Eros
[* 1] (lat.
Amor,
Cupido), bei den Alten der Gott der
Liebe.
Homer erwähnt ihn nicht, bei ihm ist
nur
Aphrodite
[* 3] die
Liebe erweckende
Gottheit. Nach Hesiod dagegen gehört er zu den ältesten
Göttern, der mit der
Erde und dem
Tartaros aus dem
Chaos hervorging und als einigende und bezwingende Macht in allen
Göttern und
Menschen
auftritt. Diese kosmogonische
Idee waltet auch vor, wenn
Sappho den Eros
von
Uranos und
Gäa abstammen läßt, oder wenn
Aristophanes
(»Vögel«,
[* 4] 695) singt: »Aus dem Urei, welches die
Nacht gebar, entsproß der mit dem
Chaos alle
Götter und Sterblichen zeugte
und den Streit der
Urstoffe in
Einklang löste«. In ähnlicher
Weise heißt in der Orphischen
Sage Eros
ein
Sohn des
Kronos und der
Nacht und der zuerst Erschienene (Phanes); zu allem hat er die
Schlüssel.
Mit diesem kosmogonischen der alten
Mythen stimmen die im
»Gastmahl« des
Platon, der berühmtesten
Schrift des
Altertums über
den Eros
, dargelegten
Ansichten wenig überein. Der Eros
des
Philosophen ist der geistige Zeugungstrieb, der
eben nur Seelenliebe braucht, und erscheint hier in der Stufenfolge aller andern berechtigten
Arten der
Liebe als Vollendung
derselben, im vollen
Kontrast gegen ihre
Ausartungen, insbesondere als
Verklärung der bei den Griechen nach ihren geselligen
Verhältnissen unausbleiblichen Männerliebe, als deren letzter
Grund Sehnsucht des Sterblichen nach
Unsterblichkeit
aufgedeckt wird.
Dem gemeinen Verstand hingegen war und blieb der mehr oder weniger sinnliche Liebesgott. Als solcher ist er von lyrischen, elegischen und epigrammatischen Dichtern auf das mannigfaltigste und sinnreichste gepriesen und ausgeschmückt worden. Als seine Mutter gilt meistens Aphrodite, als sein Vater Ares [* 5] oder Hermes, [* 6] der Geflügelte. Da sich die Liebe auf unbekannten Wegen in die Herzen einschleicht, so ließen manche seine Eltern unbekannt sein oder nannten ihn vaterlos.
Statt des ältesten ist er hier der jüngste unter den Göttern und ewig Kind: unvorsichtig, launisch, doch allmächtig und unwiderstehlich, daher wie ein Krieger ausgerüstet mit Bogen, [* 7] Pfeilen und Köcher oder mit brennenden Fackeln. Er verschont niemand, selbst die eigne Mutter ist vor seinen Geschossen nicht sicher;
dem Herakles [* 8] raubt er die Keule und Löwenhaut, dem Apollon [* 9] die Geschosse, [* 10] dem Ares den Helm, dem Poseidon [* 11] den Dreizack, ja sogar dem Zeus [* 12] den Blitzstrahl.
Listig, wie die Liebe ist, stellt er seine Netze und trifft unversehens selbst seinen Wohlthäter, wie in der bekannten Anakreontischen Ode (59). Zeus erkannte sogleich bei seiner Geburt den Unheilstifter und befahl der Aphrodite, ihn umzubringen. Diese aber verbarg ihn in den Wäldern, wo er an der Brust wilder Tiere sich ernährte und den neu geschnitzten Bogen versuchte. Die Binde vor seinen Augen bezeichnet, daß die Liebe blind ist; daß sie auch flatterhaft sein kann und schnell die Herzen erobert, deuten die Flügel an. Reiz und Schönheit erwecken die Liebe; daher thront er am liebsten auf rosigen Wangen oder lacht aus schönen Augen und bleibt ein williger Sklave der Schönheit.
Da aber
Liebe ohne Gegenliebe nicht gedeiht, so wollte Eros
nicht eher wachsen, als bis ihm
Aphrodite aus
Ares' Umarmung den
Anteros
(»Gegenliebe«) gebar.
Nun ward er größer und stärker, war fröhlich mit seinem Gespielen und traurig,
wenn dieser ihm fehlte. Doch ist letzterer oft auch im
Kampf mit ihm. Eros
selbst erscheint gewöhnlich als Begleiter seiner
Mutter
Aphrodite. Als seine
Gesellschafter treten öfters auf
Pothos (»Sehnsucht«) und
Himeros (»Verlangen«),
welche beide, wie im Lateinischen Cupido (»Begierde«),
zuweilen für Eros
selbst stehen; ferner
Peitho (»Überredung«),
die Chariten [* 13] und Musen, [* 14] Hymen, Tyche [* 15] oder Fortuna. Außerdem gaben ihm die Dichter noch eine Menge gleichnamiger Brüder, Eroten (Amores, Cupidines, »Amoretten«),
ebenfalls
Söhne der
Aphrodite oder der
Nymphen. Der berühmteste
Kultus des Eros
fand zu
Thespiä in
Böotien am
Fuß
des
Helikon statt; er galt ursprünglich dem alten Naturgott Eros
und war verbunden mit dem
Dienste
[* 16] der
Musen,
die, ursprünglich Quellgöttinnen, auf dem
Helikon einen
Hain und die heiligen
Quellen
Aganippe und
Hippokrene hatten. Hier war
die berühmte
Statue des Eros
von
Praxiteles.
Alle vier Jahre wurden hier die Erotien oder
Erotidien begangen, wobei man musische
und gymnische Wettkämpfe anstellte, die sich lange Zeit großer Beliebtheit erfreuten. Außerdem verehrte
man den Gott zu
Athen,
[* 17]
Megara,
Sparta, auf
Kreta, in
Samos, zu Parion am
Hellespont u. a. O. Übrigens ward Eros
nicht bloß als
Gott der
Liebe zwischen den beiden Geschlechtern, sondern auch als der
Stifter der
Freundschaft und
[* 1]
^[Abb.: Fig. 1. Eros
(Rom,
[* 18]
Vatikan).]
[* 19]
¶
mehr
Liebe unter den Männern und zwischen Männern und Jünglingen verehrt, welche in Griechenlands besten Zeiten die Seele der kriegerischen und gymnastischen Übungen war. Daher war sein Bild in vielen Gymnasien zwischen den Statuen des Hermes und des Herakles aufgestellt (»Klugheit und Stärke [* 21] im Bunde mit der begeisternden Gemeinschaft«),
und zu Elis stellte ein Relief Eros
und
Anteros (als Liebe und Gegenliebe der männlichen Jugend) dar, wie beide um die Palme
[* 22] des Siegs stritten; daher war auch die »heilige Schar«
der thebanischen Jünglinge dem Eros
geweiht, und die Spartaner und Kreter opferten ihm vor der Schlacht, um sich so zu treuem
Zusammenhalten zu verbinden. - Der römische Amor oder Cupido ist eine bloße Übertragung des griechischen Eros
und hat nie öffentliche
Verehrung genossen. Über die später erfundene sinnreiche Mythe von der Liebe des Amor und der Psyche (der personifizierten
Menschenseele) s. Psyche.
Die Künstler folgten in der Darstellung des den Dichtern, indem sie ihn als einen schönen, an der Schwelle
des Jünglingsalters stehenden Knaben oder auch als anmutiges, fast immer geflügeltes Kind zu bilden pflegten; doch ist letztere
Darstellung die spätere. Seine Attribute sind Bogen und Pfeile und die brennende Fackel. Unter den Blumen ist ihm die Rose geweiht;
unter den Tieren findet sich Hase,
[* 23] Hahn
[* 24] und Bock
[* 25] nicht selten mit ihm abgebildet. Ein Eros
des berühmten Praxiteles
aus pentelischem Marmor galt für eins der besten Kunstwerke des ganzen Altertums.
Dasselbe hatte die Hetäre Phryne vom Künstler zum Geschenk erhalten, die es nach Thespiä weihte; Kaiser Nero brachte es nach
Rom, wo es unter Titus bei einer Feuersbrunst zu Grunde ging. Außerdem befand sich zu Thespiä eine berühmte eherne Bildsäule
von Lysippos sowie zu Athen im Tempel
[* 26] der Aphrodite eine andre von Skopas. Eros
mit Rosen bekränzt malte Zeuxis für denselben Tempel,
und Pausias zeigte ihn, wie er Pfeile und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen hat.
Äußerst zahlreich und mannigfaltig sind die Darstellungen auf Gemmen [* 27] und Reliefs, wo Eros bald mit wilden Tieren (dem Panther des Dionysos [* 28] etc.) spielt, bald die Attribute der Götter fortschleppt, bald auch allerhand Geschäfte der Menschen scherzend nachahmt. Unter den vielen auf uns gekommenen Erosstatuen und -Statuetten des Altertums gehören zu den bedeutendsten: der Torso im Vatikan, den Gott in träumerischer Liebesmelancholie darstellend (dem Praxiteles zugeschrieben, 1770 vom Maler Hamilton an der Via Labicana ausgegraben, [* 20] Fig. 1);
der sogen. bogenprüfende Eros im kapitolinischen Museum zu Rom (Fig. 2; wahrscheinlich nach einem Bronzeoriginal des Lysippos), der aber außerdem in zahlreichen andern Kopien erhalten ist, und ein mit Knöcheln spielender Eros im Berliner [* 29] Museum;
endlich die berühmte Marmorgruppe von Amor und Psyche, die sich umarmen und küssen, deren beste Wiederholung sich im kapitolinischen Museum findet. (Vgl. Collignon, Essai sur le mythe de Psyché, Par. 1878.) Die verschiedenen Seiten der Liebe hatte Skopas in einer Gruppe des Eros (Liebe), Pothos (Sehnsucht) und Himeros (Verlangen) zum Ausdruck gebracht.
Auch mit Anteros, dem Dämon der Gegenliebe, erscheint er zusammen auf Reliefs und ist als Gehilfe der Aphrodite in vielen Darstellungen bemüht, Liebende (z. B. Paris [* 30] und Helena) zu vereinen, Verlassene (Ariadne) zu trösten, aber auch noch das Alter (s. Abbildung bei »Kentauren«) mit seiner Macht zu beherrschen.
Vgl. Jahn, Archäologische Aufsätze (Greifsw. 1845);
J. Grimm, Über den Liebesgott (Berl. 1851);
Schömann, De Cupidine cosmogonico (Greifsw. 1852);
Furtwängler, Eros in der Vasenmalerei (Münch. 1874);
Primer, De Cupidine et Psyche (Bresl. 1875);
Max Müller, Essays (Bd. 2, S. 119 ff.);
Stephani im »Compte rendu de la commission archéologique« 1877 (S. 53 ff.);
Wolters in der »Archäologischen Zeitung« 1884 (S. 1 ff.).