Feuerversi
cherung,
Feuerassekuranz oder Brandassekuranz, der mittels eines besondern Vertrags in der hierfür gesetzlich als unerläßlich vorgeschriebenen schriftlichen Form der Police (s. d.) gewährte Schutz gegen den Schaden, den bewegliches (Mobiliar) oder unbewegliches (Immobiliar, Realitäten, Gebäude) Eigentum ohne «Schuld» (dolus) des Besitzers durch Brand (Blitzschlag, Explosion) oder dessen Folgen, wie Diebstahl beim Brande, sonstiges Abhandenkommen oder Wertloswerden dabei, Beschädigung durch Löschwasser oder beim Retten (Bergen) [* 2] erleiden kann.
Der diese Verpflichtung zum Ersatze des Schadens eingehende Teil der Kontrahenten (Versicherer, Assekurant) ist in der Regel eine Vereinigung mehrerer zum Zwecke des Betriebes von Versicherungen, d.h. eine auf Gegenseitigkeit beruhende, selten eine nach genossenschaftlichem Princip begründete private Gesellschaft oder eine (anonyme) Aktiengesellschaft, oder aber öffentliche Institutionen, wie der Staat, die Kreisvertretung, die Provinzialstände, die Gemeinde.
Die Übernahme von Versicherungen durch eine einzelne
Person, wie sie bei der Seeversicherung vorkommt,
ist bei der Feuerversi
cherung nicht wohl durchführbar. Der Versicherungsvertrag wird stets auf einen gewissen Zeitraum
(die Regel ist ein Jahr als Dauereinheit für die Berechnung der Prämie) abgeschlossen. Der
Wettbewerb der Versicherer sorgt
dafür, daß die Prämien dem wirklichen Bedarf an
Mitteln zur
Deckung der Schadenansprüche und Bestreitung
der Geschäftsunkosten entsprechen; sie müssen der Natur des zu schützenden Gegenstandes, dem Risiko, und der mit dessen
Schutze verbundenen größern oder geringern Gefahr, die man gleichfalls Risiko nennt, angepaßt sein und werden in der Regel
in
Promille (‰) der Versicherungssumme ausgedrückt. (S. Prämie.) Risiko im allgemeinen ist jeder
versicherbare Gegenstand
an sich und ohne Rücksicht auf die Nachbarschaft; sobald diese aber in Betracht kommt, tritt die
dritte Bedeutung des Wortes auf, der
Begriff ein Risiko,
d. i. die Gesamtheit von
Gebäuden nebst
Inhalt, deren Bauart und
Lage
zueinander die Zerstörung durch ein
Feuer unter ungünstigen Umständen als wahrscheinlich annehmen lassen.
Als eine Gruppe bezeichnet man einen
Komplex von Risiken, welche durch einen innerhalb desselben ausgebrochenen
Brand in Mitleidenschaft
gezogen werden können. Das Festhalten an den über die
Trennung der Risiken durch
Brandmauern, unbebaute Zwischenräume u.s.w.
aufgestellten Principien ist die Grundlage und
Voraussetzung für
¶
forlaufend
748
richtige Begrenzung der Marima, d. h. der Summen, bis zu denen im äußersten Mlle ein Versicherer für eigene Rechnung zeichnet.
Jedes Risiko, jede Gruppe, jeder Ort, bei größern jeder Stadtteil haben daher ihr besonderes Marimum. über letzteres hinaus
tritt die Beteiligung von Rück-, auch Mitversicherern ein. Der Wert der Feuerversi
cherung für
den Volkswohlstand besteht, abgesehen von ihrem sittlichen Moment, welches in der Lebensversicherung zu noch deutlicherm Aus-
druck gelangt, und den auf der Hand
[* 4] liegenden Vorteilen, welche ihre Benutzung unmittelbar bietet, ' in der Vermehrung der Produktion,
Förderung des Personal- und Realkredits und Hebung
[* 5] der In- dustrie.
Die Feuerversi
cherung ist demnach als die nächst der Le- bensversicherung wichtigste, segensreichste
und ver- breitetste Versicherungsart zu bezeichnen. Die Geschichte der Feuerversi
cherung zeigt ihr erstes Auftreten
bereits im 17. Jahrh, in England, der Heimat des ganzen Versicherungswesens. Zunächst entstan- den öffentliche Brandhilfskasfen
für Immobilien, dann für Mobilien, später erst Privatanstalten. Die erste Anstalt war die in London
[* 6] 1710 gegrün-
dete «Sun-Fire-Ofsice»; der Londoner Phönir be- steht seit 1782, North-British and Mercantile zu London-Edinburgh seit 1809,
Liverpool-London- Globe seit 1836. Außerdem sind nennenswert: Commercial-Union in London, Imperial in London (1803), Lancashire
in Manchester
[* 7] (1852), London and Lancashire in Liverpool
[* 8] (1862), Manchester in Manchester (1824), National-Assurance-Company
of Ireland (1828), Northern in London (1836 in Aberdeen
[* 9] gegründet), Queen in Liverpool (1856), Royal in Averpool (1845), Scotifh-Imperial
in Glasgow
[* 10] und Standard in London (1871). In Frankr eich, wo Paris
[* 11] fchon1745eineImmobiliar- kasfe hatte, bestehen Feuerversi
cherungs-Aktiengesell-
schaften seit 1819. In diesem Jahre wurde die Com- pagnie d'Assurances Gsnörales gegründet, eine be-
deutende Gesellschaft, der Vorläufer zahlreicher an- derer guter und geachteter Anstalten, wie Phenir, Nationale, Union,
Soleil, France, Urbaine, Pro- vidence, Aigle, Confiance, Midi, Abeille, Centrale, Monde u. s. w. Belgien
[* 12] besitzt seit 1821 und
seit 1830 die Compagnie des Proprittaires Munis und Compagnie Velge d'Assurances Ge'ne'rales, beide in Brüssel,
[* 13] Lion
Velge in Lüttich
[* 14] u. s. w. Die älteste der zahlreichen Anstalten des Zweiges in Holland ist die von 1771 zu Amsterdam.
[* 15]
Ruh- land hat größere Gesellschaften in Petersburg [* 16] (Sa- lamander, Nadeshda, Erste und Zweite Russische [* 17] Compagnie u. s. w.), Moskau [* 18] (Moskowische Com- pagnie, Iakor), Warschau, [* 19] Kiew, [* 20] Riga [* 21] u. s. w.; Rumänien [* 22] in Bukarest [* 23] (Dacia-Romania, Natio- nala). Dänemark, [* 24] Schweden, [* 25] Norwegen und Finland, wo die Ausländer ohne Konzession Zu- tritt haben, besitzen zahlreiche, mehr oder weniger bedeutende Institute, ebenso Italien; [* 26] Spanien, [* 27] Italien und Griechenland [* 28] haben das Feuerver- sicherungswesen weniger entwickelt, desto mehr die Seeversicherung.
In den Vereinigten Staaten [* 29] von Amerika [* 30] ist die älteste Gesellschaft die Knicker- bocker-Company in Neuyork [* 31] von 1787. Außerdem bestehen dort Home, Continental, Manhattan, Phe- nir, Germania, [* 32] Niagara, Star u. s. w., letztere alle gleichfalls in Neuyork. In der Schweiz [* 33] besteht neben den beiden Aktiengesellschaften zu St. Gallen und Basel [* 34] außer den mit Monopol ausgestatteten Kantonalbrandkassen seit 1826 in Bern [* 35] die «Schwei- zerische Mobiliarversicherungs - Gesellschaft» auf Gegenseitigkeit, die nur in der Schweiz arbeitet, hier aber ein sehr bedeutendes Geschäft hat (Ver- sicherungssumme 1889 über 1^ Milliarde Frs.) und die Emmenthaler Mobiliarversicherungs-Ge- sellschaft in Biglen (seit 1874; Ende 1889 83^ Mill. Frs. Versicherungssumme).
InDeutschland gehen die Anfänge einer Unter- stützung bei Brandschaden sehr weit zurück. Bereits die mittelalterlichen Gilden suchten nach Kräften ihren geschädigten Genossen aufzuhelfen. Kleine Gegenseitigkeitsanstalten finden sich seit dem 15. und besonders dem 17. Jahrh, auf dem Lande, na- mentlich in den Domänen lokalisiert. Eine große Landesbrandkasse besteht bereits im 17. Jahrh, in Schleswig-Holstein, [* 36] in Hamburg [* 37] werden mehrere kleinere, gildenartige Vrandkassen zu einer großen vereinigt. An Stelle dieser aus Selbsthilfe und ge- nossenschaftlichem Princip hervorgegangenen An- stalten übernahm dann die Staatsgewalt die Neu- gründung und Weiterführung. So zunächst für Dorfkreife in Brandenburg [* 38] 1701 und 1705, für Berlin [* 39] 1706, in Kursachsen 1729 und in andern deutschen Territorien und preuß. Provinzen.
Die Entstehung der deutschen Landesbrandkassen ist geschichtlich sehr einfach nachzuweisen. Die Für- sten pflegten, um Verarmung zu verhüten, ihren Unterthanen, wenn deren Häuser abgebrannt waren, Bauholz und wohl auch Geld zu schenken. Das sicl jedoch den Landeskassen beschwerlich und reichte auch nicht aus, weshalb Brandkassen errichtet wur- den, von denen das Publikum indes erst wirklich Gebrauch machte, als es darüber aufgeklärt war, daß durch größere Beteiligung bei der Brandkasse die Beiträge des einzelnen geringer würden, und als ihm die Unterstützung nach Vrandfällen aus andern Mitteln entzogen wurde.
Der erste Zweck der Feuerversi
cherung überhaupt war, wie hieraus ersichtlich, die Leistung einer Beihilfe zur Befriedigung des Woh-
nungsbedürfnisses der civilisierten Menschen; später erst wurde daran gedacht, daß auch der Inhalt der Wohnungen, die Mobilien,
des Schutzes bedarf. Die Mobiliarvcrsicherung begann in Deutschland
[* 40] nach dem Vorbild Englands zugleich mit der pri- vaten
spekulativen Versicherung am Ausgang des 18. Jahrh. Der eigentliche Aufschwung der gesam-
ten Feuerversicherung
setzte an mit dem Abschluß der großen Kriege am Anfang des 18. Jahrh. Bedeutungsvoll für ihre
moderne Entwicklung war die Thätigkeit des Kaufmanns E. W. Arnoldi (s. d.), der 1821 in Gotha
[* 41] die «Feuerversicherung
sbank
für Deutschland» ins Leben rief.
Kurz vorher waren 1819 in Leipzig,
[* 42] 1812 schon in Berlin die bestehenden ältesten Aktien- gesellschaften
entstanden, die jedoch erst nach Jahren wirkliche Bedeutung erlangten. Seit jener Zeit er- standen nach und nach die andern
der heutigen großen deutschen Privatgesellschaften. Hier sind hervorzuheben die durch die eigene Art ihrer Kon- stitution
bemerkenswerte, 1825 von David Hanse- mann gegründete, durch Direktor Hofrat Vrügge- mann zu hoher Blüte
[* 43] und Bedeutung gebrachte Aachen-Münchener Gesellschaft, die ihren Schwer- punkt im landwirtschaftlichen Geschäft hat und die
Hälfte ihres Reingewinns gemeinnützigen Zwecken zuführen muß, sowie die 1844 von Friedr.
Knoblauch errichtete Magdeburger Feuerversicherung
sgesell- schaft, welche, im Besitze einer gewaltigen Organi- sation, ihren
Hauptschutz der Industrie zuwendet. Diesen Aktiengesellschaften verdankt man auch die Einführung der Rückversicherung
(s. d.).
¶
forlaufend
749
Die größten Feuerversicherung
s-Aktiengesellschasten (in Köln,
[* 45] Aachen,
[* 46] Magdeburg,
[* 47] Frankfurt
[* 48] a. M., Stettin,
[* 49] Hamburg, Gladbach
[* 50] u. s. w.) haben daher eigene Rückvcrsicherungsfilialen; andere nehmen Nückdeckung bei
Rückversicherungsbanken oder bei befreundeten Anstalten des eigenen Zweiges. Die öffentlichen gegenseitigen Fcuerver- sicherungsanstalten
(s. untenstehende Übersicht I), Brandmassen, Landesbrandkassen, in Preu- ßen auch Societäten genannt, sind teilweise mit
Monopol ausgestattet (d. h. der Gebäudcbesitzer muh bei der betreffenden Kasse versichern, andernfalls muh er unversichert
bleiben), oder sogar mit Beitritts- zwang, wenn überhaupt alle Gebäude des zu ihrem Betriebe gehörigen Kreises (Land, Provinz)
gesetz- lich bei der dafür errichteten Kasse versichert werden müssen.
Die Prämien oder Umlagen pflegen von den Societäten postnumerando nach Feststellung des Bedarfs für
Schäden, Verwaltung und Reserven in der Form direkter Steuern erhoben zu werden. Die öffentliche Feuerversicherung
ist der freien Bewegung
im Verkehr aus vielen Gründen mehr hemmend als förderlich gewesen; sie giebt deshalb überall immer mehr der regern Privatthätigkeit
Raum. Das öffentlicke Feuerversicherung
srecht ist für Preußen
[* 51] durch Gesetz vom geregelt.
Danach darf kein Gegenstand des Mobiliarver- mögens gegen Feuersgefahr höher versichert werden als bis zum gemeinen Wert
zur Zeit der Versiebe- rungsnahme, d. h. nur der Tauschwert ist ersatzfähig. I. Die öffentlichen gegenseitigen Feuerversicherung
sanftalten
im Deutschen Reiche imI.1890. ^. Preußen. Provinz oder Land Versicherungssumme Ende 1890 Erhobene Beiträge
M. M. Brand- schäden M. Geschäfts- unkosten M. Vermögen Ende 1890 M. 2 3 4 5 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Feuerschädenfonds
d. Do- mänen Ostpreußen Westpreußen Posen Pommern Brandenburg Schlesien Sachsen Schleswig-Holstein. . . . Hannover
Westsalen Hessen-Cassel u. -Nassau . Rheinprovinz Hohenzollern Feuerversicherung^
- Ver- band in
Mitteldeutsch- land, preuß. Anteil . . 152 305 060 486 677 150 244 500 314 806 320 535 766 648 816 4 361 792 010 1 910 761 870 2 373 883 839 1 248 787 620 1 347 996 504 1 300 964
550 1611190 470 2 322 463 179 63 773 790 1 504 787 860 298 420 1 573 173 1 159 379 1 983 255 1 887 732 4 095 732 2 030 846 1 994 483 2 442 706 2 533 797 1854 015 2 387 693 3 355 997 99 422 1 117 782 410 845 1 225 849 892 469 1 554 007 1 744 095 2 820 140 1 342 027 825 636 1 808 255 1 347 888 1 494 767 1 074 828 2 582 467 110160 1 254 247 4 523 204 351 114 014 314 939 275 991 366 351 509 609 661 541 221 424 353 554 331 258 269 938 503 604 3 057 25 602 -281104 1 518 058 2 421 913 3 799 182 640 833 3 451117 10 850 605 12 152 304 2 042 189 5 926 625 4 323 569 4 263 237 5 552 559 899 672 3 496 440 Summe
^ ! 20 502 853 567 > 28 814 432 > 20 487 680 j 4159 756 j 61057199
V. übriges Deutschland.
Sachsen Bayern Württemberg Baden Hessen Mecklenburg Oldenburg Sachsen-Weimar-Eisenach « Altenburg. [* 52] . . . » Gotha, Coburg [* 53] u. Meiningen . . . Braunschweig. [* 54] Anhalt Liype-Detmold Waldeck [* 55] und Pyrmont. . Lübeck Hamburg Gotha u. Waldeck im Mit- teldeutschen Verband [* 56] . Summe L 3 808 555 220 4 213112 950 2 126 288 978 1 433 481 048 1151 611 940 517 629 184 230 303 441 344 963 527 232 877 600 (217 970 450) 540 963 250 311995 668 110 009 700 158 603 370) 84 664 886 1 403 908 278 273 343 870* 4 406 344 > 3 870 626 2 499 987 1513 007 1 038 675 678 686 215 985 547 874 328 206 161 882 426 270 306 630 181579 42 509 52 956 1 092 560 234 165 3 785 426 3 639 209 2 244 015 1 421 811 917 685 519 254 222 294 175 410 110 612 504 449 283 737 63 558 2 463 585 650 169 695 16 783 709 540 ! 17 597 941 l 14 645 268 1157 708 796 078 252 200 133 481 79 089 18 025 4 811 26 680 28 666 81073 57 944 17 795 17 089 10 562 13 767 173 797 4 660 11 479 158 13 964 577 3 392 296 736 231 1 736 371 1099 49! 140 060 1 883 347 543 131 436 681 5 028 794 117 375 264 485 793 314 5 526 032 636 467 2 873 425! 47 777 810 ^ und L zusammen 37 286 563107 46 412 373 35 132 948 7 033181 108 835 009 desgl. 1892** 37 624 543 783 52 995 430 39 485 068 8 901031 128 860123 * Hierin sind die Summen unter Nr. 25 und 29 mitenthalten. " 'Dve Ge^am^umme ^ und N sür 1892 nach der Aufstellung von Israel (in Ehrenzweigs »Assekuranz-Jahrbuch 1394). Das offizielle statist. Material reicht zur Zeit nur bis 1830. ¶