Bezirk des Kantons Wallis.
Fläche 63360 ha, nach
Visp der grösste Bezirk des Kantons. Entremont und Hérens
sind die einzigen
Bezirke des Wallis,
die nicht an die
Rhone stossen. Er umfasst das ganze Gebirgsland der
Walliser Dransethäler
oberhalb
Bovernier und war lange Zeit hindurch der volksreichste der 13 Bezirke des Wallis.
Seit dem Bau der Eisenbahnlinie, die hauptsächlich
dem
Rhonethal und ihren grössern Ortschaften zu
Gute gekommen ist, ist aber dieser ehemals «le grand district»
geheissene Bezirk in Bezug auf Bevölkerungszahl rasch in den sechsten
Rang zurückgesunken.
Bezirkshauptort ist
Sembrancher. Besteht aus den sechs Gemeinden
Sembrancher,
Bagnes,
Bourg St. Pierre,
Liddes,
Orsières und Vollège.
Grenzen: im N. die Bezirke
Martinach und
Conthey, im O. der Bezirk Hérens,
im S. Italien und im W. Frankreich (Département
de la
Haute Savoie) und der Bezirk
Martinach. Obwohl ganz im Herzen des Gebirgslandes gelegen und zum grössten Teil von Firnfeldern
umschlossen, gestatten die
Thäler des Bezirkes Entremont doch noch den Anbau der meisten im Kanton Wallis
überhaupt gepflanzten Bodenprodukte.
Der der Hauptsache nach mit
Roggen, Weizen und¶
mehr
Kartoffeln bestandene anbaufähige Boden reicht im Thal von Bagnes bis Zangremont (1434 m) und im Entremontsthal bis Champdonne
und Commeire (1450 m) hinauf. Der Nussbaum gedeiht bis Orsières und jenseits Le Fregnolay und der, jenseits Bovernier seltene,
Kastanienbaum bis Montagnier (im Bagnesthal). ^[Note:] Ueber Sembrancher steigt ein Weinberg noch bis 800 m und
höher an;
sein Ertrag braucht den Vergleich mit einigen Weinen zweiten Ranges aus dem Rhonethal nicht zu scheuen.
Der Weinberg
von La Forclaz, über Le Châble, geht bis 1100 m Höhe. Weniger bedeutend, aber immerhin noch nennenswert ist in einigen Gemeinden
der Obstbau. Obwohl die einheimische Kartoffel den Grundstock der Nahrung der Bewohner bildet, wird sie
doch noch ins Unter Wallis
ausgeführt, wo sie guten Absatz findet. In den Umgebungen von Liddes und Vollège baut man mehr Getreide,
als für den eigenen Bedarf verwendet wird. Grösserer Entwicklung fähig wäre der Gemüsebau.
Hauptbeschäftigung der Bewohner sind Viehzucht und Milchwirtschaft. Das in eine Menge von kleinen Parzellen
eingeteilte Privateigentum (excl. Wald) reicht bis in eine mittlere Höhe von 1700 m und steigt an einzelnen Stellen bis 1900 m
an. Darüber folgen weite Alpweiden, gemeinsames Eigentum der Bürgergemeinden, das da und dort (besonders in Bourg St. Pierre)
nach und nach an Private verkauft wird. Die meisten Bewohner besitzen an den Hängen zu beiden Seiten
des Rhonelaufes noch kleine Weinberge mit Rebhäuschen (mazots), die sie zur Zeit der dortigen Arbeiten beziehen.
Die Viehstatistik ergibt folgende Zahlen:
1886
1896
1901
Hornvieh
7230
6997
7764
Pferde
120
60
126
Schweine
1587
2751
1683
Schafe
6835
6293
5800
Ziegen
2970
3635
2938
Bienenstöcke
611
777
711
Wichtigste Einnahmequelle für die Bewohner ist nach Viehzucht und Milchwirtschaft die Fremdenindustrie, die sich der Hauptsache
nach in den alpinen Kurorten Champex, Praz de Fort, Le Lens, Villette, Le Châble, Fionnay und Mauvoisin konzentriert. Steinplatten
und Schiefer werden am Mont Catogne, Ofensteine bei Bagnes gebrochen. Im 16. Jahrhundert stand die Silbermine
Peiloz, bei Bruson, in Betrieb. 1885 hat man bei Versegère Talkbrüche geöffnet. Kupfer an der Pierrayre, Eisen am Mont Chemin,
Pyrit am Amône, silberschüssiges Blei am Vacheret, Kobalt bei Sarrayer, Asbest am Giétroz und an der Liaz,
Anthrazit bei Les Vernays und in der Combe des Planards. Einstige Silberwäschereien bei Les Trappistes. Schwefelquellen am
Châtelard bei Montagnier und kohlensaure Quellen im Val Ferret. Zweimal (1870 und 1898) hat man am Saleinazgletscher Eis gebrochen,
ist aber bald wieder davon abgestanden. Versuche zur Einführung von Seidenweberei und Stickerei. In
Bagnes bestehen
seit mehr als 50 Jahren je eine Tuch- und Kuhglockenfabrik. Rubinenschneiderei.
Trotz aller Versuche, die industrielle Thätigkeit zu heben, nimmt doch im Bezirk Entremont die Bevölkerung an Zahl ständig
ab; sie ist z. B. von 9760 Seelen im Jahr 1888 auf 9399 Seelen im Jahr 1900 gesunken. Der Grund dieser Erscheinung
liegt in der - meist allerdings nur zeitweiligen - Auswanderung einer grossen Anzahl von Bewohnern, die im Ackerbau nicht
mehr die Befriedigung ihrer Bedürfnisse finden.
Bezirksgericht in Sembrancher, Steueramt in Bagnes und Bezirksamtmann in Orsières. Der Sitz der zwei letztgenannten Behörden
wechselt. Hauptverkehrsweg des Bezirks ist die 1892 im Bau vollendete Strasse von Martinach zum Grossen
St. Bernhard, die auf italienischer Seite sich nach Aosta fortsetzt. In Sembrancher zweigt eine schöne Fahrstrasse ins Bagnesthal
bis Lourtier ab, die bis Fionnay fortgesetzt werden soll. Heute geht von Lourtier ein guter Maultierweg bis Mauvoisin. Das beim
FleckenOrsières ins Entremontsthal ausmündende Val Ferret hat eine Fahrstrasse bis zum WeilerFerret und
steht über den Col de Ferret mit Courmayeur in Verbindung. Vom Bagnesthal führen der Col de Fenêtre und Col de Crête Sèche
ins italienische Valpelline, die Croix du Cœur und der Pas du Lens ins Rhonethal. Daneben noch eine grosse
Anzahl von nur von Alpinisten und Schmugglern begangenen Pässen.
Der Bezirk Entremont, dessen Name früher nur eine physische, nicht aber eine politische Einheit bezeichnete, hat keine eigene
Geschichte. Die Gemeinden Bagnes und Vollège waren bis zum Sturz des alten Regiments (1799) der Abtei St. Maurice untertan,
während über die andern Ortschaften je besondere Adelsgeschlechter herrschten, die immer mehr oder
weniger vom Kloster auf dem Grossen St. Bernhard abhängig gewesen sind.
Die Vallée d'Entremont (im engern Sinn) beginnt am Col de Barasson (2649 m), der durch den Mont Mort vom Pass des Grossen St. Bernhard
getrennt ist. Von hier bis zu seiner Ausmündung (720 m), zwischen Mont Catogne und dem Rücken des Larsey,
ist das Thal 25 km lang und, von Kamm zu Kamm seiner Thalwände gemessen, im Mittel 9-11 km breit. Die mittlereHöhe der Thalsohle
(Wiesen von Orsières) beträgt 900 m. Nachdem das Thal sich nach NW. gewandt, vereinigt sich mit ihm bei
Orsières das Val Ferret, worauf es in streng n. Richtung weiter zieht und zugleich seinen landschaftlichen Charakter ändert:
der von der Terrassenfläche von Proz an bis
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mehr
zum Fuss des bewaldeten Hanges von Montatuay in tiefe Schluchten eingeschnittene Thalgrund erweitert sich und gibt neben dem
Fluss auch der Strasse reichlich Raum zur Entwicklung. Hier erheben sich über den baumbestandenen Wiesen der Thalsohle mit
Tannen, Buchen und Erlen bekleidete Steilhänge, über welchen auf Gehängeterrassen die Weiler und Felder
- von zahlreichen kleinen Wildbächen durchschnitten - folgen. Iwan v. Tschudi nennt in seinem Führer das Thal von Entremont
dasjenige Thal des Kantons Wallis,
das am einförmigsten und am ärmsten an grossartigen landschaftlichen Reizen sei. Dafür beherbergt
es in seinen Bewohnern eine zähe Rasse und die ausdauerndsten Arbeiter des ganzen Kantons, die ihren
vom Klima begünstigten heimatlichen Boden bis zu einer ausnahmsweise grossen Höhe über Meer hinauf erfolgreich mit Getreide
angepflanzt haben. Reich an Arten und interessant ist auch die Flora des Thalschlusses. (Vergl. den Art. GrosserSt. Bernhard).
Im mittlern Thalabschnitt trifft man die im Kanton Wallis
nur hier vorkommende seltene frühblühende Winterkresse
(Barbarea intermedia); die Umgebungen von Sembrancher sind reich an wilden Rosen und Habichtskräutern. Von Orsières bis Martinach
trägt das Thal den für das ganze zentrale Wallis
so typischen Charakter des Trockenen und Sonnverbrannten. Die Ufer der Dranse
säumen Sanddorn (Hippophaës rhamnoides), wilde Rosen, Berberitze und deutsche Tamariske (Myricaria germanica),
sowie Gruppen von Färber-Waid(Isatis tinctoria) und Beifuss (Artemisia); an den steilen Felshängen pflückt man Ononisnatrix, Astragalus onobrychis, Hyssopus officinalis, neben deren dichten Büscheln die biegsamen Stengel des Pfriemgrases
(Stupa capillata) und des Bartgrases (Andropogon ischaemum) sich im Winde schaukeln.
Andere interessante Arten steigen bis zur Strasse herab, so u. a. Euphorbia Gerardiana, Vesicaria utriculata,Echinopus sphaerocephalus, Camelina microcarpa, Scorzonera laciniata, Asparagus officinalis, Achillea nobilis, Artemisiaabsinthium und A. vulgaris, Pastinaca opaca. Die Kastanie reicht bis Bovernier (621 m) hinauf. In den Wäldern bemerkt man
stellenweise die den höhern Teilen des Wallis
sonst fehlende Buche. Im tiefern Thalabschnitt herrscht die Waldföhre,
während an beidseitigen Gehängen Fichte, Bergföhre und Lärche bis hoch hinauf stocken. Dort auch einige wenige Exemplare
der Steineiche (Quercus sessiliflora) und des italienischen Ahorns(Acer italum). Hier
und da (Bourg St. Pierre, Combe de Lâ,
Catogne) schöne Arven, Wachholder (Juniperus nana und J. sabina) zwischen Orsières und Martinach. Im Thalhintergrund,
bei Bourg St. Pierre, der reiche alpine Versuchsgarten der Linnaea.
Der unterste Thalabschnitt (Sembrancher-Martinach), der meist nach seinem Fluss kurz das Dransethal geheissen wird, bietet
dem Auge des Wanderers nur Szenen der Verwüstung und ungebändigten Naturwaltens. Die von W.-O. ziehende lange und
enge Thalschlucht ist voller Felstrümmer, die von den zerrissenen Gehängen des Mont Catogne oder des Mont Chemin heruntergestürzt
sind. Von der Brücke von Les Trappistes bis zu derjenigen von Bovernier nehmen Fluss und Strasse ihren Lauf ganz zwischen diesen
mächtigen Trümmerfeldern durch, zwischen deren Felsblöcken verkrüppelte und knorrige Föhren ein
kümmerliches Dasein fristen. An den seltenen trümmerfreien Stellen, wo sich der Bodenbau etwas zu lohnen schien, hat sich
in den bescheidenen Dörfchen Bovernier, Les Valettes und Borgeaud der Mensch angesiedelt. Unterhalb Bovernier, wo die berühmten
Schluchten des Durnand in das Dransethal ausmünden, setzt sich dessen trostloser Charakter fort bis zur
Vereinigung mit der Combe von Martinach, worauf das ganze Thalsystem in 460 m Seehöhe in die Rhoneebene austritt. Von der
Vereinigung mit dem Durnand an ist das Thal aus seiner WSW.-Richtung allmählig abgewichen, um den Vorsprung des Mont Chemin
zu umgehen und plötzlich nach NO. abzubiegen.
Die Vallée d'Entremont steht über eine ganze Reihe von Hochgebirgspässen mit den benachbarten Thalsystemen
in Verbindung. Am bekanntesten, niedrigsten und auch am leichtesten zu begehen ist der Grosse St. Bernhard (2427 m), von dem
aus man durch den Vallon de Fontainte über den ausserordentlich lohnenden Col de Fenêtre (2699 m; zwischen S.-Ende des
kleinen Sees und der Passhöhe auf italienisches Gebiet übergreifend) ins Val Ferret hinübergelangt. Nach Aosta führen ausser
dem Grossen St. Bernhard noch der Col de Barasson (2649 m), Col de Menouve (2753 m), Col de Mouleina (2880 m) und Col d'Annibal
(3000 m);
Nach rechts steht die Vallée d'Entremont mit dem Val de Bagnes über eine ganze Reihe von Pässen in Verbindung,
deren Mehrzahl aber meist nur von Alpinisten begangen wird;
am bekanntesten sind der Col du Sonadon (3489
m; über den
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