Fürstenland
(Kt. St. Gallen, Bez. Wil, Gossau, Tablat und Rorschach). Name der 4 nördlichen Bezirke des Kantons St. Gallen, die einst zusammen das dem Fürstabt von St. Gallen eigene Gebiet bildeten. Es verlor seinen Charakter als politische und historische Einheit durch die helvetische Verfassung vom Jahr 1798 und wurde 1803 dem Kanton St. Gallen angegliedert. Heisst auch die alte Landschaft, weil es der älteste Kern der Besitzungen des Fürstabtes war, unter dessen Herrschaft sich seine Bevölkerung zum grössten Teil aus Hörigen zusammensetzte. Nach der Schlacht von Kappel 1531 wurden die meist schon der Reformation beigetretenen Fürstenländer gezwungen, wieder zum alten Glauben ¶
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zurückzukehren. Die Gemeinden der Landschaft besassen keinerlei Freiheiten und durften weder Gemeindeversammlungen abhalten noch ihre Vorsteher selber wählen, noch neue Bürger aufnehmen. Diese alte Landschaft zerfiel in eine obere und eine untere Vogtei. Erstere war ihrerseits wieder in fünf Unterämter eingeteilt: das Landshofmeisteramt und die Untervogteien Rorschach, Oberberg, Wil und Romanshorn. Der Landshofmeister residierte auf der 2 km w. St. Gallen gelegenen «Burg» (Gemeinde Straubenzell) und verwaltete das die Gemeinden Straubenzell, Gaiserwald, Bernhardzell, Lömmiswil, Wittenbach, Berg und Rotmonten umfassende sog. fürstliche Gericht und ferner die Gerichtshoheiten Tablat und Muolen.
Der Untervogtei Rorschach standen ein geistlicher Würdenträger und der sog. Grossvogt vor; sie umfasste die Gerichtshoheiten Rorschach (mit Grub, Eggersriet, Tübach, Altenrhein und dem jenseits des Rhein auf heute österreichischem Boden stehenden Gaissau) und Goldach (mit Untereggen, Steinach und Mörswil). Die Untervogtei Oberberg verwaltete ein auf Schloss Oberberg bei Gossau residierender Grossvogt; sie umfasste die Gerichtshoheiten Gossau, Oberdorf, Niederwil, Andwil und Waldkirch.
Die Untervogtei Wil stand unter einem in Wil wohnenden geistlichen Verwalter und umfasste die Stadt Wil und die Gerichtshoheiten Zuzwil, Lenggenwil, Niederhelfentswil, Zuckenriet und Niederbüren, ferner den Schneckenbund und das sog. Freigericht. Die heute dem Ober Thurgau zugeteilten Ländereien der Untervogtei Romanshorn standen nur in Zivilgerichtssachen unter dem Fürstabt von St. Gallen, während die hohe Gerichtsbarkeit dem Landvogt des Thurgaues zustand. Dem geistlichen Vogt zu St. Gallen endlich unterstand die Herrschaft Ober Arnang. Die obersten Gerichtsbehörden waren die beiden Reichsräte zu St. Gallen und Wil, das Kriminalgericht und die Kurie.
Infolge des gütlichen Vertrages vom und der Verzichtleistung des Fürstabtes auf seine Hoheitsrechte
vom gestaltete sich die Verwaltung der alten Landschaft allmählig um, bis sie endlich ganz in die Brüche ging.
Zweimal, im Frühjahr 1798 und Herbst 1802, hatte sich das ehemalige Fürstenland
als eigene unabhängige Republik erklärt,
die sich nach dem Muster von Appenzell
A. R. in die Abschnitte «diesseits und jenseits der Sitter» gliederte aber
beidemale nur wenige Wochen Bestand hatte. Die Führer der damaligen Volksbewegungen waren der sog. rote Gerster und der Pfarrer
^[Berichtigung: Briefträger] Künzli in Gossau.
Die Bewohner des einstigen Fürstenlandes
zeichnen sich durch Bedachtsamkeit und Anhänglichkeit an ihre
engere Heimat und die alten Sitten und Gebräuche aus. Die Bauern leben der Hauptsache nach von Kartoffeln und Most. Ihre
Erwerbsquellen sind vornehmlich Acker- und Obstbau. An Stelle der früher weit verbreiteten Leinen- und Hanftuchweberei ist
heute die in grossem Umfang betriebene Maschinenstickerei getreten. Die der grossen Mehrzahl nach katholische
Bevölkerung beträgt mehr als 50000 Köpfe.