mehr
nötigen Vorsicht angewendet, die wichtigsten Aufschlüsse darüber, warum sich viele
Tiere, statt direkt, auf so vielen Umwegen
entwickeln, und warum sie zuerst die Kennzeichen der höhern Abteilungen und dann erst die der niedern und der Art erkennen
lassen, denn die
Art ist ja das jüngst entstandene
Glied
[* 3] dieser Formenkette; es erklärt ferner die
Erscheinungen
des
Atavismus, vieler
Mißbildungen und vor allem die natürliche
Verwandtschaft der
Wesen.
Daher der ungeheure Aufschwung, den
das
Studium der Entwickelu
ngsgeschichte
[* 4] in der Neuzeit genommen hat.
Nach dieser geschichtlichen Einleitung bleibt uns noch übrig, kurz den allgemeinen Gang [* 5] der tierischen Entwickelung anzudeuten. Die Entdeckung von Schwann und Schleiden, daß die Zelle [* 6] das Elementarorgan ist, aus welchem sich jeder zusammengesetzte organische Körper aufbaut, führte bald zu genauern mikroskopischen Studien über den Aufbau der Gewebe, [* 7] und es zeigte sich, daß jedes tierische (oder pflanzliche) Wesen seine Entwickelung als einfache Zelle beginnt.
Auch bei den höhern Wirbeltieren ist das weibliche Ei, [* 8] wie es aus dem Eierstock kommt, eine solche einfache Zelle. Dieselbe unterliegt dann nach der Befruchtung [* 9] zunächst dem von Prevorst und Dumas (1824) entdeckten Furchungsprozeß oder der Segmentation, d. h. sie teilt sich zuerst in 2 Zellen und diese durch wiederholte Doppelteilung in 4, 8, 16, 32 etc. Zellen [* 1] (Fig. A, B, C, D), die zuletzt einen kugeligen Klumpen, die sogen. Maulbeerlarve (Morula, [* 1] Fig. E), bilden. Hierauf treten die einzelnen Zellen auseinander und bilden einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum, die Flimmerlarve, auch Blasenkeim (Planula oder Blastula) genannt [* 1] (Fig. F, G). Indem sich diese aus einer einzigen Lage von Wimperzellen bestehende Hohlblase durch Einstülpung (Invagination, [* 1] Fig. H) oder, wie es in einzelnen Fällen geschehen soll, durch Teilung ihrer Wandzellen in einen aus einer doppelten Zelllage bestehenden Hohlsack mit Mundöffnung verwandelt, entsteht die sogen. Darmlarve oder Gastrula [* 1] (Fig. I, K), auch Becherkeim, welche nach Häckel die letzte, allen echten, vielzelligen Tieren (Metazoen) gemeinsame Grundform darstellt.
In der That ist der bis hierher beschriebene Entwickelu
ngsgang bei den
Tieren der verschiedensten
Klassen derselbe, obwohl
die
Gastrula-Larve unter mancherlei abgeleiteten
Formen auftritt, und
Häckel schloß daraus nach seinem
oben erwähnten »biogenetischen
Grundgesetz«, daß die
Gastrula-Larue das
Nachbild einer gemeinsamen Ahnenstufe aller höhern
Tiere sei,
der sogen.
Gasträa, von der noch heute zu den
Pflanzentieren gerechnete Verwandte (»Gasträaden der Gegenwart«) leben,
deren
Körper zeitlebens nur aus einer doppelten Zellenschicht besteht. Es ist dies die vielgenannte Häckelsche Gasträatheorie,
die von mehreren Zoologen verworfen wird, indem sie annehmen, es seien einzig tektonische
Ursachen, welche einen derartigen
Verlauf der ersten
Entwickelung aller
Tiere bedingen.
Auf diese Weise sind zwei deutlich unterschiedene Zellenschichten entstanden, welche den schon von Pander entdeckten primären Keimblättern entsprechen, das die Innenwand der Gastrula auskleidende Magen- oder Innenblatt, auch unteres Keimblatt (Entoderm) genannt, und das sie bedeckende Hautblatt oder äußere Keimblatt (Exo- oder Ektoderm), welche die Grundlage aller fernern Entwickelung der Tiere bilden und zwar so, daß stets aus dem Hautblatt die Körperbedeckungen, das Nervensystem und die Sinnesorgane hervorgehen, weshalb es auch Hautsinnesblatt genannt wird, während sich aus dem Magenblatt die Schleimhaut des Magens und die Eingeweide [* 10] bilden.
Huxley wies 1849 die sogen. Homologie der Keimblätter, d. h. ihre Gleichwertigkeit durch alle Tierklassen, nach und zeigte, daß der Körper der meisten Pflanzentiere zeitlebens nur aus diesen beiden Zellenschichten und deren Derivaten besteht. Bei höhern Tieren bildet sich indessen zwischen beiden bald noch ein mittleres, sekundäres Keimblatt (Mesoderm) oder auch zwei sekundäre Keimblätter, woraus die verschiedenen Muskelsysteme hervorgehen. Über den Ursprung und die Beziehungen sowie die weitern Umbildungen der Keimblätter haben namentlich Remak im Beginn der 50er und Kowalewsky um die Mitte der 60er Jahre gearbeitet, und in neuester Zeit haben Häckel, van Beneden, Balfour, Ray. Lankester, die Gebrüder Hertwig u. a. darüber gearbeitet.
Bei der weitern Entwickelung der Tiere krümmen und falten sich diese drei Platten in der mannigfaltigsten Weise, schließen sich an der Bauchseite röhrenförmig zusammen und bilden so die Grundlage des Embryos, über dessen weitere Entwickelung bei den höhern Wirbeltieren der Artikel »Embryo« zu vergleichen ist.
Vgl. Wolff, Theoria generationis (Halle [* 11] 1759);
v. Baer, der Tiere (Königsb. 1828-37, 2 Bde.);
Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbeltiere (Berl. 1850-55);
Rathke, der Wirbeltiere (Leipz. 1861);
Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie (deutsch, Jena [* 12] 1880-1881, 2 Bde.);
Häckel, Biologische Studien (das. 1876-77);
Derselbe,
Ziele und Wege der heutigen Entwickelungsgeschichte
(das. 1875);
Derselbe,
Anthropogenie, Entwickelungsgeschichte
des
Menschen (4. Aufl., Leipz. 1881);
Kölliker, Entwickelungsgeschichte
des
Menschen (2. Aufl., das. 1879);
Derselbe,
Grundriß der Entwickelungsgeschichte
des
Menschen und der höhern
Tiere (2. Aufl., das.
1884);
His, Unsre Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung (das. 1875).