Freiheitskriege
13 Wörter, 135 Zeichen
Freiheitskriege,
Befreiungskrieg (Freiheitskrieg), der Krieg der deutschen Staaten im Bund mit auswärtigen Mächten gegen Frankreich und seine Verbündeten 1813-15, der die Befreiung Deutschlands [* 3] vom französischen Joch zur Folge hatte. Er schloß die fast ein Vierteljahrhundert lange Periode unaufhörlicher Kriege ab, welche seit der französischen Revolution ganz Europa [* 4] erschüttert und eine völlige Umwälzung seiner politischen Verhältnisse hervorgebracht hatten. In diesen Stürmen war das alte römische Reich deutscher Nation zu Grunde gegangen, und auch die politische Selbständigkeit des deutschen Volkstums schien dem Untergang geweiht zu sein.
In den mit Frankreich vereinigten Territorien war von einem lebhaften Nationalgefühl bei der Masse des Volkes ebensowenig die Rede wie in den Staaten des Rheinbundes. Vor der Napoleonischen Zeit war dasselbe nicht vorhanden gewesen und wurde hier auch nicht durch die Fremdherrschaft geweckt, da der unleugbare und auch empfundene Druck derselben aufgewogen wurde durch die Vorteile und Erleichterungen, welche die Beseitigung der zahlreichen Überreste des mittelalterlichen Feudalsystems besonders den niedern Ständen gebracht hatte.
Die Bevölkerung [* 5] des rheinbündnerischen Deutschland [* 6] war dem politischen Leben zu lange entfremdet, als daß die öffentlichen Zustände und die Zukunft der Nation sie hätten beunruhigen können. In der Armee und einem Teil der Gebildeten entwickelte sich sogar ein kräftiger Partikularismus; selbst aufrichtige Patrioten glaubten im Rheinbund unter des großen Napoleon Schutz die wahren Interessen des deutschen Volkes am besten gewahrt. Nur in einigen Gebieten Norddeutschlands regte sich der Haß gegen die Fremdherrschaft, zumal in dem Königreich Westfalen, [* 7] wo sich dieselbe allerdings auch am widerwärtigsten und schamlosesten gebärdete.
Von dem französisch gewordenen und dem rheinbündnerischen Deutschland konnte also die Befreiung vom französischen Joch nicht ausgehen. Sie war nur möglich, wenn beide oder eine der deutschen Großmächte, Österreich [* 8] und Preußen, [* 9] sich an die Spitze stellte. Hier waren das Staatsbewußtsein und das Nationalgefühl so stark gewurzelt, daß man die Demütigungen durch den übermütigen Sieger bitter und nachhaltig empfand, und die Erinnerungen einer glorreichen Geschichte erhielten die Hoffnung auf Wiedererhebung und Herstellung der frühern Größe wach. Zuerst machte Österreich 1809 einen Versuch, das ¶
französische Joch zu brechen. Mit glänzendem Heldenmut erhoben sich die Völker des habsburgischen Kaiserstaats, und die Waffenthaten der Armee waren des höchsten Lobes würdig. Aber der Krieg wurde zu voreilig begonnen und zu langsam geführt. Auch blieb Österreich ohne Bundesgenossen; die Empörungsversuche in Deutschland gegen die Fremdherrschaft blieben vereinzelt und wurden rasch unterdrückt. Und nach dem Mißlingen des Unternehmens fiel Österreich in eine selbstsüchtige und engherzige dynastische Politik zurück.
Preußen hatte es nicht gewagt, an Österreichs Seite am Kampf teilzunehmen, da Rußland sich weigerte, ihm Neutralität, geschweige denn Beistand zu versprechen. Der Staat Friedrichs d. Gr. schien sich nicht wieder erheben zu können, und die Rheinbundsfürsten hörten nicht auf, Pläne zu seiner völligen Teilung zu schmieden. Dennoch sollte es dieser Staat sein, von dem die Befreiung und die Wiedergeburt Deutschlands ausgingen. Die furchtbare Katastrophe von 1806 hatte die Notwendigkeit von Reformen allen, auch dem König, gezeigt.
Dieselben mußten sich erstens auf eine gründliche Reorganisation der Armee, dann auf die Aufhebung des Unterschieds der Stände, besonders auf die Befreiung des Bauernstandes, endlich auf die Beteiligung aller Staatsbürger an der Verwaltung des Staats und der Gemeinde richten. Die Reorganisation der Armee führte Scharnhorst durch. Die politischen Reformen leitete der Freiherr Karl vom Stein, der nach dem Tilsiter Frieden von dem König an die Spitze der Regierung gestellt worden war.
Das schon bekannt gemachte Edikt »über den erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Grundeigentums« hob den Unterschied der Stände in Bezug auf den Grundbesitz auf und befreite namentlich den Bauernstand von einer Menge Lasten und Schranken; die Städteordnung vom gab den städtischen Gemeinwesen die freie Verwaltung ihrer Angelegenheiten durch selbstgewählte Behörden zurück. Kreis- und Gemeindeverfassung sollten nach Steins Ideen die Grundlage der Provinzialstände bilden, und diese Selbstverwaltung sollte nicht bloß die Last der büreaukratischen Verwaltung erleichtern, sondern auch die Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre wieder beleben.
Und wie der Ministerrat an der Spitze der Regierung stand, so sollte das gesamte Volk durch die Reichsstände vertreten werden, welche ausgedehnte Befugnisse der Gesetzgebung, Steuerbewilligung etc. erhalten sollten. Die vollständige Durchführung dieser Pläne wurde freilich durch Steins Entlassung vereitelt (November 1808), und das nun folgende Ministerium Altenstein war seiner Aufgabe, Steins Werk zu vollenden, durchaus nicht gewachsen. Die Adelspartei strengte allen ihren Einfluß an, die verhaßten Reformen, von denen sie den Untergang des Staats erwartete, rückgängig zu machen oder wenigstens zu sistieren.
In der auswärtigen Politik verfiel man wieder in den alten Fehler unentschlossenen Schwankens. Endlich sah der König selbst ein, daß der Weg, den Stein vorgezeichnet, mit Energie eingeschlagen werden müsse, und berief 1810 Hardenberg als Staatskanzler an die Spitze der Regierung. Hardenberg ordnete vor allem das wieder in Unordnung geratene Finanzwesen, indem er alle Steuerbefreiungen aufhob, eine neue Verbrauchs- und Luxussteuer einführte und die Klostergüter einzog, um die Verpflichtungen gegen Frankreich erfüllen zu können.
Die neue Gewerbeordnung vom beseitigte mit Einem Schlag das alte Zunft- und Innungswesen, und auch die Lage der Bauern wurde durch mehrere Edikte verbessert, die ihre Pflichten verringerten und ihnen die Ablösung aller Dienste [* 11] und Abgaben erlaubten. Das Edikt vom endlich ermöglichte die Bildung zahlreicher freier Bauerngüter. Die Reichsverfassung rief Hardenberg indes nicht ins Leben, weil er in derselben das Übergewicht der Adelspartei und heftigen Widerstand gegen seine Reformen fürchtete.
Neben dieser Reorganisation des Staatswesens ging nun auch eine Umwandlung der Geister her. Die edelsten Patrioten bemühten sich, sittlichen Ernst, Vaterlandsliebe, uneigennütziges geistiges Streben im Volk, namentlich in der Jugend, zu wecken; so Fichte [* 12] 1807 bis 1808 durch seine »Reden an die deutsche Nation«, Schleiermacher durch seine Predigten, Arndt durch seine leidenschaftlich patriotischen Schriften. In Königsberg [* 13] bildete sich der »Tugendbund«, dem die angesehensten Staatsbeamten angehörten.
Die Stiftung der Universitäten Berlin [* 14] und Breslau [* 15] hatte den Zweck und auch bald den Erfolg, die Jugend auf die idealen Güter des Lebens hinzuweisen und den geistigen Aufschwung der Nation zu befördern. Der Tod der Königin Luise (1810) nahm dem König freilich den letzten Rest von Selbstvertrauen. Er verhielt sich so ablehnend gegen die Pläne zu einer Erhebung Preußens, [* 16] daß leidenschaftliche Patrioten, wie Gneisenau, in ihrer Ungeduld damals ernstlich den Gedanken erwogen, ob man nicht die Hohenzollern [* 17] beiseite lassen und die englischen Welfen an die Spitze Norddeutschlands stellen solle.
Die Verzögerung der Befreiung machte anderseits den niedern Schichten des Volkes die Notwendigkeit selbst der äußersten Opfer für Erreichung dieses Ziels klar; der neue Vertrag mit Frankreich im September 1808 verminderte nur die Kriegslasten, beseitigte sie nicht ganz; um wenigstens den Staatsbankrott abzuwenden, mußte die preußische Regierung die Steuern erhöhen, und dabei lähmten die stets drohende Kriegsgefahr und namentlich die Kontinentalsperre jeden Aufschwung der Gewerbe und des Handels. Das Übermaß von Demütigungen ward Preußen durch den Vertrag vom auferlegt, der es zur Stellung eines Hilfskorps von 20,000 Mann im Kriege gegen Rußland sowie zu großen Naturallieferungen für die durchziehende »große Armee« verpflichtete.
Aber die Katastrophe dieser Armee brachte auch endlich die Rettung, allerdings wieder ohne, ja gegen den Willen Friedrich Wilhelms, der inmitten der Franzosen zu Potsdam [* 18] keinen Entschluß zu fassen wagte. General York war es, der den entscheidenden Schritt that. Als Befehlshaber des trotz tapferer Kämpfe noch ziemlich intakten preußischen Hilfskorps wäre er im stande gewesen, Ost- und Westpreußen [* 19] vor den Russen zu schützen und den Franzosen den Rückzug zu decken sowie Zeit zu neuen Rüstungen [* 20] und Verstärkungen zu geben. Indem er nun aber auf eigne Verantwortung durch die Konvention von Tauroggen von den Franzosen abfiel und sein Korps einstweilen eine neutrale Stellung einnehmen ließ, zwang er diese, bis an die Elbe zurückzuweichen. Er rückte nun in Preußen ein und organisierte im Verein mit den Präsidenten Auerswald und Schön die Volkserhebung in dieser Provinz. Der Landtag, der in Königsberg zusammentrat, unterstützte York mit der großartigsten Opferbereitschaft. Die arme, ausgesogene Provinz verpflegte und ergänzte nicht nur bis zum Frühjahr das Yorksche Korps, sondern brachte auch nach wenigen Wochen ein Heer von 33,000 Mann auf. Inzwischen trat ¶
endlich auch beim Hof [* 22] der Umschwung ein. Am 22. Jan. reiste der König nach Breslau, und von hier erließ er 3. Febr. den Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps. Der ungeahnte Erfolg desselben (nicht bloß Jünglinge, auch ältere Männer in angesehener Stellung traten in die Reihen, alle Stände, Korporationen, Gemeinden wetteiferten in Gaben für die Ausrüstung der Freiwilligen) ermutigte den König, den entscheidenden Schritt zu thun. Allerdings setzte er im Kampf mit Frankreich seine Dynastie, ja den preußischen Staat selbst aufs Spiel, denn Napoleon hatte schon früher ausgesprochen, daß er einen Fehler begangen, indem er Preußen, wenn auch zerstückelt, bestehen ließ, und er würde denselben nicht zum zweitenmal begangen haben. Am 28. Febr. schloß Hardenberg mit Rußland den Vertrag von Kalisch [* 23] ab, der freilich Preußen zur zweiten Rolle verurteilte und für den Frieden nur Unbestimmtes festsetzte. Es folgten nun nacheinander die Stiftung des Eisernen Kreuzes, der Aufruf: »An Mein Volk« vom 17. März, die Verordnung über die Bildung der Landwehr und des Landsturms, endlich 27. März die förmliche Kriegserklärung an Frankreich.
Der Zweck des Kriegs war nicht bloß die Wiederherstellung des preußischen Staats, sondern ein Aufruf an die Deutschen, welchen Alexander und Friedrich Wilhelm 26. März von Kalisch aus erließen, wie ein 29. März zu Breslau zwischen beiden abgeschlossener Vertrag erklärten zugleich die Befreiung Deutschlands vom französischen Joch für den Zweck des Kampfes, verkündeten die Wiedergeburt des Deutschen Reichs, forderten alle Deutschen auf, sich der Erhebung anzuschließen, und bedrohten jeden Fürsten, der dieser Aufforderung nicht Folge leiste, mit Verlust seiner Staaten.
Die freiwilligen Jägerkorps, namentlich die von Major v. Lützow errichtete »schwarze Schar der Rache«, sollten den Kern für die erwartete deutsche Volkserhebung bilden. Diese Hoffnungen erfüllten sich indes nicht. Die Fürsten hielten sich mit wenigen Ausnahmen aus Furcht und Eigennutz neutral oder blieben Napoleon treu; die Stimmung im außerpreußischen Deutschland war noch weniger schwungvoll und patriotisch als 1809. Nur einzelne begeisterte Jünglinge aus diesem Teil Deutschlands traten in die Lützowsche Schar ein, wie vor allen der Sänger der Freiheitskriege, Theodor Körner.
So standen Rußland und Preußen vorläufig allein. Ersteres hatte nur einen Teil seines Heers zur Verfügung; Preußen stellte aus den seit 1807 rastlos ausgebildeten Reserven ein reguläres Heer von 128,000 Mann auf, wozu noch 150,000 Mann Landwehr kamen, die allerdings wegen mangelnder Waffen und Montur nur zum Teil verwendbar war. Überhaupt wurden die preußischen Rüstungen und die Bewegung der Truppen vielfach gehemmt durch die von den Franzosen noch behaupteten Festungen an der Weichsel, Oder und Elbe, wenn auch die Feldarmee unter dem Vizekönig Eugen bis an die Elbe zurückgegangen war.
Für den Offensivkrieg waren zunächst nur 36,000 Mann in Schlesien [* 24] verfügbar, welche unter den Befehl Blüchers gestellt wurden, und 54,000 unter York, Bülow und Borstell in der Mark. Den Oberbefehl führte der russische Feldmarschall Kutusow, der aus übertriebener Vorsicht und Eigensinn sofort Scharnhorsts Plan vereitelte, ohne Zögern in Deutschland einzudringen und den Rheinbund zu sprengen, ehe Napoleon herankam. Langsam setzte man sich durch Sachsen, [* 25] dessen König nach Prag [* 26] floh, nach Thüringen in Marsch.
Währenddessen hatte Napoleon, schon Ende 1812 nach Paris [* 27] zurückgekehrt, mit Aufbietung aller Kräfte gerüstet. 350,000 Mann wurden im Kaiserreich ausgehoben, und wenn auch nur ein Teil sofort für Deutschland verfügbar war, so stellten die Rheinbundstaaten doch bereitwilligst ihre Kontingente. Das Wiedererstarken der französischen Macht machte sich schon Anfang April an der untern und mittlern Elbe bemerkbar, wo die Franzosen dem weitern Vordringen der leichten Truppen der Alliierten ein Ziel setzten. Am 2. April kam es in Lüneburg [* 28] und am 5. bei Möckern zu den ersten blutigen Zusammenstößen, bei denen sich die Tapferkeit und der Opfermut der Preußen und Russen herrlich bewährten.
Ende April stießen die Vortruppen der Verbündeten, welche 90,000 Mann stark waren, schon auf die französische Hauptarmee (120,000 Mann), welche Napoleon durch Franken und Thüringen bis an die Saale herangeführt hatte, und Wittgenstein, der nach Kutusows Tode den Oberbefehl erhalten, beschloß, dieselbe, während sie im Marsch war, 2. Mai bei Großgörschen in der Ebene von Lützen [* 29] anzugreifen. Der Angriff mißlang infolge von Wittgensteins ungeschickter Leitung. 8000 Preußen und 2000 Russen bedeckten das Schlachtfeld, Scharnhorst und Blücher waren verwundet; aber keine Kanone, kein Gefangener ging verloren, und den Franzosen, die noch größere Verluste erlitten, wurden auch Trophäen abgenommen.
Trotzdem wurde auf Verlangen der russischen Generale der Rückzug angetreten, um hinter der Spree bei Bautzen [* 30] eine neue Stellung zu nehmen. Sachsen wurde preisgegeben, und der König Friedrich August schloß sich sofort Napoleon an. Am 20. und 21. Mai griff dieser die Alliierten, die ihm den Übergang über die Spree verwehren wollten, bei Bautzen an und zwang sie 21. Mai zum Rückzug, der in aller Ordnung vor sich ging. Napoleon hatte erheblichere Verluste erlitten als die Alliierten und sowohl Kanonen als Gefangene eingebüßt.
Das glückliche Treffen bei Hainau (25. Mai) bewies allerdings, daß der Mut der Truppen ungebeugt war; indessen die Lage war sehr bedenklich. Die Russen wollten bis Polen zurückgehen, um sich neu zu rüsten. Preußen war noch nicht im stande, allein den Krieg auf sich zu nehmen, denn die Rüstung [* 31] der Landwehr war noch nicht vollendet; überdies war das Hauptheer schon von der Mark abgeschnitten, indem dies nach Schweidnitz [* 32] abschwenkte, während die Franzosen Breslau besetzten. Da gewährte Napoleon 4. Juni den Waffenstillstand von Poischwitz, da sein Heer zu arg mitgenommen war und er sowohl Verstärkungen heranziehen, als seine Verbindungen nach Westen herstellen wollte.
Das preußische Volk empfand die Kunde vom Waffenstillstand wie einen Donnerschlag, und das Unglück von Hamburg, [* 33] das den Franzosen wieder in die Hände fiel und von Davoût aufs grausamste behandelt wurde, wie der Überfall der Lützowschen Freischar (17. Juni) bei Kitzen vermehrten noch den schmerzlichen Eindruck der bisherigen Unglücksfälle. Trotzdem verlor man den Mut nicht. Die Rüstungen wurden mit allem Eifer und bewundernswertem Opfermut vollendet, Ende Juni waren 140,000 Mann Landwehr kriegstüchtig, und Rückerts, Schenkendorfs und Körners Lieder fachten die Begeisterung bis zur höchsten Glut an. Der Waffenstillstand aber brachte auch einen gewichtigen Vorteil durch den Beitritt Österreichs zur Koalition gegen Napoleon, ohne den ein Sieg nicht sicher war. Kaiser Franz I. und sein Minister Metternich wollten zwar keinen deutschen Freiheitskrieg, sondern bloß die 1805 und 1809 verlornen Provinzen wiedergewinnen und hatten bisher dies ¶