Titel
Forstwisse
nschaft,
die Gesamtheit der systematisch geordneten Kenntnisse, welche sich auf das
Forstwesen beziehen. Einen Teil jener Kenntnisse empfängt die Forstwisse
nschaft von andern
Wissenschaften,
und sie begründet ihre Schlußfolgerungen
durch diese Wissenszweige, welche man daher die forstlichen Grundwissenschaften nennt. Als solche sind anzusehen die
Naturwissenschaften:
Physik,
Chemie,
Mineralogie,
Geognosie,
Bodenkunde,
Meteorologie und Klimalehre, dann
Botanik und
Zoologie, ferner
Mathematik,
Volkswirtschaftslehre,
Staatswissenschaft.
Werden diese Wissenszweige in dem durch die forstlichen
Zwecke begrenzten
Umfang aufgefaßt, so pflegt man dies durch den Zusatz
»Forst«
[* 2] anzudeuten
(Forstbotanik,
Forstzoologie, Forstmathematik, Forstvermessung etc.). Die Forstwisse
nschaft ist
eine angewandte
Wissenschaft. Aus der Anwendung der Grundwissenschaften auf das Forstwesen ergeben sich
die forstlichen
Haupt- oder
Fachwissenschaften. Das noch nicht völlig durchgebildete
System derselben läßt sich folgendermaßen
gliedern:
I. Forstwirtschaftslehre.
1) Forstliche Produktionslehre: a) Waldbaulehre; b) Forstschutzlehre; c) Forstnutzungslehre.
2) Forstliche Betriebslehre: a) Waldwert- und Rentabilitätslehre; b) Forsteinrichtungslehre.
3) Forsthaushaltslehre (allgemeine Forstverwaltungslehre).
1) Forstpolitik.
2) Forstverwaltungsrecht.
III. Forstgeschichte.
IV. Forststatistik.
Nebenwissenschaften, die in keinem notwendigen Zusammenhang mit den forstlichen Fachwissenschaften stehen, aber von den Forstleuten in der Regel gekannt sein müssen, sind Rechtskunde und Baukunde.
Holywood - Holz

* 3
Holz. Die Geschichte der Forstwisse
nschaft geht kaum um 1½
Jahrhundert zurück. Solange das
Holz
[* 3] im Überfluß vorhanden war (s.
Forstwirtschaft),
fehlte es an jedem
Motiv, die Forstwirtschaftslehre systematisch zu gestalten und
wissenschaftlich zu
begründen. Auch dann, als seit dem 16. und 17. Jahrh. der traurige Zustand vieler
Forsten, die
Furcht vor Holzmangel zu einer
rationellern Gestaltung der Waldbenutzung mahnten, entwickelte sich nur ganz langsam eine wissenschaftliche Behandlung der
auf einer ziemlich rohen
Empirie beruhenden Forstwirtschaftslehre.
Die mit dem Wirtschaftsvollzug betrauten Jäger vermochten nichts weiter, als auf dem Weg der praktischen Beobachtung gewisse Regeln für die Wirtschaft abzuleiten, welche sie oft genug in unberechtigter Weise generalisierten und dadurch ihres ganzen Wertes beraubten. Auch als seit 1760 Forstschulen entstanden, richteten sie ihre Thätigkeit zunächst lediglich auf die Erlernung des praktischen, handwerksmäßigen Wirtschaftsvollzugs. Der erste Versuch, das gesamte forstliche Wissen zu sammeln und systematisch zu ordnen, ging von Nichtforstleuten, von kameralistisch gebildeten Polyhistoren aus, von denen unter den Verwaltungsbeamten v. Moser (»Grundsätze der Forstökonomie«, 1757),
Stahl (»Onomatologia forestalis«, 1772),
v.
Brocke (»Wahre
Gründe der physikalischen und experimentalischen allgemeinen Forstwisse
nschaft«, 1768-75),
unter den kameralistisch gebildeten Universitätslehrern, welche seit 1770 auf den meisten deutschen
Hochschulen Forstwisse
nschaft lehrten,
Suckow
(Professor an der Kameralhochschule zu
Lautern, Verfasser einer
»Ökonomischen
Botanik«, 1777),
Jung-Stilling (Verfasser
eines »Lehrbuches der Forstwisse
nschaft«, 1781),
Nau (Verfasser einer »Anleitung zur deutschen Forstwissenschaft«
, 1790),
Freiburg (in der Schwe

* 4
Freiburg. Walther (Verfasser mehrerer wertvoller forstbotanischer
Schriften und eines »Lehrbuches der Forstwissenschaft«
, 1795)
und Trunk in Freiburg
[* 4] (»Forstlehrbuch«, 1788) die bedeutendsten sind. Durch die
voraufgeführten
Arbeiten der
Kameralisten fand die Forstwirtschaftslehre die erste systematische Gestaltung; ihr wissenschaftlichen
Inhalt und eine exakte Begründung zu verleihen, waren diese gänzlich außerhalb der praktischen
Wirtschaft stehenden
Männer
unfähig. Zu dieser
Arbeit waren vielmehr die Berufsforstwirte bestimmt, aber vor 1790 wenig geeignet,
da ihnen eine tiefere wissenschaftliche
Bildung mangelte.
Zunächst schien es auch vor allem wichtig, in den praktischen Wirtschaftsbetrieb größere
Ordnung und Übersichtlichkeit
zu bringen. Eine
Reihe von
Systemen der
Forsteinrichtung entstand, und auch die mathematische Seite der Forstwissenschaft
machte rasche Fortschritte.
Auf diesem Gebiet haben Öttelt in
Thüringen (Verfasser einer ihrer Zeit bedeutenden
Schrift: »Beweis, daß die
Mathesis bei
dem Forstwesen unentbehrliche
Dienste
[* 5] thut«, 1765-68),
v. Wedell in
Schlesien,
[* 6]
Hennert in der
Mark
Brandenburg
[* 7] (Verfasser einer
»Anweisung zur
Taxation der
Forsten«, 1791) Bedeutendes geleistet. Es entstanden rasch eine
Reihe von
Forstschulen,
und seit 1795 gab
Bechstein auf seiner Privatforstschule zu
Waltershausen (später
Dreißigacker) dem
Studium der Forstwissenschaft
die schulgerechte
methodische Form und encyklopädische Vollständigkeit; aber es fehlte noch immer die volle Beteiligung der praktischen Forstwirte
an diesen Bestrebungen, es fehlte der Mann, der die Waldwirtschaft aus den
Bahnen des
Handwerks hinüberführte
zu rationeller Übung, der den Scholastizismus, in welchen die Forstwissenschaft
zu versinken drohte, überwand und
beide dem
Streben nach einem exakten
Ausbau der
Wissenschaft vom
Walde dienstbar machte.
Forstzeichen - Forsyth

* 8
Seite 6.455.Einen bedeutenden Schritt vorwärts wurde die junge in dieser Richtung durch G. L. Hartig und Cotta am Anfang des 19. Jahrh. geführt. Beide, praktisch begabt, naturwissenschaftlich und mathematisch gebildet, sind die Reformatoren der ¶
mehr
Forstwirtschaft und Forstwissenschaft
geworden. Aber die Gesamtverhältnisse jener Zeit, die geringe Entwickelung der Naturwissenschaften,
die geringe Bildung der meisten Forstbeamten versagten ihnen die Krönung des Werkes, dessen Fundament sie legten. Über die
Zusammenstellung schulgerechter Generalregeln, deren naturwissenschaftliche Begründung sie der Zukunft überlassen mußten,
sind beide nicht weit emporgestiegen. Ja, eine gewisse doktrinäre Schulrichtung (vollkommen geeignet
für die damaligen Praktiker), eine gewisse dogmatische Gebundenheit ist zur Signatur, namentlich der Hartigschen Epoche, geworden.
Gegen diese Regelgerechtigkeit und Gebundenheit trat Fr. Pfeil seit 1816 energisch auf. Autodidakt, mit scharfem und besonders
kritischem Verstand ausgestattet, ist er der Begründer einer Richtung in der Forstwissenschaft
geworden, welche die Berechtigung
der Schulregeln leugnet und alle wirtschaftlichen Maßregeln aus der freien Beurteilung der konkreten örtlichen Verhältnisse
herleitet. Gleichzeitig hat Pfeil zuerst die allgemein wirtschaftlichen Grundlagen der Forstwirtschaft klar erfaßt.
Der rasche Aufschwung, welchen seit 1820 die Naturwissenschaften nahmen, wirkte mächtig mit zu der Vertiefung der Forstwissenschaft.
Auf
dem forstbotanischen Gebiet hatten schon Walther und Burgsdorff vor Hartig und Cotta nicht Unbedeutendes geleistet, und Bechstein
in Dreißigacker (»Forstbotanik«, 5. Aufl. von Behlen, Erfurt
[* 9] 1842),
Borckhausen (»Handbuch der Forstbotanik und Forsttechnologie«, Gieß. 1800-1803),
Reum in Tharandt (»Forstbotanik«, 2. Aufl., Dresd. 1828) u. a. waren auf diesem Weg weiter vorgeschritten; Hundeshagen und Th. Hartig haben sodann auf diesem Gebiet mit Erfolg weiter gearbeitet. Die übrigen, dem Gebiet der Naturwissenschaften angehörigen forstlichen Grundwissenschaften fanden erst seit 1830 eine wahrhaft wissenschaftliche Bearbeitung, die Entomologie durch Th. Hartig und in hervorragender Weise durch Ratzeburg (»Forstinsekten«, Berl. 1839-44, 3 Bde.),
die Bodenkunde durch Hundeshagen, Senft (»Lehrbuch der Gebirgs- und Bodenkunde«, Jena [* 10] 1847, 2 Bde.),
K. Grebe.
Viel früher waren die mathematischen Grundlagen der Forstwissenschaft
zu einem gewissen Abschluß gekommen. Die Arbeiten von Späth in Altdorf
(»Handbuch der Forstwissenschaft«
, Nürnb.
1801-1805),
Däzel (»Über die zweckmäßigste Methode, große Waldungen auszumessen und zu berechnen«, Münch. 1799), die Methoden der Forsteinrichtung von G. L. Hartig und Cotta (die sogen. Fachwerksmethoden, s. Forsteinrichtung),
Gotenburg - Gotha

* 11
Gotha. von Paulsen und Hundeshagen
(Formelmethoden) sind hier besonders zu nennen. Die mathematische Forstwissenschaft
fand später in König (»Handbuch
der Forstmathematik«, 5. Aufl. von Grebe, Gotha
[* 11] 1864), Preßler, K. und G. Heyer namhafte Vertreter. So sehr zur Zeit
noch die Ansichten über die Ziele des forstwissenschaftlichen Strebens auseinander gehen, so viele Probleme noch zu lösen bleiben,
so verschieden die Wege sind, welche man geht, um ihre Lösung zu finden: darin sind alle einig, daß die Forstwissenschaft sich zu ihrem
fernern Aufbau der Methode des exakten Versuchs zu bedienen hat, und daß die in neuerer Zeit durchgeführte
Organisation des forstlichen Versuchswesens in Deutschland
[* 12] in erster Linie dazu berufen ist, der wissenschaftlichen Forschung
wichtiges Materia- ^[Druckfehler, richtig: Material] zu liefern.
Noch bleibt vieles zu thun: die Forststatistik harrt ihrer festen Gestaltung im Deutschen Reich;
die forstliche Statik, in neuerer Zeit von K. Heyer, Preßler in Tharandt, besonders aber von G. Heyer zum Gegenstand eingehender Studien gemacht, wird einst mit Hilfe reichen statistischen Materials zur Erhellung der volkswirtschaftlichen Grundlagen der Forstwirtschaft beitragen, und die von ihr auszubauende Theorie der forstlichen Reinertragslehre (einst in ihrer Bedeutung schon von Pfeil gewürdigt, von Hundeshagen in ihren Grundzügen aufgestellt, wenngleich ihr wissenschaftlicher Ausbau diesen Männern nicht gelang) wird einst wichtige Direktiven geben.
Die in neuerer Zeit mit Lehrkräften und Lehrmitteln reich ausgestatteten forstlichen Unterrichtsanstalten arbeiten, wenngleich auf verschiedenen Wegen (Forstakademie, Universität), an der Fortbildung und Vertiefung der Forstwissenschaft. Auch in der Wirtschaft ist ein reges wissenschaftliches Leben vielerorts eingekehrt, wozu Zeitschriften und zahlreiche Vereine reiche Anregung geben. Die Forstgeschichte, d. h. die geschichtliche Darstellung der Rechtsverhältnisse des Waldes (namentlich des Waldeigentums), der Waldwirtschaft, der und Forstpolitik, wurde besonders bearbeitet durch Bernhardt, Geschichte des Waldeigentums, der Waldwirtschaft und in Deutschland (Berl. 1872-75, 3 Bde.);
Roth, Geschichte des Forst- und Jagdwesens in Deutschland (das. 1879);
v. Berg, Geschichte der deutschen Wälder bis zum Schluß des Mittelalters (Dresd. 1871);
Fraas, Geschichte der Landbau- und Forstwissenschaft seit dem 16. Jahrhundert (Münch. 1865);
Deutschland. Fluß- und

* 13
Deutschlands.Schwappach, Grundriß der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands [* 13] (Berl. 1883), und dessen größeres »Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands« (das. 1885 ff.).
Vgl. Heß, Encyklopädie u. Methodologie der Forstwissenschaft (Nördling. 1885 ff.).