Folklore
(engl.), die in England übliche und von dort neuerdings auch in andre Sprachen übergegangene Bezeichnung für die im Volksmund kursierenden Sagen, Märchen, Sprichwörter, Legenden u. dgl., die seit neuerer Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden sind. Die eigentliche Heimat dieser Studien ist Deutschland, [* 3] wo J. Grimm mit seiner »Deutschen Mythologie«, seinen »Hausmärchen« und »Rechtsaltertümern« auf den Schatz uralter Vorstellungen und religiöser Mythen aufmerksam machte, der oft in dem unscheinbarsten Märchen oder Aberglauben des Volkes sich bis auf die Gegenwart erhalten hat. So ist z. B. der »wilde Jäger« der Volkssage niemand andres als Odin, und der Bogenschütze Tell, der Odysseus der griechischen, der Indra der indischen Sage gehören, wie sich herausgestellt hat, in die Kategorie der Sonnengötter. In Deutschland sind die Grimmschen Forschungen von A. Kuhn, Mannhardt, Schwartz u. a. fortgesetzt worden, und das vergleichende Studium der Sagen und Märchen der indogermanischen Völker hat ergeben, daß nicht wenige derselben bereits in die indogermanische Urzeit zurückreichen. In England haben diese Studien in den letzten Jahren ebenfalls rege Beteiligung gefunden und zur Gründung einer Folk-lore Society geführt, die seit mehreren Jahren wertvolle Publikationen veranstaltet.
Daneben besteht in der
Kapstadt
[* 4] seit 1879 eine
South African Folk-lore Society, die schon mehrere
Bände
interessanter
Märchen und
Fabeln der
Kaffern und
Hottentoten veröffentlichte, und in
Indien hat eine englische
Dame,
Miß
Stokes,
eine
Reihe indischer
Märchen aus dem
Mund indischer Ajahs (Kinderwärterinnen) gesammelt und übersetzt. Auch in
Frankreich
sind in neuester Zeit
Publikationen aus diesem Gebiet zu verzeichnen, und die
Pariser Folkloristen, d. h.
die
Pfleger und
Freunde der Folklore
studien, versammeln sich alljährlich zu einem
Dîner de la mère l'Oye. In
Spanien
[* 5] gibt
die
Gesellschaft des Folklore
andaluz in
Sevilla
[* 6] eine eigne
Zeitschrift heraus; nicht minder erscheint in
Italien
[* 7]
(Palermo)
[* 8] seit kurzem
ein »Archivio per lo studio delle tradizioni popolari« unter
der Redaktion von G.
Pitré und S. Salvatore-Marino. In diesem Zusammenhang verdienen endlich auch die syrischen
Märchen Erwähnung,
die zwei deutsche
Gelehrte, Prym und Socin, in
Damaskus aus dem Volksmund gesammelt und mit deutscher Übersetzung herausgegeben
haben.