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Unverheirateten. In der Hauptsache wird die soziale
Stellung des weiblichen
Geschlechts stets bestimmt bleiben durch die
Ehe
und
Familie und durch die Aufgaben, welche der
Frau in Rücksicht auf diese erwachsen. Im übrigen trägt die Frauenfrage
bei den untern
Ständen einen andern
Charakter als bei den mittlern. Sie berührt mehr die städtische
Bevölkerung
[* 3] als
die ländliche, wo die naturalwirtschaftlichen Verhältnisse zum Teil fortbestehen. In erster
Linie ist sie gerichtet auf
die
Hebung
[* 4] der Erwerbsthätigkeit und Erwerbsfähigkeit, welche hauptsächlich durch eine gründliche
Reform der weiblichen
Bildung und
Erziehung zu bewirken ist.
Die Unvollkommenheit der letztern hatte zur Folge, daß die Frauen bisher wegen mangelhafter Beschaffenheit der Leistungen oder aus übergroßer Konkurrenz auf den wenigen Gebieten, auf welche sie angewiesen waren, nur ein unzulängliches Entgelt für ihre Arbeit erhielten. An eine verbesserte allgemeine Schulbildung, welche die Frauen auch mehr für ihren Beruf in der Familie vorzubereiten hätte, muß sich eine fachliche Fortbildung anschließen, um ihnen den Erwerb, wenn sie dessen bedürfen, überhaupt aber die Erfüllung eines eigentlichen Berufs zu erleichtern.
Denn auch dann, wenn es nicht der Gewinnung des Lebensunterhalts gilt, haben die Frauen, gleich den Männern, Pflichten gegen die Gesellschaft, und soweit es nicht im Dienste [* 5] der Familie geschehen kann, sollen sie diese Pflichten in einer andern für ihr Geschlecht geeigneten Weise erfüllen. Erst damit, daß man Anlagen und Fähigkeiten der Frauen in ähnlicher Weise entwickelt wie beim männlichen Geschlecht, zugleich aber das Entgelt für ihre Leistungen ohne Rücksicht auf das Geschlecht bemißt, werden Arbeits- und Erwerbsfreiheit auch für die Frauen ihre volle Bedeutung erlangen.
Hand [* 6] in Hand mit der Bildungs- und Erziehungsreform muß eine Vermehrung der Arbeitsgelegenheit gehen. Zu diesem Behuf gilt es, die bestehenden Vorurteile und Gewohnheiten zu besiegen, welche zur Zeit auf vielen Gebieten der menschlichen Thätigkeit die umfassendere Verwendung weiblicher Arbeitskräfte hindern. Manches ist bereits darin erreicht worden, wie das Beispiel der Verwendung von Frauen für den Post-, Telegraphen- und Eisenbahndienst in vielen Staaten beweist.
Eine völlige Gleichstellung der Geschlechter auf allen Arbeitsgebieten kann allerdings nicht das Ziel sein. Denn trotz der gegenteiligen Behauptung Mills u. a. begründet das Geschlecht eine natürliche Verschiedenheit der körperlichen, geistigen und Gemütsanlagen, die Berücksichtigung verdient. Wie die schwere körperliche Arbeit und der Waffendienst, so wird auch die leitende geistige Thätigkeit den Männern stets vorbehalten bleiben. Die genauere Grenzbestimmung aber wird erst durch eine reichere Erfahrung gewonnen und überhaupt nicht mit absoluter Gültigkeit festgestellt werden können.
Gegenwärtig erscheinen die Frauen oft selbst noch in solchen Beschäftigungen von den Männern verdrängt, für welche, wie auf dem Gebiet des Elementarunterrichts, der Mädchenerziehung, der Krankenpflege u. a., ihre natürliche Befähigung nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann. Indem man die Erziehung verbessert und das Gebiet der weiblichen Wirksamkeit erweitert, wird zugleich die sittliche Würde der Frauen erhöht werden und wird man auf diesem Weg wirksamer als mit bloßen Polizeimaßregeln dem weitern Umsichgreifen der Prostitution steuern. Denn in der materiellen Not der ledigen weiblichen Bevölkerung ruht eine der wichtigsten Ursachen für die bedenkliche Ausbreitung des Übels.
Die Frauenbeschäftigungsfrage brachte für Deutschland [* 7] im J. 1865 zunächst Präsident Lette in Berlin [* 8] in Fluß, indem er unter dem Protektorat der Kronprinzessin Viktoria einen Verein zur Förderung der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts gründete (s. Frauenvereine II). Dieser Verein, später Lette-Verein genannt, hat sich zur Aufgabe gesetzt:
1) Beseitigung der Vorurteile und Hindernisse, die der höhern Bildung und der Erwerbsthätigkeit der Frauen im Weg stehen;
2) Förderung der gewerblichen Ausbildung der Frauen;
3) Arbeitsvermittelung (mit Ausschluß der niedern Dienstverrichtungen);
4) Einrichtung von Verkaufsstellen für Frauenarbeiten;
5) Schutz selbständig beschäftigter Frauen gegen sittliche und wirtschaftliche Schäden. Eine Frucht des Lette-Vereins ist die Handels-, Gewerbe- und Zeichenschule für Frauen und Töchter in Berlin. Sodann rief Frau Luise Otto-Peters in Leipzig [* 9] den Allgemeinen deutschen Frauenverein ins Leben. 1866 ward in Berlin der Viktoria-Bazar als ein Verkaufslokal für Frauenarbeiten gegründet. Die erste Gewerbeschule für das weibliche Geschlecht schuf Direktor Nöggerath in Brieg; [* 10] eine ähnliche wurde in Hamburg [* 11] unter Frau Wüstenfeld sowie ein Paulson-Stift für das weibliche Geschlecht eingerichtet; in Prag [* 12] rief Professor C. Th. Richter eine Handelsschule für dasselbe ins Leben, während in Leipzig seit 1863 die Lehranstalt für erwachsene Töchter zur Ausbildung für den kaufmännischen Geschäfts- und Gewerbebetrieb besteht. Auch in München, [* 13] Nürnberg, [* 14] Stuttgart, [* 15] Darmstadt [* 16] gibt es solche Institute.
[Frauenstudium. Politische Gleichstellung.]
Einen besondern Teil der weiblichen Erziehungsfrage bildet die Frage, ob Frauen zum Studium der Wissenschaften zuzulassen seien. Die übrigens schwer zu begründende Behauptung der Gegner des Frauenstudiums, daß dem weiblichen Geschlecht die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Forschung abgehe, kann nicht als entscheidend gelten. Der weit überwiegenden Mehrzahl der Studierenden dient der wissenschaftliche Universitätsunterricht nur als Vorbereitung für die höhern praktischen Berufsfächer, und daß auch Frauen den Anforderungen des sogen. Brotstudiums entsprechen können, hat die Erfahrung genügend gezeigt. In der That haben nicht wenige Frauen in der Pflege der Wissenschaften bereits Hervorragendes geleistet. Das griechische Altertum kannte einzelne Ärztinnen und brachte noch zum Schluß in Alexandria die berühmte, 415 v. Chr. vom Pöbel ermordete Philosophin Hypatia hervor. Berühmt als Dichterin in lateinischer Sprache [* 17] ist die sächsische Nonne Hroswitha (gest. 967) in Gandersheim.
Italien [* 18] hatte seine gelehrten Frauen im Mittelalter und vorzüglich in der Zeit des Humanismus. Auch in Deutschland weist namentlich das Jahrhundert von 1750 bis 1850 eine stattliche Reihe weiblicher Doktoren in der medizinischen u. philosophischen Fakultät und andre gelehrte Frauen auf, unter denen Christiane Erxleben, geborne Leporin (1754), welche auch eine »Gründliche Untersuchung der Ursachen, welche das weibliche Geschlecht vom Studio der Medizin abhalten« geschrieben hat, Christiane Dilthey, spätere Frau Büsching (1755), Dorothea Schlözer, spätere Frau Rodde (1787), Karoline Herschel sowie Mutter und Tochter v. Siebold (1815 u. 1817) besonders bekannt sind. Wie weit Frauen zum Universitätsstudium zuzulassen seien, ist deshalb vielmehr davon abhängig zu machen, wie weit die Ausübung der höhern Berufsarten als vereinbar mit dem Naturell und der Leistungsfähigkeit der Frauen sowie mit den tiefer begründeten sittlichen ¶
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Anschauungen eines Volkes gelten können. Als solche Berufszweige, welche in Zukunft mehr den Frauen zuzuweisen sind, können die Ausübung der ärztlichen Praxis für Frauen- und Kinderkrankheiten und das höhere Lehramt wenigstens in den Mädchenschulen genannt werden. Die Frage, ob besondere Frauenuniversitäten zu gründen seien oder den Frauen Zutritt zu den bestehenden Hochschulen gewährt werden solle, ist von sekundärer Bedeutung. Erhebliche Bedenken gegen ein gemeinsames Studium beider Geschlechter entstehen auf dem Gebiet des medizinischen Unterrichts. Sollte man sich endgültig für die Zulassung der Frauen zum Studium entscheiden, so wird jedenfalls von ihnen das gleiche Maß von Vorkenntnissen wie von den Männern gefordert werden müssen.
Die erste Hochschule, welche die Frauen zum Studium zuließ, war Zürich. [* 20] Sie blieb lange Zeit die einzige. Später erst öffneten ihnen die übrigen schweizerischen Universitäten sowie das eidgenössische Polytechnikum ebenfalls ihre Thore. Dasselbe thaten Paris, [* 21] wo 1886 neun Frauen die Heilkunde ausübten, und einzelne deutsche Hochschulen. In England sind an einigen Universitäten, zuerst in Edinburg [* 22] und Cambridge, Mädchen wenigstens zu den wissenschaftlichen Prüfungen zugelassen worden, welche für solche veranstaltet werden, die keine Universität besucht haben.
Edinburg gewährt ihnen außerdem in beschränktem Maß Zutritt zu den Vorlesungen. 1881 zählte man in England 3,304,000 Frauen, welche einem Beruf oder Gewerbe oblagen, um damit ihren Unterhalt zu verdienen. Davon waren 3216 als höhere und niedere weibliche Beamte im Staatsdienst, 3017 im Gemeindedienst beschäftigt. 2646 Frauen befaßten sich mit gelehrten Studien, 11,376 hatten sich der Musik gewidmet, 94,221 wirkten als Vorsteherinnen von Schulen, 28,605 als Lehrerinnen etc. In Amerika [* 23] werden in einem großen Teil der dortigen Hochschulen die Frauen zugelassen, ferner hat man dort eine Anzahl female colleges errichtet.
Nicht bloß weibliche Ärzte, auch weibliche Prediger und Advokaten gibt es dort in beträchtlicher Anzahl. In Rußland sind zwar Gymnasien für Mädchen geschaffen worden, aber keine Frauenuniversitäten. Es sind indessen an den dortigen Hochschulen öffentliche Vorlesungen für Frauen mit zweijährigem Kurs eingerichtet worden. Deutschland besitzt eine Frauenhochschule indem Viktoria-Lyceum zu Berlin. Es werden dort regelmäßige freiwillige Vorträge von Männern der Wissenschaft für erwachsene Töchter der höhern Stände gehalten. Das Institut dient jedoch dem Bedürfnis nach höherer Bildung, ohne die Eigenschaften einer eigentlichen Universität zu besitzen. Dem Viktoria-Lyceum wurde 1870 ein Damenlyceum in Breslau [* 24] and das Alice-Lyceum in Darmstadt nachgebildet.
Die Gleichstellung des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen auf dem Gebiet des Privatrechts (Einräumung gleicher Befugnisse in Bezug auf Vermögensverwaltung, Testamentserrichtung, Vormundschaftsführung, Bürgschaftsleistung etc.) entspricht einer Forderung der Gerechtigkeit, deren Erfüllung auf höherer Kulturstufe nicht abzuweisen ist. Von den meisten modernen Kulturvölkern ist sie im Prinzip anerkannt und der Hauptsache nach vollzogen.
Immerhin sind noch manche beschränkende Bestimmungen, besonders im Familienrecht, in Geltung, welche der Anschauung entspringen, daß dem Mann als dem Haupte der Familie auch die Verwaltung und Nutznießung des seiner Frau gehörigen Vermögens gebühre. Daß die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ebenso allgemeine Anerkennung in Zukunft finden werde wie die privatrechtliche unterliegt starkem Zweifel. Auch gehen die Forderungen der Frauen selbst in der Regel über die Gewährung des bloßen Stimmrechts nicht hinaus.
Das auf politische Gleichberechtigung gerichtete Verlangen entspringt weniger einem praktischen Bedürfnis als einer theoretischen Anschauung von zweifelhaftem Werte. Die geistige Individualität der Frau sowie das bei ihr vorherrschende Gemütsleben lassen sie für eine thätige Teilnahme am öffentlichen Leben wenig geeignet erscheinen. Verwirft auch die moderne Kultur sowohl die grausame Knechtung der Frau, wie sie bei rohen Völkern und im Orient vorkommt, als auch die römische Tutel (s. Vormundschaft) und das mittelalterliche Mundium (s. d.), so will sie doch durch Anerkennung der idealisierten Geschlechtsverschiedenheit gerade dem Interesse echter Weiblichkeit dienen und der Frau zu einer würdigen Stellung und zu einem segensreichen Wirkungskreis verhelfen. Dem Mann der Staat, der Frau die Familie!
[Litteratur.]
v. Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (Berl. 1792);
J. St. ^[John Stuart] Mill, Die Hörigkeit der Frau (a. d. Engl. von Jenny Hirsch, [* 25] das. 1872);
August, Die soziale Bewegung auf dem Gebiet der Frau (Hamb. 1868);
Luise Otto, Das Recht der Frauen auf Erwerb (das. 1866);
Minna Pinoff, Reform der weiblichen Erziehung (Bresl. 1867);
Daubié, La femme pauvre au XIX. siècle (2. Aufl., Par. 1870, 3 Bde.);
K. Th. Richter, Das Recht der Frauen auf Arbeit (Wien [* 26] 1869);
v. Sybel, Über die Emanzipation der Frauen (Bonn [* 27] 1870);
Luise Büchner, Die Frauen und ihr Beruf (4. Aufl., Leipz. 1874);
Dieselbe, Die Frau (Halle [* 28] 1878);
Schönberg, Die Frauenfrage
(Basel
[* 29] 1873);
Teichmüller, Über die Frauenemanzipation (Dorp. 1877);
v. Holtzendorff, Die Verbesserungen in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frauen (Berl. 1877);
Reuper, Frauenberuf und Frauenbildung (Wien 1878);
Pierstorff, Frauenbewegung und Frauenfrage
(Götting.
1879);
v. Nathusius, Zur Frauenfrage
(Halle 1871);
L. v. Stein, Die Frau auf dem Gebiet der Nationalökonomie (Stuttg. 1875);
Derselbe, Die Frau auf dem sozialen Gebiet (das. 1880) Fanny Lewald, Für und wider die Frauen (2. Aufl., Berl. 1875);
Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht (das. 1876);
Dieselbe, Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau (das. 1874);
v. Scheel, und Frauenstudium (»Jahrbücher für Nationalökonomie«, Bd. 22);
v. Bischoff, Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen (Münch. 1872);
Hermann, Das Frauenstudium und die Interessen der Hochschule Zürich (Zürich 1872);
Böhmert, Das Studieren der Frauen (Leipz. 1872);
Schwerin, [* 30] Die Zulassung der Frauen zur Ausübung des ärztlichen Berufs (Berl. 1880);
Hirt, Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygieinischen Standpunkt aus (Bresl. 1873);
Wachler, Zur rechtlichen Stellung der Frauen (das. 1869).
Vgl. auch Klemm, Die Frauen, kulturgeschichtliche Schilderungen (Dresd. 1854-59, 6 Bde.);
Scherr, Geschichte der deutschen Frauenwelt (4. Aufl., Leipz. 1879);
»The Year-Book of women's work« (Lond.).
Zeitschriften: »Neue Bahnen«, redigiert von Luise Otto und Auguste Schmidt (halbmonatlich, Leipz., seit 1866; Organ des Allgemeinen deutschen Frauenvereins);
»Deutscher Frauenanwalt, Organ der deutschen Frauenbildungs- und Erwerbsvereine«, herausgegeben von Jenny Hirsch (Berl. 1870-81);