Titel
Explosivstoffe
,
feste oder flüssige chem. Körper oder Gemische letzterer, welche sich durch gewisse Mittel zur Explosion (s. d.) bringen lassen.
In den meisten Explosivstoffe
ist Sauerstoff, an
Stickstoff oder
Chlor gebunden, in großer Menge und außerdem
Kohlenstoff vorhanden, der
bei der explosiven
Zersetzung sich des Sauerstoffs bemächtigt und damit in fast unmeßbar kurzer Zeit Kohlensäuregas liefert.
Manche Explosivstoffe
sind jedoch vollständig sauerstofffrei, so z. B. Stickstoffwasserstoffsäure,
Jod- und
Chlorstickstoff, welche sich bei den leisesten Erschütterungen in ihre gasförmigen Elemente zersetzen: 2NCl3
= N2 + 3Cl2, oder bei diesem momentanen Zerfalle wenigstens ein
Gas entwickeln, wie die metallischen Explosivstoffe
(s. unten 6).
Viele Explosivstoffe
finden technische Verwendung zum Schleudern von
Geschossen oder zum
Sprengen
[* 2] und werden dann speciell
Triebmittel oder
Sprengstoffe genannt.
Je nach der Entzündungstemperatur und der Heftigkeit, mit welcher die Gasentwicklung auftritt, kann man die Explosivstoffe
in
drei Hauptgruppen teilen. I. Impulsive Explosivstoffe
, welche bei hoher Entzündungstemperatur relativ langsam verbrennen,
sie dienen sowohl als treibende
Mittel für
Geschosse
[* 3] in Feuerwaffen, als auch zu Sprengzwecken, namentlich
in Hohlgeschossen und
Minen. II.
Brisante Explosivstoffe
, welche bei hoher Entzündungstemperatur außerordentlich heftig verbrennen; sie
dienen lediglich als
Sprengmittel, da sie in Feuerwaffen zu sehr zerstörend auf diese wirken würden.
III. Fulminante Explosivstoffe
, bei welchen die Gasentwicklung bei niederer Entzündungstemperatur, aber
mit der größten Heftigkeit und
Geschwindigkeit vor sich geht; sie dienen als Zündmittel für andere Explosivstoffe
(S.
Detonator.) Die
impulsiven Explosivstoffe
werden gewöhnlich durch
Feuer, die brisanten Explosivstoffe
durch hohen Druck, die fulminanten Explosivstoffe durch eine geringere
mechan. Einwirkung zur Thätigkeit gebracht. Die brisanten Explosivstoffe brennen bei
der Berührung mit der gewöhnlichen Flamme
[* 4] nur lebhaft ab, ohne eine plötzliche Gasentwicklung zu zeigen,
sind daher die wenigst gefährlichen, während die fulminanten Explosivstoffe außerordentlich leicht zur explosiven
Zersetzung gebracht werden, und daher ihre Verwendung in größern Mengen zu vermeiden ist.
Bei den impulsiven Explosivstoffe läßt sich
die Verbrennungsgeschwindigkeit bis zu einem gewissen
Grade durch die äußere Form beherrschen, was bei
den brisanten bis jetzt nur selten gelungen ist.
Nach ihrer Zusammensetzung zerfallen die Explosivstoffe in mechanische Gemenge und chemische Verbindungen. Bei den erstern ist der Sauerstoffträger ein salpetersaures oder ein chlorsaures Salz; [* 5] die Beimengungen sind leicht verbrennliche Stoffe, wie Holzkohle, Schwefel, Zucker [* 6] u. s. w. Die chem. Verbindungen sind knallsaure Salze oder Nitrate von organischen Substanzen, wie von Baumwolle, [* 7] Holzfaser, Stärkemehl, Glycerin u. s. w., welche durch Behandlung mit konzentrierter Salpetersäure (unter Anwendung von Schwefelsäure) [* 8] Stickstoff und eine reiche Menge Sauerstoff aufnehmen. Die Nitrate können durch mechan. Beimengungen technisch besser verwertbar gemacht werden. Von anderer Seite ist eine Unterscheidung der Explosivstoffe in «direkt wirkende», deren Entzündungstemperatur mit der Explosionstemperatur zusammenliegt, und in «indirekt wirkende Explosivstoffe», bei denen die Explosionstemperatur höher liegt, in Vorschlag gebracht.
Die Explosivstoffe lassen sich folgendermaßen gruppieren:
1) Explosivstoffe mit salpetersaurem Kalium als Sauerstoffträger, Holzkohle als Brennstoff und Schwefel als Zusatz zur Förderung des Verbrennungsprozesses und Erhöhung der Ausbewahrungsfähigkeit. Hierher gehört das gewöhnliche oder schwarze Schießpulver [* 9] (s. d.) und das Braune Pulver (s. d.) und in den Verhältniszahlen abweichende Pulverarten von Neumeyer, Champy und Bennet.
Ersatzmittel des Kalisalpeters sind:
a. Salpetersaures Natrium; so im Pyronone von Reynaud, ferner im Brise-rocs von Robaudi, im Pyrolithe humanitaire von Terré und Mercader, im Steinbrech von Wetzlar, [* 10] sowie in den Pulvern von Davey, Oxland, Eaton, Schwarz, Schäffer und Budenberg. ¶
mehr
b. Salpetersaurer Baryt; hierher gehört das belg. Barytpulver und das Saxifragin.
c. Salpetersaures Ammoniak beim grobkörnigen Pulver c/86.
2) Explosivstoffe mit chlorsaurem Kalium als Sauerstoffträger, wie das muriatische Schießpulver von Berthollet (s. Berthollets Schießpulver), ferner das Pulver von Kellow und Short, Hafenegger, Pudrolith von Oller; zu den chlorsaures Kalium enthaltenden Explosivstoffe geboren ferner die weißen Pulver (s. Augendres Schießpulver, Schultzes Pulver, Uchatiuspulver) sowie das von Krafft, Callou, Spence, Ehrhardt, Hahn, [* 12] Horsley.
Ersatzmittel des chlorsauren Kaliums ist überchlorsaures Kalium: Nissers Pulver und Ammonit. Letzteres ist ein neuerer Sprengstoff, ein Gemisch von Ammoniumnitrat und Mononitronaphthalin, also dem Bellit (s. d.) sehr ähnlich, mit welchem es auch fast alle Eigenschaften teilt. In Belgien [* 13] wird es von Favier fabriziert, daher auch Faviers Sprengmittel genannt.
3) Explosivstoffe mit Surrogaten für die Kohle. Die Kohle ist in den Explosivstoffe durch die verschiedensten Stoffe ersetzt worden, so durch extrahierte Gerberlohe, Sägemehl, Kleie, Stärke, [* 14] Zucker, Blutlaugensalz, Seignettesalz, weinsaures Kalium, humussaures Ammonium, Katechu, Gerbsäure u. a. Manche der vorhergenannten Explosivstoffe enthalten solche Surrogate.
4) Explosivstoffe mit Surrogaten für den Schwefel: Haloxylin (s. d.), Collodin (s. d.), Vigorit von Bjorkmann, Xanthatpulver.
5) Explosivstoffe mit organischen Nitroverbindungen.
a. E. mit Nitroglycerin. Zu diesen zur größten Wichtigkeit gelangten Sprengstoffen gehören außer dem Nitroglycerin (s. d.) die sämtlichen Dynamite (s. d.) und die meisten rauchschwachen Pulversorten (s. Schießpulver, rauchschwaches).
b. Explosivstoffe mit Nitrocellulose, Schießbaumwolle (s. d.), nitrifiziertes Holz [* 15] von Schultze, Dualin (s. d.), Abels oder Brugères Pulver, rauchschwaches Schießwollpulver (Cotton gunpowder).
c. Die Sprengelschen Explosivstoffe, 1870 von Dr. Sprengel erfunden, bestehen aus zwei an und für sich nicht explosiblen Komponenten, welche erst kurz vor ihrem Gebrauch zusammengebracht werden und dann eine Mischung von großer Explosionswirkung abgeben. Der eine dieser Komponenten ist meist Salpetersäure, seltener ein anderer unorganischer Sauerstofflieferer, während der andere ein organischer, meist ein Nitrat der aromatischen Reihe wie Nitrobenzol, Binitrobenzol, Trinitrophenol, Nitronaphthalin, jedoch auch Schwefelkohlenstoff, oder endlich Pikrinsäure sein kann. (S. Panklastit, Hellhoffit, Emmensit, Rackarock, Romit.)
d. Explosivstoffe mit Nitrorohrzucker, Nitrostärke, Nitromannit u. a. Diese Verbindungen sind namentlich benutzt, um durch ihre eigene Explosion die anderer Explosivstoffe einzuleiten, indem man sie zur Füllung von Zündhütchen u. dgl. verwandt hat. Hierher gehört auch Uchatiuspulver (s. d.).
explosivstoffe Explosivstoffe mit Pikrinsäure; dieselben führen auch die Bezeichnung Pikratpulver (s. d.).
f. Explosivstoffe mit salpetersaurem oder chromsaurem Diazobenzol (Knallanilin).
6) Metallische Explosivstoffe: Knallgold, Knallquecksilber und Knallsilber, welche auch den Namen Knallpräparate (s. d.) führen.
Der Wert der Explosivstoffe ist ein sehr hoher, einmal zur Erzeugung der treibenden Kraft [* 16] in Feuerwaffen für militär., Jagd- und sonstige Zwecke, sodann als Sprengstoffe zu militär. Zwecken, im Bergwesen, im Straßen- und Eisenbahnbau, [* 17] endlich als Zündmittel für Feuerwaffen und Sprengladungen. Über die Gesetzgebung gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Explosivstoffe s. Sprengstoffgesetz.
Litteratur. Rutzky und von Grahl, Das Schießpulver und seine Mängel (Wien [* 18] 1863);
Explosivstoffe Schultze, Das neue chem. Schießpulver (Berl. 1865);
Neumeyer, Schieß- und Sprengpulver (Lpz. 1866);
Steerk, Guide pratique de la fabrication des poudres et salpêtres (Par. 1866);
Rutzky, Theorie der Schießpräparate und die innere Ballistik (Wien 1870);
Upmann und von Meyer, Das Schießpulver, die Explosivkörper und die Feuerwerkerei (im «Handbuch der chem. Technologie», Braunschw. 1874);
Isidor Trauzl, Die der Gegenwart (Wien 1877);
Kerl und Stohmann (Muspratt), Encyklopäd.
Handbuch der technischen Chemie (3. Aufl., 7 Bde., Braunschw. 1874-80), Artikel Glycerin und Schießpulver; Berthelot, Sur la force des matières explosives (3. Aufl., 2 Bde., Par. 1883);
P. F. Chalon, Traité théorique et pratique des explosifs modernes (ebd. 1889);
A. Ledieu und Explosivstoffe Cadiat, La nouveau matériel naval (2 Bde., ebd. 1889-90);
Cundill, A dictionary of explosives (Lond. 1889);
Eißler, Handbook of modern explosives (ebd. 1890).
Vgl. auch: von Löbell, «Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen» (Jahrg. 1874-82, Berl. 1875-83).