Fortschrit
tspartei,
deutsche, nannte sich die Gruppe entschieden liberaler Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses, welche sich 1861 von der großen altliberalen (Vinckeschen) Fraktion loslöste und sich mit der Fraktion Jung-Litauen sowie mit der seit Waldecks Wahl (Dezember 1860) wieder auf dem politischen Kampfplatz erscheinenden demokratischen Partei verband. Auf einer Versammlung zu Berlin [* 3] stellte sie ihr Programm fest. In der deutschen Frage stimmte letzteres mit dem des Nationalvereins (s. d.) überein (Forderung einer starken Zentralgewalt in der Hand [* 4] Preußens [* 5] und einer gemeinsamen Volksvertretung).
Für
Preußen
[* 6] verlangte das
Programm der Fortschrit
tspartei zahlreiche weitgehende
Reformen und erklärte sich namentlich gegen die von der
Regierung durchgeführte Armeereorganisation. Die gegen die
Wünsche des
Volkes entschieden ablehnende
Haltung der
Regierung trieb
der Fortschrit
tspartei alle liberalen
Elemente zu, so daß sie bei den
Neuwahlen die Mehrheit im Abgeordnetenhaus
erhielt. Diese behauptete sie in allen
Sessionen bis 1866 und verharrte in unbedingter
Opposition gegen das
Ministerium
Bismarck,
auch gegen dessen auswärtige
Politik; die
Führer der
Partei waren Mitglieder des Sechsunddreißiger-Ausschusses.
Die
Krisis von 1866 brachte jedoch den schon seit 1864 vorhandenen Zwiespalt in der
Partei zum
Ausbruch.
Ein großer Teil der Fortschrit
tspartei trennte sich und begründete die
nationalliberale Partei. Der andre, unter
Führung von
Hoverbeck,
Virchow,
Waldeck,
[* 7] behielt den
Namen Fortschrit
tspartei. Die neue Fortschrittspartei
billigte zwar die
Annexionen, erklärte sich aber gegen die
Indemnität. Im konstituierenden
Reichstag des Norddeutschen
Bundes lehnte die Mehrheit der Fortschrit
tspartei die vorgelegte
Verfassung ab
und beantragte auch im preußischen
Landtag die
Ablehnung derselben.
Gegen die
Annahme der deutschen
Reichsverfassung 1871 opponierte sie aber nicht mehr; auch das
Kompromiß in der Militärfrage 1874 billigten
mehrere einflußreiche Mitglieder der
Partei, welche deshalb ausschieden. Im preußischen
Landtag stimmte die
Mehrheit der Fortschrit
tspartei für die
Kirchengesetze vom Mai 1873 sowie auch meistens für die
Reformen der
Verwaltung. Gleichwohl kam eine
Wiedervereinigung mit den
Nationalliberalen nicht zu stande, zumeist aus persönlichen
Gründen.
Unter dem
Rückschlag gegen die liberale
Richtung der
Gesetzgebung seit 1871 hatte die Fortschrit
tspartei besonders zu leiden, indem die
Zahl ihrer Mitglieder 1878 im
Reichstag auf 25, im
Landtag 1879 auf 38 sank; sie verlor namentlich
Ostpreußen
[* 8] fast gänzlich.
Die 1879 eingeführte neue
Zollpolitik, welche
den Zerfall der nationalliberalen
Partei zur
Folge hatte, die immer neu auftauchenden
Steuerprojekte des
Reichskanzlers, besonders das
Tabaksmonopol, endlich die staatssozialistischen
Pläne desselben gaben
der dagegen opponierenden
Partei einen neuen Aufschwung, so daß sie bei den Reichstagswahlen von 1881: 60
Mandate erlangte,
während sie sich bei den Landtagswahlen 1882 in ihrem
Besitz behauptete. Um ihrem
Widerstand gegen die Bismarcksche
Politik
mehr
Nachdruck zu geben, verschmolz sich die Fortschrit
tspartei im
Reichstag und Abgeordnetenhaus mit den ehemals
nationalliberalen
Sezessionisten zu der neuen
Deutschen Freisinnigen
Partei (s. d.), welche im wesentlichen die
Grundsätze und
Haltung der Fortschrittspartei
annahm. Da in
Bayern
[* 9] und
Hessen
[* 10] inzwischen die Fortschrittspartei
den nationalliberalen
Namen angenommen hatte, so existiert in
Deutschland
[* 11] der
Name Fortschrittspartei
offiziell nicht mehr. In andern
Ländern kommt der
Name Fortschrittspartei
oder Progressisten für
die entschieden liberale
Partei auch vor.