Esthen
(Ehsten, Esten), die Bewohner Esthlands (s. d.) und des nördl. Teils von Livland, [* 2] finn. Stammes (s. Finnen). Von den verschiedenen Dialekten der esthn. Sprache [* 3] dient der Dialekt von Reval [* 4] als allgemeine Schriftsprache. Die besten grammatischen Bearbeitungen des Esthnischen gab Wiedemann, «Grammatik der ehstn. Sprache» (Petersb. 1875),
«Ehstnisch-deutsches Wörterbuch» (ebd. 1869; 2. Aufl. redigiert von Hurt, ebd. 1891–93). Eine esthn. Litteratur begann im 17. Jahrh., als im Lande angesessene oder angestellte Deutsche [* 5] dem Volke Bücher religiösen und moralischen Inhalts in esthn. Zunge darboten; aber erst im 19. Jahrh. fing man an, die Sprache dieser Bücher von Germanismen zu reinigen. Der Pastor Rosenpläntner (1782–1846), seit 1813 Herausgeber der «Beiträge zur genauern Kenntnis der estn. Sprache», und seine Mitarbeiter Knüpffer (1777–1843) und Heller (1786–1849) erwarben sich bedeutendes Verdienst in histor.
Kritik, Sprach- und Sachforschung. Einen auch für die gebildeten Stände befriedigenden esthn. Stil schrieben zuerst Masing (1763–1832) in seinen «Estnischen Originalblättern für Deutsche», und Graf Manteuffel in dem 1839 neu aufgelegten Lesebüchlein «Zeitvertreib beim Scheine des Pergels» («Ajaviite pero valgussel», vgl. darüber Schott in Ermans «Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland», Bd. 13, Berl. 1854). 1838 trat die noch bestehende «Gelehrte Esthnische Gesellschaft» ins Dasein, gegründet von Fählmann, Kreuzwald, Boubrig, Hollmann u. s. w. Diesen verdankt man gründliche Abhandlungen zur Mythologie und Geschichte der Heimat, Auffindung und Nacherzählung von Mythen und Volksliedern (vgl. über die von Neus in 3 Abteil., Reval 1851–52, herausgegebene Sammlung solcher Ermans «Archiv», Bd. 13),
Berlin-Dresdener Eisen

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Berliner.sowie (durch Kreuzwald) eines ganzen volkstümlichen Epos (Kalewi-poeg, «Sohn Kalews»; 1857 fg., hg. mit ungenauer deutscher Übersetzung von Reinthal; vgl. Schott, Die estn. Sagen von Kalewi-Poeg, Berl. 1863; vgl. die Monatsberichte der Berliner [* 6] Akademie vom J. 1866). Prosaisch erzählte «Vorzeitliche Sagen des Estenvolks» («Eesti rahwa ennmuistesed jutud») ließ Kreuzwald (1866) den von ihm gesammelten und geordneten Schätzen in Versen nachfolgen. Eine der anziehendsten, von ihm selbst in deutscher Übertragung vorangeschickt, ist «Der dankbare Fürstensohn». –
Vgl. Löwe, Ehstn. Märchen (Halle [* 7] 1869).
Neben der Gelehrten Esthnischen Gesellschaft, die ihre «Sitzungsberichte» und «Verhandlungen» herausgiebt, besteht seit 1873 eine nur esthnisch schreibende Litterarische Gesellschaft (Eesti kirjameeste selts),
zu deren Mitgliedern Hurt, Kurrik u. a. gehören. Die regelmäßig erscheinenden «Besorgungen» («Toimetused») derselben sind vorwiegend für die reifende Jugend bestimmte, alle Lehrfächer in musterhafter Weise behandelnde Schriften. Auszeichnende Erwähnung verdienen der obengenannte Kreuzwald, der Entdecker und Ordner des epischen Sagenkreises, wegen seiner meisterhaften Nachbildungen lyrischer Poesie des Auslandes, besonders Deutschlands, [* 8] und Lydia Jannsen, eine selbständige Dichterin in Versen und Prosa.