Titel
Etrurien
(Tuscia, von den Griechen Tyrrhenia genannt, s. Karte »Altitalien«), [* 2]
Landschaft auf der westlichen Seite von
Mittelitalien, vom etruskischen
Apennin bis zum Tiberisthal; im
Altertum stark bevölkert, blühend und fruchtbar und im
Besitz
einer alten und eigentümlichen
Kultur und politischen Bedeutung. Die Hauptflüsse von Etrurien
waren der Arnus
(Arno), der
Clanis
(Chiana), der mit einem
Arm dem Arnus, mit einem andern dem
Tiber zufloß, und die Küstenflüsse Umbro
(Ombrone),
Albinia (Albegna), Armenta, Marta (Ausfluß
[* 3] des Volsinischen
Sees) und Minio.
Die östlichen, am
Fuß des
Apennin gelegenen Teile waren ausgezeichnet durch mildes, angenehmes
Klima,
[* 4] fruchtbaren
Boden und reiche
Bewässerung. Der ganze südliche Teil Etruriens
, von
Clusium bis
Rom,
[* 5] ist vulkanischer
Natur. Die
zahlreichen, kesselartig eingeschlossenen
Seen jener Gegend, von denen die beiden größten der Trasimenus
(Lago di
Perugia)
und der Volsiniensis
(Lago di
Bolsena), ferner der
Ciminius
(Lago di
Ronciglione), der Sabatinus
(Lago di
Bracciano)
und der Vadimonius
(Lago di
Bassano), füllen erloschene und eingestürzte
Krater.
[* 6] An andern
Stellen hatte die tuskische Wasserbaukunst
die
Seen durch Emissarien, welche durch die Seiten der
Berge gebrochen wurden, abgelassen, um dadurch Land für die
Kultur zu
gewinnen.
Unter den Bodenerzeugnissen Etruriens
sind besonders zu nennen: der clusinische
Spelt (far), aus welchem
das einheimische Nationalgericht, der dicke Mehlbrei (puls), bereitet wurde,
Flachs,
Wein und
Öl. Der
Apennin lieferte herrliche
Tannenstämme als
Bauholz zu
Wohnungen und
Schiffen, so daß
Rom einen großen Teil seines
Bedarfs aus Etrurien
bezog. Auch
Viehzucht und
[* 7] Fischfang waren Hauptnahrungszweige. Von
Mineralien
[* 8] wurden vorzüglich
Eisen,
[* 9] namentlich auf dem benachbarten
Ilva
(Elba), und
Kupfer
[* 10] (bei
Volaterrä) in großen
Massen gewonnen und zu
Waffen,
[* 11]
Statuen und
Geld verarbeitet.
Erst spät benutzt wurden dagegen die Marmorbrüche von
Luna, wo jetzt der karrarische
Marmor gewonnen wird. Den besten
Thon,
aus welchem die berühmten irdenen
Geschirre gefertigt wurden, grub man bei
Arretium, welche Stadt der
Hauptsitz der tuskischen Töpferarbeit und
Plastik war. Erwähnenswert sind endlich noch die zahlreichen warmen
Heilquellen
und Schwefelbäder zu
Pisä,
Clusium, Vetulonia, Populonia,
Volaterrä,
Cäre u. a.
Seiner politischen
Einteilung nach zerfiel
Etrurien
in zwölf
Republiken mit aristokratischer
Verfassung, die bei völliger Unabhängigkeit in betreff ihrer
innern Angelegenheiten durch ein
Bündnis vereinigt waren.
Die namhaftesten
Städte Etruriens
waren: Pisä,
Volaterrä
(Volterra), Vetulonia, Populonia und
Rusellä;
die drei Häfen Telamon, Portus Lauretanus und der Herkuleshafen bei der Kolonie Cosa;
ferner Tarquinii, Cäre (Cervetri) mit der Hafenstadt Pyrgi;
südlicher, nur wenig von Rom entfernt, die beiden Kolonien Alsium und Fregenä, seit dem ersten Punischen Krieg angelegt.
Städte im Innern waren: Veji (Isola Farnese), eine der mächtigsten unter den tuskischen Städten, Sutrium, der Schlüssel des Landes auf der Seite gegen Rom, Volsinii (Bolsena), Clusium (Chiusi), der Herrschersitz des Lars Porsena, Perusia (Perugia), Cortona;
nördlicher an der Quelle [* 12] des Clanis Arretium (Arezzo);
nördlich vom Arnus Fäsulä (Fiesole), unfern des viel später erbauten Florenz, [* 13] und Pistoria (Pistoja).
Zu den römischen Kolonien gehört Luca am Auser.
Ob die
Etrusker, die sich selbst
Rasenna nannten, ein Mischvolk (aus Ureinwohnern und spätern semitischen Einwanderern) gewesen
sind, oder ob sie ein selbständiger Volksstamm waren, der sich von
Rätien aus über einen großen Teil
der
Halbinsel verbreitete, bis er von den
Kelten in die
Alpen
[* 14] und nach Tuscien zurückgedrängt wurde, endlich welcher Sprachfamilie
das Etruskische angehört, ist noch eine ungelöste Streitfrage (s. unten). Die
Blütezeit der etruskischen Macht fällt in
die Zeit von 800 bis 400
v. Chr. Sie bewohnten außer Etrurien
auch das Gebiet zwischen
Apennin und
Po und den
mittlern Teil der nördlichen Poebene;
Mantua,
[* 15] Melpum und Felsina
(Bologna) waren etruskische
Städte.
Kampanien eroberten sie im 8. Jahrh. und verloren es erst im 4. Jahrh.
an die
Samniter. Auch die Herrschaft über das
Tyrrhenische Meer hatten die
Etrusker inne, bis dieselbe
im 4. Jahrh. durch die karthagische
Seemacht gebrochen wurde. Aus Oberitalien
[* 16] wurden sie von den
Kelten im 4. Jahrh. verdrängt.
Das
Verhältnis Etruriens
zu
Rom während der Königsherrschaft und der ersten
Zeiten der
Republik ist sehr in
Dunkel gehüllt.
Kämpfe
Roms gegen die
Etrusker in
Veji,
Fidenä etc. erwähnt schon die Königsgeschichte unter
Romulus,
Tullus Hostilius und
Ancus Marcius.
Den L.
Tarquinius Priscus nennt die
Sage einen vornehmen, ursprünglich aus
Korinth
[* 17] stammenden
Bürger von
Tarquinii. Ob freilich
durch dessen Thronbesteigung zu
Rom ein Einfluß Etruriens
auf
Rom oder gar eine etruskische Herrschaft
begründet wurde, ist ungewiß; wohl aber scheint nach dem
Sturz der römischen Königsherrschaft
Rom eine Zeitlang infolge
der
Siege des clusinischen
Fürsten
Porsena in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu Etrurien
gestanden zu haben.
Längere Zeit ruhten sodann die
Fehden zwischen
Rom und den etruskischen
Städten, abgesehen von kürzern
Grenzstreitigkeiten, in deren
Folge 426
Fidenä von den
Römern zerstört wurde. Erst die
Eroberung des mächtigen
Veji durch
Camillus 396 war epochemachend und schien die römische Herrschaft über Etrurien
anzubahnen. Doch wurde
Rom durch die gallische
Invasion, die übrigens auch Etrurien
hart betraf, auf längere Zeit lahmgelegt. Als es aber
wieder zu
Kräften kam, wurde es für das ohnedies zurückgekommene Etrurien
immer gefährlicher.
Daher verbanden sich die
Etrusker 311 mit den
Samnitern und erneuerten diesen
Bund auch im dritten Samniterkrieg 298, gerieten
aber mit ihren Verbündeten nach dem
Sieg der
Römer
[* 18] bei Sentinum 295 unter die römische Herrschaft, welche sich
von da an mehr und mehr befestigte, so daß Etrurien
ums Jahr 280 als den
Römern völlig unterworfen gelten konnte; doch bestanden
Sprache,
[* 19]
Sitte, religiöse
Disziplin und meist auch die innere
Verfassung der einzelnen
Staaten noch fast zwei
Jahrhunderte in
ihrer Eigentümlichkeit fort, und Etrurien
war, nachdem es sich von seinen
Kämpfen erholt, noch immer ein reiches,
blühendes Land. Durch die
Lex
Julia des
Konsuls L.
Julius Cäsar erhielt es 89 das
Bürgerrecht, weil es während des Bundesgenossenkriegs
Rom treu geblieben war.
Durch
Sulla aber wurde das Land nach harten
Kämpfen seiner nationalen
Einheit beraubt und durch zahlreiche
Militärkolonien
in
Stücke zerrissen.
Noch einmal tauchte der alte
Name des
Landes im
Frieden von Lüneville (1801) auf, wo
Etrurien
oder Hetrurien dem
Erbprinzen
Ludwig von
Parma
[* 20] als
Königreich überlassen wurde. Nach seinem
Tod übernahm seine
Witwe, die
Infantin
Marie
Luise von
Spanien,
[* 21] als Vormünderin ihres
Sohns
Karl
Ludwig die
Regierung, die sie jedoch schon wieder
niederlegen mußte. Etrurien
¶
mehr
ward hierauf französische Provinz und durch Senatsbeschluß vom für einen Teil des französischen Kaiserreichs erklärt, 1809 aber als Großherzogtum Toscana der Schwester Napoleons I., Elisa, zugewiesen, die es 1814 wieder an das frühere Regentenhaus abtreten mußte. Vgl. Toscana.
Erst die neuere Zeit hat wieder anerkannt, welche bedeutende Stelle die Etrusker unter den Völkern des Altertums einnahmen, obwohl man über ihren Ursprung noch nicht klar geworden ist. Während die altitalischen Mundarten (das Umbrische, Oskische etc.) sich unzweifelhaft als Zweige des indogermanischen Sprachstammes auswiesen, bot die von jenen verschiedene Sprache der Etrusker (das Tuskische) einer genügenden Erklärung bisher hartnäckig Trotz; man hielt sie bald für eine Mischsprache, bald für eine semitische (so Stickel 1859). In neuerer Zeit versuchte Corssen (»Über die Sprache der Etrusker«, Leipz. 1874-75, 2 Bde.) den Beweis, daß wir, wie in der umbrischen und oskischen Sprache, so auch im Etruskischen einen dem Lateinischen verwandten Zweig des großen indogermanischen Sprachstammes zu erkennen haben.
Doch fand diese Ansicht mehrfachen Widerspruch, namentlich von seiten Deeckes (in seiner neuen Ausgabe von O. Müllers »Etrusker«, Stuttg. 1877), der indessen mit ebensowenig Erfolg die etruskische Sprache dem finnischen Sprachstamm [* 23] zuwies. Das Hauptdenkmal des Tuskischen ist die 1822 gefundene sogen. Perusinische Inschrift; daraus wie aus den vielen andern noch vorhandenen Inschriften ergibt sich, daß diese Sprache eine große Härte, namentlich durch Häufung von Konsonanten, besaß.
Dem Alphabet liegt das phönikische zu Grunde, das jedoch erst durch die Griechen zu den Etruskern kam, da sich nur sehr wenige Buchstabenformen finden, die nicht auch auf griechischen Inschriften vorkämen. Dagegen wurde von den Etruskern an der orientalischen Schreibweise von der Rechten zur Linken festgehalten. Von den Zahlzeichen, die auch von den Römern angenommen worden sind, läßt sich bezweifeln, ob sie zu demselben Schriftsystem gehören wie die Buchstaben.
Kulturverhältnisse der Etrusker.
Was die politischen Verhältnisse betrifft, so bestand die Bevölkerung [* 24] aus einem herrschenden und einem unterthänigen Teil, welch letzterer sich mit den thessalischen Penesten oder den Heloten vergleichen läßt. Die Städte wurden von einem Priesteradel regiert; die herrschenden Geschlechter (Lucumones) der einzelnen Städte entschieden zusammen über die allgemeinen Angelegenheiten der Nation. Das Verhältnis der Bundesstaaten untereinander war ein unabhängiges und ziemlich lockeres; doch scheint Tarquinii alte Ansprüche auf die Leitung des Ganzen gehabt zu haben.
Die Bundesversammlungen, welche jährlich, in dringenden Fällen aber auch öfter gehalten wurden, fanden beim Tempel [* 25] der Göttin Voltumna statt, der wahrscheinlich in der Nähe des Vadimonischen Sees lag. Man feierte sie durch Opfer und Spiele, wählte einen Oberpriester und im Fall eines Kriegs einen gemeinsamen Bundesfeldherrn, dem dann jeder der zwölf Staaten einen Liktor [* 26] sandte, beschloß über Krieg und Frieden und beratschlagte über alle die Gesamtheit des Bundes angehenden Gegenstände.
Die Lucumonen bildeten den herrschenden Stand und hatten allein auf die höchsten Würden Anspruch, besonders auf die königliche Würde, die in den frühern Zeiten Etruriens in den einzelnen Staaten verfassungsmäßig bestand. Später wurde das Königtum aufgehoben und durch jährlich wechselnde Magistrate ersetzt. Der öfters vorkommende Beiname Lars oder Larth bezeichnete den Herrscher. Eigentümlich waren der tuskischen Adelsherrschaft ein großer Ahnenstolz und Neigung zu Pomp in Kleidung und Insignien, wie ja auch vieles, was zu Rom die Magistrate äußerlich auszeichnete, wie die Lictores, Apparitores, die elfenbeinernen Kurulsessel, die Toga [* 27] praetexta, der Pomp der Triumphe etc., von den Etruskern entlehnt wurde.
Hauptbeschäftigung der Etrusker waren Ackerbau und Handel zur See und zu Lande, denn schon in sehr früher Zeit führte von Etrurien ein Handelsweg über die Alpen nach dem Norden. [* 28] Auf dem Meer waren die Etrusker nach den Griechen, Phönikern und Karthagern das bedeutendste Handelsvolk, was auch durch ihre Handelsverträge mit Karthago [* 29] bestätigt wird. Die wichtigsten Häfen waren Pisä, Populonia und Cäre. Die ausgeführten Waren bestanden hauptsächlich in den reichen Naturprodukten des Landes, aber auch in Erzeugnissen des Gewerb- und Kunstfleißes, unter welchen hauptsächlich tuskische Schuhe, Thongeschirre und künstliche Erzarbeiten einen großen Ruf genossen.
Wie alle seefahrenden Nationen des Altertums, trieben die Etrusker auch Seeraub und waren deshalb übel berüchtigt und gefürchtet. Für die Ausbreitung des tuskischen Handels sprechen namentlich die noch vorhandenen Münzen, [* 30] welche beweisen, daß Etrurien seit alten Zeiten sein eignes Münzsystem hatte und Kupfermünzen schlug oder vielmehr goß, ohne es von den Griechen erlernt zu haben. Umbrien, Latium, das ganze Mittelitalien nahmen dieses Münzsystem an, ebenso die griechischen Kolonien und Sizilien. [* 31]
Die Form dieser gegossenen Kupferstücke (aes grave), die meist die Prägorte Volaterrä, Clusium, Telamon, Hatria tragen und lange das alleinige Geld Mittelitaliens waren, war zuerst viereckig und erst später rund. Das Duodezimalsystem herrschte auch hier. Was das Kriegswesen anlangt, so gehörte der Ruhm tuskischer Tapferkeit frühern Zeiten an, ehe die Etrusker den Römern unterlagen. Später neigten die Etrusker zur Verweichlichung und Schwelgerei und zum Luxus.
In der Bauart der Wohnhäuser [* 32] sind aus Etrurien mehrere Einrichtungen in Italien [* 33] üblich geworden, wie das Atrium oder Cavädium, der Sammelplatz der Familie, dessen älteste und einfachste Art Tuscanicum hieß. Über die Baukunst der [* 34] Etrusker ist im Artikel »Baukunst« (mit Tafel V, [* 22] Fig. 1-11) ausführlich berichtet. Unter den Zweigen der Plastik (s. Artikel »Bildhauerkunst« [* 35] und Tafel I, [* 22] Fig. 15, Tafel II) blühte in Etrurien besonders die Bereitung von Thongefäßen, welche in allen möglichen Formen verfertigt wurden und eine große technische Fertigkeit, ja auch feinen Kunstsinn der Griechen bekunden.
Auch wurden in früherer Zeit Tempelzierden, Reliefs und Statuen in den Giebelfeldern häufig aus Thon gefertigt. Sehr zahlreich waren auch Erzbilder, deren Volsinii bei seiner Eroberung gegen 2000 zählte. Besonders geschätzt waren aus Gold [* 36] getriebene Schalen und allerlei Bronzearbeiten, wie Kandelaber; [* 37] ebenso wurden silberne Becher, [* 38] Throne von Elfenbein und edlem Metall, Bekleidungen für Prachtwagen von Erz, Silber, Gold und reichverzierte Waffenstücke in Menge gefertigt. In diese Klasse gehören auch die auf der Rückseite gravierten Bronzespiegel. Weniger wurde die Skulptur in Stein geübt, dagegen in der Steinschneidekunst [* 39] Vorzügliches geleistet. Man verband mit einer bewundernswürdigen Feinheit der Ausführung eine gewisse Vorliebe für gewaltsame Stellungen und übertriebene Bezeichnung der Muskulatur, wodurch selbst die Wahl der ¶
mehr
Gegenstände meist bestimmt ward. Die etruskische Malerei ist ein Zweig der griechischen, doch scheint in Etrurien früher als in Griechenland [* 41] die Wandmalerei geübt worden zu sein (s. Tafel »Ornamente [* 42] I«, [* 40] Fig. 40-43). Zahlreiche Grabkammern, besonders bei Tarquinii, sind mit Figuren in bunten Farben bemalt. Der Stil der Zeichnung geht von einer den alten griechischen Werken verwandten Strenge und Sorgfalt in die flüchtigen und karikaturartigen Manieren über, welche in der spätern Kunst der Etrusker herrschten.
Auf eine alttuskische Dichtkunst scheint die Sage hinzudeuten, daß der Götterknabe Tages seine Offenbarungen gesungen habe. Tuskische Tragödien eines gewissen Volnius erwähnt Varro, und die Theater [* 43] zu Fäsulä u. a. O. sind Zeugen dafür, daß wenigstens griechische Schauspiele entweder in Übersetzung oder in der Ursprache aufgeführt wurden. Bemerkenswert ist aber, daß sich in keiner Inschrift auch nur die geringste Ähnlichkeit [* 44] mit einem griechischen Rhythmus entdecken läßt.
Die Musik der Römer stammte aus Etrurien, auch ihre darstellenden Sänger kamen daher. Saiteninstrumente zeigen die Denkmäler hin und wieder, doch war die Flöte das eigentlich einheimische Musikinstrument. Von den profanen Wissenschaften übten die Etrusker Heilkunde, Naturkunde und Astronomie, [* 45] und besonders als Ärzte genossen sie einen nicht unbedeutenden Ruf bei den Griechen. Die von ihnen gerühmte Kunst des Wasserfindens oder Regenlockens (aquaelicium) beruhte offenbar auf tieferer Kunde der Natur.
Ihre Zeitrechnung folgte sehr genauen Gesetzen. Sie bestimmten den Anfang des Tags durch den höchsten Stand der Sonne [* 46] und bedienten sich wirklicher Mondmonate. Wie sie die Mondmonate mit dem Sonnenjahr in Einklang brachten, ist unbekannt; doch scheinen ihre Jahre von kürzerer Dauer als die des Sonnenjahrs gewesen zu sein. Am Tempel der Nortia zu Volsinii wurde jedesmal an den Iden des Septembers ein Nagel eingeschlagen, um so die Zahl der vergangenen Jahre zu bezeichnen.
Die Götterlehre der Etrusker wich von der altitalischen vielfach ab. Sie unterlag frühzeitig griechischen Einflüssen, indem man hellenische Gottheiten teils geradezu dem Götterkreis der Etrusker einverleibte, wie das z. B. beim Bacchus der Fall war, teils dieselben den alten tuskischen Göttern unterschob, wodurch von mehreren der letztern der ursprüngliche Begriff ganz verloren gegangen ist. Man unterschied zwei Ordnungen von Göttern: die obern oder verhüllten Gottheiten, welche Jupiter befragt, wenn er eine Verheerung oder Veränderung des bisherigen Zustandes durch einen Blitz verkünden will, und die Zwölfgötter, welche Jupiters gewöhnlichen Rat bilden, mit dem lateinischen Namen Consentes genannt.
Den Etruskern eigentümliche Gottheiten waren: Vertumnus, eine Naturgottheit, die, wie es scheint, die Verwandlungen in der Natur bezeichnete;
Nortia, eine Schicksalsgöttin, an deren Tempel zu Volsinii das Einschlagen des Nagels erfolgte;
der von den Römern sogen. Vejovis oder Vedius, der böse Jupiter, dessen tuskischer Name nicht bekannt ist;
der dunkle Summanus;
die Unterweltsgottheiten Mantus und Mania, nebst den Manes;
Voltumna, die Göttin des Bundestempels;
die freundliche Göttin der Geburt, Mater Matuta, mit einem berühmten Tempel zu Cäre, u. a. Auch Janus, [* 47] als Himmelsgott, scheint tuskischen Ursprunges, wie nicht minder Menerfa (Menrfa) für eine ursprüngliche tuskische Göttin zu halten ist.
Einer ihrer Tempel stand zu Falerii, wo ihr im März ein großes Fest, die Quinquatrus, gefeiert wurde. Von da ward ihr Dienst nach Rom gebracht und ihr allmählich der Begriff der griechischen Athene [* 48] substituiert. Ebenso sind die Lares ihrem Namen sowohl als ihrem Begriff nach etruskisch. Als die drei obersten Gottheiten galten den Etruskern Jupiter, Juno und Minerva, die deshalb auch in den meisten Städten Tempel hatten. Die Religiosität der Etrusker neigte sich zum Finstern und Dämonischen hin; sie wußten viel von einer geheimnisvollen Geisterwelt zu erzählen, fanden Gefallen an geheimnisvoller Zahlenmystik und hatten manche rohe und grausame Gebräuche, wie denn nicht selten Menschenopfer vorkamen.
Das Totenreich erschien ihnen namentlich von seiner schrecklichen Seite als ein Ort der Peinigung. Diese Richtung führte dann zu allerlei Instituten und Zeremonien, welche die Erforschung des göttlichen Willens zum Zweck hatten, und so war Etrurien das gelobte Land des Divinationswesens und der Wahrsagerei in allen möglichen Formen. Man weissagte aus dem Flug der Vögel [* 49] (Augurium), aus dem Fraß heiliger Hühner, [* 50] aus den Erscheinungen am Himmel, [* 51] besonders den Blitzen, aus den Eingeweiden der Opfertiere (Haruspicium).
Als Vater dieser Wahrsagekunst galt ein Dämon, Namens Tages, der, ein Kind von Jahren und Gestalt, aber grau an Weisheit, in einer Ackerfurche entdeckt ward und den Lucumonen das Geheimnis offenbarte. Die sogen. Bücher des Tages waren die Quelle der etruskischen Weisheit, es gab besondere Schulen zum Unterricht in der Wahrsagekunst. Diese Kunst hat sich dann, befördert von dem altitalischen Schicksalsglauben, auch bei den übrigen Stämmen Italiens [* 52] eingebürgert.
Quellen sind, abgesehen von den Kunstdenkmälern und Inschriften, einheimische, griechische und römische Aufzeichnungen und Traditionen. Unter den ältern römischen Quellen sind die Annalen des Cincius und die »Origines« des Cato erwähnenswert. Der Volaterraner Aulus Cäcina, der zur Zeit des Cicero lebte, schrieb »De etrusca disciplina«, woraus Seneca einige wichtige Abschnitte erhalten hat; ferner beschäftigte sich mit der etruskischen Sprache der Grammatiker und Historiker Verrius Flaccus, aus welchem wieder Festus die Mehrzahl seiner Notizen schöpfte, und Kaiser Claudius schrieb 20 Bücher »Tyrrhenischer Geschichten«, die jedoch ebenfalls verloren sind.
Viele wichtige Notizen sind auch von den alten Auslegern zu Vergils »Aeneis« aufbewahrt worden. Von neuern Schriften über Etrurien sind außer Dempster (»De Etruria regali«, 1726) und Gori (»Museum etruscum«, 1737-43, 3 Bde.) die wichtigsten: Inghirami, Monumenti etruschi (Flor. 1825, 10 Bde.);
O. Müller, Die Etrusker (Bresl. 1828, 2 Bde.; neue Ausg. von Deecke, Stuttg. 1877);
Abeken, Mittelitalien vor den Zeiten der römischen Herrschaft nach seinen Denkmalen dargestellt (das. 1843);
»Musei etrusci monumenta« (Prachtwerk, Rom 1842, 2. Bde.);
Dennis, The cities and cemeteries of Etruria (2. Aufl., Lond. 1878, 2 Bde.; deutsch von Meißner, Leipz. 1851);
Desvergers, L'Étrurie et les Étrusques (Par. 1864, 2 Bde.);
Gray, History of Etruria (Lond. 1843-70, 3 Bde.);
Taylor, Etruscan researches (das. 1874);
Genthe, Über den etruskischen Tauschhandel nach dem Norden (Frankf. 1874).