Titel
Erbfolge
(Succession), das Eintreten in den
Nachlaß eines Verstorbenen (successio in universum jus defuncti); Erbfolge
recht,
das
Recht zu diesem
Eintritt, das
Erbrecht im subjektiven
Sinn. Die Reihenfolge, in welcher erbberechtigte
Personen zur Erbfolge
berufen
werden, wird Erbfolge
ordnung genannt. Voraussetzung der Erbfolge ist die
Delation oder der Anfall der
Erbschaft, d. h. es muß ein
bestimmter
Grund vorliegen, aus dem man die
Erbschaft erwerben kann. Solche Delationsgründe sind:
1) der Wille des Verstorbenen: testamentarische (s. Testament);
2) im Mangel einer letztwilligen Disposition das Gesetz: Intestaterbfolge;
3) wiederum das
Gesetz, sofern es dem
Erblasser die Befugnis entzieht, gewisse
Personen,
Kinder, Eltern und unter Umständen
auch die
Geschwister, unberücksichtigt zu lassen: Noterbfolge;
4)
Vertrag: vertragsmäßige (s.
Erbvertrag). Das Intestater
bfolgerecht beruht nach römischem
Recht in der
Regel auf der
Blutsverwandtschaft,
Schwäger haben es nicht. Die Erbfolge
ordnung wird nach gewissen
Klassen bestimmt, und solange noch ein
erbfähiger Verwandter aus einer vorhergehenden
Klasse vorhanden ist, wird keiner aus der folgenden zugelassen. Rücksichtlich
der Verteilung des
Nachlasses wird der
Heres
ex asse, d. h. derjenige
Erbe, welcher den ganzen
Nachlaß allein erhält,
Universalerbe,
von demjenigen, der nur eine
Quote desselben erhält, unterschieden; diese
Quoten sind aber entweder Virilteile
(successio
in capita), d. h. es wird die
Erbschaft nach der Zahl der konkurrierenden
Personen oder
Köpfe verteilt, oder Stammteile
(successio in stirpes), d. h. die
Teilung geschieht nach den
Generationen oder
Stämmen des
Deszendenten, oder Linealteile (successio
in lineas), d. h. es werden so viele Teile der
Erbschaft gemacht, als Aszendentenstämme vorhanden sind.
Der
Blutsverwandtschaft steht im allgemeinen die juristische, d. h. durch
Adoption (s. d.) begründete,
Verwandtschaft gleich.
Die
Adoption als vollkommene (adoptio plena) und die
Arrogation bewirken zwischen dem Adoptierten und dem
Vater sowie dessen
Verwandten ein vollkommenes gegenseitiges Erbfolge
recht. Die unvollkommene
Adoption (adoptio minus plena)
dagegen gibt nur dem Adoptierten, nicht auch dem Adoptierenden ein
Erbrecht. Wichtig ist ferner der Unterschied zwischen den
ehelich und den außerehelich Gebornen; während nämlich jene den väterlichen und mütterlichen Verwandten ohne Unterschied
succedieren, beerben letztere in der
Regel bloß ihre
Mutter und ihre mütterlichen Verwandten, nicht aber auch
den
Vater und die väterlichen Verwandten.
Es werden vier
Klassen der Verwandten unterschieden.
Inder ersten
Klasse erben die successionsfähigen
Deszendenten (Verwandte
in absteigender
Linie) des
Erblassers nach
Stämmen; z. B. X hat drei
Söhne, A,
B, C, von denen B wieder ein
Kind
b hat und C mit
Hinterlassung von zwei
Kindern, c c, verstorben ist. Hier erhält b nichts, da der
Vater B vorgeht; c c
erhalten den Teil, welchen ihr
Vater erhalten haben würde, wenn er am
Leben geblieben wäre
(Repräsentationsrecht); also erhalten
A ⅓, B ⅓, c ⅙, c ⅙. Sind keine
Deszendenten vorhanden, so kommt die zweite
Klasse, die der
Aszendenten
(der Verwandten in aufsteigender
Linie), der vollbürtigen
Geschwister und deren
Kinder, zur Erbfolge.
Sind mehrere
Aszendenten vorhanden,
so schließt der dem
Grad nach Nähere den Entferntern unbedingt aus. Sind bloß
¶
mehr
Aszendenten vorhanden, so wird nach den Linien geteilt, so daß die Erbschaft in zwei gleiche Hälften zerfällt, von denen
die eine den väterlichen, die andre den mütterlichen Aszendenten des Erblassers zugeteilt wird, und von denen alsdann eine
jede auf ihrer Seite sich wiederum nach Köpfen verteilt. Konkurrieren Aszendenten und vollbürtige Geschwister
oder bloß letztere oder bloß vollbürtige Geschwisterkinder, so erfolgt die Teilung nach Köpfen; konkurrieren aber Aszendenten,
vollbürtige Geschwister und Kinder von solchen, so teilen die erstern nach Köpfen und die letztern nach Stämmen, und ebenso
erfolgt, wenn bloß vollbürtige Geschwister und Kinder von solchen konkurrieren, die Teilung rücksichtlich der
erstern nach Köpfen und rücksichtlich der letztern nach Stämmen. In Ermangelung solcher Verwandten gelangt die dritte Klasse
mit den halbbürtigen Geschwistern des Erblassers und den Kindern von solchen zur Erbfolge.
Die Teilungsweise ist hier dieselbe wie
in der zweiten Klasse für den Fall der Konkurrenz von vollbürtigen Geschwistern und Kindern von solchen.
Sind auch solche Verwandten nicht vorhanden, so kommt die vierte Klasse zur Erbfolge
, welche von allen nicht schon in der zweiten
und dritten Klasse gerufenen Seitenverwandten gebildet wird. Während nun in allen übrigen Klassen der dem Grad nach nähere
Seitenverwandte den entferntern nur dann ausschließt, wenn dieser von jenem abstammt, schließt in dieser
Klasse der Nähere den Entferntern unbedingt und ohne jede Beschränkung aus. Sind gar keine successionsfähigen Verwandten
vorhanden, so wird nach römischem Rechte der Verstorbene von seinem überlebenden Ehegatten beerbt.
Hat die nachgelassene Witwe keine Mitgift erhalten, und war der verstorbene Ehemann zur Zeit seines Todes wohlhabend, sie selbst aber arm, so hat sie Anspruch auf ein Viertel des Vermögens ihres Mannes; hinterläßt aber der verstorbene Ehemann eheliche Kinder, so erhält sie jenes Viertel nur dann, wenn der Kinder weniger als vier sind, indem sie im letztern Fall nur auf einen Kindesteil Anspruch hat, und sind endlich diese ehelichen Kinder von ihr selbst mit dem Ehemann erzeugt worden, so hat sie von ihrer Erbportion nur einen lebenslänglichen Nießbrauch.
Man nennt dies das Erbrecht der armen Witwe. Uneheliche Kinder beerben nach römischem Recht ihren Vater nur dann, wenn dieser
weder eine rechtmäßige Ehefrau noch eheliche Kinder hinterläßt, in welchem Fall sie mit der zweiten,
dritten und vierten Klasse konkurrieren; sie können aber nie mehr als 1/6 des Nachlasses erhalten. Sind außer ihnen gar keine
andern Intestaterben
vorhanden, so fallen die übrigen 5/6 des Nachlasses dem Fiskus zu. Ferner erbt die Kirche oder das Kloster,
wenn Geistliche oder Mönche ohne Hinterlassung von erbfähigen Verwandten gestorben sind. In Ermangelung
aller erbfähigen Personen endlich nimmt der Fiskus den Nachlaß als herrenloses Gut an sich.
Die Noterbfolge
beruht auf dem Grundsatz, daß der Erblasser seine Deszendenten, bez. Aszendenten, sofern nicht eine rechtmäßige
Ursache zu deren gänzlicher Ausschließung (Enterbungsgrund) vorhanden ist, nicht unberücksichtigt lassen
darf, sondern ihnen wenigstens den Pflichtteil hinterlassen muß. Auch die Geschwister haben dies Recht auf Hinterlassung des
Pflichtteils, jedoch nur dann, wenn eine turpis persona, d. h. eine unehrenhafte Person, instituiert ist (s. Pflichtteil).
Die Erbfolge
als Antretung der Erbschaft muß, wenn sie gültig sein soll, unbedingt geschehen; auch eine bloß
teilweise Antretung der Erbschaft gilt als Antretung der ganzen. Über die
Frist, innerhalb deren die Erklärung über Annahme
oder Ausschlagung der Erbschaft erfolgen muß, s. Bedenkzeit. Mit dem Antritt der Erbschaft tritt der Erbe in die sämtlichen
übertragbaren Rechtsverhältnisse des Verstorbenen ein und zwar entweder allein oder zu einer bestimmten
Quote, je nachdem er alleiniger Erbe oder bloß Miterbe ist.
Infolgedessen erscheint das Vermögen des Erblassers und das des Erben als ein einziges, so daß die gegenseitigen Forderungsrechte des Erben und des Erblassers sowie die dinglichen Rechte, welche dem Erben an dem Vermögen des Erblassers und diesem an dem Vermögen des Erben zustanden, erlöschen, die Erbschaftsgläubiger sich an den Erben halten müssen und dieser umgekehrt verpflichtet ist, die Schulden des Erblassers nötigenfalls mit seinem eignen Vermögen nach Verhältnis der Größe seines Erbteils zu bezahlen, falls die Erbschaft selbst dazu nicht hinreichen sollte, und endlich der Erbe die ihm in dem Testament gemachten Auflagen erfüllen muß.
Jene unbedingte Schuldenhaftung des Erben erleidet jedoch dann eine Modifikation, wenn der Erbe sich der Rechtswohlthat des Inventars (s. Beneficium inventarii) bediente. Zur Geltendmachung der dem Erben durch den Erbschaftsantritt erwachsenen Rechte dienen mehrere Klagen und unter ihnen hauptsächlich die Erbschaftsklage (hereditatis petitio), welche gegen denjenigen angestellt wird, der sich selbst ein Erbrecht anmaßt oder zur Erbschaft gehörige Gegenstände ohne allen Rechtsgrund innehat. Sie geht auf Anerkennung des Erbrechts, Herausgabe der Erbschaft oder der dazu gehörigen Gegenstände nebst den Nutzungen unter Rechnungsablage.
Das römische Recht bildet in Ansehung der noch immer das gemeine deutsche Recht, doch ist es durch eine Menge von partikularrechtlichen Bestimmungen und Gewohnheitsrechten modifiziert. Namentlich räumt das geltende Recht den Ehegatten vielfach wechselseitige Erbrechte ein, was mit dem deutschrechtlichen Grundsatz der ehelichen Gütergemeinschaft zusammenhängt (s. Güterrecht der Ehegatten). Dagegen kommt die dem ältern deutschen Recht eigentümliche Teilung des Mobiliarnachlasses in die Gerade, d. h. diejenigen Sachen, mit denen die Frau »umgeht«, das Frauengut, und das Heergerät nur noch bei gewissen adligen Stammgütern in Betracht, indem die Gerade den nächsten weiblichen, das Heergerät den nächsten männlichen Verwandten (Schwertmagen) zufällt.
Auf der andern Seite finden sich manche partikularrechtliche Überreste des frühern deutschen Rechts,
welch letzteres im wesentlichen freilich durch das römische Recht verdrängt ward. So findet sich z. B. noch hier und da
das deutsche Parentelensystem, wonach immer zunächst die Nähe der Parentel (Linie, Sippe), d. h. der durch den nächsten gemeinschaftlichen
Stammvater Verbundenen, in jeder Parentel aber die Nähe des Grades entscheidet. Dies System liegt der gesetzlichen
Erbfolge
ordnung des österreichischen Zivilgesetzbuchs zu Grunde.
Dies beruft zuerst die Kinder des Erblassers und die Nachkommen vorverstorbener Kinder; dann kommen die beiden Stämme der Eltern des Erblassers je zur Hälfte an die Reihe; die Eltern selbst gehen ihren Nachkommen, also den Geschwistern des Erblassers, vor. Es folgen die Stämme der vier Großeltern, dann die der acht Urgroßeltern etc. Partikularrechtlich findet sich ferner die Bestimmung, daß die Eltern, zuweilen auch die weitern Aszendenten, die Geschwister ausschließen (Schoßfall), daß Halbbürtige den Vollbürtigen um einen Grad nachstehen, und daß das sogen. Repräsentationsrecht beschränkt ¶
mehr
ist. Im preußischen Landrecht z. B. gestaltet sich die gesetzliche Erbfolge
folgendermaßen:
1) Kinder und die Nachkommen vorverstorbener Kinder;
2) Eltern;
3) vollbürtige Geschwister und die Nachkommen von solchen;
4) Großeltern, Urgroßeltern etc. und die Halbgeschwister und deren Nachkommen; die Aszendenten zur einen, die Halbgeschwister zur andern Hälfte;
5) Seitenverwandte nach der Gradesnähe und ohne Unterschied zwischen Voll- und Halbbürtigen.
Auch der eigentümliche Grundsatz des ältern deutschen Rechts, welchen man gewöhnlich durch das Rechtssprichwort »der Tote
erbt den Lebendigen« ausdrückt, hat sich partikularrechtlich erhalten. Es hat dies die Bedeutung, daß es keines besondern
Antritts der Erbschaft bedarf, sondern daß die Erbfolge
unmittelbar durch den Tod des Erblassers bewirkt wird.
Dies gilt auch nach französischem Recht: Le
[* 4] mort saisit le vif (der Tote »ergreift« den Lebendigen, d. h. den Erben). Die gesetzliche
Erbfolge
selbst ist im Code Napoléon also geordnet:
1) Eheliche Kinder und Nachkommen von solchen. Ist keine Deszendenz vorhanden, so wird der Nachlaß ohne Rücksicht auf den Ursprung des Vermögens in zwei Hälften geteilt, von denen je eine für die väterlichen und für die mütterlichen Verwandten bestimmt ist.
2) In der zweiten Klasse werden zur Erbfolge berufen Vater und Mutter, die Geschwister und deren Nachkommen. Leben Vater und Mutter nicht mehr, so bedarf es jener Teilung nur dann, wenn neben den vollbürtigen halbbürtige Geschwister vorhanden sind, weil ja bei den vollbürtigen Geschwistern die väterliche und die mütterliche Linie zusammenfallen. Halbgeschwister nehmen nur an der Erbfolge in die eine Hälfte teil. Konkurrieren also z. B. zwei vollbürtige Geschwister mit einem halbbürtigen Bruder des Erblassers, so gestaltet sich das Verhältnis so: die vollbürtigen Geschwister teilen mit dem halbbürtigen Bruder die eine Hälfte, so daß jeder der drei Erben ⅓ von dieser Hälfte, mithin 1/6 der ganzen Erbschaft erhält. Die andre Hälfte fällt je zu ½ und zu ¼ der ganzen Erbschaft den vollbürtigen Geschwistern zu. Es erhalten also in diesem Fall die vollbürtigen Geschwister je 5/12, der Halbbürtige 2/12 = 1/6 der Erbschaft. Leben beide Eltern noch, so erhalten sie die Hälfte, während die andre Hälfte den Geschwistern zufällt. Wenn nur der Vater oder die Mutter konkurriert, so kommt ihm oder ihr ¼ zu. 3) Die dritte Klasse bilden die Aszendenten nach der Gradesnähe ohne Repräsentation.
4) Seitenverwandte, ebenfalls ohne Repräsentation nach der Gradesnähe. In den deutschen Partikularrechten haben sich auch manche deutschrechtliche Eigentümlichkeiten in Ansehung der Erbfolge in Bauerngüter erhalten (s. Bauerngut); dasselbe gilt von der Erbfolge in Familienfideikommißgüter (s. Fideikommiß) und Lehnsgüter (s. Lehnswesen). Was die Succession des Regierungsnachfolgers in die Regierungsrechte des bisherigen Monarchen anbetrifft, so sind hierüber die Bestimmungen des öffentlichen Rechts maßgebend, nicht diejenigen des Privaterbrechts (s. Thronfolge).
Vgl. außer den Lehrbüchern des Pandektenrechts und des deutschen und partikulären Privatrechts: Tewes, System des Erbrechts (Leipz. 1863-64, 2 Bde.);
Munzinger, Erbrechtliche Studien (Basel [* 5] 1874);
Mommsen, Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht (Braunschw. 1876);
Lassalle, Das Wesen des römischen und germanischen Erbrechts (Teil 2 des »Systems der erworbenen Rechte«, 2. Aufl., Leipz. 1880);
v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverwaltung im Deutschen Reich (das. 1882);
Schanz, Das Erbfolgeprinzip des Sachsenspiegels (Tübing. 1884).