Fichte
,
[* 3] Name derjenigen Nadelhölzer [* 4] (s. d.), die der Gattung Picea Lk. angehören. Es sind im ganzen 12 Arten bekannt. Die Blüten sind einhäusig, die männlichen Kätzchen stehen an den vorjährigen Zweigen in den Blattachsen und haben zahlreiche mit Längsspalt sich öffnende Antheren, die weiblichen stehen am Ende der Zweige, die Zapfen [* 5] hängen nach abwärts und fallen nach der Reife ab, wobei die Schuppen sich nicht von der Achse ablösen. Der stets geflügelte Samen [* 6] fällt, reif geworden, aus dem sich öffnenden Zapfen heraus.
Linné zählt die Fichte
zur großen Gattung
Pinus; spätere
Botaniker gebrauchen für die Fichte
auch den
Gattungsnamen
Abies. Die gemeine
Fichte
(Picea vulgaris
Lk.,
Pinus excelsa DC.,
Pinus abies L.,
Pinus Picea du Roi) ist die einzige europ. Art der Gattung Picea.
Den
Namen Fichte
gebraucht man in Norddeutschland, in Süddeutschland heißt der
Baum Rottanne oder kurz
Tanne;
[* 7] den
Ausdruck Fichte
kennt man dort nicht oder man bezeichnet sogar die gemeine
Kiefer (s. d.) damit. Auch die
Namen
Schwarz- und
Pechtanne kommen hier und da vor.
Bei normalem Wachstum wird die Fichte
ein
Baum erster
Größe mit schnurgeradem, 30-50 m hohem, nach oben stark
abfälligem
Stamm, pyramidal-kegelförmiger
Krone und sehr flacher Bewurzelung. Rinde anfänglich glatt, hell rotbraun, später
rot- oder graubraun bis grau, dünnschuppig abblätternd. Die in Quirle gestellten
Äste stehen in der Mitte der
Krone fast
rechtwinklig, die untern abwärts geneigt. Die
Nadeln
[* 8] 12-17
mm lang und 1
mm breit, am
Grunde kurz stielartig
verschmälert, stumpf-vierkantig und spitz, glänzend grün, auf einem kleinen, erhabenen Polster stehend, in dichte
Spiralen
gestellt, an den Zweigen nach allen
Richtungen oder nach oben gerichtet abstehend, am Wipfel fest angedrückt, bleiben bis
zum siebenten Jahre lebendig.
Die jungen
Triebe entwickeln sich meist Anfang bis Mitte Mai. Zu derselben Zeit blüht auch die Fichte
, doch
selbst in freier
Stellung selten vor dem 50. Jahre, im
Schlusse erst mit dem 60. bis 80. Jahre. Früheres Blühen ist eine
krankhafte, durch ungünstige
Standorts- oder Witterungsverhältnisse bedingte Erscheinung. Die männlichen
Blüten sind langgestielt,
20-27
mm lang, vor dem Verstäuben kugelig oder eiförmig, ganz hochrot, nach dem Verstäuben durch den
vorgequollenen Pollen
gelb, in reichen Samenjahren (s. d.) oft über die ganze
Krone verbreitet, einzeln zwischen den
Nadeln
stehend.
Die weiblichen Blüten sitzen aufrecht an den Spitzen der vorjährigen Triebe im obern Teile der Krone, sind 30-40 mm lang, walzig, karminrot. Während der Ausbildung des weiblichen Blütenstandes zum Zapfen wendet sich derselbe nach unten, so daß der junge Zapfen schon zu der Zeit, wo er noch grün aussieht, hängend geworden ist. Der reife Zapfen ist 10-16 cm lang, 20-25 mm stark, walzig-spindelförmig, braun. Das Ausfliegen des Samens erfolgt allmählich vom Herbst bis gegen Ausgang des Winters. Der entleerte Zapfen fällt im Laufe des nächsten Jahres ab. Man rechnet in Mittel- und Norddeutschland alle 6-8 Jahre auf ein reichliches Samenjahr, in Süddeutschland häufiger. Der Samen hält sich 3-5 Jahre keimfähig. Im Frühjahr gesät, läuft der Samen nach 4-5 Wochen auf und entwickelt eine Keimpflanze mit sieben bis neun quirlständigen, linealen, feingesägten, hellgrünen ¶
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766 Samenlappen. Im ersten Jahre bildet sich eine ziemlich lange, tiefgehende Hauptwurzel mit vielen Nebenwurzeln. Erstere
bleibt später zurück, letztere werden vorherrschend und verlaufen horizontal. Daher die für die Fichte
charakteristische
tellerförmige Bewurzelung, die ihr gestattet, auf sehr flachgründigem Boden zu gedeihen, aber auch den Übelstand hat, daß
sie vom Sturme leicht geworfen wird.
Die Abbildung auf Tafel Nadelhölzer: Waldbäume VII,
[* 9]
Fig. 1 zeigt die gemeine Fichte
als Baum, außerdem 1 Zweig mit männlichen
Blütenkätzchen, 2 männliches Kätzchen, 3 Triebspitze mit weiblichen Blütenzapfen, 4 aufgesprungenes Staubgefäß, 5 reifen
Zapfen, 6 Zapfenschuppe von außen mit der sehr kleinen Deckschuppe am Grunde, 7 Zapfenschuppe von innen
mit aufliegendem Samenpaar, 8 Samen mit und ohne Flügel und Flügel allein, 9 Spitze einer Nadel und Querschnitt derselben, 10 Keimpflanze
mit noch aufsitzender Samenschale, 11 Galle der Fichte
n-Rindenlaus, Chermes abietis L. (1, 5 und 11 sind verkleinert.)
Die Fichte
ist im größten Teile Europas heimisch, mit Ausnahme der südl. und nördlichsten Gebiete;
sie erstreckt sich von den Pyrenäen bis Ostsibirien und von den nordital. Alpen
[* 10] bis Lappland. Sie ist ein geselliger, waldbildender
Baum. Obwohl sie auch in den Ebenen Polens, Litauens, Ostpreußens u. s. w. teils rein, teils gemischt mit andern Holzarten
umfangreiche Wälder bildet, scheint ihr doch das Gebirgsklima besonders zuzusagen. Als ursprünglicher
Baum kommt sie in einem großen Teile Norddeutschlands und im nordwestl.
Deutschland
[* 11] nicht vor, ebenso nicht in den Niederlanden, man findet sie hier nur durch die Kultur eingeführt. Dagegen bedeckt
sie die höhern Teile vieler Gebirge (z. B. Harz, Thüringer Wald, Erz- und Riesengebirge, Böhmerwald) fast
ganz. In den Hochgebirgen bildet sie in Gesellschaft der Krummholzkiefer, allerdings nur als niedriger, krüppelhafter Baum,
die Baumgrenze. Je weiter nach Süden, desto mehr wird die Fichte
zum Gebirgsbaum. Im nördl. Norwegen
[* 12] unter 67° geht sie z. b.
nicht viel über 200 m; im Harz (Brocken unter 51° 48') liegt die Fichtengrenze bei 1000 m, im Riesengebirge
(50° 45') bei 1200, im Böhmer- und Bayrischen Wald (49°) bei 14-1500, in den Walliser Alpen bei 2100, in den Pyrenäen bei
13-1000 m. In den rauhen Hochlagen bleibt der Stamm kurz, tief beastet, daher sehr abholzig; nicht selten schlagen hier
die auf dem Boden liegenden Äste Wurzeln, richten ihre Enden empor und wachsen selbständig weiter. Sturm, Schnee
[* 13] und Eisanhang
brechen die Wipfel; aber sich emporrichtende Seitenäste bilden neue Wipfel, so daß sich mitunter die sonderbarsten Baumformen
zeigen.
Ihr nutzbarstes Alter erreicht die Fichte im 80. bis 100. Jahre; sie wird in Kulturwäldern überhaupt wohl selten über 150 Jahre alt, während in den Urwäldern 400- und 500jährige Fichte keine Seltenheit sind. Sie liefert ein vorzügliches Bau- und Nutzholz, an Brenngüte steht sie der Buche nach. Während die jungen Bestände große Massen wertvoller Stangen geben, die durchforstungsweise genutzt werden, geben die Althölzer das beste Bauholz, das beste Material zu Schnitt- und Spalt waren (Bretter, Latten, Gefäße, Schachteln, Spielwaren, Zündhölzchen u. s. w.). Sehr lange und starke Fichte werden zu Mastbäumen benutzt und teuer bezahlt.
Die astlos erwachsenen alten Fichte der Urwaldungen in den Gebirgen liefern die Resonanzhölzer für die Instrumentenmacher (bedeutender Handelsartikel z. B. im Böhmerwald). In ausgedehntester Weise wird Fichtenholz zur Herstellung von Holzstoff [* 14] und Cellulose für die Papierfabrikation [* 15] benutzt; in Deutschland werden zu diesem Zweck jährlich einige hunderttausend Festmeter verwendet. Namentlich aus Fichtenholz wird Holzwolle gefertigt, die neuerdings viel zu Polsterungen, als Verpackungsmaterial und zu chirurg. Zwecken, nämlich zu antiseptischem Verband [* 16] Verwendung findet.
Die Fichtenrinde benutzt man als Surrogat für Eichenrinde beim Gerben des Leders. Das Fichtenharz (s. d. und Harznutzung) schmilzt man in Kesseln und gewinnt so das gemeine gelbe Pech. Aus der Rinde alter Fichte dringt nicht selten goldgelbes Harz hervor, das, an der Luft erhärtet, dunkel wird; die reinen, blaßgelben Stücke kommen unter dem Namen gemeiner Weihrauch in den Handel und werden zu Salben und Pflastern benutzt. Die Nadeln der Fichte verwendet man mit zur Bereitung von «Waldwolle» und zu stärkenden Bädern.
Letzteres geschieht namentlich mit den jungen Maitrieben. Mit dem Blütenstaube verfälscht man nicht selten den Bärlappsamen (Semen Lycopodii) der Apotheker. Die ganz junge, noch ziemlich weiche Masse des jüngsten Splintringes wird in Schweden und Lappland frisch gegessen, und in Zeiten der Not wird die innere Rinde, mit Getreidemehl vermischt, zu Brot [* 17] verbacken. Aus dem durch Abschaben der Cambiumschicht frisch im Mai und Juni gefällter Fichte gewonnenen Rohsaft bereitet man das Vanillin.
Die vielseitige Nutzbarkeit des Holzes der Fichte hat diesem Baum im 19. Jahrh, die besondere Aufmerksamkeit der Forstwirte zugewendet. Ausgedehnte, früher mit der wenig nutzbaren Buche bestockte Flächen sind in neuerer Zeit mit Fichte bepflanzt worden. Durch Saat, namentlich durch Pflanzung verjüngt man die Fichte meist ohne große Schwierigkeit, weshalb man ohne Bedenken Kahlhiebe führen kann, wie Harz, Erzgebirge, Thüringer Wald u. s. w. beweisen. In Süddeutschland, zum Teil auch in Österreich [* 18] wendet man häufig Femelschlagbetrieb (s. d.) an. Die Fichte ist während ihres Lebens vielen Gefahren ausgesetzt, durch Sturm, Schnee, Frost und Hitze sowie durch Insekten [* 19] und andere Tiere.
Borkenkäfer (Tomicus typographus L. und Verwandte) und der Nonnenschmetterling (Liparis monacha L.) haben oft schon Millionen von Stämmen getötet, der große braune Rüsselkäfer [* 20] (Hylobius abietis L.) vernichtet alljährlich Tausende von jungen Pflanzen. Das Rotwild schält gern die Stämme jüngerer Fichte (Stangenhölzer) und wird dadurch sehr schädlich. Eine Anzahl parasitischer Pilze [* 21] verursacht Krankheiten der Nadeln, der Rinde und des Holzes. Unter den Pilzen sind erwähnenswert: Agaricus melleus Vahl. (s. Erdkrebs), der oft in jungen Pflanzungen, aber auch in ältern Beständen arge Zerstörungen anrichtet, Trametes radiciperda R. Hart. und pini Fr., Hysterium macrosporum R. Hart. (s. Fichtenritzenschorf) u. s. w.
Die Fichte ist sehr formenreich. Nach den Zapfen unterscheidet man die erythrocarpa mit roten, kleinschuppigen von der chlorocarpa, mit grünen, großschuppigen Zapfen, obgleich rote und grüne Zapfen auf einem Baum gefunden werden. Als eigentliche Varietäten sind u. a. zu betrachten: Schlangenfichte (Picea virgata Faques ) mit wenig oder gar nicht verzweigten Quirlästen, ¶
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Hänge-767 fichte (Picea pendula Carr.) mit lang herabhängenden Ästen 2. und 3. Ordnung (hierher gehört auch die schwed. Picea viminalis Alstr.), Schwarzfichte mit dunkeln Nadeln, etwas dunklerm und festerm Holze, straffen Ästen, die erst 8-14 Tage später ihre Winterknospen öffnet, daher weniger von Spätfrösten leidet, als die sog. Weißfichte mit leichterer Benadelung, schlaffern Ästen und weicherm, weißerm Holze. In den Alpen wird die auch im Böhmerwald vorkommende sog. Haselfichte auch Weißfichte genannt, sie zeigt wellenförmigen Verlauf der Jahresringe und ist daher auf Radial- und Sehnenschnitt geflammt.
Andere Varietäten sind die Karpatenfichte (carpathica Loudon), sibirische Fichte (obovata Ledeb., altaica Teplouchow). Diese und andere Varietäten werden in Gärten nicht selten als besondere Arten angepflanzt. Von fremdländischen Arten der Gattung Picea sind hauptsächlich zu nennen: schwarze Fichte (Picea nigra Lk., Mariana Mill.), ein schöner Baum mit kegelförmiger Krone, dunkelgrünen dicht stehenden Nadeln und kleinen Zapfen, heimisch im engl. Nordamerika [* 23] und im Osten der Vereinigten Staaten [* 24] südlich bis Nordcarolina; rote Fichte (Picea rubra Lk., americana Gaertn.), unserer Fichte sehr ähnelnd, unterscheidet sich von ihr durch die an der Oberseite mehr oder weniger blaugrünen Nadeln, erreicht auch nie die Höhe der gemeinen Fichte, heimisch wohl nur im engl. Nordamerika: weiße Fichte (Picea alba Mich., laxa Erh.) mit graugrünen, bisweilen blaugrünen, nicht sehr dicht stehenden Nadeln, heimisch in den Vereinigten Staaten und im engl. Nordamerika.
Namentlich nigra und alba findet man oft in Gärten angepflanzt, ebenso die aus Kleinasien stammende morgenländische Fichte (Picea orientalis L.), die sich durch sehr dicht gestellte kurze dunkle Benadelung auszeichnet: seltener findet man die im norddeutschen Klima [* 25] durch harte Winter leidende Smiths Fichte (Picea Smithiana Wall.), die in ihrer Heimat, dem Himalajagebirge, zu einem schönen, schlanken Baum mit etwas überhängenden Ästen erwächst.