Titel
Francke
,
1)
August
Hermann, der
Stifter des Halleschen Waisenhauses, geb. zu
Lübeck,
[* 2] erhielt
seine erste
Bildung auf dem
Gymnasium zu Gotha,
[* 3] studierte sodann in
Erfurt
[* 4] und
Kiel
[* 5]
Theologie und
Philologie und vervollkommne
sich unter Esdra Edzardis Leitung in
Hamburg
[* 6] im
Hebräischen. Im J. 1684 bezog er als
Hofmeister die
Universität
Leipzig,
[* 7] an der
er sich 1685 als
Dozent habilitierte. Durch den
Superintendenten Sandhagen in
Lüneburg
[* 8] und
Spener (damals Oberhofprediger in
Dresden)
[* 9] erweckt und angeregt, begann er im pietistischen
Sinn collegia philobiblica zu halten, infolge deren seine akademische
Wirksamkeit auf philosophische, namentlich pädagogische, Vorlesungen eingeschränkt ward. 1690 ging Francke
als Diakonus
der Augustinerkirche nach
Erfurt, ward aber 1691 von hier auf
Anzeige des orthodox-lutherischen geistlichen
Ministeriums verwiesen und nahm 1692 an der eben entstehenden
Universität
Halle
[* 10] die mit dem Pfarramt zu Glaucha verbundene
Professur der orientalischen
Sprachen an, die er 1698 mit einer theologischen Professur vertauschte. 1715 wurde er Oberpfarrer
der Ulrichskirche und starb nach längerm Siechtum Franckes
bleibende Bedeutung beruht in der
von ihm ausgegangenen mächtigen religiösen Anregung und dem damit eng verbundenen Einfluß auf das
Erziehungs- und Unterrichtswesen
seiner Zeit, für das er in seinen berühmten
Franckeschen Stiftungen in
Halle vielbewunderte und nachgeahmte Vorbilder schuf
(s. unten).
Hinsichtlich seiner eigentlich kirchlichen Wirksamkeit s.
Pietismus. Dieselbe ist durch seine geschichtliche
Stellung als
Schüler
Speners und
Lehrer des
Grafen
Zinzendorf bezeichnet. Die von ihm gepflegte ostindische Missionsanstalt (gegründet
1705) sowie die vom
Freiherrn v.
Canstein (s. d.) 1710 gestiftete Hallesche
Bibelanstalt deuten ihre besondere
Richtung an. Franckes
pädagogisches
Interesse erhielt nach verschiedenen
Versuchen, der bei seiner Umgebung herrschenden Unwissenheit
in göttlichen und weltlichen
Dingen zu steuern, 1695 Anstoß zur erfolgreichen Bethätigung durch ein in seine Hausbüchse
gelegtes
Geschenk von 7
Gulden. Er gründete eine
Armenschule, an der
Studenten unterrichteten.
Noch in demselben Jahr folgte die
Gründung des
Pädagogiums, der
Bürgerschule, der lateinischen
Schule und
des mit einem akademischen Freitisch verbundenen Seminarium praeceptorum, das die
Lehrer für alle diese Anstalten vorbildete. 1698 hatten
die
Schulen bereits 56
Lehrer und 409
Schüler, das
Seminar 72 Zöglinge. Mit den
Schulen war ein Waisenhaus verbunden, das nach
und nach der
Mittelpunkt aller verschiedenen Anstalten wurde. Für das
Pädagogium und die lateinische
Schule gründete Francke
1707 noch ein besonderes Seminarium selectum praeceptorum. Zur Unterbringung der Anstalten
entstand nach und nach eine ganze
Gruppe von Gebäuden, die bei dem
Tode des
Stifters gegen 2200
Schülern
Unterricht und mehr
als 200 auch Unterkunft gewährten. Franckes
Hauptabsicht
¶
mehr
war auf die Erziehung zur Gottseligkeit gerichtet, die von ihm tief und warm, aber in dem namentlich in erziehlicher Hinsicht nicht unbedenklichen Sinn des Pietismus aufgefaßt ward. Daneben hatte er offenen Blick für die Bedürfnisse des praktischen Lebens. Comenius' Anregungen folgend, gab er den Realfächern, namentlich der Naturkunde und dem Deutschen, breitern Raum. Mit Locke betonte er Zeichnen, körperliche Übungen und sinnige Rekreationen durch Handarbeiten (Drechseln, Glasschleifen etc.). Überhaupt zeigte er Verständnis auch für andre Richtungen und andre Bestrebungen zum Wohl der Jugend.
Die Mittel für seine großartigen Werke flossen dem gottvertrauenden Mann von allen Seiten zu. Im Lauf der
Zeit half er mit einigen wohlberechneten geschäftlichen Unternehmen (Apotheke, Medikamentenexpedition, Buchhandlung) nach
und verschmähte auch nicht Gaben, die als Bezahlung der von den Waisenkindern bedungenen Fürbitten eingingen. Im ganzen kann
man trotz einzelner Schwächen die großartige, weit in sein Jahrhundert hinaus erkennbare Einwirkung Franckes
auf das Schul-
und Erziehungswesen nur als segensreich bezeichnen.
Eine große Anzahl von Pädagogen seiner Schule fand namentlich in Preußen
[* 12] bereitwillige Aufnahme und fruchtbaren Boden. Unter
diesen hat sich J. J. ^[Johann Julius] Hecker (s. d.) durch seine Thätigkeit auf den Gebieten der Volksschule, der Realschule,
des Seminars berühmt gemacht. Aus Franckes
zahlreichen Schriften ist noch heute namentlich lesenswert:
»Öffentliches Zeugnis vom Werk, Wort und Dienst Gottes« (Halle 1702) und besonders der darin enthaltene »Kurze, einfältige Unterricht,
wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind« (auch für sich herausgegeben, das. 1702 u.
öfter).
Vgl. »A. H. Franckes
pädagogische Schriften nebst der Darstellung seines Lebens und seiner Stiftungen«,
herausgegeben von Kramer (2. Aufl., Langensalza
[* 13] 1885);
Kramer, A. H. Francke
(Halle 1880-82, 2 Bde.);
Stein (Nietschmann), A. H. Francke
(2.
Aufl., das. 1886);
Frick, Das Seminarium praeceptorum (das. 1883);
Ritschl, Geschichte des Pietismus, Bd. 2 (Bonn [* 14] 1884).
Die Franckeschen Stiftungen sind das bleibendste Vermächtnis A. H. Franckes
und eine der ersten Zierden
der Stadt Halle. Reich fundiert durch bedeutenden Grundbesitz und Kapitalvermögen sowie unterstützt durch Schul- und Pensionsgelder,
Zuschüsse des Staats etc., umfassen dieselben: ein königliches evangelisches Pädagogium, 1695 gegründet, als Gymnasium Ostern 1873 eingegangen,
aber als Parallelanstalt der lateinischen Schule mit den Klassen IV bis I seit Ostern 1879 wieder eingerichtet,
eine lateinische evangelische Hauptschule, ein Realgymnasium, eine höhere Töchterschule mit (Privat-) Lehrerinnenseminar,
eine Vorschule für die höhern Lehranstalten, eine Bürgerknabenschule, eine Bürgermädchenschule und eine Armen- und Freischule.
Außer den genannten Schulen gehören zu den Stiftungen eine Waisen- und eine Pensionsanstalt (letztere für Schüler der
lateinischen Schule und des Realgymnasiums), die großartige Cansteinsche Bibelanstalt, eine Mission, eine sehr bedeutende Buchdruckerei,
eine große Buchhandlung mit bedeutendem Verlag, eine Apotheke etc. Sämtliche Schulen genießen eines weitgehenden Rufs und
wurden 1885 von 3051 Schülern und Schülerinnen besucht. Dem Direktorat der Stiftungen stehen besondere Rechte zu, es beruft
die Lehrer und stellt dieselben wie auch die übrigen Beamten an, verleiht Stipendien und Freistellen
der Schule, der Waisen- und Pensionsanstalt und hat
bei etwanigen Änderungen in Bezug auf die Organisation der Anstalt durch
die zuständige Behörde (königliches Provinzialschulkollegium in Magdeburg)
[* 15] das Recht der Mitwirkung. Die Gebäulichkeiten
bilden eine aus zwei Hauptstraßen bestehende, nach Süden von Gärten und großen freien Plätzen begrenzte
kleine Stadt. Das Wappen
[* 16] oder Wahrzeichen der Stiftungen sind zwei zur Sonne
[* 17] steigende Adler
[* 18] mit den Worten aus Jesaias 40, 31. Am wurde
das Erzbild Franckes
(modelliert von Rauch) enthüllt.
2) Wilhelm Franz Gottfried, bedeutender Lehrer und Schriftsteller auf dem Gebiet des römischen Rechts, geb. zu Lüneburg, studierte seit 1821 in Göttingen, [* 19] wurde 1824 daselbst Doktor der Rechte, 1825 Privatdozent, 1828 außerordentlicher Professor und Beisitzer des Spruchkollegiums. 1831 ging er als ordentlicher Professor und Oberappellationsgerichtsrat nach Jena, [* 20] von wo er 1844 nach Göttingen als Mühlenbruchs Nachfolger zurückkehrte. Er starb Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Zivilistische Abhandlungen« (Götting. 1826);
»Beiträge zur Erläuterung einzelner Rechtsmaterien« (das. 1828, Abt. 1);
»Das Recht der Noterben und Pflichtteilsberechtigten« (das. 1831);
»Exegetisch-dogmatischer Kommentar über den Pandektentitel de hereditatis petitione« (das. 1864).
3) Karl Philipp, Mitglied der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein, [* 21] geb. zu Schleswig, [* 22] studierte in Göttingen, Heidelberg [* 23] und Kiel die Rechte und arbeitete seit 1827 in der schleswig-holstein-lauenburgischen Kanzlei in Kopenhagen, [* 24] ward 1835 in das Generalzollkammer- und Kommerzkollegium daselbst versetzt und hatte 1835-48 die Oberleitung der Zoll- und Handelsangelegenheiten der Herzogtümer. Friedrich VII. wollte ihn 1848 zum Minister von Holstein und Lauenburg [* 25] ernennen, doch lehnte ab, da er in der Trennung Holsteins von Schleswig eine Verletzung der Rechte der Herzogtümer sah.
Als die Inkorporation des Herzogtums Schleswig ausgesprochen worden war, legte Francke
alle seine Ämter nieder und verließ
Kopenhagen, worauf ihn die provisorische Regierung der Herzogtümer zum Präsidenten der schleswigschen
Regierung ernannte. Als Abgeordneter eines schleswigschen Wahldistrikts in die deutsche Nationalversammlung gewählt, stand
er auf seiten der konstitutionellen und erbkaiserlichen Partei und wirkte als Bevollmächtigter der schleswig-holsteinischen
Regierung bei der Zentralgewalt (seit November 1848) für die energische Führung des zweiten dänischen
Feldzugs.
Nach Auflösung des Parlaments nach Schleswig zurückgekehrt, übernahm er dort im August 1849 das Finanzdepartement und dazu im Juni 1850 noch das der auswärtigen Angelegenheiten, bis die Unterwerfung des Landes unter die Bundesexekution seiner öffentlichen Wirksamkeit ein Ziel setzte. Von der dänischen Regierung proskribiert, mußte er sein Vaterland verlassen, erhielt aber schon im Oktober 1851 vom Herzog Ernst von Koburg-Gotha das Präsidium der Landesregierung in Koburg [* 26] übertragen und ward nach der Regelung der koburg-gothaischen Angelegenheiten als Geheimer Staatsrat Vorstand der Abteilung für Koburg. 1863 nahm er seine provisorische Entlassung, um in das im November 1863 von dem Herzog Friedrich von Augustenburg gebildete Ministerium einzutreten, und blieb von da an der Vertraute und treue Ratgeber des Herzogs Friedrich. Nach dem Scheitern der augustenburgischen Ansprüche hielt er sich, von dem Herzog Friedrich ¶
mehr
pensioniert, dem öffentlichen Leben fern. Im Herbst 1867 ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt, schloß er sich mit der Mehrheit der schleswig-holsteinischen Abgeordneten dem linken Zentrum an, worüber er mit dem Herzog Friedrich zerfiel. Er starb in Kiel.