Essigferment
,
s. Fermente und Essigfabrikation. [* 2]
Essigferment
5 Wörter, 48 Zeichen
Essigferment,
s. Fermente und Essigfabrikation. [* 2]
(lat. Fermenta, »Gärungsstoffe, Gärungsmittel«),
organische Substanzen, welche im stande sind, die Zersetzung verhältnismäßig großer Mengen andrer organischer Substanzen zu veranlassen, ohne an deren Zersetzung selbst teilzunehmen. Die Art und Weise, wie diese Zersetzungen, die man Gärung, Fäulnis, Verwesung nennt, zu stande kommen, ist nicht bekannt; alle bisher aufgestellten Erklärungsversuche haben sich als unzureichend erwiesen. Die neuere Zeit hat aber zwei Klassen von Fermenten unterscheiden gelehrt, nämlich organisierte und nicht organisierte Ferménte. Die organisierten Ferménte sind lebende einzellige Pflanzen, die als Spaltpilze, Schizomyceten, Bakterien und Hefepilze bezeichnet werden.
Minimale Mengen, ein einziges mikroskopisches Individuum, sind im stande, in einer Lösung gärungsfähiger Substanzen die Zersetzung großer Mengen der letztern hervorzurufen, aber nur dann, wenn in der Lösung alle Bedingungen zum Wachstum und zur Vermehrung des organisierten Ferments vorhanden sind. An diese Lebensthätigkeit ist die Wirkung der organisierten Ferménte gebunden, wir wissen aber nicht, ob sie als solche die Zersetzung hervorrufen, oder ob sie nur Produzenten und Träger [* 4] eines nicht organisierten Ferments sind.
Über die Bedeutung dieser Organismen belehrt ein einfaches Experiment. Man kocht in zwei Flaschen Traubensaft bis zur Verdrängung aller Luft durch den Wasserdampf, verschließt dann die eine Flasche [* 5] durch einen lockern, unmittelbar vorher anhaltend auf 110° erhitzten Baumwollpfropfen und läßt beide Flaschen an der Luft stehen. Es tritt dann sehr bald in der offenen Flasche Gärung ein, man findet sie erfüllt mit zahlreichen Hefezellen, während sich die Flüssigkeit in der verschlossenen Flasche nicht verändert.
Durch das Kochen waren alle in der Flüssigkeit enthaltenen Fermentkeime getötet, beim Stehen an der Luft
gelangten aber sehr bald neue Keime in die Flüssigkeit und vermehrten sich sehr reichlich unter Hervorrufung von Gärung. In der
verschlossenen Flasche trat keine Gärung ein, weil die zutretende Luft beim Passieren des Baumwollpfropfens von allen Keimen
befreit wurde. Lüftet man letztern auf kurze Zeit, oder bringt man einen einzigen Tropfen der gärenden
in die bis dahin nicht veränderte Flüssigkeit, so geht auch diese sehr schnell in Gärung über und enthält in kurzer Zeit
ebenfalls zahlreiche Hefezellen. Zu den bekanntesten
organisierten Fermenten gehören die Bier- und Weinhefe, das Milchsäure-
und Buttersäureferment, das Dextran- und Mannitferment, welche Zucker
[* 6] in Alkohol und Kohlensäure, in Milchsäure,
Dextran, resp. Mannit, und die Milchsäure in Buttersäure, Kohlensäure und Wasserstoff spalten, sowie die Fäulnisfermente,
welche die Eiweißstoffe zersetzen. Alle diese Ferménte wirken nur spaltend auf das Molekül des Zuckers, der Milchsäure, des Eiweißes;
das Essigferment
aber überträgt Sauerstoff auf das Alkoholmolekül, und die Verwesungsfermente wirken
oxydierend auf zahlreiche organische Substanzen. Auch die organisierten Krankheitserreger, die Tuberkel-, Cholera-, Milzbrandbacillen
und viele andre gehören jedenfalls hierher; doch ist über ihre chemische Wirkung näheres nicht bekannt.
Die nicht organisierten Ferménte finden sich weit, vielleicht allgemein verbreitet im Pflanzen- und Tierkörper; sie wirken ebenfalls in minimalen Mengen, aber sie vermehren sich nicht in der Flüssigkeit; sie sind in Wasser löslich und werden durch Erhitzen wie die organisierten Ferménte unwirksam. Die nicht organisierten Ferménte gehören zu den Proteinkörpern, sie stimmen in den wichtigsten Reaktionen mit dem Eiweiß überein, stellen sich aber durch ihre Nichtgerinnbarkeit zu den Peptonen und sind, nachdem man sie durch Erhitzen ihrer Wirksamkeit beraubt hat, von letztern durch nichts mehr zu unterscheiden.
Man könnte sie als aktive Modifikationen der Peptone bezeichnen.
Vgl. Mayer, Lehre [* 7] von den chemischen Fermenten (Heidelb. 1882);
Detmer, Pflanzenphysiologische Untersuchungen über Fermentbildung (Jena [* 8] 1884);
Baranetzki, Die stärkeumbildenden Ferménte der Pflanzen (Leipz. 1884);
Fleck, Die in ihrer Bedeutung für die Gesundheitspflege (Dresd. 1876).
Man unterscheidet: diastatische Ferménte, welche Stärkemehl in Dextrin und Maltose verwandeln (Diastase des Malzes, Ptyalin des Speichels, Pankreatin des Bauchspeichels);
invertierende Ferménte, welche Rohrzucker in Traubenzucker und Fruchtzucker spalten (Invertin der lebenden Hefe); [* 9]
glukosidspaltende Ferménte, welche Glukoside in Zucker und eigentümliche Stoffe verschiedener Art spalten (sehr verbreitet im Pflanzenreich, z. B. Emulsin der Mandeln);
cellulosespaltende Ferménte, welche Cellulose in lösliche Kohlehydrate verwandeln (vielleicht sehr verbreitet im Pflanzenreich, auch im Darm [* 10] von Pflanzenfressern);
peptonisierende Ferménte, welche Eiweißkörper in Peptone verwandeln (Pepsin der Labdrüsen, Trypsin des Bauchspeichels und in verschiedenen Pflanzen vorkommende Ferménte);
fettspaltende Ferménte, welche Fette in Glycerin und fette Säuren (Bauchspeichel) spalten.
Alle Ferménte wirken nur in Lösung und bei gewisser Temperatur; in der Kälte gehen sie in Ruhezustand über, aus dem sie bei steigender Temperatur wieder erwachen, und bei hoher Temperatur werden sie vernichtet. Im einzelnen verhalten sie sich sehr verschieden: Bierhefe wirkt noch bei 4°, Milchsäureferment erst bei mittlerer Temperatur, die meisten Ferménte wirken am stärksten bei Blutwärme und werden durch wenig höhere Temperatur geschädigt, Diastase aber wirkt am kräftigsten bei 60°. In ähnlicher Weise zeigen die Ferménte große Verschiedenheit in ihrem Verhalten gegen chemische Substanzen. Verwesungsfermente wirken nur in alkalischer, Pepsin in saurer, Hefe in neutraler oder schwach saurer Lösung. Gewisse Chemikalien, die als antiseptische Mittel bezeichnet werden, wirken auf gewisse Ferménte, auf andre nicht, so daß man nicht mit einem derartigen Mittel alle Fermentwirkungen hemmen kann. Manche Chemikalien, wie Chlor, ¶
Quecksilberchlorid, Karbolsäure, töten alle Ferménte. Die organisierten Ferménte ertragen nur die Gegenwart einer bestimmten Menge des von ihnen erzeugten Stoffes (z. B. von Alkohol) und sterben ab, wenn diese anderweitig vermehrt wird, während Ähnliches bei nicht organisierten Fermenten nicht vorkommt.