Titel
Etienne
,
1) Charles Guillaume, dramatischer und politischer Schriftsteller, geb. zu Chamouilly (Obermarne), kam 1796 nach Paris [* 2] ohne andre Hilfsmittel als sein vorteilhaftes Äußere und seinen glänzenden Esprit, war zuerst als Buchhalter thätig, schrieb dann für Zeitungen und verfaßte endlich teils allein, teils in Verbindung mit andern eine Anzahl Theaterstücke, die eine äußerst beifällige Aufnahme fanden. Dadurch gewann er die Gunst des Herzogs von Bassano, der ihn zu seinem Sekretär [* 3] und Reisebegleiter machte, wurde dann unter dem Kaiserreich Zensor und Chefredakteur des »Journal de l'Empire« und Nachfolger Esménards als Chef des Preßbüreaus und 1811 Mitglied der Akademie.
Unter der Restauration fiel er in Ungnade und wurde sogar aus der Akademie gestoßen; er nahm von nun an seinen Platz in den Reihen der Opposition, wurde Redakteur des »Constitutionnel« und schrieb eine Menge der geistreichsten und witzigsten Artikel, besonders die »Lettres sur Paris«. 1822 und 1827 erhielt er ein Mandat als Deputierter und ward der populärste und gefeiertste Kämpfer für politischen Liberalismus;
1829 wurde er wieder in die Akademie aufgenommen und trat sogleich als entschiedener Gegner der romantischen Schule auf;
1830 verfaßte er die Adresse der 221 Deputierten, deren Protestation die Julirevolution veranlaßte;
1839 ward er zum Pair erhoben. Er starb Schon sein erstes Lustspiel: »Le [* 4] rêve« (1799),
noch mehr »La jeune femme colère« (1804) und »Brueys et Palaprat« (1807) legen Zeugnis ab von seiner glänzenden Phantasie, seinem eleganten, klaren Stil und seiner großen Kunst im Aufbau und in der Entwickelung der Handlung;
dazu wußte er sich ausgezeichnet dem Geschmack seiner Zeit anzupassen.
Als direkter Nachfolger Molières aber zeigte er sich in seinem Lustspiel »Les deux gendres« (1810),
dem besten
Lustspiel aus der Zeit des Kaiserreichs. Zufällige
oder absichtliche,
jedenfalls aber höchst geringfügige Anklänge dieser
Komödie an ein
Stück des 17. Jahrh.: »Conaxa,
ou les gendres dupés«, verwickelten Etienne
in einen heftigen litterarischen Streit, den die vielen
Neider seiner glänzenden
Karriere und die heimlichen Feinde des Kaiserreichs emsig zu schüren wußten.
Sein schwaches und frostiges
Lustspiel »L'intrigante«
(1813) wurde durch polizeiliche Unterdrückung vor dem natürlichen
Tod bewahrt. Dagegen hat er mit seinen
kleinen
Komödien,
Vaudevilles,
Operetten und
Feerien immer große Erfolge erzielt; seine
Opern:
»Cendrillon« (1810) und »Joconde«
(1814) entzückten ganz
Paris. Von seinen übrigen
Schriften erwähnen wir:
»Histoire du
théâtre français, etc.« (Par. 1802, 4 Bde.)
und seine litterarhistorischen
Arbeiten, besonders die
Einleitung zum
»Tartuffe« (1824). Seine
»Œuvres«
gab A.
François heraus (Par. 1846, 4 Bde.).
2) Michael, österreich. Journalist; geb. zu Wien, [* 5] begann seine litterarische Thätigkeit in den 40er Jahren und trat 1848 als Publizist in in- und ausländischen Journalen auf. Von 1850 bis 1855 lebte er in Paris, als Korrespondent für österreichische und deutsche Blätter thätig. Damals sammelte er reiche Erfahrungen über das Wesen, die Einrichtung, den Stil und die Technik der tonangebenden französischen und englischen Presse, [* 6] Erfahrungen, welche er später für die Ausbildung der österreichischen Presse verwertete.
Nach
Wien zurückgekehrt, übernahm er im April 1856 die Chefredaktion der
»Presse«, welche unter ihm einen
großen Aufschwung nahm. Im Mai 1864 trat er mit seinem
Kollegen
Max
Friedländer von der Leitung der
»Presse« zurück und begründete
im
September d. J. die
»Neue
Freie
Presse«, welche in kürzester Zeit sich zu einem Weltblatt aufschwang, in welchem die
Interessen
der
Politik, des
Handels und
Verkehrs, des
Unterrichts, der Litteratur und der schönen
Künste eine den höchsten
Anforderungen entsprechende litterarische Vertretung finden. Nach dem
Tod
Friedländers (April 1872) führte Etienne
allein die
Oberleitung des Unternehmens in deutsch-liberalem
Sinn bis zu seinem
Tod,
3) Buchdruckerfamilie, s. Estienne.