Titel
Estrées
(spr. estreh, seltener etreh), uraltes franz. Adelsgeschlecht, das seinen Namen von einem Landgut in der Nähe von Arras [* 2] führt. Ausgezeichnet sind:
1) Gabrielle d', die berühmte Geliebte Heinrichs IV. von Frankreich, Tochter des Großmeisters der Artillerie, Antoine d'E., des tapfern Verteidigers von Noyon 1593, geboren um 1570, schön und geistreich, ward 1590, als König Heinrich IV. zufällig ihren Wohnort, Schloß Cœuvre, besuchte und sofort eine heftige Leidenschaft für sie faßte, dessen Geliebte. Des Scheins wegen vermählte sie der König mit d'Amerval de Liancourt, welche Ehe jedoch bald wieder getrennt wurde, da der König beabsichtigte, sich von Margarete von Valois scheiden zu lassen und Gabrielle auf den Thron [* 3] zu erheben.
Trotz des Widerspruchs des Ministers Sully zur Herzogin von Beaufort ernannt, war sie bei Hof [* 4] ihrer Bescheidenheit wegen beliebt, während ihr die leidenschaftliche Liebe des Königs einen unbegrenzten Einfluß gestattete, den sie jedoch keineswegs mißbrauchte. Schon war die Scheidung des Königs eingeleitet, als Gabrielle zu Paris [* 5] im Haus eines im Vertrauen des Königs stehenden Juden, Namens Zamet, nach dem Genuß einer Orange plötzlich starb. Sie hinterließ dem König drei Kinder, César und Alexandre von Vendôme und Henriette Katharina, an den Herzog von Elboeuf vermählt. Ihre nach einer Handschrift der königlichen Bibliothek zu Paris erschienenen »Mémoires« (Par. 1829, 4 Bde.; neue Ausg. 1852) sind wahrscheinlich unecht.
Vgl. Loiseleur, Ravaillac et ses complices (Par. 1873).
2)
François Annibal d',
Bruder der vorigen, geb. 1573, hatte schon 1594 das
Bistum
Noyon erhalten, als er, seiner
Neigung folgend,
unter dem
Namen eines
Marquis de Cœuvres
Kriegsdienste nahm, in denen er bald zum
Generalleutnant emporstieg. Unter
Maria von
Medicis wurde er zu mehreren diplomatischen
Missionen verwendet; 1624 erhielt er das
Kommando der vereinigten
Truppen von
Frankreich,
Venedig
[* 6] und
Savoyen, um den
Graubündnern das
Veltlin zu sichern, wofür er 1626 den Marschallstab empfing. 1630 versuchte
er
Mantua
[* 7] den Kaiserlichen zu entreißen, mußte aber kapitulieren und erhielt sodann den Oberbefehl über die Rheinarmee,
an deren
Spitze er 1632
Trier
[* 8] nahm. Von 1636 bis 1648 war er außerordentlicher Gesandter in
Rom.
[* 9] Bei
Ludwigs
XIV. Thronbesteigung wurde das Marquisat Cœuvres zum Herzogtum Estrées
erhoben und er zum
Gouverneur von
Isle de France und
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Soissons ernannt; er starb in Paris und hinterließ »Mémoires de la régence de Marie de Médicis« (Par. 1666).
3) Jean, Graf d', Sohn des vorigen, geb. 1624, diente zuerst unter Turenne, geriet aber in Gefangenschaft, in welcher er über zehn Jahre schmachtete. Vom König 1668 zum Befehlshaber der Seetruppen ernannt, züchtigte er die Raubstaaten, befehligte 1672 gegen Holland die vereinigte Flotte von Frankreich und England und kämpfte gegen den holländischen Admiral de Ruyter in der Southwoldsbai verhinderte er durch seine Unthätigkeit die Engländer am Sieg in der Schlacht beim Texel. 1676 entriß er den Holländern Cayenne, eroberte Gorée und die Insel Tobago, ward 1681 Marschall, besiegte 1685 die Raubstaaten Tripolis und Tunis [* 11] und wurde 1686 zum Vizekönig der amerikanischen Kolonien ernannt. 1688 züchtigte er Algier, focht 1691 glücklich gegen die Engländer und erhielt 1704 das Gouvernement von Nantes. [* 12] Er starb in Paris.
4) Victor Marie, Herzog d', Sohn des vorigen, geb. beteiligte sich als Schiffskapitän an seines Vaters Expeditionen
nach Amerika,
[* 13] Tripolis und Algier, befehligte im März 1691 die Galeeren, welche die Einnahme von Villafranca, Nizza
[* 14] und Oneglia
bewirkten, und bombardierte 1697 Barcelona
[* 15] und Alicante. 1701 zum Marschall von Frankreich und zum spanischen
Granden erhoben, trug er wesentlich zum Seesieg bei Malaga
[* 16] (1704) bei, wurde nach dem Tod seines Vaters Gouverneur von Nantes und
Coucy sowie Vizekönig von Amerika. 1715 wurde er zum Präsidenten des Marinerats und zum Vizepräsidenten des Handelsrats ernannt, 1717 in
den Regentschaftsrat eingeführt und 1720 mit dem Gouvernement der Bretagne betraut. Später gelangte er
auch zur Herzogswürde, ward 1733 in den Staatsrat aufgenommen und empfing 1734 die Auszeichnungen eines ersten Marschalls von
Frankreich. Estrées
war Mitglied mehrerer Akademien; starb in Paris.
5) Louis César Letellier, Chevalier de Louvois, Herzog d'E., Neffe des vorigen, geb. diente, in
den Malteserorden aufgenommen, in Spanien,
[* 17] Böhmen,
[* 18] 1743-45 in den Niederlanden, ward 1756 Marschall von Frankreich und erhielt
im März 1757 den Oberbefehl der Armee in Deutschland.
[* 19] Er ging über die Weser, schlug 26. Juli den Herzog von Cumberland bei Hastenbeck;
mußte aber infolge von Hofkabalen sein Kommando an den Herzog von Richelieu abgeben. 1762 übernahm er
nochmals mit Soubise das Kommando der Hauptarmee, ohne jedoch etwas auszurichten. Seit 1763 Herzog von Estrées
, blieb er Mitglied
des geheimen Konseils bis an seinen Tod, Mit ihm erlosch der Name Estrées.