Enteignung,
s. Expropriation.
14 Wörter, 120 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
s. Expropriation.
Im Das Lexikon des Zeitungslesers, 1951
Entziehung des ⟶ Eigentums mit oder ohne Entschädigung. ⟶ Expropriation.
(lat., Enteignung, Zwangsenteignung, Zwangsabtretung), das Verfahren, durch welches jemand im Interesse des öffentlichen Wohls genötigt wird, ein ihm zustehendes Recht gegen Entschädigung an den Staat oder an eine von der zuständigen Behörde dazu ermächtigte Person abzutreten. Der Gegenstand der Expropriation ist allerdings vorzugsweise das Eigentumsrecht an Grundstücken, doch können auch sonstige Berechtigungen an Immobilien, wie Servituten, und auch Mobilien »expropriiert« werden; so z. B. Getreide bei einer Hungersnot, Pferde bei einer Mobilmachung, ebenso Baumaterialien etc. Insofern nun hierbei der Eigentümer oder sonstige Berechtigte zu einer Veräußerung der ihm zugehörigen Sache oder zur Aufgabe eines Rechts gezwungen wird, liegt allerdings ein Eingriff in dessen Rechtssphäre vor, der nur durch die Rücksicht auf die öffentliche Wohlfahrt, welcher sich das Interesse des Einzelnen unterordnen muß, gerechtfertigt erscheinen kann. Namentlich ist dem Staate das Recht nicht abzusprechen, zur Erreichung des Staatszwecks und im staatlichen Interesse über das Privateigentum seiner Bürger zu verfügen (sogen. Staatsnotrecht), auch die Ausübung dieses Rechts auf Rücksichten des öffentlichen Wohls auf Gemeinden, Erwerbsgenossenschaften, Unternehmer und sonstige Privatpersonen zu übertragen. Auf der andern Seite erheischt es die Billigkeit, daß der von einer Expropriation Betroffene (der Expropriat) von dem Expropriierenden (dem Exproprianten) vollständig entschädigt werde. Obgleich schon den Römern eine Zwangsenteignung, namentlich bei Anlegung eines öffentlichen Wegs, bekannt war, so ist doch das Rechtsinstitut der Expropriation im gemeinen deutschen Recht zu einer wirklichen Ausbildung nicht gelangt, sondern erst die neuere und neueste Zeit mit ihrem großartig entwickelten Verkehrsleben hat eine solche im Weg der Partikulargesetzgebung, namentlich im Anschluß an das französische Gesetz vom 8. März 1810, herbeigeführt. So ist es denn gekommen, daß die einzelnen deutschen Staaten auf diesem Gebiet eine zwar sehr ins Spezielle gehende, aber keineswegs einheitliche Gesetzgebung haben. Doch ist wenigstens für den preußischen Staat, in welchem zuvor neben den Bestimmungen des allgemeinen Landrechts, der Verfassungsurkunde und der Berg- und Eisenbahngesetzgebung in den Rheinlanden das französische Recht und in den neuerdings annektierten Provinzen die dortige Partikulargesetzgebung in Geltung gewesen war, durch das Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 eine Rechtseinheit in dieser Beziehung hergestellt worden. Von den dermalen geltenden gesetzlichen Bestimmungen über die Expropriation sind folgende hervorzuheben.
Was nämlich 1) die zwangsweise Abtretung anbelangt, so kann ein derartiger Eingriff in die Privatrechtssphäre und in die Freiheit des Einzelnen nicht willkürlicherweise, sondern nur auf Grund gesetzlicher Bestimmung erfolgen. Es ist nun einmal möglich, und nach der Gesetzgebung verschiedener Staaten, namentlich Englands, Nordamerikas, der Schweiz und der Freien Stadt Hamburg, besteht in der That die Einrichtung so, daß für jedes gemeinnützige Unternehmen die Bewilligung des Expropriationsrechts durch einen besondern Akt der gesetzgebenden Gewalt, also durch ein förmliches Gesetz, erfolgen muß, ein zur Sicherung gegen willkürliche Eingriffe in die bürgerliche Freiheit allerdings sehr geeignetes, aber doch zu weitläufiges und ebendarum unpraktisches Verfahren. Dabei ist übrigens zu beachten, daß nach Art. 41 der deutschen Reichsverfassung vom 16. April 1871 Eisenbahnen, welche im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für notwendig erachtet werden, kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert und mit dem Expropriationsrecht (also auch durch Spezialgesetz) ausgestattet werden können. Abweichend von
diesem System des Erlasses von Spezialgesetzen für jedes einzelne Unternehmen, hat die deutsche Partikulargesetzgebung allgemeine Expropriationsgesetze erlassen und zwar entweder so, daß sie das Prinzip sanktionierte, zum öffentlichen Wohl und Nutzen sei die Expropriation gestattet, und dann im einzelnen Fall die Nutzanwendung dieses Prinzips der Administrativbehörde überließ, oder so, daß sie die einzelnen Fälle spezialisierte, in welchen eine Expropriation gestattet sei. Ersteres System ist das des französischen und badischen Rechts sowie des neuen preußischen Expropriationsgesetzes von 1874, welch letzteres § 1 verordnet: »Das Grundeigentum kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohls für ein Unternehmen, dessen Ausführung die Ausübung des Enteignungsrechts erfordert, gegen vollständige Entschädigung entzogen oder beschränkt werden«. Im § 2 ist dann weiter bestimmt, daß die Entziehung und dauernde Beschränkung des Grundeigentums auf Grund königlicher Verordnung erfolge, welche den Unternehmer und das Unternehmen, zu dem das Grundeigentum in Anspruch genommen werde, zu bezeichnen habe. Das bayrische Gesetz vom 17. Nov. 1837 dagegen und im Anschluß an dieses die Expropriationsgesetze verschiedener deutscher Kleinstaaten befolgen das System der Spezialisierung der einzelnen Fälle, in denen eine Expropriation zulässig sein soll. Diese Fälle (überhaupt wohl die regelmäßigen Fälle der Expropriation) sind nach dem bayrischen Gesetz folgende: Erbauung von Festungen und sonstigen Vorkehrungen zu Landes-, Defensions- und Fortifikationszwecken, insbesondere auch von Militäretablissements; Erbauung oder Erweiterung von Kirchen, öffentlichen Schulhäusern, Spitälern, Kranken- und Irrenhäusern; Herstellung neuer oder Erweiterung schon bestehender Gottesäcker; Regelung des Laufs und Schiffbarmachung von Strömen und Flüssen; Anlegung neuer und Erweiterung, Abkürzung oder Ebnung schon bestehender Staats-, Kreis- und Bezirksstraßen; Herstellung öffentlicher Wasserleitungen; Austrocknung schädlicher Sümpfe in der Nähe von Ortschaften; Beschützung einer Gegend vor Überschwemmungen; Erbauung von öffentlichen Kanälen, Schleusen und Brücken; Erbauung öffentlicher Häfen oder Vergrößerung schon vorhandener; Erbauung von Eisenbahnen zur Beförderung des innern und äußern Handels oder Verkehrs; Aufstellung von Telegraphen zum Dienste des Staats; Vorkehrungen zu wesentlich notwendigen sanitäts- und sicherheitspolizeilichen Zwecken; Sicherung der Kunstschätze und wissenschaftlichen Sammlungen des Staats vor Feuers- oder andrer Gefahr. Über den Umfang des abzutretenden Objekts entscheidet die zuständige Verwaltungsstelle mit Ausschluß des Rechtswegs. Nur im französischen Recht ist angeordnet, daß die Expropriation durch Richterspruch geschehen müsse. Dabei kann der Eigentümer, wofern nur ein Teil seines Grundstücks in Anspruch genommen wird, verlangen, daß der Unternehmer das Ganze gegen Entschädigung übernehme, wenn das Grundstück durch die Abtretung so zerstückelt werden würde, daß das Restgrundstück nach seiner bisherigen Bestimmung nicht mehr zweckmäßig benutzt werden könnte. Gleiches gilt, namentlich auch nach dem preußischen Gesetz von 1874 (§ 9), für die teilweise Expropriation von Gebäuden.
2) Was die Entschädigung für die expropriierten Gegenstände anbetrifft, so erfolgt die Feststellung der Entschädigungssumme zunächst durch die Administrativbehörden unter Zuziehung von Sachverständigen, welch letztere die betreffende Sache nach ihrem wahren, gemeinen Werte, den dieselbe zur Zeit der Abtretung nach ortsüblicher Würdigung hat, zu taxieren haben, unter gleichzeitiger Berücksichtigung aller Schäden und Nachteile, welche den Eigentümer durch die Abtretung dauernd oder vorübergehend treffen, z. B. wegen dadurch verursachter Unterbrechung einer gewerblichen Thätigkeit, wegen Beschädigung oder Verlustes der Früchte, wegen Wertminderung des verbleibenden Restgrundstücks etc. Gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörden ist regelmäßig die Berufung auf den Rechtsweg und auf richterliche Entscheidung, und zwar nach § 30 des neuen preußischen Gesetzes binnen sechs Monaten nach Zustellung des Regierungsbeschlusses, gestattet. Die Entschädigungssumme, welche vom Tag nach erfolgter Besitzeinweisung an mit landesüblichen Zinsen zu verzinsen ist, muß alsbald nach beendigtem Verfahren gezahlt, oder es muß wegen der Zahlung Kaution geleistet werden. Für den Fall, daß Hypotheken oder sonstige Lasten auf dem Expropriationsgegenstand haften, ist der Expropriant zur gerichtlichen Hinterlegung des Entschädigungsbetrags befugt. Vgl. außer den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts: Thiel, Das Expropriationsrecht und das Expropriationsverfahren (Berl. 1866); Meyer, Das Recht der Expropriation (Leipz. 1868); v. Rohland, Zur Theorie und Praxis des deutschen Enteignungsrechts (das. 1875); Meyer: Das Recht der Expropriation nach dem Gesetz vom 11. Juni 1874 (in der »Zeitschrift für deutsche Gesetzgebung«, Bd. 8, S. 547 ff., Berl. 1875); Beauny de Récy, Théorie de l'expropriation (Par. 1872); Grünhut, Enteignungsrecht (Wien 1873).
Ausgaben des neuen preußischen Expropriationsgesetzes lieferten unter andern Höinghaus (Berl. 1874), Kletke (das. 1874), Siegfried (das. 1874), Bähr und Langerhans (2. Ausg., das. 1878).