Färberei.
Bei der neuern chemischen Auffassung der in der Färberei
verlaufenden
Prozesse betrachtet
man die gefärbte
Faser, speziell die Tierfaser, als eine salzartige
Verbindung, in welcher die
Faser die
Rolle einer
Säure oder
Base spielt, je nachdem der zum
Färben benutzte
Farbstoff basischer oder saurer
Natur war. Die
Base
Rosanilin ist ungefärbt,
während ihre
Salze, wie z. B. das
Fuchsin, lebhaft rot gefärbt sind. Bringt man nun in eine farblose
Rosanilinlösung einen
Woll- oder Seidenstrang und erwärmt die
Flüssigkeit, so färbt sich die
Faser ebenso intensiv rot,
als ob die entsprechende
Menge eines Rosanilinsalzes angewendet worden wäre.
Man muß also annehmen, daß die farblose Base mit der Faser eine Verbindung eingeht, welche sich wie ein Salz [* 2] des Rosanilins verhält. Ist diese Deutung richtig, so müssen Salze von Farbbasen durch den Färbeprozeß zerlegt werden, und in der That kann nach dem Ausfärben genau abgewogener Mengen von Fuchsin, Methylviolett und Chrysoidin auf Wolle oder Seide [* 3] die in diesen Farbstoffen enthaltene Salzsäure quantitativ in dem entfärbten Lösungsmittel nachgewiesen werden.
Die
Flüssigkeit reagiert indes wie vor dem
Färben neutral, die
Salzsäure ist also gebunden, und zwar läßt sich qualitativ
Ammoniak nachweisen.
Letzteres ist als Zersetzungsprodukt der tierischen
Faser aufzufassen, welche indes wahrscheinlich noch
andre basische
Körper geliefert hat. Für die
Zwecke der Färberei
werden selten mehr als 2 Proz. vom
Gewicht
der
Wolle an
Farbstoff angewandt.
Indes ist die
Faser im stande, bei weitem größere
Mengen von
Farbstoff aufzunehmen, wenn man
nur einen großen Überschuß von
Farbstoff anwendet, und es scheint, daß in einigen
Fällen die Maximalmengen der aufgenommenen
Farbstoffe zu einander im
Verhältnis der Molekulargewichte oder einfacher Multipla derselben stehen. Durch
Lösen von
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Wolle in verdünnter Schwefelsäure [* 5] erhält man eine leicht lösliche Substanz, die sogen. Lanuginsäure, welche in Lösungen der sauern Farbstoffe intensiv gefärbte Niederschläge erzeugt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß beim Färben von Wolle in Säurebädern sich diese oder eine nahe verwandte Amidosäure bildet und zur Fixierung der Farbstoffe Veranlassung gibt. Stellt sich so die Färbung als ein chemischer Prozeß dar, dann ist es von höchstem Interesse, die Konstitution der tierischen Faser kennen zu lernen. In dieser Hinsicht ist es von Bedeutung, daß Richard die Gegenwart von Amidogruppen in Wolle und Seide nachgewiesen hat. Setzt man nämlich die Fasern 24 Stunden lang der Einwirkung von salpetriger Säure in sehr verdünnter Lösung aus, so verhält sich die strohgelb gewordene Faser wie eine Diazoverbindung; beim Eintauchen in alkalische Phenollösungen entstehen lebhafte, je nach der Natur des Phenols rote, orange oder braune Färbungen.