Titel
Erdbeben
,
[* 1] Erschütterungen des Erdbodens, die ihre
Ursache unter der Erdoberfläche haben. Nach der Verschiedenartigkeit
dieser ihrer
Ursachen teilt man die Erdbeben
ein in: 1) Einsturzbeben, entstanden durch Zusammenbruch
unterirdischer Hohlräume; sie sind selten und
lokal und resultieren aus der gesteinsauflösenden Thätigkeit des Wassers;
Gase (Physikalisches)

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Gase.
2) vulkanische Erdbeben
oder Explosionsbeben werden durch
Stöße erzeugt, die durch die aus Vulkanenschlünden entweichenden
Gase und
[* 2] Dämpfe hervorgebracht werden und sind auf die Umgebung der
Vulkane
[* 3] beschränkt;
3) tektonische Erdbeben
oder Dislokationsbeben sind die Äußerungen der fortdauernden
Stauung und Faltung der Schichten zu
Gebirgen. Dadurch werden
Spannungen erzeugt, die dann Verschiebungen,
Brüche und Reißungen
erzwingen, mit denen weithin fühlbare Erschütterungen und die verheerendsten Erdbeben
in
Verbindung stehen. Die Risse und
Brüche,
von denen sie ausgehen, nennt man
Stoß- oder Schütterlinien, auch seismische Linien. Die Art der
Bewegung,
in welche die Erdoberfläche durch Erdbeben
versetzt wird, ist entweder eine wellenförmige (undulatorische E.)oder
eine stoßförmige (succussorische Erdbeben
). Die unterseeischen Erdbeben werden Seebeben genannt.
Die Verbreitungsform der Erdbeben
ist bald eine centrale, indem sich die Erschütterungen gleichmäßig nach allen
Seiten hin fortpflanzen, oder dies geschieht nur nach einer
Richtung, wodurch lineare Erdbeben
entstehen. Das
Gebiet der erstern nennt man Erschütterungskreis, das der letztern Erschütterungszone. Der oberflächliche Mittelpunkt
eines centralen Erdbeben
heißt
Epicentrum; die
Lage desselben kann gefunden werden vermittelst der
Homoseisten, d. h. der Verbindungslinien
aller der Punkte, wo das Erdbeben
gleichzeitig gespürt wird.
Grenzen der Hörbarkeit
![Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert] Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert]](/meyers/thumb/58/58_0307.jpeg)
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Grenzen.
Die
Homoseisten haben bei centralen Erdbeben
Kreisform. Die
Dauer der Erdbeben
schwankt zwischen weiten Grenzen.
[* 4] Manche der verheerendsten
Erdbeben
waren das Werk weniger Sekunden, andere hielten monate-, ja jahrelang an und bestanden dann aus Tausenden
von
Stößen (z. B. das phokische Erdbeben
1870-73, über 50000
Stöße). Die meisten Erdbeben
sind von unterirdischem
Donner, Rollen,
[* 5] Klirren, Krachen begleitet, andere mit Spaltenbildung, Schlamm-, Wasser- und Gasausbrüchen,
Senkungen oder
Horizontalverschiebungen des
Bodens verknüpft.
Daß größere Erdbeben die Zerstörung ganzer
Städte und die Vernichtung Tausender
von
Menschen im Gefolge haben können, ist bekannt. Zur
Beobachtung der Fortpflanzungsrichtung und des Zeitpunktes der Erdbeben dienen
die Seismometer (s. d.).
In neuester Zeit haben einige bedeutende Erdbeben in erhöhtem Maße das Interesse auf diese Erscheinung gelenkt. Es war dies zunächst das Erdbeben oder in diesem Falle besser gesagt Seebeben von Iquique in Peru [* 6] bei dem es gelang, die Fortpflanzung der wellenförmigen Bewegungen namentlich im Stillen Ocean zu verfolgen. (S. nachstehende [* 1] Figur, in der die punktierten Linien, Isorachien genannt, den gleichzeitigen Eintritt der Flutwelle darstellen; s. auch Gezeiten.) Von noch größern Wirkungen verschiedener Art war der vielgenannte überaus heftige Ausbruch des Krakatau (s. d.) in der Sundastraße begleitet, der in der Nacht vom 26. zum erfolgte. Zu nahe gleicher Zeit wurden auch in Nordamerika [* 7] mehrfache Erdbeben wahrgenommen, sodaß es scheint, als ob dieses Ereignis das weitverbreitetste der bis jetzt beobachteten Erdbeben gewesen sei. Von großem Interesse ist auch hier die Verfolgung der Flutwelle gewesen, und zwar wurden bei dieser Gelegenheit mehrere solcher Wellen [* 8] an den Flutmessern in Indien, Südgeorgien u. s. w. wahrgenommen.
[* 1] ^[Abb.]
Erdbeeräther - Erdbeer

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Seite 56.250.Das Auftreten der Erdbeben ist nicht gleichmäßig auf der ganzen Erde. Am zahlreichsten sind sie in Gebieten mit jungen Schichtenstörungen, besonders an den Bruchrändern der Gebirge. In Europa [* 9] sind am meisten von Erdbeben heimgesucht die drei südl. Halbinseln, Ungarn [* 10] und die Gegend des Mittelrheins. In Asien [* 11] sind Erdbeben am häufigsten im Westen, dann im Indus- und Gangesgebiet, in ¶
mehr
Hinterindien, [* 13] dem Malaiischen Archipel und in Japan. [* 14] Afrika [* 15] und Australien [* 16] sind verhältnismäßig von Erdbeben verschont. Dagegen sind sie zahlreicher auf den Inseln des Stillen Oceans, besonders in Neuseeland und den Sandwichinseln. Am reichsten mit Erdbeben bedacht ist die Westküste von Amerika, [* 17] besonders von Südamerika. [* 18] Noch nie von Erdbeben heimgesucht wurde das europ. Rußland.
Salvador (Stadt) - Sal
![Bild 64.234: Salvador (Stadt) - Salvator [unkorrigiert] Bild 64.234: Salvador (Stadt) - Salvator [unkorrigiert]](/meyers/thumb/64/64_0234.jpeg)
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Salvador.Zu den bedeutendsten der neuern Zeit gehören das in Lima [* 19] das in Lissabon [* 20] das sich von Grönland bis Afrika, ja bis Amerika ausdehnte, sodaß die gleichzeitig dadurch erschütterte Oberfläche etwa ein Dreizehntel der gesamten Erdoberfläche betrug; die in Calabrien in Ecuador am Mississippi unterhalb St. Louis in Caracas in Valparaiso [* 21] und Chile [* 22] ferner die Erdbeben auf Terceira auf Guadeloupe auf Sumbawa 15. April und auf Haiti zu Cumana zu San Salvador [* 23] (Centralamerika) in der Nacht vom 16. zum zu Brussa 28. Febr. und in Wallis (Visp) zu Jeddo (Japan) sodann im Neapolitanischen (Atena, Padula, Polta) seit zu Korinth [* 24] zu Mexiko [* 25] zu Quito zu Mendoza in Ecuador und Peru Mitte Aug. 1868, in Kalifornien zu Belluno auf Ischia [* 26] an der Riviera westlich von Tokio [* 27] (Japan) vom 28. Okt. bis u. s. w. Im Sommer 1894 fanden starke Erdbeben statt in Konstantinopel [* 28] (Epicentrum wahrscheinlich im Marmarameer), an der Ostseite des Ätna [* 29] und in Tokio, wie man denn wohl behaupten kann, daß fast an jedem Tage irgendwo auf der Erde ein Erdbeben stattfindet; nur von einem sehr geringen Teile erhalten wir Kenntnis.
Die Sonne

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Sonne.Bei Gelegenheit des Erdbeben an der Riviera hat sich auch wieder die Frage über Schutzmittel gegen Erdbeben und über den Wert der Vorhersagungen solcher Ereignisse in den Vordergrund gedrängt. Was die erste Frage anlangt, so kann natürlich nur die Rede sein von Mitteln zur Sicherung des Lebens und der Gebäude. Was jedoch die zweite anlangt, so sind die Ansichten darüber sehr geteilt. Die größere Anzahl der Forscher glaubt, daß solche Vorhersagungen von Erdbeben im allgemeinen nicht mit irgendwelcher Zuverlässigkeit gegeben werden können, soweit sich dieselben über das hinaus erstrecken, was durch die Beobachtungen etwa an thätigen Vulkanen ermittelt werden kann. (Solche Observatorien besitzen bis jetzt der Vesuv [* 30] und der Ätna.) Die Anhänger der entgegengesetzten Richtung, deren Hauptvertreter Rud. Falb (s. d.) ist, sind der Meinung, auf Grund gewisser kosmischer Vorgänge, unter denen namentlich die Stellung von Sonne [* 31] und Mond [* 32] zur Erde die größte Rolle spielt, bestimmte Perioden und Zeitpunkte vorher bezeichnen zu können, an denen eine große Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Erdbeben vorhanden sei.
Wenn auch zuweilen ein Erdbeben zu einer von dieser Seite vorhergesagten Zeit eintrifft, so kann dies noch nicht als Beweis für die an und für sich nicht ganz stichhaltige Theorie gelten. Im wesentlichen beruht dieselbe nämlich auf der Ansicht, daß der noch feuerflüssige Kern der Erde ähnlichen Schwankungen unterworfen sei, wie man dieselben an den Oceanen als Ebbe und Flut wahrnimmt, und daß dann durch die mittelbare oder unmittelbare Wirkung dieser Flutwelle die Erdbeben hervorgebracht würden, noch unterstützt durch auf dieselben kosmischen Ursachen zurückzuführende Vorgänge in der Atmosphäre.
Wollte man einen solchen Zusammenhang endgültig entscheiden, so müßte bei der Geringfügigkeit der wirkenden Kräfte eine sehr große Anzahl von Fällen der Betrachtung unterworfen werden, was bis jetzt noch nicht geschehen ist und sich auch kaum in dem erforderlichen Umfange wird ermöglichen lassen. Indes haben gerade einige der zuletzt erwähnten Erdbeben für die Falbschen Ansichten viele Gläubige geworben, da sie mit einer Vorhersagung Falbs zusammentrafen, was ebenso der Fall war mit einigen geringen Erderschütterungen, welche 23. und in einigen Orten Österreichs stattfanden.
Litteratur. Mallet, On earthquakes (Bost. 1858);
Fuchs, [* 33] Vulkane und Erdbeben (Bd. 17 der «Internationalen wissenschaftlichen Bibliothek», Lpz. 1875);
J. F. J. Schmidt, Studien über Erdbeben (ebd. 1875; 2. Aufl. 1879);
von Seebach, Das mitteldeutsche Erdbeben 1872 (ebd. 1873);
N. Hoernes, Erdbebenstudien (Wien [* 34] 1878);
ders., Erdbebenkunde (Lpz. 1893);
Heim, Die E.und deren Beobachtung (Bas. 1880);
Roth, über die Erdbeben (Berl. 1882);
Fuchs, Statistik der Erdbeben von 1865 bis 1885 (Wien 1886);
von Hochstetter, Die Erdbebenflut im Pacifischen Ocean (in Petermanns «Geogr. Mitteilungen», Gotha [* 35] 1869).
Ausführliche Angaben über die verschiedenen Theorien und Litteratur bis in die neueste Zeit finden sich in Günthers Lehrbuch der Geophysik und physik. Geographie (2 Bde., Stuttg. 1884-85).