Titel
Frankreich
(lat. Francia, Franco-Gallia; franz. la France; engl. France; ital. Francia; nach dem germanischen Stamm der Franken benannt), Republik, eins der Hauptländer Europas, erstreckt sich zwischen 42° 20' und 51° 5' nördl. Br. und 4° 42' westl. und 7° 39' östl. L. v. Gr.
Vgl. beifolgende
Karte »Frankreich«
.
[* 2]
Übersicht des Inhalts. | |
Lage und Grenzen | S. 508 |
Bodenbeschaffenheit | 510 |
Bewässerung | 516 |
Klima | 517 |
Areal und Bevölkerung. | 517 |
Politische Einteilung | 518 |
Zu- und Abnahme der Bevölkerung | 518 |
Nationalität | 519 |
Religion | 519 |
Bildung und Unterricht | 520 |
Charakter und Sinnesart | 521 |
Landwirtschaft | 522 |
Weinbau | 523 |
Viehzucht | 523 |
Fischerei | 524 |
Forstwirtschaft | 524 |
Bergbau und Hüttenwesen | 524 |
Industrie | 525 |
Handel und Verkehr | 528 |
Staatsverfassung | 530 |
Verwaltung | 531 |
Rechtspflege | 532 |
Finanzen | 532 |
Heerwesen | 533 |
Marine | 537 |
Kolonien | 537 |
Wappen, Flagge | 538 |
Litteratur, geogr. | 538 |
Geschichte | 539 |
Lage und Grenzen.
Frankreich
bildet den schmälsten Teil des europäischen
Kontinents und liegt überaus günstig zwischen zwei
Meeren, dem
Mittelländischen und Atlantischen. Die Mittelmeerküste (mit dem
Golfe du
Lion) hat etwas weniger als ein
Viertel
der
Ausdehnung
[* 3] der
¶
^[Leere Seite] ¶
mehr
atlantischen (mit dem Busen von Gascogne oder Viscaya). Den Meeresteil zwischen und England nennen die Franzosen La Manche (Ärmelkanal), die Engländer Kanal; [* 6] die engste Stelle desselben (33 km breit) heißt Pas de Calais, bei den Engländern Straße von Dover. [* 7] Die gegenüberliegenden Küsten beider Länder gleichen einander teilweise in ihrer geographischen wie geognostischen Formation, woraus auf einen frühern Zusammenhang geschlossen worden ist. Die Küstenausdehnung beträgt 3120 km, wovon 615 auf das Mittelländische Meer, 1385 auf den offenen Atlantischen Ozean (vom Viscayischen Busen bis zum Kap Corsen im Departement Finistère) und 1120 km auf den Kanal, Pas de Calais und die Nordsee entfallen.
Abgesehen von den Meeren, grenzt Frankreich
im S. an Spanien,
[* 8] wovon es die Pyrenäen, im O. an Italien
[* 9] und die Schweiz,
[* 10] wovon es die Alpen
[* 11] mit dem Jura trennen, weiterhin im O. an Deutschland
[* 12] (Elsaß-Lothringen),
[* 13] im NO. und N. an das Großherzogtum Luxemburg
[* 14] und Belgien.
Die Landgrenze hat eine Länge von 2170 km. Mit Ausnahme der im Mittelländischen Meer liegenden Insel Corsica
[* 15] bildet das Land eine ziemlich kompakte Masse von symmetrischer Gestalt. Eine Mittellinie, welche die nördlichste Spitze des
Landes bei Dünkirchen
[* 16] mit dem südlichsten Punkt bei Prats de Mollo in den Ostpyrenäen verbindet, teilt das Land, nahe
östlich an Paris
[* 17] vorbeigehend, in zwei fast gleich große und einander ähnliche Teile.
Diese Linie hat eine Länge von 973 km. Die größte westöstliche Erstreckung, 888 km, erreicht das Land unter 48½° nördl. Br. auf einer Linie, welche, wiederum nahe an Paris vorbeigehend, den Vogesenkamm östlich von St.-Dié mit Kap Corsen verbindet. Ferner entspricht der Einbuchtung der atlantischen Küste gegen La Rochelle hin eine solche der Ostgrenze gegen Genf, [* 18] so daß hier die Breite [* 19] des Landes nur 550 km beträgt. Schließlich zerfällt auch die Südgrenze in zwei in einem stumpfen, dem bei Dünkirchen gebildeten ähnlichen Winkel [* 20] am südlichsten Punkte des Landes zusammenstoßende Stücke von nahezu gleicher Länge, so daß das ganze Land einem unregelmäßigen Sechseck ähnlich wird.
Die Wasser- wie die Landgrenze Frankreichs, erstere fast drei Fünftel, letztere mehr als zwei Fünftel, trägt einen wechselnden Charakter: gegen Italien und Spanien, d. h. gegen nahe verwandte Völker, ist sie durch hohe Gebirge (Alpen und Pyrenäen) gebildet und fest geschlossen;
gegen die Schweiz, Deutschland und Belgien, d. h. gegen die Germanen, ist sie durch Jura und Vogesen, beide leicht zu übersteigen, ja gegen Belgien hin nur durch den flachen Rücken der Ardennen gebildet, so daß sie als eine völlig offene anzusehen ist.
Gerade mit den verwandten lateinischen Völkern war daher der Verkehr erschwert und wesentlich auf das Meer hingewiesen, während gegen die germanischen Völker die Berührung, der Verkehr erleichtert war, die Gegensätze aber auch um so unvermittelter aufeinander stießen. Darum hier von jeher Kampf und Verrücken der Grenzen, [* 21] darum hier nach O. auch erleichtertes Einströmen erst römischer, dann französischer Kultur.
Auf die frühere Entwickelung höherer Kultur in Frankreich
hat aber, abgesehen von den zahlreichen hier noch vorhandenen Kulturkeimen
aus römischer Zeit, abgesehen von der größern Gunst der Bodenbeschaffenheit und des Klimas, die Lage am Mittelmeer und die
Beschaffenheit der Mittelmeerküste beigetragen. Dieselbe zerfällt in zwei morphologisch wesentlich
verschiedene Stücke, eine östliche Steilküste, die Küste der Provence, und eine westliche Flachküste, die von Languedoc.
Die Steilküste der Provence von Mentone bis zu den Rhônemündungen, zum Teil Granit, zum Teil Kreide [* 22] und tertiärer Kalk, ist außerordentlich reich an Buchten, Häfen, Vorgebirgen und vorgelagerten Felseninseln, reich an Naturschönheiten jeder Art, mit herrlichem Klima [* 23] und echt mediterraner Vegetation. Darum ließen sich hier früh Griechen nieder, an welche noch heute die Namen der blühenden Hafenstädte erinnern: Nizza [* 24] (Nicäa), Antibes (Antipolis), Marseille [* 25] u. a. Der Golf von Tropez und die Reede von Hyères mit den davorliegenden gleichnamigen Inseln bieten ganzen Flotten Schutz, und die fast ganz landumschlossene Bucht von Toulon [* 26] ist Frankreichs großer Kriegshafen am Mittelmeer. Am günstigsten war die Lage von Marseille, und dies ist darum am glänzendsten emporgeblüht.
Eine enge, geschützte Bucht zog sich hier ins Land hinein, ein trefflicher Hafen, nahe der Rhônemündung, aber vor den Anschwemmungen
derselben geschützt, der natürliche Endpunkt der großen Handels-, Kultur- und Völkerstraße, welche
im Thal
[* 27] des Rhône (s. d.) aufwärts nach Nordfrankreich
, Mittel- und Nordeuropa führt. Westlich von Marseille ist die Küste
durch die Deltabildungen des Rhône und der Cevennen- und Pyrenäenflüsse beträchtlich vorgerückt, ganz ähnlich wie die
Küste der großen nordadriatischen Deltas.
Inseln sind hier landfest geworden, Meeresbuchten verlandet, Teile des Meers selbst, durch Dünen abgeschnitten, zu Strandlagunen (étangs) geworden, welche längs dieser ganzen, sich in flachen Kurven von der Felsenküste der Provence bis zu der der Pyrenäen schwingenden Küste gelagert sind. Dieselbe ist ihrer Entstehung nach ausgezeichnete Flachküste und hafenlos, nur mit großer Mühe und Kosten sind Kunsthäfen, wie der von Cette, zu schaffen und zu erhalten.
Folgen wir der Grenze, die gegen Spanien fast überall von dem hohen Kamm der Pyrenäen gebildet wird, der nur an seinem Ost- und Westende oder nahe demselben Übergänge bietet, zum Atlantischen Ozean, so finden wir, sobald wir uns von den Pyrenäen entfernen, von dem Flußhafen von Bayonne an wiederum bis zur Mündung der Gironde eine buchten- und hafenlose, von Dünen besetzte Flachküste, derjenigen von Languedoc durchaus ähnlich. Wie das Rhônebecken seinen Verkehr nur durch Marseille vermittelt, so das Garonnebecken durch Bordeaux, [* 28] am Flusse selbst, das unter dem Einfluß der mächtigen ozeanischen Flut, welche dem Mittelmeer fast völlig fehlt, noch weit oberhalb der Mündung sich zur großen Seehandelsstadt zu entwickeln vermocht hat.
Von der Gironde an ändert sich aber die Küstenbeschaffenheit; die Küste, die bis zur Bucht von Aiguillon Nord-, von da an Nordwestrichtung einschlägt, ist zwar auch noch flach, aber reich ausgebuchtet dadurch, daß hier das Meer in das Land eingebrochen ist und den ursprünglichen Küstensaum, der noch durch die vorgelagerten Inseln Oléron, Ré, Yeu und Noirmoutier bezeichnet wird, zerstört hat. Hier fehlte es daher nicht an guten Häfen, wie La Rochelle, Rochefort u. a., die aber jetzt anscheinend durch Aufsteigen dieser Küste immer unbrauchbarer werden, so daß sich der Verkehr mehr und mehr wie südwärts auf die Gironde-, so nordwärts auf die Loiremündung konzentriert, wo Nantes, [* 29] weniger begünstigt als Bordeaux, infolge der Versandung der Loiremündung den Großhandel immer mehr an St.-Nazaire abgibt. Mit der Mündung der Vilaine beginnt die Küste der Halbinsel Bretagne, welche ringsum bis zur Bucht von St.-Michel (s. d.) gleichen Charakter bewahrt. Es ist eine merkwürdig verwitterte und ausgebuchtete granitische Steilküste, die mit ihren zahlreichen vorgelagerten kleinen ¶
mehr
Granitinseln, Belle-Ile im S. die größte, Ouessant die westlichste, mit ihren fjordartigen Einschnitten an die Küste von Norwegen
[* 31] erinnert. Hier finden wir eine Fülle trefflicher, leicht zu verteidigender Buchten und Häfen (Morbihan, Quiberon, Lorient, Douarnenez,
Brest, St.-Brieuc u. a.), hier lebte schon zu Cäsars Zeit eine seetüchtige Bevölkerung,
[* 32] welche seit dem
Mittelalter Frankreich
die trefflichsten Fischer, Korsaren und Seehelden, die besten Matrosen der Kriegsflotte geliefert hat.
Nur der Handel vermochte sich in dem verhältnismäßig armen, abgelegenen Land nicht allzusehr zu entwickeln. Brest, der große Kriegshafen Frankreichs am Ozean, ist von der Natur am besten ausgestattet, an einer tiefen Bucht mit engem Eingang, an der Nordwestspitze den ^[richtig: des] Landes selbst. Steile, klippenumstarrte Landtrümmer sind auch die Normännischen Inseln, welche den großen zwischen der Bretagne und der Halbinsel Cotentin eindringenden Golf schließen.
Von hier an aber fehlt es an der französischen Küste, die bis gegen die Somme hin noch meist, wenn auch mäßig steil bleibt, recht im Gegensatz zur gegenüberliegenden englischen Küste, an guten Naturhäfen; es ist deshalb mit großen Kosten der Kriegshafen von Cherbourg [* 33] England gegenüber geschaffen worden, während wiederum ein überwiegend durch Kunst geschaffener Flußhafen, der von Le [* 34] Havre, [* 35] den Verkehr in sich vereinigt, seitdem Rouen, [* 36] ähnlich wie jetzt Nantes, für die großen Seeschiffe der Neuzeit nicht mehr zugänglich war.
Von der Somme an beginnt die von Dünen begleitete Flachküste, welche der südlichen Nordsee eigen ist. Boulogne, Calais [* 37] verdanken nur der Gunst der Lage am engsten Punkte des Kanals ihre Bedeutung; ihre Häfen, mit Hilfe kleiner Flüsse [* 38] geschaffen, sind nur Schiffen mäßiger Größe zugänglich. Wir erkennen durch diesen flüchtigen Überblick über die Meeresbegrenzung Frankreichs, daß dieselbe eine mäßig günstige ist und die Bedeutung der vier großen Flüsse wie für den innern, so auch für den äußern Verkehr recht hervortreten läßt.
Bodenbeschaffenheit.
Die Reliefformen Frankreichs zeigen eine reiche, günstige Gliederung, einen Wechsel von Ebenen, Hügel- und Berglandschaften, der nirgends Einförmigkeit aufkommen läßt, ohne daß aber, außer an der Südost- und Südgrenze, unbewohnbare Hochgebirge vorhanden wären. Dem Verkehr stellen sich daher im Innern Frankreichs nirgends erhebliche Schwierigkeiten entgegen, ja die einzelnen Flußsysteme sind einander so nahe gerückt und durch so mäßige Höhen voneinander geschieden, daß sie alle durch Kanäle miteinander haben in Verbindung gesetzt werden können.
Die größten Erhebungen Frankreichs liegen im S. und O., so daß die allgemeine Abdachung des Landes eine nordwestliche ist und demnach die Hauptflüsse, mit einer Ausnahme, zum Ozean gehen. Als den Kern und vielleicht den geologisch ältesten Teil von Frankreich haben wir das sogen. Zentralplateau anzusehen, eine mächtige, sich in viele Unterabteilungen gliedernde Scholle von Granit, Gneis und kristallinischen Schiefern mit zahlreichen vulkanischen Durchbrüchen und umlagert von jüngern sedimentären Bildungen, welche die historischen Landschaften der Auvergne, Lyonnais, Bourbonnais, Marche, Limousin, Guienne und Languedoc ganz oder teilweise füllt. Es bildet mit ungefähr 80,000 qkm mehr als ein Siebentel von und ist sein wichtigstes Wasserreservoir, rings von Ebenen umschlossen, durch das Thal des Rhône und der Saône von Alpen und Jura, durch die Einsenkung von Castelnaudary, durch welche der Canal du Midi in einer Höhe von 190 m geführt ist, von den Pyrenäen getrennt und nur nach NO. mit den östlichen Grenzgebirgen, den Vogesen und Ardennen, in erkennbarem orographischen Zusammenhang.
Die Abdachung dieses zentralen Hochlandes ist eine entschieden westliche und nordwestliche. Es läßt sich in zwei Unterabteilungen zerlegen: eine östliche, welche den gehobenen, steil zur Ebene von Languedoc und dem Rhône-Saônethal abfallenden Rand des Hochlandes bildet und hier und da, am deutlichsten in den Cevennen, den Charakter einer Gebirgskette trägt, und eine westliche, das Hochland von Auvergne. Ursprünglich war ganz Zentralfrankreich wohl eine Hochebene von ca. 1000 m Höhe, die ihr jetziges wechselndes Relief erst durch die Meteorwasser, welche tiefe Thäler erodiert und Einsenkungen ausgefüllt haben, sowie durch vulkanische Thätigkeit erhalten hat, welche dem granitischen Plateau zahlreiche trachytische und basaltische Kegel aufgesetzt und weite Flächen mit mächtigen Lavaschichten bedeckt hat.
Betrachten wir zunächst den östlichen Plateaurand, so wollen wir das Stück desselben von der erwähnten Einsenkung von Castelnaudary bis zu der kaum minder bedeutungsvollen von St.-Etienne, welche Rhône und Loire verbindet, mit dem Namen der Cevennen bezeichnen. Dem ganzen Zug ist eigen ein südlicher und östlicher Steilabsturz, von welchem zahlreiche kleine Flüsse in tiefen, kaskadenreichen Thälern zur Ebene von Languedoc oder zum Rhône hinabeilen. Von dieser äußern Seite ist das Gebirge schwer zu ersteigen, während es an der innern nur ausnahmsweise den Eindruck eines Gebirges, vielmehr den eines sanft ansteigenden Plateaus macht.
Die Wasserscheide zwischen den zum Mittelmeer und den zum Ozean gehenden Flüssen ist eine vielgewundene Linie, welche nicht über die höchsten Gipfel geht. Kein einziger Fluß durchbricht das ganze Gebirge, aber die Quellen der westlichen Plateauflüsse liegen meist außerordentlich nahe am östlichen Absturz. In früherer Zeit machte dieses Hochfrankreich sich allerdings als ein scharf individualisiertes Gebiet geltend, es wurde von den Verkehrswegen umgangen, seine Bevölkerung nahm weniger an den großen Bewegungen teil, wie zum Teil auch noch heute; aber den modernen Verkehrsmitteln gegenüber beginnt seine Abgeschlossenheit zu schwinden, eine Eisenbahn zieht vom Allierthal mitten durch die Cevennen nach Nîmes, eine andre mitten durch den Cantalstock aus dem Allier- zum Lotthal.
Wir unterscheiden in den Cevennen folgende Unterabteilungen: Zunächst erheben sich an der Senke von Castelnaudary die Montagnes Noires (s. d.), an diese schließen sich die Monts de l'Espinouse an, in denen der einseitige Steilabfall zuerst hervortritt, das Quellgebiet des Agout, eines Nebenflusses des Tarn, während sie wiederum das Thal des Orb von den Garriguesbergen trennt, in denen sich das System fortsetzt, um jenseit des Héraultthals in die Cevennen im engern Sinn überzugehen, denen sich hier nach W. im obern Lot- und Tarngebiet, ja südöstlich bis an die Abdachung des Gebirges selbst am mittlern Hérault heranreichend, die merkwürdige Jurakalkplatte der Causses (s. d.) anschließt. Die Cevennen (s. d.) im engern Sinn bestehen überwiegend aus Granit, von ihrem mächtigen südwestlichen Eckpfeiler, dem Mont Aigoual (1567 m) an bis zu dem noch mächtigern, dem Granit aufgesetzten Phonolithdom des Mézenc (1754 m). Die massigste Erhebung des ganzen Systems, aber nur im S. und O. als Gebirge erscheinend, ¶