Titel
Estavayer
le
Lac, deutsch Stäffis
am See (Kt. Freiburg,
Bez. Broye).
Oberstadt 464, Unterstadt 437 m. Hauptort des Bezirkes
Broye, 25 km wnw. Freiburg.
Reizende kleine
Stadt am rechten Ufer des
Neuenburgersees in fruchtbarer und gut angebauter Gegend malerisch
gelegen. Station der Linie
Freiburg-Payerne-Yverdon; Dampfboote nach Neuenburg
und den übrigen Ortschaften
am See. Postbureau, Telegraph,
Telephon; Postwagen nach
Prahins und
Avenches. Gemeinde, mit
Vers la Gare: 262
Häuser, 1636 kathol. Ew.;
Stadt: 237
Häuser, 1511 Ew. Hauptbeschäftigung der Bewohner ist Landwirtschaft, doch entwickeln sich auch Handel und Industrie
immer mehr. Eine Zigarren- und Tabakfabrik, Glockengiesserei, zahlreiche Bau- und Möbelschreinereien,
Schlosser- und Steinhauerwerkstätten,
Mühlen und
Sägen, eine Buchdruckerei (druckt drei Zeitungen).
Sekundarschule, zahlreiche Primarschulklassen, eine reformierte Schule, Pensionnate für junge Leute beider Geschlechter, mehrere Leihkassen. Gesang-, Musik-, Schiess- und Turnvereine, gemeinnützige Gesellschaften, landwirtschaftliche Genossenschaften. Im ehemaligen Jesuitenpensionnat, dessen Kirche heute dem reformierten Gottesdienst eingeräumt ist, der Bezirksspital der Broye (dessen Gründung hauptsächlich dem Pfarrer Guinard von Belfaux zu verdanken ist).
Wasserversorgung (Quellfassungen auf den Höhen von Châtillon). Das Städtchen hat sich seinen mittelalterlichen Charakter noch wohl bewahrt: alte Türme, Laubengänge und Tore mit Wappenschilden. Auch die Ringmauer ist noch erhalten. Zahlreiche Neu- und Umbauten geben dem Ort aber allmählig doch einen modernen Anstrich: Umbau der Pfarrkirche, Vergrösserung des Bezirksspitals, neues Schulhaus, Postgebäude, Kasino-Theater etc. Früher wurden die Häuser der Unterstadt und der Fuss des Steilufers, das den alten Burgturm trägt, noch direkt von den Wellen des Sees bespühlt; seit der Durchführung der Juragewässerkorrektion ist aber der Seespiegel derart gesunken, dass der ehemalige Hafenplatz unbrauchbar geworden ist und durch einen neuen, am Aussenende eines langen Hafendammes gelegenen Landungsplatz hat ersetzt werden müssen. Der trocken gelegte breite Strand ist seither mit Bäumen und Sträuchern (Weiden, Erlen, Birken) bepflanzt worden; auf ihm liegen zahlreiche erratische Blöcke. Mehrere Pfahlbaustationen aus der Eisen- und Bronzezeit, mit reicher Ausbeute an Fundgegenständen. Einige römische Altertümer. Zur Bronzezeit muss hier eine Werkstätte zur Herstellung von Fibeln und Schmuckgegenständen für Frauen bestanden haben.
Einige der Bauwerke der Stadt sind besonderer Erwähnung wert. Die Pfarrkirche zu
St. Laurent, Ende des 14. Jahrhunderts erbaut,
mit schöner Aussentreppe, schönem Kirchturm und einigen Glockentürmchen; prächtiger Hauptaltar, bemerkenswerte Malereien,
schmiedeeisernes Gitter, Kirchenstühle aus 1522, altertümliche Kelche und Antiphonarien;
Orgel von Aloys
Mooser. Während früher die kirchlichen Funktionen von 14 Geistlichen besorgt wurden, amten heute nur noch deren
vier. - Nahe
der Kirche die
Place de
Moudon, eine von einer alten
Linde beschattete Terrasse mit prachtvoller Aussicht auf den
Neuenburgersee,
das
Neuenburger Ufer und den
Jura. Hier versammelten sich einst an schönen Sommer- und Herbstabenden die
Bürger des Städtchens, um ihre Heimatslieder zu singen und nach einer originellen Melodie ihre Rundtänze (coraules) zu
tanzen. - Die alte Burg, bemerkenswert sowohl durch ihre Lage auf dem Steilufer über dem
See als auch durch ihre massive
viereckige Bauart, ihre Gräben, Mauern, Türme und doppelten Umfassungsmauern. Der Burgturm ist etwa 45 m
hoch; von ihm aus ausgedehnte Fernsicht. Daneben der der Stadt zugekehrte viereckige
Turm Jaquemart. Heute ist die Burg Sitz
der Bezirksbehörden. - Das Dominikanerinnenkloster, in dessen Chor Guillaume d'Estavayer
(† Chorherr zu
Lausanne und
Archidiakon von Lincoln in England, ruht, ein Hauptgönner des
Klosters, dem er sein am neuen Stadtgraben
gelegenes
Haus schenkte; andere Förderer des
Klosters waren die
Herren von
Estavayer,
Billens,
La Molière,
Neuchâtel-Gorgier,
Fégely, Affry und
Forel, sowie
Frau La Poype etc. Die aus der Gegend von
Lausanne gekommenen Dominikanerinnen liessen sich
ums Jahr 1316 in
Estavayer nieder; zwei Flügel des baufällig gewordenen
Klosters wurden 1687, der dritte 1735 neu
aufgebaut.
Die aus dem Jahr 1319 stammende Klosterkirche mit Ausnahme des um 1440 von dem hier begrabenen Humbert von Savoyen († 1443)
errichteten Chores und der Rosenkranzkapelle umgebaut und am neu geweiht. Das Kloster 1848 auf
den Aussterbeetat gesetzt, aber 1857 wieder in seine vollen Rechte eingesetzt. Auch andere religiöse Gemeinschaften hatten
sich zeitweilig in
Estavayer niedergelassen. Die Inquisitoren erschienen 1685, die Minoriten zu Beginn des 17. Jahrhunderts,
Ursulinerinnen wohnten hier 1637 bis 1677, 1747 gründeten Schwestern vom Orden Herz Jesu (Sacré
Cœur) hier
ein Kloster, zu Beginn des 19. Jahrhunderts tauchten die
Brüder vom christlichen Glauben auf, Trappisten und bald nachher
auch Liguorianer eröffneten
Schulen. Der Grosse
Rat erlaubte mit seinem Beschluss vom den Jesuiten zu
Brig, ihr
Noviziat hierher zu versetzen (seit 1848 wieder aufgehoben). Die
Kapelle von
Rivaz
(Notre Dame de Consolation
et
Sainte Marguerite), in der einige Glieder des Geschlechtes von
Neuchâtel-Gorgier ruhen, im 15. Jahrhundert von Jacques
Catelan gestiftet und 1487 von
Dom Assenti d'Estavayer
, Chorherrn von
Lausanne, in gotischem Stil umgebaut. - Bemerkenswert
noch durch seine schöne Lage
am See das Landhaus und die
Kapelle
La Corbière.
Die Anfänge der Stadt und des Geschlechtes derer von Estavayer sind unbekannt. Der Name erscheint urkundlich nicht vor der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die ¶
mehr
Herren von Estavayer scheinen zuerst Dienstmannen der Herzoge von Zähringen und dann der Grafen von Savoyen gewesen zu sein.
Estavayer muss schon früh eine eigene Kirchgemeinde gebildet haben, erscheint aber als solche erst 1228. Es war auch
eine der Städte, die das Recht hatten, ihre eigenen Vertreter in die Waadtländer Ständeversammlung
abzuordnen. Der erste geschichtlich bekannte Herr von Estavayer ist der in den Urkunden von 1135-1159 als einziger seines Namens
und Geschlechtes genannte Raynald I. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts spalteten sich seine Nachkommen in drei Zweige: die
Herren von Vieux Châtel, Chenaux und Savoyen, die alle an der Oberhoheit über die Stadt noch ihren Anteil
hatten. Am verliehen Isabelle de Châlon, Dame de Vaud et d'Estavayer
, und die Ritter Aymon und Pierre d'Estavayer
der Stadt eine Reihe von Freiheiten und Vorrechten.
Berühmt durch seinen Rechtsstreit mit Otto von Grandson ist Gérard d'Estavayer;
Claude d'Estavayer
verteidigte
zur Zeit der Burgunderkriege die Stadt kräftig gegen die Eidgenossen, konnte aber ihre Erstürmung nicht hindern, wobei er
kämpfend seinen Tod fand. Zur Zeit der Eroberung der Waadt
kam Estavayer 1536 an Freiburg,
das es zum Sitz einer Landvogtei umgestaltete.
Seine Vorrechte wurden 1611 bestätigt und 1761 in einem eigenen Gesetzbuch, dem sogen. Coutumier d'Estavayer
,
niedergelegt.
Verschiedene Glieder des reichen und einflussreichen Geschlechtes der Herren von Estavayer haben sich als Gouverneure der Grafschaft Neuenburg, als Räte der Städte Freiburg und Solothurn und als Offiziere in französischen Diensten hervorgetan. Es ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts erloschen. Der grosse Zehnten, der im Prinzip dem jeweiligen Pfarrer von Estavayer zustand, wurde von Papst Innozenz IV. dem Bistum Lausanne verliehen; nach der Eroberung der Waadt kam er an Bern, das ihn in der Folge an Freiburg abtrat.
Sein Inhaber (amodiateur) war verpflichtet, den Bürgern der Stadt einmal jährlich ein grosses Festmahl (banquet royal oder, allgemeiner, Conrey genannt) zu spenden, das dem Schutzheiligen der Stadt zu Ehren am St. Laurentius-Tage auf der Place Chenaux stattfand und nach dessen Beendigung die Teilnehmer gemeinsam zur Kirche zogen, um der Messe beizuwohnen und für die Stifter des Festmahls ein Totenamt zu feiern. Wie so viele andere alte Bräuche, die mit der Zeit alle mehr oder weniger ausarteten, ist auch dieses Festmahl allmählig verschwunden und durch eine, endlich ebenfalls aufgehobene, Kompensation in barem Gelde ersetzt worden.
Estavayer hat einer Reihe von hervorragenden Männern das Leben gegeben. Wir nennen: Conon d'Estavayer
, Kanonikus und Propst
der Kathedrale von Lausanne (im 13. Jahrhundert), den Verfasser des für die profane und Kirchengeschichte
der französischen Schweiz eine unerschöpfliche Quelle bildenden Cartulaire;
Humbert von Savoyen, Coseigneur d'Estavayer
,
der in der berühmten Schlacht
von Nikopolis König Sigismund von Ungarn und die von Jean Sans-Peur geführten
französischen Edelleute von Bajazet geschlagen) mitkämpfte, in die Gewalt des Siegers fiel und erst
nach 7 Jahren harter Gefangenschaft gegen Lösegeld wieder frei gegeben wurde;
den 1600 geborenen Mathematiker Jean Juat;
Christophe de Molin oder Miloeus, eine litterarische Berühmtheit des 16. Jahrhunderts, Professor am Collège de la Trinité in Lyon und Verfasser einer grossen Anzahl von in Lyon, Florenz und Basel verlegten Werken;
Alexis Genet, Doktor der Sorbonne, Leiter der École Militaire zu Paris, St. Lazarusritter etc.;
den Kanonikus und Geschichtsschreiber Jacques Philippe Grangier (1743-1817);
den Litteraturhistoriker und Linguisten Louis Grangier (1817-1891), der während mehr als 30 Jahren die Nouvelles Étrennes Fribourgeoises herausgab.
Bibliographie:
Grangier, Jacques Philippe. Annales soit mémoires pour servir à l'histoire d'Estavayer et lieux circonvoisins. Manuskript. 5 vol. - Gremaud, J. Le Château de Chenaux à Estavayer (in Fribourg artistique. 1892). - Étrennes fribourgeoises. III, 80; IV, 91; V, 77; VII, 14; XIII, 69; XV, 110. - Mémoires et documents publ. par la Société d'hist. de la Suisse romande. XXVII, 114.