Erhaben
ist alles, dessen Größe unsre Vorstellungskraft übersteigt und sie in ein bloßes Streben vorzustellen verwandelt. Da nun alles, bei dem überhaupt von Größe oder Kleinheit die Rede sein kann, entweder ein (in Raum oder Zeit) Ausgedehntes, das ein gewisses Quantum von Ausdehnung [* 2] (Extension), oder eine Kraft [* 3] sein muß, die ein gewisses Quantum von Stärke [* 4] (Intension) besitzt, so läßt sich (mit Kant) ein mathematisch und ein dynamisch Erhabenes unterscheiden.
Räumliches und Zeitliches, wenn sie die
Wirkung des
Erhabenen erzeugen, fallen unter die erstere,
Natur-
und
Geistes- (intellektuelle wie moralische)
Kräfte im gleichen
Fall unter die letztere Bezeichnung. Das
Unendliche, dessen
Vorstellung niemals vollendet werden kann, sei es als räumliche oder zeitliche
Ausdehnung
(Universum,
Ewigkeit), oder als
(Natur-,
intellektuelle oder moralische)
Kraft (Allmacht, Allwissenheit,
Heiligkeit), erscheint immer erhaben
, ebenso
auch alles, dessen
Vorstellung den
Schein der Unendlichkeit mit sich führt (eine unmeßbare räumliche oder zeitliche
Ausdehnung;
eine der unsern so überlegene
Kraft, daß diese dagegen verschwindet).
Letzteres ist der Grund, warum das Dunkle, Geheimnisvolle, Unbegreifliche, die Natur, das wissenschaftliche oder künstlerische Genie, der sittliche Heros den Eindruck des Erhabenen macht. Dieser selbst, da er wesentlich aus einem Mißverhältnis des Vorzustellenden (eines unendlich Großen) zu unsrer eignen vorstellenden Kraft (als beschränkter) entspringt, ist kein ungetrübter, wie ihn das Schöne (s. Ästhetik), sondern gemischt, wie ihn das Komische (s. d.), Elegische (s. Elegie) etc. erzeugt.
Die Freude am Großen wird durch die Wahrnehmung, demselben in unsrer Vorstellung nicht folgen zu können, geschmälert; das Große gefällt, während wir selbst uns mißfallen; jenes ruft zwar ein Lust-, unsre Ohnmacht dagegen ein solches Unlustgefühl hervor, daß jenes von diesem übertäubt wird. Die Wirkung des Erhabenen (des grenzenlosen Weltalls, der anfangs- und endlosen Zeit, der alles zermalmenden Naturkraft) ist daher keine erhebende, sondern vielmehr deprimierende.
Das Erhabene ist nicht, wie Aristoteles vom Schönen verlangt, »nicht zu groß und nicht zu klein«, sondern »zu groß« für unser Vorstellungsvermögen; es gefällt nicht, es überwältigt, beflügelt nicht, sondern lähmt die Einbildungskraft. Nach einem litauischen Märchen kommt alle hundert Jahre ein Vögelchen geflogen, das sich auf die Spitze eines bis in die Wolken reichenden Demantbergs setzt und dreimal sein Schnäbelchen daran wetzt. Wenn auf diese Weise der ganze Berg zu Staub zerrieben ist, dann ist »eine Minute der Ewigkeit« verflossen.
Das wirklich Unendliche bleibt daher immer erhaben;
das scheinbar Unendliche hört, wenn das
Streben vorzustellen
sich in wirkliches Vorstellen desselben verwandelt (das Unermeßliche gemessen, das Unbegreifliche begriffen wird), auf,
erhaben
zu sein, und erscheint nur groß (begrenzt, nicht grenzenlos; bestimmt, nicht unbestimmt). Das deprimierende
Gefühl
der
Ohnmacht auf seiten des Vorstellenden hört auf; das
Gefallen an der
Größe des Vorgestellten beharrt
nicht nur, sondern tritt nun erst hervor, weil die
Größe nun erst vollendet vorgestellt wird.
Zugleich aber macht sich an der Stelle des frühern subjektiven Unlustgefühls neben dem rein ästhetischen Wohlgefallen an der Vorstellung des Großen nun ein ebenso subjektives Lustgefühl geltend. Wie jenes aus der Ohnmacht, so entspringt dieses aus der Obmacht ses Vorstellens gegenüber dem Vorzustellenden; dem Erhabenen fühlt das Subjekt sich nicht, dem Großen dagegen fühlt es sich gewachsen. Das leidenschaftliche (pathematische) macht einem selbstbewußten (pathetischen) Gefühl, der (subjektive) Affekt des Erhabenen dem (gleichfalls subjektiven) des Überlegenen Platz.
Beides sind subjektive Erregungen und als solche gemeinsam dem rein ästhetischen Wohlgefallen, beide aber insofern auch untereinander entgegengesetzt, als jenes auf Mißfallen, dieses auf Wohlgefallen des Subjekts an sich selbst beruht, der Affekt des Erhabenen (die Unzufriedenheit des Subjekts mit sich) dem reinen (subjektlosen) Wohlgefallen am Großen vorausgeht, der Affekt des Pathetischen (die Selbstzufriedenheit des Subjekts) demselben nachfolgt. Kant (nach dem Vorgang Burkes) hat sowohl den deprimierenden (am Anfang) als den erhebenden Affekt (am Schluß) dem Erhabenen beigelegt und dessen Wirkung von jener des Großen nicht abgesondert, was in der Ästhetik vielfache Verwirrung veranlaßt hat.
Durch seine Unbegreiflichkeit steht das Wunderbare, durch den geheimnisvollen Schleier, der dasselbe umwebt, das Feierliche mit dem Erhabenen in Verwandtschaft, während das Prächtige und Edle als Großes durch Gestalt und Formbestimmtheit dem Schönen sich nähert.
Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft; Derselbe, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen; Schiller, Über das Erhabene; Burke, Philosophical inquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful (Lond. 1757; deutsch von Garve, Riga [* 5] 1773);
Vischer, Über das Erhabene und Komische (Stuttg. 1837);
R. Zimmermann, Ästhetik (Wien [* 6] 1865).