Titel
Freytag
,
1) Georg Wilhelm Friedrich, Orientalist, geb. zu Lüneburg, [* 2] studierte in Göttingen [* 3] Theologie, erhielt 1811 daselbst eine Repetentenstelle und wurde 1815 Brigadeprediger zu Königsberg [* 4] i. Pr., in welcher Eigenschaft er mit nach Paris [* 5] kam. Hier erwarb er sich die Freundschaft Silvestre de Sacys und setzte unter dessen Leitung auch nach dem Frieden seine Studien der arabischen, persischen und türkischen Sprache [* 6] fort, bis er 1819 als Professor der orientalischen Sprachen an die Universität zu Bonn [* 7] berufen ward. Er starb daselbst.
Sein bedeutendstes Werk ist das große »Lexicon arabico-latinum« (Halle [* 8] 1830-37, 4 Bde.; Auszug, das. 1837). Auch seine übrigen Schriften haben fast alle auf arabische Geschichte und Litteratur Bezug, so: »Selecta ex historia Halebi« (Par. 1819);
»Locmani fabulae« (Bonn 1823);
»Hamâsa« (das. 1828-52, 2 Bde.);
»Darstellung der arabischen Verskunst« (das. 1830, 2. Aufl. 1838);
»Ebn Arabschah« (das. 1832-52);
»Chrestomathia arabica« (das. 1834);
»Arabum proverbia« (das. 1838-43, 3 Bde.) u. a.
2) Gustav, Dichter und Publizist, geb. zu Kreuzburg in Schlesien, [* 9] besuchte das Gymnasium zu Öls [* 10] und studierte auf den Universitäten Breslau [* 11] und Berlin [* 12] Philosophie und germanische Philologie. 1839 habilitierte er sich an der Breslauer Universität als Privatdozent für deutsche Sprache und Litteratur; als Habilitationsschriften veröffentlichte er die Abhandlungen: »De Hrosuitha poetria« und »De initiis poeseos scenicae apud Germanos«. Ziemlich gleichzeitig schrieb er sein erstes dramatisches Werk, das Lustspiel »Die Brautfahrt, oder Kunz von der Rosen«, welchem die Sammlung erzählender Dichtungen »In Breslau« (Berl. 1845) folgte. Beide Erstlingswerke zeichneten eine feine Beobachtungsgabe, der Zug zum Charakteristisch-Lebendigen schon vorteilhaft aus. Mit den modernen Dramen: »Die Valentine« (1846),
der kleinen einaktigen Tragödie »Der Gelehrte« (zuerst in Ruges »Poetischen Bildern aus der Zeit« veröffentlicht) und dem Lustspiel »Die Journalisten« (1853),
sämtlich wieder abgedruckt in den »Dramatischen Werken« (Leipz. 1859; 3. Aufl. 1874, 2 Bde.),
errang der Dichter seine
Stellung als einer der ersten deutschen
Dramatiker der Gegenwart, mit
dem
Schauspiel »Die
Valentine« und dem
Lustspiel »Die Journalisten« bleibende Bühnenerfolge.
Eine feine Mischung geistvoller, selbst frivoler
Ironie und warmer
Empfindung, die Sicherheit der Gestaltenzeichnung und die
geschmackvolle Virtuosität, mit der er seinen
Reichtum charakteristischer
Details wirkungsvoll zu verwerten weiß, dazu ein
frischer
Humor und künstlerisch-sorgsame Durchbildung der
Sprache sichern Freytag
daneben berechtigte litterarische Geltung.
Der Dichter war 1847 von
Breslau nach
Dresden
[* 13] übergesiedelt, wo
»Graf
Waldemar« entstand. Im J. 1848 übernahm
er in
Gemeinschaft mit
Julian
Schmidt die bis dahin von
Kuranda redigierte
Zeitschrift »Die Grenzboten« und wählte
Leipzig
[* 14] zum
Wohnsitz, lebte indessen nur die
Wintermonate hindurch in dieser Stadt, im
Sommer auf einer Besitzung in Siebleben
bei Gotha
[* 15] und in vielfachem
Verkehr mit
Herzog Ernst von
Koburg-Gotha, der Freytag
1854 zum
Hofrat ernannte. Bis Ende 1870 blieb er
Herausgeber der »Grenzboten«, beteiligte sich dann noch kurze Zeit
an der Herausgabe der
Zeitschrift »Im neuen
Reich«. Sowohl seine Thätigkeit als
Abgeordneter zum norddeutschen
Reichstag wie
seine
Teilnahme am
Feldzug in
Frankreich, wo er nach der
Schlacht bei
Sedan
[* 16] das
Hauptquartier des
Kronprinzen
von
Preußen
[* 17] begleitete, unterbrachen Freytags
litterarisches
Schaffen nur vorübergehend. Er lebte seitdem wieder in
Leipzig,
bis er 1879 seinen dauernden
Wohnsitz in
Wiesbaden
[* 18] nahm.
¶
mehr
Neben historischen Studien, aus welchen die farbenreichen, lebendig-anschaulichen »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« (Leipz. 1859-67, 5 Bde.; 15. Aufl. 1884) hervorgingen, beschäftigten ihn in den letzten Jahrzehnten Untersuchungen über »Die Technik des Dramas« (das. 1863, 5. Aufl. 1886), in welchen die Grundregeln des dramatischen Schaffens vortrefflich dargestellt sind, aber der poetischen Gestaltungskraft und Individualität des Dramatikers ein bedenklich enger Kreis [* 20] der Aufgaben gezogen wird. Als Dichter war er ferner mit dem Trauerspiel »Die Fabier« (Leipz. 1859) und mit dem sozialen Roman »Soll und Haben« (das. 1855, 3 Bde.; 30. Aufl. 1885) hervorgetreten, welch letzterer unter allen neuern deutschen Romanen den größten und nachhaltigsten Erfolg hatte.
Die Tendenz freilich: das kaufmännische Bürgertum gegenüber allen andern Lebenskreisen und Lebensrichtungen zu verherrlichen, trat mit einer fast herben Absichtlichkeit hervor;
doch entschädigten dafür die Lebensfrische, die Stimmungsfülle und die künstlerisch feine Darstellung.
Ein zweiter sozialer Roman: »Die verlorne Handschrift« (Leipz. 1864, 14. Aufl. 1884),
welcher das Gelehrtentum im Konflikt mit der Hofwelt ähnlich darstellt wie »Soll und Haben« die kaufmännischen Kreise
[* 21] gegenüber
dem Landadel, gewann Freytag
eine stets gesteigerte Teilnahme des Publikums. Die realistisch gestimmte Kritik pries ihn als den hervorragendsten
und mustergültigsten Dichter der Gegenwart. In der That weisen beide Romane hohe Vorzüge auf, unter
denen die Sicherheit und Feinheit der Gestaltenzeichnung, die charakteristische Darstellung der verschiedensten Lebenskreise,
der prickelnde Reiz ironischen Humors, die Anmut des gebildeten Stils obenan stehen.
Beide Romane aber leiden wiederum unter der Wirkung einer überwiegend nüchternen Anschauung, welche jeden Schwung der Empfindung,
die Energie der Leidenschaft, jeden Idealismus der Lebensanschauung bekämpft und mit der Überschätzung
der bürgerlichen äußern Respektabilität in die moralisierende Poesie der Berliner
[* 22] Rationalistenschule des 18. Jahrh. zurück
verfällt. Daß der einseitige Realismus noch immer gesünder und berechtigter war als die gestaltlose Geistreichigkeit der
jungdeutschen Epoche, hebt die gerügten Mängel nicht auf. In seiner neuesten Produktion: »Die Ahnen«,
einer Folge von kulturhistorisch-poetischen Erzählungen, die ein deutsches Geschlecht von den germanischen Urwäldern bis zur
Gegenwart begleiten sollen (sie umfaßt die Einzelwerke: »Ingo und Ingraban«,
Leipz. 1872, 14. Aufl. 1885; »Das
Nest der Zaunkönige«, das. 1874; »Die Brüder vom deutschen Hause«, das. 1875; »Markus König«, das. 1876; »Die
Geschwister«, das. 1878, und als Schluß: »Aus einer kleinen Stadt«, das.
1881, 2 Bde.), machte sich neben der alten Sicherheit, dem prächtigen
Genretalent, dem historisch treuen Kolorit ein gewisser Archaismus des Ausdrucks geltend, der an Manier streift, aber keineswegs
eine Berechtigung zu jenen abfälligen Urteilen in sich schließt, die mehrfach laut wurden. Auch die Behauptung,
daß die Folge der Romane eine beständige Abnahme der Frische und des Interesses aufweise, ist nur sehr bedingt für den letzten
Teil der großen Arbeit zuzugeben, welcher die eigentümlichen Vorzüge und Mängel des Freytag
schen Talents besonders charakteristisch
hervortreten läßt.
Von Freytag
erschien außerdem das treffliche Lebensbild »Karl Mathy« (Leipz. 1869, 2. Aufl.
1872).