Fliegen
,
[* 2] die
Ortsbewegung
[* 3] von
Tieren in der
Luft. Das Fliegen
ist an eine besondere
Organisation des Tierkörpers geknüpft
und kommt hauptsächlich den
Insekten
[* 4] und
Vögeln zu; doch auch einige
Säugetiere sowie der fliegende
Fisch
vermögen sich in der
Luft zu bewegen, und der
Mensch hat sich unzählige
Male mit der Aufgabe beschäftigt, mittels künstlicher
Flügel die
Luft zu durchschiffen. Die eben erwähnte besondere
Organisation des Tierkörpers ist ganz allgemein so
beschaffen, daß ausgedehnte Oberflächen in Gestalt von
Flügeln die durch geringe
Dichtigkeit, große Beweglichkeit und verhältnismäßig
geringe
Schwere ausgezeichnete atmosphärische
Luft mit
Schnelligkeit und
Kraft
[* 5] zusammendrücken, und daß der
Widerstand, der
sich bei dieser
Arbeit den
Flügeln entgegenstellt, als
Stützpunkt für die
Bewegung dient.
Hierbei wirken diese Oberflächen ganz allgemein als einarmige Hebel, [* 6] und dieser Umstand ist deshalb von hervorragender Bedeutung, weil schon eine geringe Bewegung an dem am Tierkörper befestigten einen Ende des Hebels (Grund des Flügels) einen sehr bedeutenden Ausschlag des andern Endes (Flügelspitze) bewirkt. Bei den Insekten ist das Flugvermögen am großartigsten entwickelt. Die Muskeln [* 7] dieser Tiere besitzen eine Leistungsfähigkeit, welche in der ganzen Tierwelt unerreichbar dasteht; in einer einzigen Sekunde vermögen sie sich viele hundert Male zu kontrahieren.
Durch diese außerordentliche Muskelthätigkeit wird es bewirkt, daß der im übrigen mit einer bedeutenden spezifischen
Schwere begabte Insektenkörper mit unglaublicher
Geschwindigkeit dahinschießen kann. Jeder
Reiter weiß, daß Fliegen
das schnellfüßigste
Pferd
[* 8] überholen; während der Eisenbahnfahrt kann man beobachten, wie
Insekten den in vollster
Bewegung
befindlichen Zug
verfolgen und in die
Eisenbahnwagen fliegen.
Durch die schnelle Flügelbewegung der
Insekten wird vielfach ein
deutlich wahrnehmbarer
Ton erzeugt, der um so höher liegt, je größer die Zahl der Flügelschläge ist.
Aus der Höhe des Tons läßt sich daher die Zahl der Flügelschwingungen berechnen, und man hat auf diesem Weg ermittelt, daß die Brummfliege 350, die Biene [* 9] aber 440 Flügelschläge in einer einzigen Sekunde auszuführen vermag. Nach Marey vermag man auch auf graphischem Weg die Zahl der Flügelschläge direkt zu bestimmen. Eine mit einem berußten Papiermantel versehene kleine Metalltrommel dreht sich mit gleichmäßiger und genau bekannter Geschwindigkeit um ihre Achse.
Das Insekt, welches auf die Zahl seiner Flügelschläge untersucht werden soll, wird derartig gehalten, daß die Flügelspitzen bei ihrer Bewegung das berußte Papier ganz leicht streifen. Jeder Flügelschlag erzeugt so einen hellen Punkt auf dunklem Grund, und aus der Zahl dieser Punkte läßt sich dann sehr leicht die Zahl der Flügelschläge bestimmen. Marey fand auf diesem Weg, daß die Fliege 240-321 Flügelschläge in der Sekunde ausführt, je nachdem die Flügelspitze das Papier stärker oder schwächer berührt und er glaubt, daß die letztgenannte Zahl annähernd der in der Freiheit ausgeführten Bewegung entspricht. Für andre Insekten wurden folgende Werte ermittelt: Hummel 240, Biene 190, Wespe 110, Libelle 28, Kohlweißling 9 Flügelschläge in der Sekunde.
Bei den
Vögeln wird das Fliegen
durch den
Bau des Knochengerüstes und die außerordentliche
Entwickelung der Brustmuskeln ungemein
begünstigt. Hinsichtlich des erstern
Punktes sei darauf hingewiesen, daß die
Schulter nicht allein durch
die sehr stark entwickelten
Schlüsselbeine, sondern auch durch die Gabelbeine eine feste
Verbindung mit dem
Rumpf erhält.
Früher hat man auch den Lufträumen in den
Knochen
[* 10] der
Vögel
[* 11] einen bedeutenden Einfluß auf das Fliegen
zugeschrieben, und man
hat sich gedacht, die mit den
Lungen in
Verbindung stehende wärmere
Luft dieser
Räume wirke nach Art der
Montgolfieren.
Thatsächlich ist indessen der
Inhalt der Lufträume so gering und der durch die Erwärmung der
Luft bedingte Gewichtsunterschied
so winzig, daß von einer derartigen Einwirkung gar nicht ernstlich geredet werden kann.
Marey ist es
gelungen, mit
Hilfe eines photographischen Revolverapparats ähnlich demjenigen, welchen Muybridge zum
Studium der
Gangarten des Pferdes
benutzte, fliegende
Vögel zu photographieren.
Exakte
Aufnahmen dieser Art werden eine
Analyse der Flugbewegungen ermöglichen,
wie sie bisher mit
Hilfe von andern
Methoden nicht zu erzielen war.
Unter den
Säugetieren besitzen die
Fledermäuse eine ziemlich vollkommene Einrichtung zum
Flug.
Andre
Tiere,
z. B. das fliegende
Eichhörnchen, sind zwar mit
Flughäuten ausgestattet, vermögen diese aber nur nach Art eines
Fallschirms
zu benutzen. Der fliegende
Fisch (s. d.) ist befähigt, sich mit
Hilfe seiner stark entwickelten Brustflossen, welche hierbei
schräg zum
Horizont
[* 12] gestellte
Ebenen, die nach Art des Papierdrachen wirken, darstellen, einige Zeit über
dem
Wasser zu halten, nachdem der
Körper zunächst mit großer
Kraft aus dem
Wasser emporgeschnellt worden ist.
Vgl. Borelli, De motu animalium (Rom [* 13] 1680);
Pettigrew, Die Ortsbewegung der Tiere (deutsch, Leipz. 1875);
Marey, La machine animale (Par. 1878);
Straßer, Über den Flug der Vögel (Jena [* 14] 1885);
Müllenhoff, Ortsbewegungen der Tiere (Berl. 1885);
Derselbe, Die Größe der Flugflächen und die Größe der Flugarbeit (»Zeitschrift des Deutschen Vereins für Luftschiffahrt« [* 15] 1885).