Titel
Finnen
,
ein
Zweig der mongolischen
Rasse und zwar zum uralaltaischen Volksstamm derselben gehörig, welcher vor dem
Einrücken der indoeuropäischen
Völker den
Norden
[* 2] und Nordosten
Europas innehatte, wo er zum Teil noch jetzt wohnt. Seine
geographische Ausbreitung war vorzeiten eine weit bedeutendere, wenngleich keinerlei
Beweise dafür vorhanden sind, daß er
sich jemals, wie tendenziös der
Franzose de
Quatrefages will, über ganz
Deutschland
[* 3] erstreckt hätte. Zu welchen
Zeiten
die Finnen
von ihren Verwandten in
Asien
[* 4]
(Samojeden,
Ostjaken, Sojoten etc.) sich losgerissen haben und in Nordeuropa eingewandert
sind, ist schwer zu bestimmen.
Jedoch muß dieses geraume Zeit vor Beginn unsrer Zeitrechnung geschehen sein, da Ptolemäos und Tacitus sie unter dem Namen Fenni und Phinni ungefähr in ihren heutigen Wohnsitzen gekannt haben. Man teilt den finnischen Stamm in folgende vier Familien:
1) die ugrische (ugrische Ostjaken, Wogulen, Magyaren);
2) die wolga-bulgarische (Tscheremissen und Mordwinen; auch die Tschuwaschen der Abstammung nach, deren Sprache [* 5] und Sitten aber tatarisch sind);
3) die permische
(Permier,
Syrjänen und
Wotjaken; 4) die finnische im engern
Sinn (europäische Finnen
,
Esthen,
Liven, die 1846 in
Kurland
[* 6] erloschenen Krewinen, die
Lappen und wahrscheinlich auch der Abstammung nach die
Meschtscherjäken
und
Teptjären). Die meisten der hierher gehörigen
Völker, ursprünglich sämtlich
Nomaden oder
Jäger und
Fischer, sind schon
seit grauer Vorzeit durch den Einfluß zivilisierter
Völker über den Naturzustand hinausgekommen und
haben sich als
Viehzüchter und
Ackerbauer an ein ansässiges
Leben gewöhnt. Nur die
Ostjaken und
Lappen sind durch die
Natur
des von ihnen bewohnten
Landes gezwungen, das Renntiernomadenleben fortzuführen und sich nebenbei vom Fischfang zu ernähren.
Ein
¶
mehr
Vorzug dieses Stammes vor seinen Verwandten ist es, daß einzelne Völker desselben das Christentum und mit ihm auch die Zivilisation des Abendlandes angenommen haben. Zwei von den hierher gehörigen Völkern sind auch in der Geschichte handelnd aufgetreten, und es ist ihnen dabei gelungen, selbständige Staaten zu bilden: die Magyaren und Bulgaren. Jedoch hat man unter den Bulgaren, wie sie in der Geschichte des Mittelalters auftreten, nicht allein finnische oder tschudische Völker zu verstehen, sondern auch manche tatarische Stämme.
Während aber die Bulgaren ihre Sprache und Nationalität eingebüßt und diejenige ihrer Unterworfenen, der südlichen Slawen,
angenommen haben, ist es den Magyaren gelungen, beide zu behaupten. Die Finnen
haben so lange mit andern Rassen
in Berührung gelebt, daß auch sie oft einen sehr gemischten Charakter zeigen. Während der Völkerwanderung vermischten sich
türkische Völker mit ihnen sowohl an der Ost- als an der Westseite des Urals; andre Finnen
, schon früher in Europa
[* 8] wohnhaft,
erfuhren germanische und slawische Einwirkung; endlich beteiligten sich an dieser Vermischung noch nordsibirische Völker.
Von Körper sind die Finnen
meist stark;
die Statur ist aber klein, ihr Kopf fast rund, die Stirn wenig entwickelt, niedrig und gebogen, das Gesicht [* 9] platt;
die Backenknochen sind vorstehend, wie bei den übrigen Mongolen, die Augen meist grau und schräg gestellt, so daß der äußere Winkel [* 10] hinaufgeht;
die Nase [* 11] ist kurz und flach, der Mund hervortretend;
die Lippen sind dick, der Nacken ist sehr stark, so daß der Hinterkopf flach erscheint und fast eine gerade Linie mit dem Genick bildet;
der Bart ist schwach und zerstreut, das Haar [* 12] ist aber nicht bloß schwarz, sondern auch braun, rot und blond, die Gesichtsfarbe bräunlich.
Mit Ehrlichkeit und Gastfreiheit, Treue und Beharrlichkeit nebst einem empfindlichen Sinn für persönliche Freiheit und Unabhängigkeit verbinden sie Starrsinn, Rachsucht und Unbarmherzigkeit.
Bei aller geographischen Verschiedenheit der Wohnsitze dieser Völker finnischen Stammes und ungeachtet der vielen wesentlichen Abweichungen in den Sprachen derselben tragen doch alle zur finnisch-ugrischen Gruppe gehörigen Idiome einen gemeinsamen Grundcharakter. Alle zeichnen sich rücksichtlich der Laute durch eine gewisse Weichheit aus, welche die Häufung von Konsonanten vermeidet, sowie durch ihren Reichtum an Mitteltönen und Diphthongen. Eine besondere Eigentümlichkeit derselben ist ferner die Einteilung der Vokale in zwei Klassen, weiche und harte, und die darauf gegründete sogen. Vokalharmonie.
Der Vokal der Stammsilbe eines Wortes übt nämlich auf die Vokale der Nebensilben desselben insofern Einfluß aus, als die letztern der Klasse des erstern angehören müssen. In allen finnischen Sprachen fehlt beim Substantivum der Artikel (nur in der magyarischen Sprache kommt ein unverkennbar aus dem Demonstrativum entstandener vor) sowie die grammatische Unterscheidung des Genus. Der Numerus des Substantivums ist zweifach, Singular und Plural (der letztere wird fast in allen diesen Sprachen durch die Endung t [k] bezeichnet); ein Dualis kommt nur im Lappischen vor und zwar beim Pronomen und Verbum.
Die Zahl der Kasus steigt in manchen finnischen Sprachen bis auf 14, wodurch die Deklination eine große Mannigfaltigkeit erhält. Doch bezeichnen die meisten dieser sogen. Kasus nichts als Präpositionalverhältnisse, wofür andre Sprachen sich eben der Präposition selbst bedienen, die hier meistenteils nur als Suffixum dem Hauptwort angehängt wird und mit demselben in ein Wort verschmilzt. Dieselbe Deklination wie das Substantivum hat auch das Adjektivum; nur wenn es mit einem Hauptwort verbunden ist, wird es in den meisten finnischen Sprachen nicht flektiert.
Die zueignenden Fürwörter werden ihrem Substantivum als Suffixe angehängt, und daneben kommt häufig noch der Genitiv des persönlichen Pronomens vor. Bei der Konjugation des Verbums werden drei Personen in zwei Zahlen unterschieden, deren Entstehung aus dem persönlichen Pronomen unverkennbar ist. Das Verbum ist reicher in der Bildung der Modus- als Tempusformen und entbehrt namentlich fast durchgängig einer besondern Form für das Futurum, wogegen besondere Formen für das Passivum, Medium, Kausativum u. andre Modifikationen des Verbalbegriffs, selbst für das Negativum (mit Ausnahme des Magyarischen), vorhanden sind.
Finnen
im engern Sinn oder Tschuden sind die am nördlichen und östlichen Gestade des Baltischen Meers verbreiteten Stämme. Sich
selbst nennen sie Suomalaiset, ihr Land Suomi, was nach einigen als Sumpfvolk und Sumpfland zu deuten
ist; den europäischen Namen Finnen
haben sie von den deutschen Nachbarn erhalten, und dieser hängt mit Fenn (Torfmoor) zusammen.
Diese baltischen Finnen
haben sich vielfach mit Germanen und Slawen vermischt und von ihnen eine Anzahl Wörter für Kulturwerkzeuge
und mit den Wörtern auch die Gegenstände selbst entlehnt.
Daraus läßt sich (nach Ahlquist) ein Bild von ihren Zuständen vor Empfang jener Hilfsmittel entwerfen. Als Haustiere züchteten sie nur den Hund, das Roß und das Rind; [* 13] von Getreidearten bauten sie nur Gerste. [* 14] Im Sommer lebten sie in Lederzelten, im Winter in halb unterirdischen Jurten, wie alle Polarvölker der Alten Welt. Demnach können die heutigen Ostjaken und Wogulen uns noch jetzt ein Gemälde liefern, wie die Zustände ihrer westlichen Geschwister, der baltischen in der Vorzeit beschaffen waren.
Wohnsitze und Anzahl der Finnen
im engern Sinn und der zu ihnen gehörigen Karelier, Tschuden und Liven sowie
der Esthen und Quänen s. in diesen Artikeln und im Art. »Rußland«. Die baltischen Finnen
schildert
Hjelt als rechtschaffen, treu, beharrlich, gastfrei, genügsam, sehr empfindlich für persönliche Freiheit und Unabhängigkeit,
dabei aber auch als eigensinnig, langsam, träge, unbesorgt und rachsüchtig. Mit dem Fremden wird der Finne, so gastfreundlich
er ihn aufnimmt, nicht leicht vertraut; auch ist er ein Feind aller Neuerungen, und jemand durch Schmeichelei
für sich zu gewinnen, wie es die russischen Bauern zu thun pflegen, ist dem Finnen
zuwider. Im Zustand der Gereiztheit ist er
auffahrend und rachsüchtig.
Der Bauer ist arbeitsam und begnügt sich mit schlechter Kost. Die Sitten sind noch ziemlich rein, namentlich
ist Achtung vor fremdem Eigentum ein Hauptzug in dem finnischen Nationalcharakter. Als Schattenseiten desselben sind Trunksucht
und Trägheit zu bezeichnen. An mechanischen Geschicklichkeiten fehlt es den Finnen
nicht. Den Nordfinnen wirft man
Schlauheit vor, und sie waren früher von den Südfinnen
als große Hexenmeister (im Mittelalter war der
Name Finne gleichbedeutend mit Zauberer) betrachtet und gefürchtet. Die Wohnungen der Finnen
, »Pörten« (pirtti) genannt, boten
sonst einen abschreckenden Anblick dar; jetzt findet man in den meisten Gegenden bessere Wohnungen mit reinlichen Zimmern. Das
Baden
[* 15] ist eine Nationalsitte der und fast jeder Bauer hat neben seinem Haus eine besondere Badestube. Tracht
und Sitten haben manches Besondere und Altnationale, z. B. die Hochzeitsgebräuche. Die christlichen
Feste werden zum Teil
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mit großem Jubel und lustigen Spielen und Aufzügen gefeiert, Weihnachten besonders mit Wohlleben. Allerheiligen ist zugleich
das Erntefest, welches mit lustigen Liedern und abergläubischen Zeremonien begangen wird. Die Finnen
besitzen eine reiche und
schöne alte Volkspoesie (s. Finnische Sprache und Litteratur), wie denn das Volk, besonders im Innern von Finnland,
noch heute viel Neigung zur Naturdichtung zeigt. Die finnischen Bauern führen zum Teil Familiennamen, zum Teil hängen sie,
wie die schwedischen Bauern, dem Vornamen das Wort poika (»Sohn«) an (z. B. Juhanpoika);
auch nennen sie sich nach dem Namen des Hofes, den sie gerade bewohnen. Die eigentlichen Finnen bekennen sich zur
lutherischen Konfession, eine verhältnismäßig sehr geringe Zahl ist für die griechisch-russische Lehre
[* 17] gewonnen (vgl. Finnland).
Sie leben von Ackerbau, Viehzucht,
[* 18] Fischerei
[* 19] etc.