Entwässerung
,
die Ableitung des überschüssigen Wassers von versumpftem Boden, bez. die Fernhaltung des den Boden versumpfenden Wassers. Die schädlichen Einflüsse der Sumpfgebiete sind allgemein bekannt. Abgesehen von den äußerst geringen und stets unsichern Erträgen, entstehen durch die Ausdünstungen der infolge der abwechselnden Feuchtigkeit und Trockenheit in Fäulnis übergehenden organischen Stoffe epidemische Krankheiten, welche auf fast allen Sumpfgebieten regelmäßige Erscheinungen bei Menschen und Tieren sind.
Mit der Melioration verschwinden diese Nachteile und zwar zumeist in überraschender Weise. Der Boden ist bereits der Trockenlegung bedürftig, wenn infolge anhaltender Nässe die Bestellung desselben nicht rechtzeitig ausgeführt werden kann. Oft zeigt der nämliche Boden späterhin, nachdem infolge der Temperaturerhöhung der Verdunstungsprozeß gesteigert wurde, einen Mangel an Feuchtigkeit, so daß er innerhalb eines Jahrs abwechselnd an zu großer Nässe und an Dürre leidet. In diesem Fall muß die Melioration gleichzeitig für eine Ent- und Bewässerung Sorge tragen, so daß je nach Bedarf eine Entziehung oder eine Zuführung von Wasser stattfinden kann.
Das Wasser, welches sich aus irgend einer Ursache auf oder in dem Boden ansammelt und diesen versumpft, kann nur in dem Fall abgeführt werden, daß ein Rezipient zur Aufnahme des überschüssigen Wassers vorhanden ist oder beschafft wird. Man bezeichnet denselben mit dem Namen »Vorflut«, worunter also in der Regel ein entsprechend tief gelegener Wasserlauf von derartiger Kapazität zu verstehen ist, daß er das in dem Sumpfgebiet angesammelte Wasser aufzunehmen und rechtzeitig abzuführen vermag.
Vorwiegend wird das
Wasser in einem oberirdischen
Rezipienten abgeleitet werden können; jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß
dasselbe in eine unterirdische wasserleitende
Schicht versenkt wird, falls die
Kapazität dieser
Schicht größer ist als die
zugeführte Wassermenge. Die
Ursachen der Versumpfung können sehr verschieden sein, und das
Verfahren
der Entwässerung
muß sich stets nach denselben richten. Namentlich rühren die Versumpfungen von
Erhöhung der
Bach- und Flußbetten
durch Sinkstoffe her, herbeigeführt von den starken, oft unbewaldeten
Hängen im Gebiet des Oberlaufs des
Flusses.
Ferner von Flußkrümmungen (Serpentinen), welche das relative Gefälle vermindern und somit eine Erhöhung des Wasserstandes sowie infolge Verzögerung der Wassergeschwindigkeit eine Sinkstoffablagerung auf der Sohle bewirken. Bei eingedeichten Flüssen nimmt das Binnenland nicht teil an den Erhöhungen des Außenlandes, welche durch den Niederschlag der Sinkstoffe erfolgen. Demnach verliert das im Deichschutz liegende Gebiet im Lauf der Zeit seine natürliche Vorflut und fällt der Versumpfung anheim. Eine der häufigsten Ursachen derselben sind ferner die Stauanlagen. Ein jedes Stauwerk, namentlich ein solches bei schwachem Gefälle des Wasserlaufs, veranlaßt eine Erhöhung des Wasserstandes oberhalb des Wehrs, wodurch sehr häufig die Abwässerung des anliegenden Landes unmöglich gemacht wird.
Nach den dargestellten wichtigstem Ursachen der Versumpfungen lassen sich die Mittel zur Beseitigung derselben bestimmen. In der Hauptsache finden folgende Methoden Anwendung:
1) Abhaltung des fremden, d. h. des von höhern Gebieten in das Sumpfterrain eintretenden, Wassers. Dasselbe wird um oder in einem bedeichten Kanal [* 2] durch die Niederung in den Vorflutrezipienten geleitet.
2) Tieferlegung des Wasserlaufs durch Krautung und Baggerung; häufig das einfachste und durchaus zweckentsprechende Mittel zur Beschaffung der Vorflut für ein versumpftes Gebiet.
3) Abhaltung der durch Uferabbrüche und durch Seitenzuflüsse in Gebirgsländern in den Wasserlauf geführten Sinkstoffe mittels Uferdeckungen, Thalsperren und ähnlicher Anlagen.
4)
Abkürzung stark gekrümmter Wasserläufe mittels Durchstichen; ein
Mittel, welches aus mehrfachen
Gründen
nur mit Umsicht angewendet werden darf. Die erzielte
Senkung des Wasserstandes macht oft die sehr wünschenswerte Überflutung
mittels des befruchtenden Winterhochwassers unmöglich. In diesem
Fall empfiehlt sich zumeist anstatt des Durchstichs 5) die
Anlage eines Parallelkanals, welcher das gesammelte
Wasser des
Sumpfes aufnimmt und mit geringstem zulässigen
Gefälle so weit nach abwärts geführt wird, bis er das
Wasser ohne schädlichen Rückstau in den Vorflutrezipienten einleiten
kann. Im
Flachland erhalten derartige Entwässeru
ngskanäle zumeist eine sehr beträchtliche
Länge, und dieselben müssen
häufig durch fremdes
Terrain geführt werden, denen zwar die
Servitut der Durchleitung zuerkannt wird,
jedoch gegen sehr erhebliche
Entschädigung. In diesem
Fall verursacht die
Anlage eines Parallelkanals oft höhere
Kosten, als
die
Melioration Nutzen erwarten läßt.
6) Senkung des Wasserspiegels von Seen. Erhält die Niederung ihre Vorflut direkt oder indirekt in einen See, dessen Wasserspiegel während der Zeit der erforderlichen Trockenlegung eine zu beträchtliche Höhe besitzt, so sucht man eine Senkung des Seewasserstandes durch Beförderung des Seeabflusses zu bewirken. Das Verfahren richtet sich nach der Ursache des hohen Seestandes.
7) Beseitigung oder Tieferlegung von Stauwerken. Rührt die Versumpfung von einem Mühlenstau her, welcher eine zu beträchtliche Erhöhung des Oberwassers zur Folge hat, so ist die Beseitigung oder eine für den vorliegenden Zweck genügende Tieferlegung des Stauwerkes das sicherste Mittel zur Beschaffung der Vorflut. Wenn auch die Gesetzgebung der meisten Länder eine Wiederherstellung des freien Laufs oder eine Erniedrigung des Stauwerkes für den Fall zuläßt, daß die Wehranlage einen überwiegenden Nachteil für die Landeskultur zur Folge hat, so ist doch die Beseitigung der Anlage zumeist mit so erheblichen Entschädigungskosten verknüpft, daß dieselbe hierdurch oft unmöglich gemacht wird. In einigen ¶
mehr
Gesetzen wird die Abänderung eines Stauwerkes überdies dadurch erschwert, bez. verbindert, daß diese nur durchgeführt werden muß, insofern dem Besitzer selbst nicht dadurch ein überwiegender Nachteil zugefügt wird, oder soweit die Abänderung erfolgen kann, ohne die nötige Triebkraft des fraglichen Werkes zu beeinträchtigen, oder endlich, falls die Versumpfung oder Überschwemmung in keiner andern minder kostspieligen Weise beseitigt werden kann.
8) Versenkung des angesammelten Wassers in eine durchlassende Schicht des Untergrundes, falls eine solche in hinreichender Mächtigkeit und mit angemessener Kapazität der Wasserführung in nicht zu beträchtlicher Tiefe zu erreichen ist.
Kann durch die hier geschilderten Mittel die Vorflut nicht beschafft werden, so verbleibt noch 9) die Erhöhung des Niederungsgebiets durch Kolmation (s. d.), ein Verfahren, welches bei reichlicher Menge von Sinkstoffen in den zur Aufhöhung zu benutzenden Wasserläufen oft, wenn auch erst nach einer längern Reihe von Jahren, sehr gute Erfolge erzielt hat, und endlich 10) die mechanische Wasserhebung, um das in dem Sumpfgebiet angesammelte Wasser in den höher gelegenen Ableitungskanal zu heben. Es ist dieses Mittel am Platz, wenn der Rezipient nicht entsprechend gesenkt werden kann und das zu meliorierende Gebiet Aussicht auf hohe Erträge gewährt. Es besitzt dieses Mittel namentlich an den Ausmündungen der Ströme ins Meer eine große Bedeutung, da hier eine anderweitige Vorflutbeschaffung ausgeschlossen ist. So sind in Holland, an der deutschen Nordseeküste, ferner in neuester Zeit an der Mündung des Po bei Ferrara [* 4] sehr bedeutende Wasserhebewerke aufgestellt, um das in den Marschen angesammlte ^[richtig: angesammelte] Wasser abzuleiten.
Als Triebkraft für die Wasserhebewerke dient in Holland und an der deutschen Nordseeküste noch vielfach
die Windkraft. In neuerer Zeit benutzt man jedoch vorwiegend Dampfmaschinen
[* 5] mit Zentrifugalpumpen oder Overmarssche Pumpräder
zur Trockenhaltung der Niederungen, falls eine natürliche Vorflut nicht zu erzielen ist. Aber auch im Binnenland wird bereits
die Dampfmaschine
[* 6] zur Entwässerung
versumpfter Gebiete benutzt, besonders in eingedeichten Niederungen, wenn lange
anhaltendes Hochwasser es unmöglich macht, das Binnenwasser auf natürliche Weise abzuführen.
An die Beschaffung der Vorflut schließt sich die Binnenentwässerung
an, welche je nach der Situation durch einen Hauptkanal
oder durch ein Netz von Kanälen erfolgt. Die Richtung derselben bestimmt die Lage des Terrains, während die Anzahl und
Profile nach der sorgfältig zu ermittelnden abzuführenden Wassermenge bestimmt werden. Oft gelingt es Hierdurch, das
Terrain vollständig zu sanieren; zuweilen wird jedoch noch eine lokale Trockenlegung der einzelnen Parzellen durch offene
Gräben oder durch Drainage
[* 7] (s. d.) erforderlich.
Vgl. Franzius und Sonne, [* 8] Der Wasserbau (2. Aufl., Leipz. 1882);
Perels, Handbuch des landwirtschaftlichen Wasserbaues (2. Aufl., Berl. 1884).