Titel
Faust
,
Doktor
Johann, berühmter
Schwarzkünstler, dessen sagenhaft ausgeschmückte Geschichte, ein
Produkt
des Reformationszeitalters, in der Litteratur eine bedeutsame
Rolle spielt. Die historische
Person, welche den
Namen Faust
trug,
lebte in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. und läßt sich in den Zeugnissen der Mitlebenden
von 1507 bis etwa 1530 verfolgen. Er stammte aus
Knittlingen (Kundlingen) in
Schwaben, nach andern aus
Roda
im Altenburgischen und soll in
Krakau
[* 3]
Magie studiert haben. Nach einem
Brief des
Abtes Trithemius von
Sponheim befand
er sich 1506 und 1507 zuerst in
Gelnhausen,
[* 4] dann in
Würzburg,
[* 5] zuletzt in
Kreuznach,
[* 6] wo
Franz von
Sickingen mit ihm verkehrte;
1513 war er, wie der Kanonikus C. Mutianus Rufus in Gotha [* 7] mitteilt, in Erfurt; [* 8]
um 1530 taucht er in Wittenberg [* 9] auf;
1539 berichtet Begardi (»Zeyger der Gesundheit«) von ihm;
zu Staufen im Breisgau soll er um 1540 in hohem Alter gestorben sein.
Dieser historische Faust
war allen Mitteilungen zufolge ein gewaltiger Prahler, der sich den
»Philosophen
der
Philosophen« und »zweiten
Magus« nannte und abenteuernd als
Arzt und Astrolog, als Zauberer und Alchimist umherzog. In
Würzburg
rühmte er sich z. B., daß er alle
Wunder
Christi vollbringen wolle, wann und so oft es verlangt werde; in
Wittenberg: die
Siege der kaiserlichen
Heere in
Italien
[* 10]
(Schlacht bei
Pavia 1525,
Eroberung
Roms 1527) habe er ihnen durch seine
Zauberkunst verschafft etc. Bei dem großen Aufsehen, das er überall erregte, geschah es dann,
daß man viele seiner Behauptungen als vollführte
Thatsachen hinstellte, daß man außerdem seit alten
Zeiten umlaufende
Geschichten
von Zauberkünsten, wie sie von
Albertus Magnus,
Simon
Magus,
Johannes Teutonicus,
Paracelsus u. a. erzählt
wurden, auf seine
Person übertrug und ihm endlich auch neu erfundene, im
Geiste der Zeit wurzelnde
Züge andichtete.
Da aber
Zauberei nur mit
Hilfe des
Bösen möglich war, so ließ man ihn ein
Bündnis mit dem
Teufel schließen, der ihn in Gestalt eines
Hundes begleitete und schließlich auf schreckliche
Weise ums
Leben brachte. Auch der
Ort seines
Todes, über
den am ausführlichsten
Joh.
Manlius (gest. 1560) berichtet, wird teils nach
Schwaben, teils nach
Sachsen
[* 11] verlegt. So entstand
das, was man die Faustsage
nennt.
Nach W.
Scherer (dem wir in dieser
Darstellung folgen) sind dabei drei
Traditionen zu unterscheiden: eine
oberrheinische, eine wittenbergische und eine
Erfurter, von denen die beiden erstern Faust
mehr als einen gewöhnlichen
Magier
auffassen, während er in der letztern idealisiert, als
Poet und Humanist erscheint. Mancherlei
Züge, die ihm die
Erfurter
Überlieferung beilegt, heben dies klar hervor;
so, wenn er sich anheischig macht, die verlornen Komödien des Plautus und Terenz wieder herbeizuschaffen;
wenn er von einem Geist bedient sein will, der so geschwind ist wie der Menschen Gedanken;
wenn er während einer Vorlesung über Homer die antiken Helden seinen Zuschauern persönlich vorführt, darunter den Polyphem, der nicht wieder zur Thür hinaus will und ihnen großen Schrecken einjagt;
wenn er ein andermal im Nu durch die Luft von Prag [* 12] hergeritten kommt, da sich sein dienender Geist in ein Pferd [* 13] mit Flügeln, »wie der Poeten Pegasus«, verwandelt hatte etc.: alles Zuge, welche auf den Ideenkreis des Humanismus hinführen.
Die erste litterarische Verwertung der Faustsage
ist das 1587 zu
Frankfurt
[* 14] a. M. erschienene Volksbuch
»Historia von
Dr.
Johann Fausten
, dem weitbeschreiten Zauberer und
Schwarzkünstler etc.«, herausgegeben von
Johann
Spies, der
in der Vorrede mitteilt, daß ihm das
Manuskript von einem
Freund in
Speier
[* 15] zugeschickt worden sei. Dieses älteste Faustbuch
,
von dem sich
Exemplare in
Wien,
[* 16] in H.
Hirzels
Bibliothek zu
Leipzig,
[* 17] in
Wernigerode,
[* 18] im
Britischen
Museum finden
(neu hrsg. von
Kühne, mit
Einleitung und Anmerkungen,
Zerbst
[* 19] 1868; von W.
Braune, mit
Bibliographie von
Zarncke,
Halle
[* 20] 1878; von
Scherer, photographische
Nachbildung, mit
Einleitung, Berl. 1884), ist eine Zusammenstellung kunstlos erzählter
Geschichten,
nicht ohne mancherlei
Widersprüche, Wiederholungen und
Unterbrechungen des Zusammenhanges, und zerfällt
in vier
Abschnitte:
1)
Geburt und Studia, 2)
Abenteuer und
Fragen, 3) Was er mit seiner Nigromantia gethan und getrieben, 4) Ende. Nach dieser
Historia
war Faust
der Sohn eines
Bauern zu
»Rod bei Weinmar«, der zu
Wittenberg erzogen wurde,
Theologie studierte und den theologischen
Doktorgrad erlangte, dann ein Weltmensch,
Doctor Medicinä, Astrologus, Mathematikus wurde und sich im
Spesserwald bei
Wittenberg dem
Teufel ergab, mit dessen
Beistand er allerlei
Wunder sah und verrichtete, bis er nach 24
Jahren
im Dorf Rimlich bei
Wittenberg nächtlicherweile vom
Teufel von einer Wand zur andern geschleudert und mit zerbrochenen
Gliedern
tot auf dem
Mist gefunden wurde.
Das
Buch schöpft im wesentlichen aus der oberrheinischen und wittenbergischen
Tradition, enthält aber daneben einzelne selbständige
Züge, die von einer höhern Auffassung des
Helden
Zeugnis ablegen und ihn mit einer gewissen
Größe umkleiden, ohne doch mit
der
Erfurter
Überlieferung übereinzustimmen. Nach diesen zerstreut vorkommenden
Zügen erscheint Faust
als
ein erster
Umriß dessen, was uns seine Gestalt jetzt ist: als titanischer
Philosoph und
Forscher, der freilich der
Welt als
warnendes
Beispiel vorgestellt wird.
»Er nahm Adlersflügel an sich und wollte alle Gründ' am Himmel [* 21] und Erden erforschen«, heißt es. Schon auf der Schule der »Spekulierer« genannt, nahm er sich vor, die »Elementa zu spekulieren«, und wurde ein »Weltmensch«, d. h. er wandte sich von der Theologie ab zur weltlichen Gelehrsamkeit, zur Naturforschung, die nach dem Glauben der Zeit nicht von Gott stammt, sondern vom Teufel, und zum Teufel führt. Er begehrt nicht nur Zauberkünste ausführen zu können, er verlangt vom Teufel auch, daß er ihm auf alle seine Fragen antworten und nie etwas Unwahrhaftiges antworten soll, d. h. er hat den Trieb nach Wahrheit. Dabei wird gelegentlich die Ewigkeit der Welt behauptet und die Unsterblichkeit der Seele geleugnet. Sein Abfall von Gott wird mit der Vermessenheit der himmelstürmenden Giganten und dem Hochmut Luzifers verglichen, und selbst sein »epikureisches Leben« erhält eine Art von Größe ¶
mehr
und gereicht ihm zur Befriedigung seines Wissensdranges: das schönste Weib, die griechische Helena, die er heraufbeschwört, wird seine Genossin, und der Knabe, den sie ihm gebiert, verkündet ihm viele zukünftige Dinge, die in allen Ländern geschehen sollen. Mit Recht hat man das Bild des verwegenen Spekulierers, wie es das Spiessche Buch in diesen und andern Zügen andeutet, als das bis ins einzelne ausgeführte Gegenbild von Luther, dem Ideal eines Theologen des 16. Jahrh. aufgefaßt.
Nachdem die Geschichte Fausts so in die Litteratur eingeführt war, fand sie durch Nachdrucke, neue Auflagen und Bearbeitungen
rasch die allgemeinste Verbreitung. Noch 1587 erschien das Spiessche Faustbuch
(von welchem bis 1592: 14 Drucke
nachgewiesen sind) in zweiter Auflage mit acht neuen Kapiteln; 1588 in dritter Auflage, bereichert durch Zeugnisse der Heiligen Schrift
von den verbotenen Zauberkünsten. Auch ins Niederdeutsche wurde es übertragen (Lübeck
[* 23] 1588). Eine Berliner
[* 24] Ausgabe von 1590 (das
Original in Zerbst) brachte dann abermals sechs neue Kapitel, von denen eins auf einer Leipziger Tradition
(Auerbachs Keller) beruht, die übrigen die in Erfurt spielenden Geschichten mitteilen.
Eine Bearbeitung des Buches in Reimen, von Tübinger Studenten ausgeführt, war bereits 1588 zu Tübingen
[* 25] unter dem Titel: »Eine
wahrhafte und erschröckliche Geschicht von D. Johan. Fausten«
erschienen, und durch Übersetzungen ins
Englische
[* 26] (1588), Holländische
[* 27] (1592) und Französische (1598 u. öfter) fand es auch im Ausland Verbreitung. Bald darauf aber
wurde das Spiessche Faustbuch
verdrängt durch eine neue Bearbeitung des Stoffes, welche G. Rud. Widmann 1599 zu Hamburg
[* 28] in drei
Teilen erscheinen ließ (abgedruckt in Scheibles »Kloster«, Bd. 2). In diesem Werk
sind die großen Züge verwischt; der Verfasser, ein eifriger Lutheraner zu Schwäbisch-Hall, erlaubt sich tendenziöse Veränderungen
(wie er denn Faust
auf einer katholischen Universität, zu Ingolstadt,
[* 29] studieren läßt) und sucht in pedantisch-gelehrten Anmerkungen,
platten Ermahnungen und Warnungen, die er jedem Kapitel beifügt, seine Stärke.
[* 30]
Das Widmannsche Faustbuch gab in der Folge der Nürnberger Arzt Nikol. Pfitzer mit Veränderungen neu heraus (Nürnb. 1674; Neudruck von A. v. Keller, Stuttg., Litterarischer Verein, 1880), und aus diesem Werk stellte endlich ein Autor, der sich den »Christlich Meynenden« nannte, durch Beseitigung des gelehrten Beiwerkes und sonstige Abkürzungen einen Auszug her, der in Frankfurt zu Anfang des 18. Jahrh. erschien, seitdem oft gedruckt, auch modernisiert wurde und die Grundlage des spätern, in unzähligen Abdrücken verbreiteten Jahrmarktsbuches vom Dr. Faust bildet. Von Interesse ist, daß bei Pfitzer zuerst ein Bürgermädchen eingeführt wird, in das sich Faust verliebt, und das er heiraten will, was aber der Teufel hindert - der Keim zu Goethes Gretchen. Unter den Neuerzählungen ist Aurbachers »Geschichte des Doktor Faustus« (im »Volksbüchlein«, Münch. 1839) auszuzeichnen.
Sehr früh begannen auch die selbständigen poetischen Bearbeitungen der Faustsage. Unmittelbar aus dem Volksbuch von 1587 entsprang die erste Tragödie, welche den Stoff behandelte: »The tragical history of the life and death of Doctor Faustus« des Engländers Christ. Marlowe (gest. 1593), der in dem Helden sein Ebenbild erkennen mochte. Hier findet sich bereits der Eingangsmonolog, in welchem Faust den Wissenschaften, die ihn nicht befriedigen, den Rücken kehrt und sich der Magie ergibt, allerdings weniger aus Wissensdrang, als um Ehre, Vergnügen und Macht zu gewinnen.
Dieser Eingang sowie die Beschwörung der Geister, der Vertrag und am Ende der hochpoetische Schlußmonolog des zwischen Trotz und Seelenangst hin- und hergeworfenen Helden sind glänzende und effektvolle Züge der Tragödie, deren übriger Inhalt zum großen Teil aus einem Haufen von Abenteuern ohne organische Gliederung besteht. Der Marlowesche »Faustus« wurde, wahrscheinlich zu Anfang des 17. Jahrh., von den englischen Komödianten auch nach Deutschland [* 31] gebracht (1628 kam er in Dresden [* 32] zur Aufführung) und gestaltete sich hier durch mancherlei Änderungen und Zusätze allmählich zu einem echt deutschen Volksstück um, das bis über die Mitte des 18. Jahrh. von wandernden Schauspielern allenthalben in Deutschland gespielt wurde und alle Entwickelungsphasen des populären Schauspiels mitmachte, bis es von der wirklichen Bühne verdrängt und in die Sphäre der Puppenspiele verbannt wurde, wo es noch heute sein Dasein fristet.
Von dem Marloweschen Stück hielt das Volksschauspiel vor allem den Anfangsmonolog (der sich bis auf Goethe vererbte) und die Beschwörungsszene fest; doch stellt es den Wissensdrang Fausts, der als Wittenberger Professor figuriert, wieder entschiedener in den Vordergrund (er will durch das studium nigromanticum alle ihm noch abgehenden Wissenschaften erlangen; er wünscht »alles zu sehen und mit Händen zu greifen«). Unter den Zusätzen und Veränderungen, die es erfuhr, sind (nach Creizenach) besonders drei bemerkenswert: ein Vorspiel in der Hölle zwischen Luzifer und verschiedenen Lust-, Sauf-, Geiz- und andern Teufeln, sodann in der Beschwörungsszene die Frage Fausts nach dem geschwindesten der Dämonen, wobei Mephistopheles als so geschwind »wie der Menschen Gedanken« den Sieg davonträgt (ein Zug der Erfurter Tradition); endlich am Schluß die Umgestaltung der Helena-Szene, wodurch das tragische Geschick des Helden eine tiefere Motivierung und das ganze Stück eine wirksame Steigerung erfährt.
Nachdem nämlich Mephisto den von Reuegedanken ergriffenen Faust vergeblich durch die Aussicht auf Macht und irdischen Glanz wieder an sich zu locken versucht hat, führt er ihm die Helena zu, deren Schönheit Faust überwältigt und von der Buße abzieht; als er sie aber umarmen will, verschwindet sie, und Faust, dessen Frist eben verstrichen ist, verfällt dem Teufel. Noch ein völlig neues Moment kam (etwa gegen Ende des 17. Jahrh.) unter italienischem Einfluß in das alte Volksschauspiel (zuerst in Wien durch Stranitzky) mit dem Hanswurst, der in einen parodistischen Gegensatz zum himmelstürmenden Faust tritt und seinen sprudelnden Humor dem düstern Ernste der alten Sage beimischt.
Ausgaben des Volksschauspiels, das noch in verschiedenen Fassungen vorliegt, besorgten v. Below (anonym, »Doktor Faust oder der große Negromantist«, Berl. 1832),
Simrock (»Dr. Johannes Faust, Puppenspiel in 4 Aufzügen«, Frankf. a. M. 1846; neue Ausg. o. J. mit dem Volksbuch und einem Anhang: »Versuch über den Ursprung der Faustsage«, 1873),
W. Hamm [* 33] (anonym, »Das Puppenspiel vom Dr. Faust«, Leipz. 1850; nach dem Manuskript des Marionettenspielers Bonneschky),
O. Schade (Weim. 1856),
K. Engel (Oldenb. 1874),
Bielschowsky ( »Das Schwiegerlingsche Puppenspiel vom Dr. Faust«, Brieg [* 34] 1882),
Kralik u. Winter (»Deutsche [* 35] Puppenspiele«, Wien 1885). Die vorhandenen Puppenspiele beruhen fast durchaus auf der spätern (Wiener) Konzeption; nur ein einziges, ein Ulmer Stück (abgedruckt in Scheibles »Kloster«, Bd. 5), hat den Charakter des 17. Jahrh. treu bewahrt. ¶
mehr
Unter den spätern Bearbeitern der Faustsage tritt uns zunächst Lessing entgegen, der das Volksstück wahrscheinlich in Berlin [* 37] kennen gelernt hatte und es für die regelmäßige Bühne zu gewinnen beschloß; leider sind von seinem »Faust«, zu dem er um 1759 zwei Pläne entworfen, nur einzelne Szenen vorhanden. Nach Lessing und noch vor Goethe (wenigstens vor der Publikation des ersten Fragments seiner in den ersten 70er Jahren begonnenen Faustdichtung) verarbeitete ein Wiener, P. Weidmann, den Stoff zu einem elenden »allegorischen« Drama: »Johann Faust« (Münch. 1775; Neudruck, Oldenb. 1877), mit Einheit der Zeit und des Ortes, worin er dem bösen Genius einen guten Geist, Ithuriel, gegenüberstellt, der endlich dem Sünder Gottes Barmherzigkeit verschafft. Fast gleichzeitig veröffentlichte Maler Müller Bruchstücke aus einem dramatisierten Leben Fausts: »Situation aus Fausts Leben« (Mannh. 1776) und »Fausts Leben« (das. 1778, unvollendet),
während ein andrer Dramatiker der Geniezeit, Klinger, den Stoff nicht als Drama, sondern als Roman: »Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt« (Petersb. 1791), behandelte, worin Faust mit dem Mainzer Buchdrucker Fust vermengt und durch eine Reihe eigner und fremder, bewußter und unbewußter Schandthaten der Hölle zugeführt wird. Auf Klinger folgten Julius Graf von Soden mit einem Volksschauspiel »Faust« (Augsb. 1797), in welchem Faust als Tyrannenfeind und Patriot auftritt, sich tapfer gegen die aufrührerischen Bauern benimmt, schließlich aber doch vom Teufel geholt wird, und Friedrich Schink, ein leidenschaftlicher Antiromantiker, welcher sich in seinem »Johann Faust. Eine dramatische Phantasie« (Berl. 1804) der Auffassung Weidmanns anschloß.
Eine neue, tief in das Bewußtsein des Volkes übergegangene Auffassung gewann dann die Faustsage durch die mächtige und tiefsinnige Dichtung Goethes, deren erster vollständiger Teil 1808 erschien, während der zweite erst nach des Dichters Tod 1832 ans Licht [* 38] trat. Goethe hat in diesem seinem bedeutendsten Werk die Person des in eine höhere geistige Sphäre gerückt und die Tragödie des alten Magiers zur Tragödie des strebenden Menschengeistes und des Menschenschicksals überhaupt gemacht; wie schon Lessing wollte, läßt er den nach Erkenntnis und Wahrheit Ringenden nicht dem Bösen verfallen, sondern schließlich Rettung finden. Fast gleichzeitig mit dem Goetheschen »Faust« (1. Teil) erschien auf Grund des Klingerschen Romans eine klägliche »romantische Tragödie« gleichen Namens von Schöne (Berl. 1808),
der später auch das Wagnis einer Fortsetzung von Goethes »Faust« (das. 1823) unternahm; ebenso erinnert Klingemanns , ein geschickt hergestelltes und lange Zeit beliebtes Bühnenstück (Leipz. 1815),
vorzugsweise an Klinger und das Volksschauspiel. Weiter sind anzuführen: das Trauerspiel »Faust« von Jul. v. Voß (Berl. 1824),
wo der Held wieder identisch mit Fust, dem Miterfinder der Buchdruckerkunst, ist, und das Melodrama »Faust, der wunderthätige Magus des Nordens« von K. v. Holtei (Wiesb. 1832). Das Erscheinen des zweiten Teils von Goethes »Faust« hinderte nicht, daß noch andre Fortsetzungen hervortraten, die zum Teil Unglaubliches bieten, so von J. D. ^[Jakob Daniel] Hoffmann (Leipz. 1833), S. Moser (Weißenb. 1864), Adolf Müller (Leipz. 1869). Bei letzterm findet Faust seine (nicht als Kind ertrunkene, sondern gerettete und inzwischen zur Jungfrau herangewachsene) Tochter, um sie zu verführen, und verfällt schließlich mit seinem Leibe der Hölle, während seine Seele zum Himmel eingeht (!). Auch Parodien auf den Goetheschen »Faust« erschienen, von denen hier Vischers »Faust, der Tragödie dritter Teil« (Stuttg. 1862, neue Bearbeitung 1886) genannt sei.
Eine Gruppe andrer Dichter strebte selbständige philosophische Behandlung der Sage an, ohne diese Prätension rechtfertigen zu können, z. B. Braun v. Braunthal (Leipz. 1835), Marlow (Faust Wolfram, das. 1839), Czilsky (Halle 1843), Faust Stolte ( Faust, dramatisches Gedicht in vier Teilen«, Leipz. 1860 u. 1869). Wirklich eigentümliche Motive weisen die Dichtungen von Grabbe (»Don Juan und Faust«, 1829) und H. Heine (»Doktor ein Tanzpoem«, 1851) auf. Zu Operntexten wurde die Faustsage verarbeitet von Bernard (1814, komponiert von Spohr) und den Franzosen Barbier und Carré (1859, komponiert von Gounod). Endlich treten auch in epischer Form selbständige, zum Teil wertvolle Behandlungen hervor, aus deren Zahl wir L. Bechsteins »Faustus« (Leipz. 1833),
N. Lenaus »Faust« (Stuttg. 1836),
unter den nachgoetheschen Dichtungen jedenfalls die gediegenste, und Solitaires (W. Nürnbergers) »Faust« (Berl. 1842) hervorheben wollen. Schließlich sei auch noch an ein rätselhaftes Volkslied vom Dr. Faust erinnert, das in »Des Knaben Wunderhorn« (Bd. 1) als fliegendes Blatt aus Köln [* 39] mitgeteilt wird, und von dem sich Anklänge in mehreren Versionen des Volksstückes finden.
Vgl. Stieglitz, Abhandlung über Dr. (in Raumers »Historischem Taschenbuch« 1834);
E. Sommer, Faust (im 42. Teil der »Encyklopädie« von Ersch und Gruber, 1845);
v. d. Hagen, [* 40] Faust (Berl. 1844);
Düntzer, Die Sage vom Doktor Faust (Stuttg. 1846);
Peter, Die Litteratur der Faustsage (2. Aufl., Leipz. 1851; Zusätze 1857);
Housse, Die Faustsage und der historische Faust (Luxemb. 1862);
Creizenach, Versuch einer Geschichte des Volksschauspiels vom Doktor Faust (Halle 1878);
Kuno Fischer, Goethes Faust (Stuttg. 1878);
Delius, Marlowes und seine Quelle [* 41] (Bielef. 1881);
Zahn, Cyprian von Antiochien und die deutsche Faustsage (Erlang. 1882);
H. Grimm, Die Entstehung des Volksbuches vom Dr. (in »Fünfzehn Essays«, 3. Folge).
Eine »Zusammenstellung der Faustschriften« gibt K. Engel (Oldenb. 1885, 2714 Nummern enthaltend). Auch die bildende Kunst hat sich mannigfach mit Fausts Leben beschäftigt. Bekannt ist Rembrandts schön radiertes Blatt, [* 42] Faust darstellend in seinem Zimmer während einer Geistererscheinung. Noch älter sind die beiden Kupferstiche von Christoph von Sichem, welche und Mephistopheles und den Famulus Wagner nebst seinem Geist vorführen. Aus neuerer Zeit sind die Darstellungen zu Goethes Faust von Cornelius, Retzsch, Seibertz, Kaulbach und Kreling weit verbreitet.