der Zukunft vor einer andern gleichfalls zukünftigen Handlung
vollendeten Handlung. (S.
Tempus.)
(lat., Zeitwort, Aussagewort), derjenige Redeteil, welcher im Ganzen des Satzes die Bestimmung hat, die von dem
Subjekt des Satzes zu machende Aussage auszudrücken. Das Nomen oder Substantiv (s. d.) und das Verbum sind,
wie schon Aristoteles erkannte, die beiden Hauptpfeiler der Rede, und nur ganz unentwickelten Sprachen geht die Unterscheidung
zwischen Nominal- und Verbalformen völlig ab. Nach ihrer Form teilt man die Verba ein in Wurzelverba (Verba primitiva), z. B.
trinken, binden, und abgeleitete Verba (Verbum derivata), z. B. tränken, färben;
sind letztere von einem Nomen oder Adjektivum abgeleitet, wie z. B. verkleinern, so heißen sie v.
denominativa, ferner in einfache (Verbum simplicia), z. B. trinken, binden, stärken,
und zusammengesetzte Verba (Verbum composita), z. B. betrinken, verbinden, anbinden.
Nach der Bedeutung unterscheidet man zwischen transitiven Verba, d. h. solchen, die ein direktes
Objekt regieren, z. B. ablegen, kennen, und intransitiven (Verbum intransitiva
oder v. neutra), d. h. solchen, welche nur ein indirektes Objekt oder gar keins bei sich haben, z. B. gereichen, helfen, laufen,
leben; unpersönlich (Verbum impersonale) nennt man ein Verbum, das der Natur der Sache nach nur ein unbestimmtes Subjekt haben kann,
z. B. es blitzt, es regnet. Wenn ein für sich transitives Verbum mit
dem Akkusativ eines Reflexivpronomens (mich, dich, sich etc.) verbunden gedacht oder wirklich
verbunden wird, um eine intransitive Thätigkeit zu bezeichnen, so nennt man das Verbum ein reflexives (Verbum reflexivum),
z. B. sich grämen, sich täuschen, sich widersetzen.
Wird ein sonst nicht reflexives in der reflexiven Form in der ersten, zweiten oder dritten Person des
Plurals gebraucht, so bezeichnet es eine reciproke, d. h. eine wechselseitige Thätigkeit
(Verbum reciprocum), z. B. wir lieben uns. AndreAbarten des Verbums sind das Frequentativum oder Iterativum, das öftere Geschehen,
das Inchoativum, den Beginn, das Intensivum, die Intensität, das Faktitivum oder Kausativum, die Veranlassung,
das Desiderativum, den Wunsch nach einer Handlung ausdrückend.
Für alle diese verschiedenen Bedeutungen des Verbums besitzt die eine oder die andre Sprache
[* 4] auch besondere Formen der Wurzel;
[* 5] am reichsten an solchen Formen ist von den indogermanischen Sprachen das Sanskrit, von den semitischen das Arabische, ganz besonders
beliebt sind dieselben aber in mehreren andern Sprachstämmen, so im uralaltaischen Sprachstamm,
[* 6] namentlich
im Türkischen, und in dem südafrikanischen Sprachstamm. So heißt in der zum letztern Stamm gehörigen Kaffernsprache teta,
»sprechen«;
neben tanda. »lieben«, findet sich zitanda,
»sich lieben« (Reflexivum),
tandana, »einander lieben« (Reciprokum) etc.;
auch können alle diese Formen miteinander kombiniert werden. Im Latein nennt man Verba mit passiver Bedeutung, aber aktiver
Form entweder Neutropassiva oder Neutralia passiva.
Ihrer Abwandlung (Konjugation) nach zerfallen die Verba in regelmäßige,
d. h. solche, die nach einem bei der überwiegenden Mehrzahl der Verba übereinstimmend zur Anwendung
kommenden Schema abgewandelt werden, und unregelmäßige oder Verbum anomala, bei denen größere oder geringere Abweichungen von
diesem Schema stattfinden.
Die Konjugation verfällt im Latein in vier, im Deutschen in zwei Unterarten (Konjugationen), die der
starken (laufen, lief) und der schwachen Verba (lieben, liebte).
Verba defectiva (»mangelhafte Verba«) heißen solche, die nicht alle sonst
vorkommenden Verbalformen bilden können. Die Gesamtmasse der von einem regelmäßigen oder unregelmäßigen Verbum möglichen
Formen zerfällt in zwei Hauptgruppen: Verbum finitum (»bestimmtes
Verbum«) und Verbum infinitum (»unbestimmtes Verbum«). Nur
die Formen der erstern Gruppe enthalten eine vollständige Aussage, die schon an und für sich einen kleinen
Satz bilden kann, z. B. sprich, und sind daher streng genommen allein wirkliche Verbalformen,
während die Formen des Verbum infinitum, z. B. das Partizip »gesprochen« oder der Infinitiv »sprechen«, nur eine unvollständige
Aussage geben.
In den indogermanischen Sprachen ist die Konjugation des Verbums außerordentlich reich entwickelt und umfaßt
ein reichgegliedertes, kunstvoll entwickeltes System von Formen. Bei jeder Form des Verbum finitum kommen drei Beziehungen zum
unmittelbaren Ausdruck: a) die Beziehung der Aussage auf eine bestimmte Person, erste, zweite, dritte, oder, im Dual und Plural,
auf eine Zweizahl oder Mehrzahl von Personen; b) die Beziehung auf ein Zeitverhältnis, Gegenwart, Vergangenheit
und Zukunft, dann Vorvergangenheit etc.; c) die Beziehung zur Wirklichkeit, welche die
Modalität der Handlung, als einer wirklichen oder bloß gedachten oder gewollten, zum Gegenstand hat.
Jedes dieser Verhältnisse, mit andern Worten, Person nebst Numerus, Tempus und Modus des Verbums, wird durch besondere, an den
Verbalstamm antretende Endungen oder besondere Erweiterungen oder Modifikationen desselben zum Ausdruck
gebracht. Verbalstamm heißt diejenige Grundform, auf welche sich alle Verbalformen zurückführen lassen; er tritt im Deutschen
gewöhnlich am reinsten in der Ausrufeform hervor (z. B. hilf, vgl.
helfen, half, hülfe, geholfen).
In der indogermanischen Ursprache (s. Indogermanen) wurde außer jenen drei Beziehungen an jedem V, noch
eine vierte unmittelbar bezeichnet, nämlich das Thätigkeitsverhältnis. Es gab dafür zwei Reihen von Formen: für das aktive
Verhältnis oder Activum und für das Medium, d. h. für dasjenige Verhältnis, wobei das in der reflexiven oder einer sonstigen
besonders nahen Beziehung zum Träger
[* 7] der Aussage steht. Auch das Passivum könnte mit den letztern Formen
bezeichnet werden.
Auch diese Verhältnisse, das sogen. Genus des Verbums, gelangten an den Endungen zum Ausdruck. An Tempora wurden folgende sechs
unterschieden: das Präsens zur Bezeichnung der Gegenwart, der Aorist zur Bezeichnung einer momentanen u. das Imperfekt zur
Bezeichnung einer dauernden vergangenen Handlung, das Perfekt zum Ausdruck eines vollendeten oder abgeschlossenen
Ereignisses, das Plusquamperfekt als Tempus der Vorvergangenheit und das Futurum als Tempus der Zukunft. Es gab vier Modi, welche
den Inhalt der Aussage entweder als etwas Wirkliches oder Mögliches oder Wünschenswertes, oder als einen Befehl hinstellten,
nämlich den Indicativus, Conjunctivus oder Subjunctivus, Optativus oder Potentialis und Imperativus.
Dieser Reichtum an Formen des Verbum finitum hat sich später in den indogermanischen Sprachen immer mehr verringert, jedoch nicht,
ohne daß für die verlornen Formen teilweise Ersatz geschaffen wurde, teils durch Neubildungen, wie im lateinischen Passivum
(ihm gehören auch die Verba deponentia an, welche passive Form, aber aktive Bedeutung haben), teils
durch mit
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mehr
Hilfsverba zusammengesetzte Ausdrücke, wie im deutschen Passivum mit »werden«, und andre in den neuern Sprachen übliche Wendungen.
Die größte Menge alter Formen hat das Sanskrit bewahrt; aber auch die griechische Sprache kann nach einer von G. Curtius aufgestellten
Berechnung von jedem Verbum 249 Formen des Verbum finitum bilden, dazu 258 Formen des Verbum infinitum, zusammen also 507 Formen,
wogegen schon das Lateinische mit im ganzen 143 Formen stark zurücksteht, noch mehr das Gotische mit nur 38 einfachen Formen
des Verbum finitum, während die gotischen Formen des Verbum infinitum eine direkte Vergleichung nicht zulassen.
Das Verbum infinitum ist überhaupt in den einzelnen indogermanischen Sprachfamilien sehr ungleichmäßig
entwickelt worden, nachdem es in der Ursprache bloß im Keim vorhanden gewesen war. Man rechnet dazu alle diejenigen vom Verbalstamm
abgeleiteten Formen, welche entweder ganz wie Substantiva oder Adjektiva dekliniert werden, oder ihrer Entstehung und Bedeutung
nach eigentlich zu den Substantiven gehören, also namentlich sämtliche Partizipien und Infinitive, im
Lateinischen, Griechischen und Sanskrit außerdem noch die Gerundia, Gerundiva und Supina.
Partizip heißt eigentlich Mittelwort, und dieser Name, welcher die halb verbale, halb nominale Natur der Partizipien bezeichnen
soll, würde auf sämtliche Formen des Verbum infinitum passen; in neuern sprachwissenschaftlichen Werken werden sie insgesamt
gewöhnlich als Verbalnomina bezeichnet. Von den vier Beziehungen des eigentlichen Verbums drücken sie
die zwei: Tempus und Genus aus, wie z. B. das deutsche Partizip »gesprochen« der Zeit nach Perfektum, dem Genus nach Passivum ist;
dagegen bleiben die Person und die Modalität unbezeichnet. Am konsequentesten ist das System der Infinitive und Partizipien
in der griechischen Sprache durchgeführt, welche überhaupt an harmonischer und gleichmäßiger Ausbildung
des Verbalsystems alle andern indogermanischen Sprachen übertrifft.
Sie hat besondere Formen für jedes Tempus und Genus, während
im Lateinischen und Deutschen z. B. für das aktive Partizip des Perfektums, für das passive des Präsens, für den Infinitiv
des aktiven und passiven Futurums etc. besondere Formen fehlen und Umschreibungen dafür eintreten müssen.
Noch größer als in den indogermanischen ist der Reichtum an Formen in einigen agglutinierenden Sprachen (s. Sprachwissenschaft),
welche außer den oben erwähnten Modifikationen des Verbalstammes zum Ausdruck des frequentativen, inchoativen und andrer
Verhältnisse noch die verschiedensten Formen des Präteritums, dann für jede Verbalform eine entsprechende
Negativform besitzen etc. Derartiges findet sich z. B. im Türkischen, in den südafrikanischen, in den amerikanischen Indianersprachen;
so wird in der Odschibwäsprache in Nordamerika
[* 9] die Anzahl der von einer Verbalwurzel möglichen Ableitungen auf 17 Millionen
veranschlagt.
Vgl. G. Curtius, Das Verbum der griechischen Sprache (2. Aufl., Leipz. 1877-80, 2 Bde.);