Titel
Farbenblin
dheit,
Achromatopsie,
Dyschromasie, Dyschromatopsie, das
Unvermögen,
Farben wahrzunehmen oder richtig zu unterscheiden.
Die Farbenblin
dheit ist häufig angeboren und betrifft dann fast immer beide
Augen. Die angeborene Farbenblin
dheit ist entweder total, wenn der Betreffende
die verschiedenen
Farbentöne nicht unterscheidet, seine ganze Umgebung nur in Schattierungen derselben
Farbe
(grau in grau) sieht, oder partiell, wenn das
Auge
[* 2]
nur für eine oder mehrere
Farben blind ist, die übrigen dagegen richtig
wahrnimmt. Am häufigsten kommt vor die
Rotgrünblindheit
(Anerythropsie nach
Goethe):
Rot und
Grün werden unter sich und mit
grauen, gelben, braunen
Tönen verwechselt.
Das Farbenspektrum besteht nur aus einem gelben (nach dem roten Ende hin) und einem blauen (nach dem violetten Ende hin) Teile, die in der Gegend des Grüns zusammenstoßen. Man kann die Rotgrünblindheit in zwei Formen zerlegen:
1) die Grünblindheit (Rotgrünblindheit mit unverkürztem Spektrum), bei welcher der rote Teil des Spektrums farblos hell oder gelb erscheint, zwischen gelb und blau meistens ein neutraler grauer Streifen liegt, hellgrün mit dunkelm Rot verwechselt wird;
2) die Rotblindheit (Rotgrünblindheit mit verkürztem Spektrum), bei welcher der rote Teil des Spektrums dunkel erscheint, helles Rot mit dunkelm Grün verwechselt wird. Selten ist die Violettblindheit (Blaublindheit [Cyanoblepsie], Blaugelbblindheit [Akyanoblepsie nach Goethe]): Gelb und Blau werden nicht erkannt, das Spektrum besteht nur aus Grün und Rot, der violette (blaue) Teil erscheint dunkel.
Die Erscheinungen der Farbenblin
dheit lassen sich aus den bis jetzt geltenden Farbentheorien (s.
Farbensinn und Farbenlehre) nicht sämtlich ohne Zwang erklären. Während nach der
Ansicht von
Helmholtz bei partieller Farbenblin
dheit eine
oder zwei Faserarten in der Netzhaut fehlen, bei der totalen Farbenblin
dheit überhaupt nur eine
Faserart vorhanden ist, erklären Hering und Preyer die partielle Farbenblin
dheit aus dem Fehlen der rotgrünen oder
blaugelben Sehsubstanz (Doppelzapfen), die totale Farbenblindheit
aus dem Fehlen jeder farbenempfindenden
Substanz. Im J. 1777 zuerst von
Huddart erwähnt, wurde die Farbenblindheit
zuerst von dem selbst rotblinden engl.
Chemiker Dalton 1794 beschrieben und seitdem von
Prevost mit dem
Namen Daltonismus belegt.
Nachdem 1837 Seebeck methodische Untersuchungen Farbenblinder vorgenommen hatte, gaben zuerst
Helmholtz und Maxwell Erklärungen
der Farbenblindheit.
Die Untersuchungen wurden in der neuesten Zeit von vielen Seiten fortgesetzt, namentlich seitdem
der
Schwede Holmgren die öffentliche
Aufmerksamkeit auf die Gefährlichkeit der Farbenblindheit
wegen der beim Eisenbahn-
und Marinedienste gebräuchlichen farbigen Signale gerichtet hatte,
und sie ergaben, daß auf 1000
Männer etwa 30 Farbenblinde,
auf 1000 Frauen nur 3 Farbenblinde kommen.
Man erklärte dies dadurch, daß vom Beginn des Menschengeschlechts an die Beschäftigung mit farbigen
Objekten hauptsächlich den Frauen zufiel, und einige Forscher
(Gladstone u. a.) zogen hieraus und aus der
Armut der Homerischen
Sprache
[* 3] sowie der meisten heutigen Naturvölker an Farbenbezeichnungen den von anderer Seite vielfach angefochtenen
Schluß auf
eine Weiterentwicklung des
Farbensinns von Generation zu Generation. Man glaubte daher nicht nur durch
Erziehung des
Farbensinns der Farbenblindheit
späterer Generationen vorbeugen, sondern sogar die bestehende Farbenblindheit heilen
zu können. In letzterer
Beziehung hat sich nun ergeben, daß Farbenblinde beim
Sehen
[* 4] durch Fuchsingläser allerdings
Farben,
die ihnen sonst völlig gleich erschienen, zu unterscheiden vermögen, ohne indessen den richtigen
Farbenton zu empfinden.
Die Farbenblindheit
, wenigstens die
Rotgrünblindheit, ist erblich, häufig in der Art, daß sie von dem Großvater
auf den Sohn der farbenkräftigen Tochter übergeht. Eine vorübergehende künstliche Farbenblindheit
stellt sich
nach dem Genusse von Santonin ein, indem helle Gegenstände gelb erscheinen. (S.
Gelbsehen.)
Gewöhnlich tritt die Farbenblindheit
in der Form der
Rotgrünblindheit als ein konstantes und frühzeitiges
Symptom
bei
Leiden
[* 5] des nervösen Sehapparats, namentlich dem progressiven Sehnervenschwunde, (Schwarzem
Star) auf, während eine erworbene
Farbenblindheit
¶
mehr
ohne sonstige Störungen des Sehvermögens zu den größten Seltenheiten gehört. Man bedient sich zur Prüfung des Farbensinns entweder verschiedenfarbiger Wollproben (s. Wollprobe Holmgrens), oder verschiedenfarbiger Täfelchen, oder der sog. Pseudoisochromatischen Tafeln (s. d.), zur genauern Prüfung auch des Farbenkreisels, des Spektroskops oder des Roseschen Polariskops.
Litteratur. Magnus, Die Farbenblindheit
, ihr Wesen und ihre Bedeutung (Bresl.
1878);
Kalischer, Die Farbenblindheit.
Eine allgemeinverständliche Darstellung ihrer Bedeutung, der Theorien, ihres Vorkommens und der Prüfungsmethoden
(Berl. 1879);
Holmgren, Die Farbenblindheit in ihren Beziehungen zu den Eisenbahnen und der Marine (deutsche autorisierte Übersetzung, Lpz. 1878);
Stilling, Das Sehen der Farbenblinden (Cass. 1880);
ders., Pseudoisochromatische Tafeln (ebd. 1883);
ferner zahlreiche Abhandlungen von Donders, Hering, Knies, Kolbe, Uhthoff u. a.