Etymologie
»die
Wissenschaft vom Wahren oder Echten«, d. h. die Untersuchung der Grundbedeutung,
des Ursprungs der
Wörter. Etymologische Untersuchungen wurden im Zusammenhang mit der
Frage nach dem Ursprung
der
Sprache
[* 2] schon von den ältesten griechischen
Philosophen, namentlich in den ionischen Philosophenschulen angestellt, in
denen das
Wort Etymologie
aufgekommen zu sein scheint. Doch fehlte diesen
Versuchen, über die sich schon
Platon in dem
Dialog »Kratylos«
lustig machte, noch jede
Methode.
Die gesamte Etymologie
des
Altertums statuierte die willkürlichsten Lautveränderungen und stellte unter anderm in allem
Ernste den
Grundsatz auf, daß manche
Wörter von andern Wörtern genau entgegengesetzter Bedeutung abgeleitet seien. So das berüchtigte
»lucus a non lucendo«, d. h. der
Wald heißt der Scheinende (lucus),
weil darin die
Sonne
[* 3] nicht scheint.
Ebenso sollte das
Wort bellum, der
Krieg, von bellus, schön, herkommen, »weil der
Krieg nichts
Schönes ist«, u. dgl. Auch beim
Wiedererwachen der klassischen
Studien zur Zeit der Humanisten geriet die Etymologie
wieder in ähnliche
Bahnen, wobei namentlich das
Bestreben, alles aus dem
Griechischen und
Hebräischen, den vermeintlich ältesten
Sprachen der Menschheit,
abzuleiten, zu vielen Irrtümern verführte.
Noch im vorigen
Jahrhundert stellten die
Häupter der holländischen Philologenschule
die seltsamsten
Grundsätze über Etymologie
auf, und in
Deutschland
[* 4] versuchte noch 1836 A.
Schmitt in seinem
»Organismus der griechischen
Sprache« alle griechischen
Wörter auf den
Buchstaben E zurückzuführen.
Noch jetzt tauchen derartige
Versuche
von Zeit zu Zeit auf, wobei namentlich die keltischen
Sprachen mit Vorliebe zur
Erklärung schwieriger
Wörter benutzt werden.
Eine wissenschaftliche Etymologie
existiert erst seit dem Beginn des 19. Jahrh., nämlich
seit der Einführung des
Sanskrits in die europäische
Wissenschaft und der damit zusammenhängenden
Entdeckung des indogermanischen
Sprachstammes. Die
¶
mehr
vergleichende und historische Durchforschung des gesamten Wortschatzes der indogermanischen Sprachen, namentlich die genaue
Beobachtung des Lautwandels, hat die Erkennung allgemein gültiger Grundsätze der Etymologie
und die Ermittelung des Ursprungs der
meisten wichtigern Wörter in den indogermanischen Sprachen ermöglicht. Die beste Zusammenstellung der so erzielten Resultate
findet sich in G. Curtius' »Grundzügen der griechischen Etymologie«
(5. Aufl.,
Leipz. 1879) und in Ficks »Vergleichendem Wörterbuch der indogermanischen Sprachen« (3. Aufl., Götting. 1874-76, 4 Bde.).
Vgl. Sprache und Sprachwissenschaft.
Auch auf andern Sprachgebieten wird jetzt die Etymologie
nach den gleichen wissenschaftlichen Grundsätzen
getrieben.
Unter dem zuerst von Förstemann gebrauchten Ausdruck Volksetymologie versteht man jetzt allgemein die Assimilation oder Zurechtlegung oder Umdeutung eines für das Sprachgefühl des Volkes nicht mehr unmittelbar verständlichen Wortes, wodurch dasselbe einem andern scheinbar verwandten Wort angenähert wird. Bei deutschen Wörtern pflegt man diesen sprachlichen Vorgang als Umdeutschung zu bezeichnen. So machten im letzten deutsch-französischen Krieg deutsche Soldaten aus Mont Valérien »Bulrian« oder »Baldrian«, aus Mairie »Marie«, aus Mars la Tour [* 6] »Marsch Retour«.
Viele dieser Umdeutschungen haben sich längst in der Sprache eingebürgert, wie z. B. das allerdings auf einem Mißverständnis beruhende Wort »Sündflut« statt Sintflut oder Sinflut (»große Flut«),
»Maulwurf« für Moldwurf (Molt, »Erde«),
»Armbrust« [* 7] für das mittellateinische arcubalista, »Friedhof« für Freithof, »Felleisen« für das französische valise etc. Übrigens gibt es von der Volksetymologie, in England »popular mythology« genannt, auch in andern Sprachen zahlreiche Beispiele, z. B. lat. Hibernia, Name von Irland, s. v. w. die winterliche Insel, umgedeutet aus dem irischen Namen Erin;
Honorius (»ehrenwert«) aus dem germanischen Hunjareiks;
franz. parbleu aus par dieu;
engl. crawfish (an fish, »Fisch«, angelehnt) aus franz. écrevisse (»Krebs«) [* 8] u. dgl.
Vgl. Andresen, Über deutsche Volksetymologie (4. Aufl., Heilbr. 1883).