Fettleibigkeit
,
s. Fettsucht.
Fettleibigkeit
3 Wörter, 30 Zeichen
Fettleibigkeit,
s. Fettsucht.
(Korpulenz, Obesitas, Lipomatosis universalis, Polysarcia, Pimelosis), übermäßige Anhäufung von Fett, welche
den Körper schwerfällig macht, seine Funktionen behindert und das Leben in mehr als einer Hinsicht bedroht.
Die Stellen des menschlichen Körpers, an denen sich im normalen Zustand Fettgewebe befindet, dienen bei Fettleibigkeit
zunächst
zur hochgradigen Ablagerung von Fett, und erst bei höhern Graden von Fettsucht finden die Fettablagerungen auch
an solchen Lokalitäten
statt, an denen sich im normalen Zustand wenig oder kein Fett befindet.
Demgemäß findet sich das Fett unter der Haut [* 3] (Panniculus adiposus), besonders unter der des Bauches, in großer Menge, ferner im Gekröse, im Netz, im Dickdarm und um die Nieren herum; selbst auf dem Herzen, im Innern der Leberzellen (Fettleber), zwischen den Muskeln [* 4] und in andern Organen häuft es sich an. Die leichtern Grade der Fettsucht, welche man als Embonpoint oder Korpulenz bezeichnet, verursachen kaum einige Beschwerde. Selbst bei schon beträchtlichem Umfang erfreuen sich die Leute oft noch eines vortrefflichen Wohlseins, eines sehr guten Appetits, einer sehr heitern Stimmung und ihrer vollen Körperkraft.
In den höhern Graden jedoch, namentlich wenn sich die Fettsucht sehr schnell ausbildet, stellen sich mehr oder weniger beträchtliche
Störungen der Gesundheit ein, z. B. Muskel- und Gehirnschwäche, Verdauungsbeschwerden, Atemnot, Störungen in der Herzbewegung,
Schwindel etc. In Bezug auf das Gewicht und den Umfang des Körpers fettsüchtiger Personen finden sich unglaublich
scheinende Angaben. Ein Kind von vier Jahren wog 41, ein andres ebenso altes 68, ein zehnjähriges 109, ein vierjähriges Mädchen
sogar 128 kg etc. Der Engländer Bright wog in seinem zehnten Jahr 70 und bei seinem Tod 308 kg, ein andrer Engländer 250 kg;
ein in der »Neuen Sammlung medizinischer Wahrnehmungen« (Bd. 3, S. 370) beschriebener Mann
wog 400 kg und hatte 2,5 m im Umfang; ein von Wadd (»Die Korpulenz als Krankheit, ihre Ursachen und ihre Heilung etc.«, aus dem
Englischen, Weim. 1839) gesehener Mann wog 490 kg. Bei der Leichenöffnung fand man eine unglaublich starke Fettschicht,
die in dem Menschen von 400 kg 16-18 cm Höhe hatte. Unter den prädisponierenden Ursachen ist am wichtigsten die Erblichkeit.
In gewissen Familien werden alle Mitglieder sehr fettleibig
, und »Fettkinder« sind
nicht allzu selten. Die Fettsucht tritt zuweilen schon in den ersten Lebensjahren, bald nach dem 20., am häufigsten
bei Männern um das 40., bei Frauen um das 45.-50. Lebensjahr auf.
Neben der erblichen Anlage ist die fehlerhafte und unzweckmäßige Ernährung der häufigste Grund zur Fettleibig
keit; eine
zu reichliche Nahrungszufuhr, welche zu große Mengen Fett, Eiweiß und Kohlehydrate (Zucker,
[* 5] Stärke)
[* 6] bietet, oder einseitige
fehlerhafte Ernährung bedingen die pathologische Fettansammung ^[richtig: Fettansammlung], welche auch
durch übermäßigen Alkoholgenuß erzeugt werden kann. Dazu kommen als begünstigende Momente Mangel an körperlicher Bewegung,
anhaltende Unthätigkeit, träger Stoffwechsel etc. Hieraus erklärt sich, daß gewisse Gewerbe (Schlächter, Brauer) Fettansammlung
zur Folge haben, daß Phlegmatische mehr zur Fettsucht neigen und Frauen im klimakterischen Alter besonders häufig davon betroffen
werden.
Auch gewisse ethnologische und klimatische Verhältnisse (feuchtes Klima) [* 7] spielen eine gewisse Rolle. Angeerbte oder erworbene Disposition, zu reichliche Nahrungsaufnahme, unzweckmäßige Ernährung und unzweckmäßige Lebensweise sind demnach als Entstehungsursachen anzusehen. Das im Körper sich bildende Fett wird aus verschiedenen Stoffen gebildet; einmal kann aus dem Fette der Nahrung Fett im Körper zur Ablagerung kommen (Liebig, Toldt, Radziejewsky, Hofmann), sodann steht fest, daß die vom Körper aufgenommenen tierischen und pflanzlichen Albuminate zur Fettbildung beitragen (Hoppe, Pettenkofer, Voit), indem bei der Eiweißzersetzung Fett entsteht, und daß wahrscheinlich bei großen Gaben auch die Kohlehydrate zur ¶
Fettbildung beitragen. Schließlich hat Munk auch die synthetische Fettbildung aus Fettsäuren nachgewiesen. Der Fettansatz erfolgt demgemäß 1) aus zu großem Fettreichtum der Nahrung,
2) durch Überschuß von Fett, welches aus zersetztem Eiweiß abgespalten ist,
3) aus unzerstört gebliebenem Fett, welches durch Kohlehydrate geschützt oder aus ihnen gebildet ist, und
4) endlich dadurch, daß die Fähigkeit der Zellen zur Stoffzersetzung verringert wird, wie es bei Alkoholgenuß
und geringer Körperbewegung der Fall ist (Voit). Diesen verschiedenen Ursachen der Fettbildung entsprechen nun auch die Mittel,
das abgelagerte Fett zum Verschwinden zu bringen, und der jedesmaligen individuellen Ursache der Fettentstehung muß die Fettentziehungskur
entsprechen. Wo ein Überschuß gewisser Nahrungsstoffe die Ursache der Fettleibigkeit
ist, muß dieser
beseitigt werden.
Die Bantingkur bezweckt durch reichhaltigen Fleischgenuß Vermehrung der Eiweißration und Verminderung der Aufnahme von Fett- u. Kohlehydraten. Sie ist rationell, wird aber erfahrungsgemäß bei der großen Einschränkung der stickstofffreien Nahrungsmittel [* 9] nur zeitweise vertragen. Voit schlägt vor, reichlich Eiweiß zu geben (natürlich nicht so viel, daß daraus Fett sich ansammelt) und dazu geringere Mengen von Fett oder von Kohlehydraten oder von beiden, als zur Ernährung notwendig sind, so daß der Körper eine kleine Menge von Fett einbüßt.
Man wählt demnach fettarmes Fleisch und gibt den Leidenden in den vegetabilischen Nahrungsmitteln (z. B. grünen Gemüsen) Fett und Kohlehydrate in so geringer Menge, daß Tag für Tag eine kleine Quantität von Körperfett abgegeben werden muß. Die Fettzersetzung wird dann noch unterstützt durch Körperbewegung, wenig Schlaf, kalte Bäder etc. Örtel und Schweninger stellen die Beschränkung der Getränkezufuhr in den Vordergrund, speziell in den Fällen, wo es sich um Zirkulationsstörungen infolge der Fettsucht handelt.
Die Verdauung und Resorption der zugeführten Nahrungsmittel soll bei Beschränkung des Getränks bedeutend schneller vor sich gehen, und es wird häufigere Zuführung kleinerer Quantitäten von Nahrungsmitteln empfohlen. Stokes und Örtel kombinieren die Methode mit forcierten, mit Schweißbildung verbundenen Muskelbewegungen, welche besonders bei Herzschwäche mit großer Vorsicht und steter Rücksichtnahme auf die übrigen Organe und den Kräftezustand gehandhabt und geregelt werden müssen.
Eventuell sind sie durch Wasserentziehungen (römisch-irische Bäder) zu ersetzen. Ebstein entzieht in der Nahrung fast ganz die Kohlehydrate (Zucker, Stärke), während er bei hinreichender Eiweißmenge Fett geben läßt. Das Gefühl des Sattseins wird dabei erreicht, der Durst aber herabgesetzt. Die relativ geringe Fettmenge leistet nach ihm als kraftgebender Nahrungsstoff soviel wie eine 2,5mal so große Menge von Kohlehydraten. Tarnier verordnet ausschließlich Milchgenuß.
Dazu kommen noch Mineralwasserkuren, besonders in Marienbad, Karlsbad, Kissingen [* 10] und Homburg, [* 11] wo aber neben dem Wassergebrauch systematische diätetische Kuren und geeignete Lebensweise (Kisch-Marienbad) durchaus erforderlich sind. Abführmittel und Jodpräparate sind veraltet und nutzlos. Alle verschiedenen Methoden haben, in richtiger Weise angewandt, Erfolg; aber sie können nur da wirksam sein, wo sie den gerade gegebenen Ursachen der Fettbildung im einzelnen Fall entsprechen.
Sie müssen je nach der Individualität und nach den Ursachen der Fettvermehrung gewählt und eingeschlagen werden, bedürfen aber der ärztlichen Auswahl und Überwachung, da alle Kuren von der Bantingkur bis zur Wasserentziehungskur in gewissen Fällen recht gefährlich werden können.
Vgl. Banting, Letter on corpulence addressed to the public (Lond. 1864, 4. Aufl. 1881);
Vogel, Korpulenz, ihre Ursachen, Verhütung und Heilung (20. Aufl., Berl. 1882);
Kisch, Fettleibigkeit
der Frauen im Zusammenhang mit den Krankheiten der Sexualorgane (Prag
[* 12] 1872);
Ebstein, Die Fettleibigkeit
und ihre Behandlung (6.
Aufl., Wiesb. 1884);
Maas, Die Schweninger-Kur (Berl. 1885);
Örtel, Die Ebsteinsche Flugschrift über Wasserentziehung (Leipz. 1885).