Frauenkran
kheiten,
das Gebiet derjenigen
Krankheiten meist chronischer Art, welche der
Frau als solcher in ihrem durch
die anatomischen und physiologischen Verhältnisse bedingten
Gegensatz zu dem Mann eigentümlich sind.
Ausgeschlossen sind diejenigen akuten Erkrankungen, welche sich unmittelbar an das
Wochenbett anschließen und als besondere
Gruppe unter dem
Namen
Wochenbett-, Puerperalkrankheiten abgegrenzt werden. Die Frauenkran
kheiten im engern
Sinn umfassen die Erkrankungen der
eigentlich dem Geschlechtsleben des
Weibes dienenden
Organe, insbesondere der äußern
Geschlechtsteile, der
Scheide, der
Gebärmutter
[* 3] und
Eierstöcke mit ihren Adnexen.
Die häufigsten derselben sind akute und chronische Katarrhe der Scheide und der Gebärmutter, Lageveränderungen der Gebärmutter, welche nach vorn oder hinten zu gebeugt oder sogar geknickt sein kann, Vorfall derselben bei starker Erschlaffung der haltenden Gebärmutterbänder. Ferner die mangelhaften oder fehlerhaften Entwickelungen des Geschlechtsapparats, welche entweder angeboren sind, oder bei allgemeiner schlechter Ernährung und schwächlichen Individuen auftreten, Anomalien der Menstruation, welche man als Amenorrhöe (s. d.) und Dysmenorrhöe (s. d.) bezeichnet, und endlich die ebenso häufigen wie wichtigen Krebsgeschwülste der Gebärmutter und die Cysten und andern Geschwülste der Eierstöcke.
Die
Leiden
[* 4] der weiblichen
Brust bilden ein Grenzgebiet der und der eigentlichen
Chirurgie.
In das Gebiet
der Frauenkran
kheiten fallen ferner eine
Reihe von
Störungen, welche, von Erkrankungen der
Gebärmutter ausgehend, die
Harnblase und den
Mastdarm
in Mitleidenschaft ziehen. Demnächst gehören hierher im weitern
Sinn des
Wortes eine große Zahl von Krankheitsprozessen,
welche, wie man sich technisch ausdrückt, reflektorisch von Geschlechtsleiden aus angeregt werden und
sich an örtlich entfernten und funktionell verschiedenen
Organen abspielen.
Der Geschlechtsapparat des
Weibes ist außerordentlich nervenreich und hat gleichzeitig sehr ausgedehnte und vielseitige,
sogen. reflektorische Beziehungen zu den
Organen des
Darmkanals, dem
Herzen und dem
Gehirn,
[* 5] soweit es Sitz der
Psyche ist. Demgemäß
übertragen sich krankhafte Zustände der
Genitalien auf dem Weg des nervösen
Reflexes auf diese
Organe und dokumentieren sich
hier als
Verstimmungen und Funktionsstörungen in mannigfachster Art. Im weitesten
Sinn gehört demnach in den Bereich der
Frauenkran
kheiten auch ein guter Teil der als
Hysterie bekannten
Nerven- und Gemütsstörungen.
Die Ursachen dieser mannigfachen Erkrankungen, soweit dieselben nicht angeboren sind, sind in Schädlichkeiten zu suchen, welche den weiblichen Geschlechtsapparat zur Zeit seiner vollen Entwickelung treffen. Besonders Erkältungen, geschlechtliche Extravaganzen etc. während der Menstruation, ferner unzweckmäßiges Verhalten während der Schwangerschaft und nach der Geburt wirken schädlich auf den Geschlechtsapparat ein, sei es dadurch, daß die zur Zeit der Menstruation mit Blut überfüllte Schleimhaut der Gebärmutter leichter von einem Katarrh befallen wird, oder daß durch zu frühes Aufstehen nach der Entbindung die Gebärmutter in eine fehlerhafte Lage gerät u. a.; jedenfalls stehen die meisten Erkrankungen mit den genannten wichtigsten Epochen im weiblichen Geschlechtsleben im Zusammenhang.
Anderseits ist ein großer Prozentsatz von Frauenkran
kheiten auf unzweckmäßige oder sogar schädigende
Erziehung zurückzuführen. Diese
Ursachen, welche auf sozialer
Basis beruhen, bestehen bei den ärmern Volksschichten darin,
daß die Mädchen im jugendlichen
Alter zu anstrengender
Arbeit auf dem
Feld oder gar in
Fabriken mit verdorbener
Luft herangezogen
werden, so daß bei der Überanstrengung des jugendlichen
Körpers der Geschlechtsapparat sich nicht normal
entwickeln kann, oder darin, daß die Mädchen von
Jugend auf ihr
Leben in sitzender
Weise als Näherinnen verbringen und dadurch
die
Bleichsucht und mannigfache von letzterer herrührende Frauenkran
kheiten erwerben, und endlich durch den zu diesen
Schädlichkeiten häufig hinzukommenden frühzeitigen oder übermäßigen Geschlechtsgenuß.
Bei den wohlhabenden Volksklassen wirkt die der modernen
Erziehung eigentümlich Verweichlichung der weiblichen
Jugend schädigend
auf die Widerstandsfähigkeit der
Sexualorgane, ferner die vielfach auch außerhalb der
Schule sitzende ungesunde Lebensweise.
In neuester Zeit ist man, unter
Anerkennung dieser
Thatsachen, bemüht, diesen Übelständen abzuhelfen, sei es auf legislatorischem
Weg, welcher den
Fabriken verbietet,
Kinder in
Arbeit zu nehmen, sei es durch zweckmäßige Stärkung und
Abhärtung des weiblichen
Körpers durch Turnunterricht in der
Schule,
Schwimmen etc. Anerkannt muß jedenfalls werden, daß
bei der heutigen erschreckend großen Verbreitung der Frauenkran
kheiten nicht allein das
Wohl einer einzelnen
Person oder
Familie gefährdet
ist, sondern aller
Schichten der gesamten
Bevölkerung.
[* 6]
Die Behandlung der mannigfachen Frauenkran
kheiten ist in neuerer Zeit durch die gründliche Untersuchung der organischen
Veränderungen bei den einzelnen
Krankheiten sowie durch den rapiden Aufschwung der modernen
Chirurgie derartig gefördert
worden, daß die Frauenkran
kheiten heute eine wichtige Spezialwissenschaft der Gesamtmedizin darstellen. Die
Richtung in der
Behandlung der Frauenkrankheiten
ist jetzt eine wesentlich operative. Durch eine ganze
Reihe glücklich ersonnener
Operationen, an die früher
gar nicht zu denken war, werden jetzt die tiefstgehenden
Leiden kranker
Frauen geheilt oder wenigstens erträglich gemacht.
Zu nennen sind hier: die
Amputationen kranker Teile, ja die totale
Entfernung der
Gebärmutter, der teilweise
oder gänzliche Verschluß der
Scheide zur
Heilung des Gebärmuttervorfalls, die
Ovariotomie und die
Operation der verschiedenen
Formen der Blasenscheidenfistel.
Hervorragende Vertreter dieser operativen
Richtung sind:
Spencer
Wells in
England,
Marion
Sims
[* 7] in
Amerika,
[* 8] Koeberlé und Péau in
Frankreich,
Gustav
Simon,
Schröder,
Hegar,
Martin in
Deutschland
[* 9] u. a. Die
Lehre
[* 10] von den Frauenkrankheiten
heißt
Gynäkologie
(s. d.).
Vgl. Scanzoni, Lehrbuch der Krankheiten der weiblichen Sexualorgane (5. Aufl., Wien [* 11] 1875);
Schröder, Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane (6. Aufl., Leipz. 1883);
Hewitt, Frauenkrankheiten
(deutsch, 2. Aufl., Stuttg. 1873);
Sims, Klinik der Gebärmutterchirurgie (deutsch, 3. Aufl., das. 1873);
Winckel, Lehrbuch der Frauenkrankheiten
(Leipz. 1886).