Titel
Figur
(lat.), in der Geometrie allgemeine Bezeichnung für jedes beliebige Raumgebilde. -
In der
Grammatik,
Rhetorik und
Poetik versteht man unter Figur
(Redefigur) im allgemeinen jede zur Erreichung eines bestimmten grammatischen
oder rhetorischen
Zweckes geschehende
Abweichung von der gewöhnlichen Ausdrucksweise. Man unterscheidet
demgemäß
1) grammatische Figuren, welche entstehen, indem man einzelne Buchstaben oder Silben am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Wortes hinzufügt, wegläßt oder verändert (Epenthesis, Aphäresis, Apokope, Diäresis etc.), oder indem man in Bezug auf Gebrauch und Stellung der einzelnen Redeteile von der gewöhnlichen Ausdrucksform abweicht (Enallage, Anastrophe, Hysteron-Proteron, Parenthesis etc.), und
2) rhetorische (ästhetische)
Figuren, welche mit den
Tropen (bildlichen
Ausdrücken) verwandt sind, insofern beide den
Zweck
haben, der
Rede weniger logische Deutlichkeit und
Klarheit als vielmehr
Anmut und
Nachdruck zu verleihen und dadurch das
Gefühl
des Hörers zu wecken und zu beleben. Aber während die
Trope ein mit ihrer ursprünglichen Bedeutung
auf eine andre
Sache übertragener
Ausdruck ist, beruht die rhetorische Figur
auf einer kunstmäßig geänderten Form des
Ausdrucks,
die von der gewöhnlichen und sich zunächst darbietenden Redeweise abweicht, indem
sie den
Gedanken durch bestimmte
Formen
der
Stellung und Wendung der
Wörter lebendiger und eindringlicher macht. Die
Trope ist somit sachlich,
die Figur
nur sprachlich, jene poetisch im engern
Sinn, diese mehr rhetorisch.
Man teilt die rhetorischen
Figuren ein in Wortfiguren
, welche nur von der herkömmlichen Form des
Ausdrucks abweichen, ohne
den
Sinn zu verändern, und Sinnfiguren
, welche nicht bloß die herkömmliche Form des
Ausdrucks, sondern
auch den
Sinn verändern. Erstere entstehen 1) dadurch, daß ein oder mehrere
Wörter in gewissen Satzteilen wiederholt, oder
daß verwandte und selbst verschiedene
Begriffe aneinander gereiht werden, wie z. B. bei
Palillogie,
Epanalepsis,
Anaphora,
Epiphora,
Symploke,
Epanastrophe,
Epanodos,
Polyptoton,
Ploke,
Pleonasmus,
Gradation;
2) dadurch, daß Wörter weggelassen werden, um entweder unverbundene Begriffe in ihrer Besonderheit desto stärker hervortreten zu lassen, wie beim Asyndeton, oder die lästige Wiederholung eines oder mehrerer Wörter zu vermeiden, wie beim Zeugma;
3) dadurch, daß
Wörter von gleicher oder ähnlicher oder entgegengesetzter Bedeutung kunstgemäß einander gegenübergestellt
werden, wobei zuweilen Klanggebilde und
Wortspiele vorkommen, wie bei
Paronomasie, Antanaklase und
Diaphora,
oder daß ganze Satzglieder von gleichem
Klang oder ähnlicher
Formation miteinander korrespondieren, wie bei
Isokolon,
Parisosis,
Homöoptoton,
Antithese etc. Die Sinnfiguren
dienen vorzugsweise dazu, um das
Interesse auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken
und die
Affekte zu erregen, wie bei
Mimesis,
Frage,
Dialektikon, Hypopra,
Prolepsis,
Epitrope,
Apologismus,
Apostrophe,
Metastase,
Paralipse, Aposiopese etc.
Vgl. Ernesti, Lexicon technologicum graecae et latinae rhetoricae (Leipz. 1795-97, 2 Bde.).
Logische oder syllogistische Figuren nennt man die verschiedenen Gestalten, welche der Schluß durch die verschiedene Stellung des Mittelbegriffs annimmt; s. Schluß.