Erde.
Gestalt und
Größe. Seitdem die im vorigen
Jahrhundert ausgeführten
Gradmessungen, welche den
Zweck verfolgten,
die
Größe des Erdradius zu ermitteln, zugleich zu dem
Resultat geführt hatten, daß die Erde
keine genaue
Kugel sei, sondern
daß die Oberfläche der Erde
im wesentlichen die Form eines abgeplatteten Rotationsellipsoids
habe, suchte man die
Dimensionen dieses
Sphäroids zu bestimmen. Dabei wurden bis vor kurzem stets zwei voneinander ganz verschiedene
Methoden angewandt, um zu einer genauern Kenntnis von der Gestalt und
Größe unsers
Planeten
[* 2] zu gelangen: eine physikalische
und eine geometrische.
Die geometrische
Methode der Gestaltbestimmung der Erde
führt scheinbar schneller zum
Ziele. Der
Meridian
eines abgeplatteten Rotationsellipsoids ist eine
Ellipse,
[* 3] deren kleine
Achse die Polarachse ist.
Ihre
Krümmung ist am Ende der
langen
Achse, d. h. am
Äquator, stärker als am
Pole, und die
Krümmung nimmt vom
Pole zum
Äquator stetig zu. Das
Stück derselben,
welches zwischen zwei um 1° gegeneinander geneigten
Normalen der
Kurve eingeschlossen ist, ist also in
höhern
Breiten größer als näher am
Äquator.
Die Vergleichung zweier in der einen und in der andern
Lage gemessenen Meridiangrade muß also Aufschluß über die Gestalt
der Meridiankurve geben; hat man alsdann nach einer geometrischen
Formel die
Länge jedes beliebig gelegenen
Stückes derselben berechnet, so kann man durch
Vergleich mit der gemessenen
Länge die
Abplattung bestimmen. Der einfache Grundgedanke
dieser
Methode und die große Genauigkeit, welche man den zur
Gradmessung
[* 4] nötigen
Längen- und Winkelmessungen geben kann,
haben dahin geführt, daß man im vorigen
Jahrhundert und in den ersten beiden Dritteln des laufenden
annahm, durch
Gradmessungen einen zuverlässigern
Wert der
Abplattung zu erhalten als auf jedem andern Wege, und diese Meinung
wurde durch die nahe Übereinstimmung zwischen den
Resultaten der frühern
Gradmessungen bestärkt. Auf
Grund von zehn Messungen
einzelner Meridiangrade hat
Bessel die Bestimmung der für
Große und Form des Erde
llipsoids maßgebenden
Bestimmungsstücke durchgeführt. Die von
Clarke gefundenen
Werte (II) unterscheiden sich etwas von den Besselschen (I); wir
stellen beide zusammen und vergleichen sie mit den von Listing für sein typisches
Sphäroid ermittelten
Zahlen (III):
I | II | III | |
---|---|---|---|
Abplattung | 1 | 1 | 1 |
299.1528 | 294,979 | 289,000 | |
Große Halbachse | 6377397.16 m | 6378206.51 m | 6377365 m |
Kleine Halbachse | 6356078.96 - | 6356583.88 - | 6355298 - |
Äquatorialquadrant | 10017596 - | 10018862- | 10017542 - |
1° desselben | 111306.6 - | 111320.7 - | 111194.9 - |
1 geogr. Meile | 7420.44 - | 7421.38 - | 7420.40 - |
Meridianquadrant | 10000855.76 - | 10001887.00 - | 10000218.00 - |
Die physikalische
Methode der Gestaltbestimmung der Erde
stützt sich auf folgende
Sätze der
Hydrostatik:
[* 5] Eine homogene, flüssige, um eine
Achse rotierende
Masse, deren Teile nur der gegenseitigen
Anziehung unterworfen sind, nimmt
die Gestalt eines Rotationsellipsoids um die Drehungsachse an. Eine
Schicht einer homogenen
Masse, die einen nur wenig von der
Kugelgestalt abweichenden rotierenden
Kern von annähernd konzentrischer
Masseverteilung bedeckt, nimmt
gleichfalls eine Gestalt an, die von derjenigen eines Rotationsellipsoids nur um sehr kleine
Größen abweicht.
Eine rotierende heterogene
Flüssigkeitsmasse nimmt, falls ihre Gestalt und Massenanordnung von derjenigen auf konzentrischen
Kugelflächen nur um sehr kleine Beträge abweicht, ebenfalls eine Gleichgewichtsfigur an, die mit einem Rotationsellipsoid
sehr nahe identisch ist. Von der Erde
wissen wir nun durch vielfache
Erfahrungen, daß sie von der Kugelgestalt nur sehr wenig
abweicht, und daß die Verteilung der
Massen in ihr eine nahezu konzentrische sein muß.
Darauf weist vor allem die nur sehr wenig und sehr gleichmäßig sich ändernde
Größe der
Schwerkraft
an allen besuchten
Punkten der Erdoberfläche hin, ebensowohl aber auch jede
Vorstellung, die wir uns von der Entstehung der
Erde
aus dem feurigflüssigen oder gasförmigen Zustand machen können. Es kann deshalb keinem
Zweifel unterliegen, daß die
der Gestalt eines Rotationsellipsoids sehr nahe kommt. Die Attraktionstheorie lehrt nun die
Anziehung
homogener oder aus homogenen konzentrischen
Schalen bestehender rotierender
Ellipsoide für beliebige
Punkte der Oberfläche
durch eine einfache
Formel ausdrücken. In dieser
Formel kommt außer der geographischen
Breite
[* 6] des
Punktes das Achsenverhältnis
des
Ellipsoids, die
Masse und die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde
vor.
Diese
Anziehung ist aber die
Schwerkraft, die man an jedem
Punkte der Erde
mittels des
Pendels bestimmen kann,
da dieselbe überall der
Lange des einfachen
Sekundenpendels proportional ist. Setzt man nun die gemessene
Größe der
Beschleunigung
der
Schwerkraft dem theoretischen
Ausdruck gleich, so erhält man eine
Gleichung, woraus das Achsenverhältnis oder die
Abplattung
bestimmt werden
kann, falls die Erdmasse bekannt ist. Das
Verhältnis der
Schwere an zwei verschiedenen
Punkten wird aber von der Erdmasse unabhängig, und man kann daher durch Zusammenbenutzung je zweier beliebiger Messungen
der
Schwerkraft einen Wert für die
Abplattung der Erde
ableiten.
Durch Benutzung zahlreicher, möglichst gleichförmig über die Erde
verteilter Schweremessungen, d. h.
also Bestimmungen der
Länge des einfachen
Sekundenpendels, kann man dann die
Abplattung mit großer Sicherheit
herleiten. Der aus den Schweremessungen abgeleitete
Wert der
Abplattung 1/289 ist nun aber von dem aus
Gradmessungen allein
gefundenen
Werte 1/299 wesentlich verschieden. Der
Grund hiervon liegt in einer früher nicht hinlänglich gewürdigten Fehlerquelle,
den Lotstörungen.
Zunächst wird die Richtung und Intensität der Schwerkraft an der Erdoberfläche durch die unregelmäßige Massenverteilung auf derselben, namentlich durch den Gegensatz von Meer und Festland in auffallender Weise beeinflußt. Abgesehen von der Thatsache, daß Meeresstationen dem Erdmittelpunkt näher liegen als Festlandstationen, bedingt die unregelmäßige Massenverteilung am Rande und im Innern eines Festlandes eine Veränderung in der Verteilung der Schwere in der Weise, daß die Schwere, wie sie das Pendel [* 7] mißt, für einen Festlandspunkt im allgemeinen geringer ausfallen muß als für einen Küstenpunkt und für letztern wieder geringer als für einen Punkt auf dem Ozean. Die Erklärung dieser Thatsache ist wahrscheinlich in dem Umstand zu suchen, daß unterhalb der Ozeane die Abkühlung der Erde schneller vor sich geht als unterhalb des Festlandes; deshalb ist die Erdrinde unter den Ozeanen dicker und übt auf das Pendel eine größere Anziehungskraft aus. Wenn ¶
mehr
ferner die Masse auf der Erde so verteilt ist, daß die Schwererichtung nicht mehr durch den Schwerpunkt [* 9] als den Anziehungsmittelpunkt der annähernd kugelförmigen Erde hindurchgeht, so zeigt sich diese Unregelmäßigkeit äußerlich darin, daß das Bleilot seitlich von seiner normalen Richtung abgelenkt wird. Das Lot erfährt Ablenkungen von der Richtung, die es über einer vollkommnen Ellipsoidoberfläche haben würde und zwar in dem Sinne, daß es nach der Richtung hin gezogen wird, in welcher sich überwiegende Kontinental- oder Gebirgsmassen in der Nähe befinden.
Indessen nicht bloß eine anziehende, sondern auch eine abstoßende Wirkung erfährt das Lot, die in manchen Fällen durch Annahme eines unterirdischen Hohlraums ihre Erklärung findet. Unter solchen Umständen erwies es sich als unmöglich, durch Gradmessungen und durch Beobachtungen am Sekundenpendel übereinstimmende Werte für die Größe der Abplattung zu erhalten, denn die Resultate der Gradmessungen waren durch den Einfluß der Lotablenkungen mit einem konstanten Fehler behaftet.
Durch fortgesetzte Beobachtungen hat sich nun herausgestellt, daß die Annahme eines Sphäroids für die Erdgestalt eine irrige war, daß vielmehr die Fläche, welche unsern Erdkörper umschließt und die wir uns durch die Meeresfläche oder deren kanalartige Fortsetzung unterhalb der Kontinente vertreten denken können, überhaupt keine geometrisch regelmäßige Gestalt besitzt; die einerseits durch geodätische, anderseits durch physikalische Messung ermittelten Ellipsoide können nur als Annäherungen an die wirkliche Erdgestalt betrachtet werden, welch letztere überhaupt nicht ein für allemal, sondern gewissermaßen nur von Punkt zu Punkt sich bestimmen läßt, da der Erdoberfläche keine exakt geometrische Fläche entspricht.
Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz ziehen sich irgend zwei materielle, bezüglich mit den Massen m1 und m2 begabte Punkte, deren Entfernung gleich R ist, gegenseitig an mit der Kraft [* 10] K·(m1·m2)/R², wo K eine gewisse Konstante bedeutet. Die Anziehung selbst erfolgt längs der beide Massenpunkte verbindenden geraden Linie. Mit Hilfe dieses Gesetzes läßt sich das allgemeine Anziehungsproblem lösen: Ein Körper, durch dessen Volumen die Masse nach einem bestimmten Gesetz verteilt ist, wirkt in dem Sinne auf einen irgendwo gelegenen Massenpunkt, daß zwischen diesem und jedem der in endlicher oder unendlicher Anzahl vorhandenen Körperpunkte (Massenteilchen) eine vom Newtonschen Gesetz geregelte Anziehung stattfindet.
Will man die Größe der gegenseitigen Anziehung zwischen Körper und Massenpunkt finden und ebenso die Richtung, längs welcher diese Kraft wirksam ist, so bedient man sich des Potenzials, das sich folgendermaßen definieren läßt: Wenn ein ursprünglich in unendlicher Entfernung befindliches Massenteilchen m2 durch die Anziehung eines Massenteilchens m1 so weit herangebracht worden ist, daß zwischen m1 und m2 statt der unendlichen nur mehr die endliche Entfernung R besteht, so bezeichnet man die zur Überwindung des Weges aufgewendete mechanische Arbeit als das von m1 auf m2 in der Distanz R ausgeübte Potenzial, und es ist dasselbe seinem Werte nach gleich K·(m1·m2)/R.
Sieht man nun vorläufig von der Umdrehung der Erde um ihre Achse ab, so wird ein der Erdoberfläche angehöriger Massenpunkt durch keine andre Kraft als durch die Schwerkraft beeinflußt. Offenbar gibt es zweifach unendlich viele Punkte, für welche das Schwerepotenzial einen bestimmten Wert besitzt. Alle diese Punkte erfüllen eine gewisse Fläche; diese Ortsfläche gleichen Schwerepotenzials nennt man Niveau- oder Gleichgewichtsfläche. Die Schwererichtung fällt allenthalben mit einer Normalen dieser Niveaufläche zusammen, auf welcher der Punkt, zu dem das Lot gezogen werden soll, gelegen ist. Da die Schwererichtung aber mannigfach variiert, so sind Niveauflächen im allgemeinen keine Parallelflächen.
Die Schwerkraft hat in jedem Punkte eine bestimmte, von Punkt zu Punkt wechselnde Richtung; ein Gleiches muß demnach für das Flächenelement gelten, auf welchem die Schwererichtung normal steht, und es folgt daraus die Eigenschaft, daß eine Gleichgewichtsfläche im allgemeinen stetig gebogen ist, keine Spitzen, Rückkehrspunkte, Kanten besitzt, sie kann folglich auch nur entweder geschlossen oder unendlich ausgedehnt sein. Außer der Schwerkraft beeinflußt einen der Erde angehörigen Punkt auch noch die Schwung- oder Zentrifugalkraft. [* 11]
Die Resultante aus beiden steht auf einer in absoluter Ruhe befindlichen Wasserfläche immer senkrecht; eine vollkommen ruhige Wasserfläche stellt also eine Niveaufläche der vereinigten Schwere und Schwungkraft [* 12] dar und ist identisch mit dem, was man Erdgestalt nennt. Irgend eine der unendlich vielen Niveauflächen, welche wir als im Innern unsrer Erdrinde verlaufend anzunehmen haben, und deren jede mit gleichem Rechte die Bezeichnung als Geoid in Anspruch nehmen kann, ist der wahre Repräsentant der Erdgestalt.
Nach unsrer bisherigen Kenntnis von der Verteilung der Dichte im Innern der Erde ist nicht anzunehmen, daß plötzliche Änderungen in der Dichte vorkommen. Den Verlauf der Gleichgewichtsflächen im Erdinnern kann man sich mithin derart vorstellen, daß jede Niveaufläche von allen denjenigen, die der Außenseite näher liegen, schalenförmig umschlossen wird; dieselbe umschließt ihrerseits wieder unendlich viele andre Niveauflächen. Die innerste Niveaufläche degeneriert in einen einzigen Punkt.
Man kann sonach von einem Mittelpunkt des Geoids sprechen und das Wesen des Geoids folgendermaßen definieren: jede Geoidfläche hat die Eigenschaft, daß ein gleiches Maß von mechanischer Arbeit aufgewandt werden muß, um einen schweren Körper vom Mittelpunkt der Erde aus bis zu irgend einem der unendlich vielen Punkte jener Fläche heranzubringen. Unter Niveausphäroid versteht man ferner eine geschlossene, sphäroidisch gekrümmte Fläche, die sich einerseits dem Geoid sehr nahe anschließt, anderseits mit einem Rotationsellipsoid sehr nahe übereinstimmt.
Die Abweichung irgend eines Niveausphäroids von einem Rotationsellipsoid gleicher Abplattung ist eine so unbedeutende, daß für die Praxis der Geodäsie es ganz gerechtfertigt ist, das Geoid mit einem zweiachsigen abgeplatteten Ellipsoid [* 13] wo nicht zu identifizieren, so doch in nahe Beziehung zu bringen. Das Ellipsoid, welches an Stelle der mathematischen Erdoberfläche als Projektionsfläche dient, bezeichnet man als Referenzellipsoid. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, die wirklich vorhandenen geometrischen Beziehungen des Geoids zu dem seine Stelle vertretenden Referenzellipsoid für den ganzen Umkreis der Erde zu ermitteln. Am zuverlässigsten läßt sich die wahre Gestalt der Erde bestimmen durch Verbindung mehrerer Methoden, nämlich astronomisch-trigonometrischer Messungen, geometrischer Nivellements und Schweremessungen. Weil diese Methode, wenn auch theoretisch die beste, praktisch mit großen Schwierigkeiten verknüpft wäre, so hat man ein kürzeres Verfahren ¶
mehr
vorgezogen, das wesentlich auf dem Studium der Lotabweichungen beruht. Hat man ein bestimmtes Referenzellipsoid zu Grunde gelegt, so kann man ganz allein durch geodätische Operationen für jeden Punkt die Lotrichtung bestimmen. Stimmt dieselbe mit der astronomisch beobachteten wirklichen überein, so herrscht an dem betreffenden Punkte keine Lotabweichung, die Krümmung der Erdoberfläche ist dieselbe wie die des Referenzellipsoids. Die Differenz zwischen der astronomisch bestimmten und geodätisch ermittelten ergibt die Lotabweichung.
Man zerlegt die Lotabweichung in solche nach der Breite und solche nach der Lange. Ist die Lotabweichung nach der Breite positiv, so zeigt dies im allgemeinen ein Ansteigen der Geoidfläche im Vergleich mit dem Referenzellipsoid nach S. zu an, ein negativer Wert ergibt ein Ansteigen nach N. Ein ähnliches Verhalten, nur nach O. und W., kann man aus den Lotabweichungen nach der Länge schließen. Aus der nach solcher Methode angestellten Untersuchung haben sich folgende Resultate ergeben: lokale Abweichungen treten auch in ebenen Gegenden häufig auf, sowohl in Europa [* 15] als in Amerika. [* 16]
Nicht nur an Gebirgen und Meeresküsten zeigen sich systematische Lotabweichungen, sondern es treten auch in ebenen Regionen Gruppen von Lotabweichungen mit gleichem Vorzeichen auf, die man als regionale Lotabweichungen bezeichnen kann. Eine solche regionale und zwar positive Lotabweichung besteht in Deutschland [* 17] zwischen dem 51. und 53. Parallel. [* 18] Nicht minder bemerkenswert ist, daß nördlich von den Alpen [* 19] München, [* 20] südlich Nizza [* 21] und Genua [* 22] Lotabweichungen von absolut kleinerm Betrag zeigen, als nach der äußern [* 14] Figur der Erde zu erwarten ist. Ebenso liegen die Verhältnisse bei den Apenninen. Diese Anomalien deuten auf ausgedehnte unterirdische Anomalien der Massenlagerung, deren Sitz aber eher im Festland als im Meeresboden zu suchen ist.
Vgl. S. Günther, Mathematische Geographie (Stuttg. 1890).