Franziskaner
(Fratres minores, Minoriten, mindere Brüder, seraphische Brüder, auch Barfüßer und graue Brüder), der erste und noch jetzt am weitesten verbreitete Bettelmönchsorden. Als mit dem Verfall der Benediktinerorden das Mönchtum selbst seiner Auflösung entgegenzugehen schien, hemmte eine höchst einfache Maßregel, die Umwandlung des Gelübdes der Armut in ein Gelübde des Bettelns, nicht bloß diesen Degenerationsprozeß, sondern setzte auch die Kirche selbst in den Besitz jenes Ideals von apostolischer Eigentumslosigkeit, wodurch bisher die ketzerischen Parteien so großen Eindruck auf die Phantasie des Volkes erzielt hatten.
Urheber dieser Veränderung war Giovanni Bernardone, Sohn eines Kaufmanns zu Assisi, geb. 1182. Seine Gewandtheit, sich in französischer Sprache [* 2] auszudrücken, soll ihm den Namen Francesco (Französchen) gegeben haben. Neben entschiedenem Hang zum Lebensgenuß zeigte Franz von Kindheit auf auch Neigung für Mildthätigkeit. Erst eine schwere Erkrankung führte die Krisis seines Lebens herbei. Er beschränkte fortan zur Übung der Demut seinen Umgang auf Bettler, Kranke und Aussätzige, zog bettelnd und singend umher, um das nötige Geld zu sammeln, mittels dessen er dann das ihm von den Benediktinern geschenkte verfallene Kirchlein der Maria der Engel bei Assisi (Portiuncula genannt, weil der Ort einen »kleinen Teil« des Eigentums der Benediktiner auf dem Berg. Subazzo ausmachte) restaurierte.
Eine Predigt, die er 1208 über die Worte Matth. 10, 7-10. hörte, brachte ihn endlich zum Bewußtsein seiner eigentlichen Mission; er vertauschte seine seitherige Kleidung mit einem groben grauen Rock mit einer Kapuze und einem Strick und trat als Bußprediger auf. Von der Beredsamkeit seines entzückten Geistes hingerissen, sammelten sich bald einige Jünger um ihn, alle bereit, in die Welt hinauszuziehen, um Kranke zu heilen und Sünder zu bekehren. Franz, welcher in einer elenden Hütte bei der Portiunculakirche wohnte, gab nun dem Verein eine bestimmte, in 23 Kapiteln abgefaßte Regel. Schon in dem Namen Minores fratres (geringe oder mindere Brüder, Minoriten) sollte sich die Demut ausprägen.
Jeder Rangunterschied war verboten: die Vorsteher sollten nur ministri (Diener) sein und heißen. Für des Leibes Notdurft durfte gebettelt, Geld aber, außer für kranke Mitbrüder, nicht angenommen werden. Auf ihren Missionswanderungen unter Christen und Nichtchristen sollten die Brüder nicht das mindeste bei sich tragen, vor allem ihren Obern unbedingten Gehorsam leisten. Um Bestätigung dieser Regel zu erlangen, ging Franz, begleitet von seinen sämtlichen Genossen, nach Rom. [* 3]
Innocenz III. verweigerte anfangs seine Zustimmung zu einer
Regel, die ihm »mehr für
Schweine
[* 4] als für
Menschen« geschrieben zu sein schien, gab sie aber sodann wenigstens mündlich, ebenso auch die
Lateransynode 1215, bei welcher
die beiden Bettelmönchsordenstifter
Dominikus und
Franz einander kennen lernten.
Franz siedelte nunmehr bei wachsender Zahl
seiner Anhänger in die Portiunculakirche über, begründete auf einer 1211 unternommenen Missionsreise seinen
Orden
[* 5] auch in
Arezzo,
Pisa,
[* 6]
Florenz,
[* 7]
Perugia und
Cortona und durchwanderte bis 1215 mit erfolgreicher Wirksamkeit für das Minoritentum
Spanien,
[* 8]
Portugal und
Frankreich.
Eine von ihm mit zwölf Brüdern unternommene Bekehrungsreise nach Nordafrika scheint ohne namhafte Erfolge geblieben zu sein. Inzwischen hatte der von ihm zu seinem Stellvertreter ernannte Elias von Cortona die ihm verliehene Gewalt benutzt, die strengen Satzungen zu mildern und namentlich gelehrte Studien sowie den Bau schöner Klöster und Kirchen zu fördern. Franz eilte auf die Kunde hiervon sofort zurück und entsetzte Elias. Bald darauf zog er sich in die Einsamkeit zurück. Die Idee eines asketisch-frommen Lebens in der Welt, ohne mönchische ¶
mehr
Absonderung und feierliche Gelübde, veranlaßte Franz zur Stiftung der Laienbrüderschaft der sogen. Tertiarier (s. d.), an welchen zugleich für die Minoriten eine breite Grundlage und mächtige Stütze im bürgerlichen Leben gewonnen ward.
Trotz der Abneigung des Ordensstifters gegen die Kunst haben die Franziskaner
einen großen Einfluß auf die Entwickelung der italienischen
Kunst geübt, weil sie derselben umfangreiche Aufgaben stellten. Wo sich der Orden der Franziskaner
verbreitete, wurden Kirchen und Klöster
gebaut, die sich meist an den Typus der Mutterkirchen und -Klöster in Assisi anschlossen und mit Fresken und Altarbildern geschmückt
wurden, für welche die legendarische Geschichte des Franz die Motive bot. In San Francesco in Assisi hat
die italienische Freskomalerei durch Giotto und seine Schüler den ersten Aufschwung genommen, und seitdem zogen die Franziskaner
gleich
den Dominikanern die Kunst in ihren Dienst, um den Ruhm ihres Stifters allerorten zu verbreiten. Das Leben und die Wunderthaten
des Franz wurden in zusammenhängenden Cyklen dargestellt, welche eine Reihe typisch gewordener Momente
umfassen. Einer derselben, die Stigmatisation, d. h. die mystische Übertragung der Wundmale Christi auf Franz, blieb bis in
das 18. Jahrh. Gegenstand künstlerischer Darstellung.
Vgl. Thode, Franz von Assisi und die Kunst der Renaissance in Italien [* 10] (Berl. 1885).
Papst Honorius III. erteilte dem Orden unter andern Privilegien auch das des Portiuncula-Ablasses (s. d.) und sanktionierte endlich förmlich 1223 eine neue, von Franz ihm vorgelegte kürzere Regel; zugleich erteilte er den Minoriten das Recht, überall zu predigen und Beichte zu hören (1223). Nachdem Franz 1224 auch die Klarissinnen (s. d.) konstituiert, begab er sich abermals in die Einsamkeit, sah hier in einer Verzückung einen gekreuzigten Seraph, und dieser drückte ihm unter brennendem Schmerz Jesu Wundmale ein, woher er den Namen des seraphischen Vaters, sein Orden den der seraphischen Brüder erhielt.
Benedikt XI. gestattete den Minoriten ein eignes Fest der Wundmale des heil. Franziskus (Festum stigmatis S. Francisci), und Paul V. verpflichtete sämtliche katholische Geistliche zur Feier desselben. Franz starb auf dem Erdboden in seiner Lieblingskirche (Portiuncula) und ward 1228 von Gregor IX. heilig gesprochen. Seine Biographen stellten sein Leben bis ins einzelnste als ein Nachbild des Lebens Jesu dar; ja, sie behaupteten zuweilen, letzteres sei durch ersteres namhaft übertroffen worden.
Als General fungierte jahrelang unter vielen Wechselfällen Elias von Cortona, welcher sofort wieder mit seinen Änderungsversuchen
hervortrat. Diesem gegenüber stellten sich an die Spitze derjenigen Franziskaner
, welche die von Franz herrührende Strenge verteidigten,
der Geistesverwandte des Stifters, Antonius von Padua
[* 11] (s. d.), ein herzerschütternder Fastenprediger,
und Cäsarius von Speier,
[* 12] der 1239 die Absetzung des Elias bei Gregor IX. durchsetzte. In der Bulle Exiit erklärte Papst Nikolaus
III., daß den Franziskanern
nicht der Besitz irdischer Güter, wohl aber der Nießbrauch gestattet sei; Besitzer aller Ordensgüter
der Franziskaner
sei der Papst.
Auch der 1287 zum General erwählte Matteo di Aquas Spartas veranlaßte als Neuerer im Geiste des Elias wieder
große Wirren. Einer der angesehensten Führer der strengern Franziskaner
, Peter Joh. de Oliva, der in seiner »Postilla super Apocalypsin«
die römische Kirche als die babylonische Hure bezeichnete, entging, mehrmals verklagt, während seines
Lebens dem päpstlichen
Anathema, das ihn erst nach seinem Tod (1297) traf. Die Opposition der Franziskaner
setzte im Geist Olivas Ubertino
de Casale fort, welcher in seinem »Arbor vitae crucifixae« 1305 das Papsttum als das in der Apokalypse 13 geweissagte siebenköpfige
Tier der Lästerung darstellte.
Die Anhänger der strengen Richtung wurden Spiritualen genannt. Am weitesten gingen unter diesen in ihrer
Opposition gegen das Papsttum die Fratricellen, welche sich der bischöflichen Jurisdiktion nicht fügen wollten, sich als im
Besitz des Heiligen Geistes Stehende und als Sündlose betrachteten, die weder der Sakramente noch der Buße bedürfen. Sie fanden
sich in Italien, besonders aber in Frankreich, wo sie die Franziskaner
der mildern Richtung aus Narbonne und Béziers
vertrieben; 1318-52 wurden sie von der Inquisition verfolgt.
Von neuem loderte die Flamme
[* 13] der Zwietracht auf, als Johann XXII. 1322 die Unterscheidung Nikolaus' III. zwischen Besitz und
Nießbrauch für eine fingierte und, durch die Dominikaner veranlaßt, 1323 die Behauptung der Franziskaner
, daß
Christus und die Apostel nichts Eignes besessen hätten, für eine Ketzerei erklärte. Auch verzichtete er auf sein angebliches
Eigentumsrecht an den Ordensgütern. Hiergegen legte der Ordensprokurator Bonagratia von Bergamo 1323 Appellation ein, die
er mit einjähriger Haft büßen mußte.
An der Spitze der strengen Partei stand damals der Ordensgeneral Michael von Cesena, der von Johann XXII. in Avignon gefangen gehalten wurde, 1328 entfloh und sich mit seinen Genossen Bonagratia und Occam (s. d.) zu dem Kaiser Ludwig dem Bayern [* 14] begab, worauf der Papst die Flüchtlinge mit Amtsentsetzung und Kirchenbann bestrafte. Jetzt appellierte der Ordensgeneral vom Papst an die Kirche und erklärte die Päpste Johann XXII. und Benedikt XII. für Häretiker (1338). Er hat sich bis zu seinem Tode der Kirche nicht unterworfen; das Bekenntnis seiner Reue, welches er auf seinem Totenbett abgelegt haben soll, ist unecht.
Vgl. Gudenatz, Michael von Cesena (1876).
Aus den Kreisen der Spiritualen entsprang auch der Orden der Cölestiner-Eremiten, denen Papst Cölestin V.
die Erlaubnis erteilt hatte, eine selbständige, von dem Franziskaner
orden, dem sie ursprünglich angehörten, getrennte
Gemeinschaft zu bilden. Durch die über sie seit 1302 ergehenden Verfolgungen wurden sie Gegner der Kirche; es scheint, daß
sie den Grundstock der Fratricellen bildeten. Eine aus der strengen Richtung hervorgegangene Franziskaner
kongregaton
sind die Clareniner (Clareni fratres), welche, öffentliche Opposition vermeidend, bis 1566 ihre Selbständigkeit behaupteten.
Zu diesen neuen Spiritualen gehörte auch die 1368 durch den Minoriten Paolucci di Foligno gestiftete Kongregation der Observanten
(Familienbrüder), welche die Regel verschärfte. Sie selbst nannte sich nach einer den Gebirgsbauern entlehnten Tracht Soccolanti
(Sandalenträger).
Auch in andern Ländern hatten sich inzwischen, doch überall unter heftigen Kämpfen, neue, zur ursprünglichen Strenge zurückkehrende Kongregationen gebildet, daher sich das Konzil zu Kostnitz veranlaßt fand, kanonisch festzusetzen, »daß fortan alle einzelnen Zweige des Ordens den zwei großen Kongregationen der Konventualen und Observanten einverleibt sein und keine andern Abteilungen künftig mehr geduldet werden sollten«. Konventualen hatte man schon früher die Minoriten, welche die Milderungen der Regel festhielten, genannt; mit dem Namen der Observanten faßte man ¶
mehr
Kongregationen zusammen, welche das Festhalten und Schärfen der ursprünglichen Regel anstrebten. Um fortgesetzte Streitigkeiten zu beendigen, bestimmte endlich Leo X. in einer Bulle vom »Es soll ein Generalminister zu sechsjähriger Regierung allein von den Observanten gewählt werden; diese letztern sollen ihre verschiedenen Namen aufgeben und als Minoriten von der regulierten Observanz sich vereinigen«.
Seit dieser Entscheidung ging es mit den Konventualen bergab. In Spanien setzte der Kardinal Jimenes die Alleinherrschaft der
Observanz mit Einziehung aller Minoriten
güter zu milden Zwecken durch. Nicht viel besser erging es den Konventualen in Portugal,
Frankreich, Dänemark,
[* 16] England und Deutschland.
[* 17] Jetzt kommen sie noch in Süddeutschland und der Schweiz
[* 18] vor.
Grau gekleidet, wurden sie vorzugsweise Minoriten genannt, während die sich braun kleidenden Observanten allmählich allgemein
den Namen Franziskaner
erhielten.
Unter diesen letztern hörten nach der erwähnten Einigungsbulle Leos X. die verschiedenen Fraktionen nicht auf. Zwar waren die Kongregationen Johanns de la Puebla in Spanien und Johanns von Guadalupe (Barfüßer, auch Evangelienbrüder genannt) in Spanien und Portugal dem Orden der regulierten Observanz einverleibt worden, beide beharrten indessen bis heute bei der sogen. strengen Observanz. In ihrem Geist entstanden 1525 durch die spanischen Minoriten Stephan Molina und Martin von Guzman noch die Reformati oder Reformierten in Italien; aus diesen gingen um 1592 die Rekollekten in Frankreich und Kanada hervor. Durch Peter von Alcantara entstanden seit 1540 in Portugal und Spanien die Minoriten von der strengen Observanz, die mit der Kongregation des heil. Johannes Paschasius zusammenwuchsen und 1559 den ersten Provinzial erhielten.
Der oberste Aufseher und Vertreter des ganzen Ordens ist noch immer ein Kardinal, Cardinalis Protector. Ihm zunächst steht der Generalminister oder General, auf sechs Jahre vom Generalkapitel gewählt. Außer den Generalkapiteln werden auch Provinzial- und Nationalkapitel, letztere durch Abgeordnete aller Provinzen einer Nation, gehalten. Die Vorsteher einer Provinz heißen Kustoden, die Provinzen selbst Kustodeien. Der Vorsteher eines einzelnen Klosters heißt Guardian.
Trotz der zahlreichen und heftigen Kämpfe in seinem Innern behauptete sich der Franziskaner
orden jahrhundertelang in der
Gunst des Volkes wie des römischen Hofs; jenes drängte sich zu seinen Predigten und Beichtstühlen und seinen an Ablässen und
Reliquien reichen Kirchen, dieser überschüttete ihn förmlich mit Vorrechten aller Art. Schon dies mußte
die Eifersucht des andern Hauptbettelordens erregen, und so begegnen wir denn auch schon fast seit der Entstehung beider
Orden mancherlei gegenseitigen Anfeindungen, namentlich auch dem langen Streit zwischen den Scotisten (Franziskanern
) und Thomisten
(Dominikanern) über die unbefleckte Empfängnis der Maria und andre Dogmen.
Unter den Franziskanern
während der Epoche der Scholastik finden wir die namhaftesten Gelehrten, einen Alexander von Hales,
Bonaventura, Duns Scotus, Roger Baco, Nikolaus de Lyra,
[* 19] Occam u. a. Auch Thomas Murner, der bekannte Satiriker, war ein Franziskaner.
Der äußern
Mission haben die Franziskaner
eine aufopfernde, unermüdliche Thätigkeit gewidmet; die innere dagegen,
vom Stifter ihnen als Hauptzweck gesetzt, haben sie hauptsächlich zur Förderung des Aberglaubens, besonders in den niedern
Volksschichten,
betrieben.
Aus Frankreich, wo sie zu hohem Ansehen gelangt waren, wurden ihrer 409 bei Gelegenheit des Klostersturms 1880 ausgewiesen.
Vgl. Thomas de Celano, Vita S. Francisci (1229; ergänzt 1246 von Leo, Angelus und Ruffinus; dann ausgeschmückt als heiliges Buch des Ordens von Bonaventura);
Vogt, Der heil. Franziskus von Assisi (Tübing. 1840);
Hase, [* 20] Franz von Assisi, ein Heiligenbild (Leipz. 1856);
Lukas Wadding, Annales minorum sive trium ordinum, a S. Francisco institutorum (Rom 1731-41);
Rybka, Elias von Cortona (Leipz. 1879);
Woker, Geschichte der norddeutschen Franziskanermissionen (Freib. i. Br. 1880);
Magliano, Geschichte des heil. Franziskus und der Franziskaner (deutsch, Münch. 1882 ff.), und die Litteratur bei »Occam«.