Titel
Erbrechen
(Vomitus), die Entleerung des Magens von seinem Inhalt durch einen kräftigen Ausstoßungsakt, bei welchem vorzugsweise die krampfartige Zusammenziehung des Magens selbst, aber daneben auch die Schlingmuskeln und die Bauchpresse beteiligt sind. Dem Erbrechen geht ein Gefühl von Ekel oder Übelkeit voran, es folgen dann schwächere wurmförmige Bewegungen des Magens, bei denen Gase durch sogen. Aufstoßen entleert werden, bis kräftigere ruckweise Zusammenziehungen den Schließmuskel am Mageneingang überwinden und den Mageninhalt aufwärts in den Mund treiben.
Während dieser konvulsivischen Bewegung steigern sich die Absonderungen des Schleims, des Speichels, auch der Thränen und der gesamten Hauttranspiration. Sekundäre oder sympathische Erscheinungen beim Erbrechen werden durch die heftige Muskelthätigkeit, die Nervenerschütterung und Sekretionsveränderung bedingt. Namentlich wird der ganze Körper so heftig erschüttert, daß selbst Brüche, Vorfälle, Fehlgeburten, Zerreißungen, Blutungen entstehen können; die Nervenerschütterung insbesondere ruft eine allgemeine Umstimmung und das Bedürfnis des Schlafes, zuweilen aber auch Ohnmachten, Zuckungen, Krämpfe und große Erschöpfung hervor.
Nach der Verschiedenheit der ausgebrochenen Stoffe unterscheidet man Blut-, Schleim-, Gallen-, Kotbrechen (Miserere, Darmgicht); nach der Dauer desselben akutes und chronisches Erbrechen. Die Ursachen, welche den Brechreiz auslösen, liegen entweder 1) in dem Reiz des Mageninhalts, oder sie sind 2) nervöser Natur, oder sie beruhen 3) auf Erkrankungen der Magenwand. Im erstern Fall können Erbrechen veranlassen: Überfüllung des Magens durch verschluckte Luft;
lauwarme, fette, schleimige Getränke;
verschluckter Bronchialschleim;
quantitativ oder qualitativ unverdauliche, rohe, holzige, sehnige Speisen;
Aufnahme reizender, entzündend wirkender, giftiger Stoffe (Galle, Magensäure, ranzige und faulige Stoffe, manche Arzneimittel und die meisten Gifte).
Zweitens nervöser, reflektorischer Einfluß auf die Magenmuskulatur wird bewirkt durch hastiges Bücken, Kitzeln im Rachen oder Schlund, Schleim, verlängertes Zäpfchen, Schlundpolypen, Kehlkopfreizung und mitgeteilten Hustenreiz, Erschütterung des Magens, wie beim Keuchhusten, Schaukeln, Herumdrehen im Kreis, ungewohntes Fahren im Wagen oder Schiff; endlich noch reflektierte Nerveneindrücke, infolge deren namentlich bei Hirnkrankheiten, Kopfverletzungen und Kopferschütterungen, heftigen Kopfschmerzen, Schwindel, ekelhaften Gesichts-, Geruchs-, Geschmackseindrücken, subjektiver Antipathie, Idiosynkrasien, Gemütsbewegungen, Uterinaffektion und Schwangerschaft, Nierenkrankheiten, Aufnahme von Kontagien und Miasmen etc. Erbrechen entsteht. Am häufigsten ist endlich das Erbrechen ein Sympton zahlreicher Krankheiten des Magens, des Darmkanals und des Bauchfells und kommt besonders häufig im Beginn schwerer fieberhafter Erkrankungen, zumal bei Kindern und Frauen, vor.
Eine Behandlung des Erbrechens muß nach dem Gesagten nur unter der Voraussetzung eintreten, daß das Erbrechen nicht als wohlthätiger Entleerungsakt, sondern als Krankheitserscheinung auftritt. Im letztern Fall wird sich die Wahl der Mittel je nach dem Hauptübel sehr verschieden gestalten, und nur der Arzt darf entscheiden, ob Salzsäure, ob kohlensaure Alkalien, ob Opium, Belladonna, schwarzer Kaffee oder Eispillen am Platz sind. Manche Tiere erbrechen sich nur sehr schwer, so z. B. Pferde wegen der spiralförmigen Klappe und der Lagenverhältnisse des Magens, und Wiederkäuer, wogegen andre, z. B. Hunde, Katzen etc., sich sehr leicht erbrechen.
Bei den Raubvögeln ist das Ausbrechen des sogen. Gewölles ein normaler Akt, so auch bei den Fröschen das freiwillige Um- und Hinausstülpen des Magens. Beim Menschen erfolgt das Erbrechen am leichtesten im frühsten Kindesalter, schwerer im Knabenalter, am schwersten bei Erwachsenen, namentlich bei Männern, leichter bei Frauen, namentlich während der Schwangerschaft. Das habituelle der Schwangern soll durch den regelmäßigen Genuß eines guten Branntweins manchmal gründlich beseitigt werden, unter den Heilmitteln hat sich in neuester Zeit das Cerium oxalicum wohl bewährt. Vgl. Brechmittel.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Erbrechen
(Vomitus), die stoßweise Entleerung des flüssigen Mageninhalts nach oben durch den Schlund und die Mundöffnung, während man das Aufsteigen des gasartigen Mageninhalts durch die Speiseröhre als Aufstoßen (s. d.) bezeichnet. Eingeleitet wird das Erbrechen in der Regel durch das Gefühl des Ekels (s. d.), Zusammenlaufen von Speichel im Munde, Ausbrechen von Schweiß; das Gesicht wird blaß, ein Gefühl von Schwäche verbreitet sich über den ganzen Körper und der Puls wird klein und beschleunigt. Endlich ziehen sich die
mehr
Bauchmuskeln und das Zwerchfell stark zusammen, und mit größerer oder geringerer Anstrengung wird alles ausgeworfen, was der Magen enthält, zuerst die genossenen Speisen und Getränke, dann Schleim aus Magen und Speiseröhre, endlich Galle, die aus dem Zwölfsingerdarm herübertritt und durch ihren grünen Farbstoff dem Erbrochenen eine grüne Farbe erteilt, und oft auch der Schleim aus der Luftröhre und den Lungen, in Krankheiten auch mancherlei abnorme Stoffe, z. B. Blut (s. Blutbrechen), Kot (s. Miserere), eigentümliche Pilzformen (s. Sarcine), Eingeweidewürmer u. dgl. Ist das Erbrechen vorüber, so stellt sich Mattigkeit und Schlaf oder, war die Anstrengung nicht sehr bedeutend, bald das vorige Wohlbefinden wieder ein.
Die Ursachen des Erbrechen sind verschieden. In der ersten Kindheitsperiode ist es infolge der mehr senkrechten Lagerung des Magens fast normal und ohne alle Beschwerden sowie bei manchen Tieren das Erbrechen eine normale Lebensverrichtung ist (z. B. das Ausbrechen des Gewölles bei manchen Raubvögeln). Der Säugling entfernt das Übermaß der genossenen Milch durch ein dem Aufstoßen ähnliches, müheloses Brechen, übrigens entsteht das Erbrechen entweder durch Reizung des Magens, besonders des untern Magenmundes, z. B. durch Überfüllung des Magens, durch in den Magen gebrachte Gifte oder Reizmittel (s. Brechmittel), durch Entzündung oder Geschwüre des Magens, Magenkrebs, durch Verengerung des Magenausganges, des Darms u. s. w., oder durch eine von den Nerven, besonders vom Gehirn, ausgehende krankhafte Erregung (z. B. bei Schwindel, heftigem Kopfschmerz, Hirnerschütterung, Hirnhautentzündung, bei Bauchfell- oder Unterleibsentzündungen, in Anschluß an Narkosen, z. B. besonders mit Chloroform oder Äther, bei der Seekrankheit und andern stark schaukelnden und drehenden Bewegungen), welche Gehirnerregung auch eine reflektierte (s. Reflexbewegungen) sein kann, besonders vom Schlund und Zäpfchen aus (wenn man den Finger in den Hals steckt oder das Zäpfchen mit einer Federpose kitzelt), und bei Leiden anderer Organe, am häufigsten der Leber, der Nieren, der Gebärmutter und des Bauchfells, oder psychisch durch die Einwirkung ekelerregender Vorstellungen und gewisser Gemütserregungen. Überaus hartnäckiges Erbrechen findet sich bei der Brightschen Krankheit (s. d.) als Ausdruck der chronischen Harnstoffvergiftung oder Urämie. Willkürlich können manche, namentlich hysterische Personen, durch Verschlucken von atmosphärischer Luft Erbrechen hervorrufen.
Die Behandlung des Erbrechen ist je nach der vorliegenden Grundursache verschieden. Wo der Magen gereizt ist, passen nach Umständen: das Verschlucken von kaltem Wasser oder Eisstückchen, von kohlensäurehaltigen Getränken (Brausepulver, Soda- oder Selterwasser, mitunter Champagner), im Notfall Narkotika (z.B. Opium, Belladonna, Bittermandelwasser, Nux vomica in sehr geringer Dosis), daneben äußerlich auf die Magengegend kalte Umschläge, Senfteige oder Einreibungen mit Senfspiritus. In andern Fällen sind ätherisch-ölige Mittel (z. B. Kamille, Baldrian, Pomeranzen, auch schwarzer Kaffee) oder zusammenziehende Stoffe (z. B. Gerbsäure, Kreosot, Wismutweiß) oder säuretilgende Mittel (z. B. doppeltkohlensaures Natron, Magnesia) angezeigt.
Erfolgt das Erbrechen nur mit großer Anstrengung, so kann man es durch Trinken von warmem Wasser oder Kamillenthee sowie durch Frottieren der Magengegend zu befördern suchen. Wenn das Erbrechen vom Gehirn ausgeht oder wenn es sehr schnell wiederkehrt, ist horizontale Lage, körperliche und geistige Ruhe, Dunkelheit u. s. w. am besten. Wenn Gesunde plötzlich heftig erbrechen, denke man zunächst immer an Vergiftung oder an Brucheinklemmung. Das bei Schwangern häufig vorkommende hartnäckige Erbrechen erfordert nur dann einen ärztlichen Eingriff, wenn die Ernährung der Mutter darunter leidet. Häufig widersteht es der ärztlichen Kunst, und es muß dann in besonders heftigen Fällen zur künstlichen Frühgeburt geschritten werden.