Titel
Englische
[* 2] Litteratur 1889-90.
Die schon in unserm vorigen
Bericht erwähnten biographischen und
andern Sammelwerke wurden auch im letzten Jahre fortgeführt und durch neuere
Unternehmungen dieser Art vermehrt
(»English
statesmen«, »The story of the nations series«, »Philosophical
classics for
English readers«, »The Mermaid series of Elizabethan dramatists«,
»The foreign favourite series«, »The
Saga library«, »The statesmen series«, »Rulers
of
India« u. a.). Die
Zeitschriften weisen außerordentliche Verbreitung auf; die neubegründete
»Review
of
Reviews«, teilweise von geborgtem
Material lebend, ein
Wunder an
Fülle des
Stoffes und Wohlfeilheit des
Preises, gehört in
den
Händen des rührigen
William Stead einem stark religiös gefärbten
Radikalismus an, der an das Puritanertum erinnert,
dabei aber kunstliebend ist. Der kürzlich zum
Katholizismus übergetretene Verlagsbuchhändler Kegan
Paul, längst auch als Schriftsteller vorteilhaft bekannt, begründete die
»Paternoster
Review«, in welcher auf wissenschaftlichem
wie schönwissenschaftlichem Wege der Einfluß des päpstlichen
Rom
[* 3] den Übeln der Zeit entgegenwirkt soll.
Dichtung.
Des greisen Robert Brownings letztes Buch: »Asolando«, ging seinem Tode nur wenige Tage voraus. Asolo ist der Name eines freundlichen Städtchens in den Friauler Alpen, [* 4] das einst ein Lieblingsaufenthalt der Katharina Cornaro war, welche dort einen litterarisch glänzenden Hof [* 5] hielt. Es war auch zu verschiedenen Zeiten ein Lieblingsaufenthalt Brownings, der so gern die Nebel Englands mit der Sonne [* 6] des italischen Himmels vertauschte (asolare heißt im Italienischen auch »atmen, frische Luft schöpfen«).
Und so waren diese
Verse gleichsam die letzten Atemzüge des Dichters, der am in
Venedig
[* 7] starb. Wie die frühern
Gedichtsammlungen
Brownings, enthält auch dieser
Band
[* 8] neben anmutigen und kräftigen
Stücken Dunkles und
Groteskes. Die alten
Verehrer bleiben treu, neue werden kaum angezogen, der
Masse des englischen
Volkes bleibt
Browning nach
wie vor fremd. Doch haben jene ihm die
Ehre der
Bestattung in der Westminsterabtei verschafft. Auch fährt die
Browning-Gesellschaft
fort, unter F.
Furnivalls Leitung die Wertschätzung und das Verständnis des Dichters zu fördern; so veranstaltete sie eine
Neuausgabe von
Brownings »Life of
Strafford«, der 1836 verfaßten Vor- oder Nebenarbeit seines
Dramas
»Strafford«,
die aber bisher dem
Historiker
John
Forster zugeschrieben wurde.
Der greise
Tennyson hat auch in diesem Jahre wieder einen
Band
Verse dargeboten:
»Demeter,
[* 9] and other poems«, worin er teilweise,
wie im Vorjahr, sich mit Altklassischem beschäftigt, teilweise seiner alten
Neigung für den nordenglischen
Dialekt und dessen
Vertreter folgt. Stellenweise schlägt er hier auch, wie in dem im Vorjahr erschienenen »Sixty
years after«, stark pessimistische
Töne an.
Noch hat
Tennyson die
Gabe der wohltönenden, einschmeichelnden
Verse nicht verloren;
aber es ist nicht zu bezweifeln, daß er nicht mehr wie früher die Lesewelt zu begeistern vermag.
Trübe Lebensauffassung stellt sich auch in Alfred Austins großem Gedicht »The human tragedy« dar. Es ist langsam und mit allmählichen Fortsetzungen und Erweiterungen, dem Goetheschen »Faust« ähnlich, aus dem ersten Entwurf herausgewachsen, der 1862 in nur zwei Gesängen erschienen war. Es folgten als scheinbar selbständige Stücke: »Madonna's Child« und späterhin »Rome or Death«, in welchem die italienischen Ereignisse der Neuzeit spielen. Das Ganze, zuerst 1876 in einem Bande herausgegeben, erscheint gegenwärtig neubearbeitet und trotz des Zugewachsenen beträchtlich gekürzt.
Weniger herb, aber oft ernst-schön zeigt sich Austins Muse in dem Bande »Love's Widowhood and other poems«. In eine ferne Welt führen uns Sir Alfred Lyalls »Verses written in India«, in die Welt der Eingebornen sowie der Anglo-Indier. Fräulein Mathilde Blind, deutscher Abkunft, die sich längst durch ernste Arbeiten einen geachteten Namen errungen, fand mit ihren Gedichten »The Ascent of man and other poems« beifällige Aufnahme. Algernon Swinburne hat durch eine wider das Zarentum gerichtete Ode den Ingrimm der irischen Agitatoren hervorgerufen, weil er ein Gegner des sogen. Home Rule ist, während jene, die Franzosen nachahmend, die Gunst der Russen für ihre Zwecke zu erreichen streben.
Wilfrid Blunt, der Asien [* 10] bereist und in Ägypten [* 11] eine Rolle gespielt hat, zog sich durch thätliche Einmischung in einen irischen Spektakel, den die Agitatoren in Szene gesetzt, einige Monate Gefängnis zu, aus dem er einen Sonettenkranz: »In Vinculis«, hervorgehen ließ, dem auch Gegner Beifall zollten. Baring-Gould gab mit Fleetwood Sheppard »Songs of the West« heraus, worunter nur Westengland zu verstehen ist. Catherine Furley Smith hat in »Treble Chords« einen vielversprechenden Erstlingsband veröffentlicht, A. L. Stevenson einen satirischen Band in Versen: »Raimond«, in dem er Byrons »Don Juan« nachahmt.
Edmund Gosse gab unter dem Titel: »On viol and flute« eine Auswahl seiner früher veröffentlichten Gedichte, die sehr günstig aufgenommen wurde;
ebenso Gerald Massey mit Beifügung von vielem Neuen: »My lyrical life«, ein Leben, das in frühern Jahren größere Aufmerksamkeit erregt hatte.
Aus dem Nachlaß des am verstorbenen Dichters Charles Mackay, der sich gleichfalls einst eines berühmten Namens erfreut hatte, und von dem manche Lieder noch populär blieben, nachdem das Publikum schon lange des armen Dichters vergessen hatte, gab dessen Sohn »Gossamer and snowdrift« heraus. Noch mehr hatte sich Martin Tupper (gest. überlebt, dessen »Proverbial Philosophy« vor einem Vierteljahrhundert wirklich für Poesie angesehen wurde. Aber zwei wahre Dichter schieden in William Allingham (gest.
dem Verfasser von »Day and night songs«,
»Lawrence
Bloomfield«, »Songs, ballads and stories« etc.,
und in
Charles
Grant, der im Juli 1889
zu
Graz in
[* 12]
Steiermark
[* 13] ein unruhiges
Leben endete. Seine
»Studies in verse« enthalten viel
des Zarten und Kräftigen, seine
Dramen »The charm and the curse«, deren
Stoff er der
Edda entnahm, sind
mit
Recht andern, aus derselben
Quelle
[* 14] stammenden
¶
mehr
Schöpfungen an die Seite zu setzen. Auf kritischem Gebiet (in den »Preußischen Jahrbüchern«, der »Contemporary Review« und »Saturday Review«) ein Vermittler zwischen England und Deutschland, [* 16] dann auch mit Italien, [* 17] hatte er in diesen beiden Ländern den größern Teil seines Lebens zugebracht. Seine letzte Arbeit erschien in der »Weser-Zeitung«.
Drama.
Von Shakespeare abgesehen, versorgt sich die englische
Bühne der Gegenwart zum großen Teil mit Stücken,
die aus dem Französischen herübergenommen und im Anpassungsprozeß auch gewöhnlich etwas gesäubert sind, mit Dramatisierung
bekannter Romane und mit litterarisch recht wertlosen Spektakelstücken. Doch gelingt bisweilen ein Original-Lustspiel, seltener
ein ernstes Drama. Von den besonders hervorragenden Versorgern der Bühne sei zunächst Henry Arthur Jones
genannt, der in diesem Jahre zwei Erfolge hatte, mit dem »Middleman«, der
an die Arbeiterbewegung anknüpft, und mit »Judah«, in dem die moderne
Wundersucht, die Hungerexperimente und die religiöse Schwärmerei gewisser Klassen von Dissidenten behandelt werden, gegen
welch letztere der Verfasser schon früher zu Felde gezogen.
Arthur Pinero wagt sich nicht an so heikle Stoffe, doch zeigen seine neuen Stücke: »Sweet Lavender« und »The Profligate«, Bühnengewandheit
und errangen Massenerfolg. Justin Huntly Mac Carthy, mit größerer litterarischer Bedeutung, lieferte leichte Stücke, Robert
Buchanan, bekannt als Bühnenbearbeiter alter Romane, erntete diesmal mit einem eignen Stoff: »That Doctor
Cupid«, vielen Erfolg. Größern Anspruch auf Beachtung hat das Drama »Beau Austin«, das R. L. Stevenson in Gemeinschaft mit W.
Englische
Henley brachte. Im Singspiel hatten Gilbert und Sullivan, die Verfasser des »Mikado«, einen neuen Erfolg mit »The Gondoliers«.
Ibsens »Nora« und »Die Stützen der Gesellschaft« ließen das Publikum ziemlich kalt, noch weniger erbaut
war es von Buchanans Bearbeitung Dostojewskis. Die Aufführung eines Dramas über Mohammed, von Hall
[* 18] Caine, das Irving mit Glanz
inszenieren wollte, wurde durch den Einfluß indischer Mohammedaner verhindert.
Unter den Buchdramen nimmt Richard Garnetts »Iphigenia in Delphi« durch Entwurf und poetische Diktion die
erste Stelle ein. Dem Stücke sind metrische Übersetzungen aus verschiedenen klassischen Autoren angehängt. Ein neuer Schriftsteller,
James Thornely, trat mit dem historischen Schauspiel »Stanley« hervor. Seine Hoffnung, das geschickt angelegte Stück auch auf
die Bühne zu bringen, erfüllte sich bisher nicht. Der Held desselben ist der siebente Graf von Derby, einer
der treuesten und unglücklichsten Führer der königlichen Truppen im englischen
Bürgerkrieg.
Ein andres Erstlingswerk ist Fräulein Alice Sargants »Endymion's Dream«, in welchem sie, nach Boccacio, Chaucer und Dryden, die Geschichte von Palamon und Arcite dramatisiert. Viele schöne, wirklich poetisch-gefühlte Stellen in dem Stücke, das an die Masken [* 19] des 17. Jahrh. erinnert, berechtigen zu weitern Hoffnungen für die junge Dichterin. Roden Noels »Modern Faust« sei nur erwähnt, um den nimmer vergehenden Reiz des alten Vorwurfs anzudeuten.
Roman.
Der kaum übersehbare Stoff auf dem Gebiet des Romans legt unsrer Übersicht Beschränkungen auf, wenn dabei auch eins und das andre beiseite gelegt wird, ohne daß es eben zum Unkraut gehörte. In dem Vaterlande Defoes hat sich keine Veranlassung gefunden, mit Erfolg den modischen sogen. Realismus zu predigen. Zolas und seiner Anhänger Evangelium des Schmutzes hat nie durchgreifend auf die englische Litteratur eingewirkt, und seit der Reiz der Neuheit davon abgestreift, wendet man sich mehr und mehr davon ab. Was die Form betrifft, so hat man angefangen, nach dem Vorgang der Franzosen, Deutschen und Amerikaner, mehr die Novelle zu pflegen, und die Monatsschriften leisten dieser Begünstigung der »short story« kräftig Vorschub.
Von den anerkannten Meistern des Romans ist in diesem Jahre William Collins geschieden (gest. in London). [* 20] Er war lange Jahre ein Liebling desjenigen Teils des Publikums, der am Sensationellen Wohlgefallen hat. Aber auch eine junge vielversprechende Kraft [* 21] verließ uns in Fräulein Amy Levy; mit ihrem Buche »Reuben Sachs«, aus der Judenwelt, schien ein heller Stern am Litteraturhimmel aufzugehen.
Die meisten der alten Leiter haben uns Neues geliefert. James Payn: »The word and the will« und »The
burnt million«, in dem letztern Buche ebenfalls stark die Judenwelt streifend und mit altbewährtem Talent der Erzählung und
des Dialogs starke Schlagschatten der Sensation verbindend. Walter Besant: »The hell of St. Paul's«, geschichtlich,
und eine Fortsetzung von Ibsens »Nora«, hochtragisch schließend: »The doll's house - and after«. William Black: »The new prince
Fortunatus«, mit schottischer Szenerie, Liebhabertheater und Dilettanten verspottend, und »The penance of John Logan«. Robert
Louis Stevenson: »The Master of Ballantrae«, eine Geschichte aus der Jakobitenzeit, in Schottland spielend, von vielen
für das beste Buch des begabten Verfassers gehalten. R. D. Blackmore: »Kit and Kitty, a story of West Middlesex« und »Springhaven«,
um 1805 spielend, wo England durch eine Landung Napoleons bedroht war, ein äußerst lebendiges Buch, von vielen seinem berühmten
»Lorna Doone« an die Seite gestellt. Rider Haggard: »Cleopatra«, phantasievoll und farbenprächtig, aber
durch das Ausspinnen der Rachepläne ermüdend, und »Beatrice«, aus dem
modernen Leben, nicht immer erbaulich. Christie Murray: »John Vele's guardian«, eine liebenswürdige Geschichte aus dem englischen
Landleben, von denen er bereits in »Aunt Rachel« ein reizendes Beispiel gegeben, und in Gemeinsamkeit mit H. Herman: »The Bishop's
Bible«, »Wild Darrel« und »A dangerous cat's paw«. Marion Crawford: »Witch of Prague« (unvollendet),
den Hypnotismus ausbeutend, und das sehr günstig aufgenommene: »A cigarette-maker's romance«, das in München [* 22] spielt.
Von Schriftstellerinnen mit feststehendem Ruf traten mit neuen Romanen auf: Frances Eleanor Trollope mit »Madame Leroux«;
F. Mabel Robinson mit »A woman of the world«;
Bertha Thomas mit »The house on the scar«, einer Geschichte aus Devonshire;
Annie Edwardes mit »Pearl-powder«;
Rhoda Broughton mit »Aias«, Frau Alexander mit »Blind fate« und Frau Oliphant mit »The mystery of Blencarrow«, »The Duke's daughter«, »Neighbours on the green«, »Lady Car« und »A poor gentleman«.
Die außerordentliche Fruchtbarkeit der Letztgenannten erscheint bei der allgemeinen Güte ihrer Werke rätselhaft. Dies kann nicht von den drei Schriftstellerinnen gesagt werden, welche wir zunächst nennen: Florence Marryat mit »Brave heart and true« und ¶
mehr
»Blinsfeld«, Frau Braddon mit »One life, one love« und »The day will come«, einer schreckliche Geschichte, in welcher die Sünde des Vaters an seinem unschuldigen Kinde gerächt wird, und Ouida mit »Guilderoy«, »Syrlin« und »Ruffino«, einer Novellensammlung. Diese Autoren sind zwar sehr bekannt, und namentlich die letztere wird von kontinentalen Lesern vielfach überschätzt, die ernsthafte Kritik vermag sie aber nicht mit den vorher genannten auf dieselbe Stufe zu stellen.
Unter den Schriftstellerinnen, deren Namen dem Publikum noch mehr oder weniger neu sind, gedenken wir zunächst der Frau Dorothea Gerard, welche in »Recha« aus persönlicher Anschauung ein wenn auch wenig erfreuliches, aber schriftstellerisch gelungenes Bild der Juden und Christen in Galizien liefert und mit diesem Buche, wie mit ihren frühern: »Lady Baby« und »Orthodox«, sich rasch einen günstigen Platz errungen hat. Die Dame, welche unter dem Namen John Strange Winter lustige Soldatengeschichten schreibt, hat ihrem »Bootle's Baby« und »Bootle's Children« ein neues folgen lassen als »Ferrer's Court«.
Gertrud Hayward lieferte in ihren Erstlingswerken: »Dulcibel« und »Spencer Blackett« gute Charakterzeichnung. Aber die Kunst des Dialogs, die eigentliche Erzählungskunst, die von Thackeray und Anthony Trollope so hoch ausgebildet und die auch auf viel geringere Talente übergegangen, steht ihr bis jetzt noch nicht ebenso zu Gebote. Die Schriftstellerin, die sich unter dem Namen Rita verbirgt, gibt uns in »Sheba« ein ausgesprochen antiklerikales Buch von kräftiger Anlage.
Mit Spannung sah man dem ersten Roman der Frau Mona Caird entgegen, welche vor zwei Jahren die lebhafteste Diskussion eröffnete, indem sie in der »Westminster Review« die Frage aufwarf: »Ist die Ehe ein Irrtum?« Aber »The wings of Azrael« führte die Frage nicht weiter;
es war eben nur eine interessante Erzählung.
Frau Deland, welche im vorigen Jahre mit einer freireligiösen Erzählung: »John Ward, preacher«, debütiert hatte, veröffentlicht »Sidney, a novel«.
Lord Lyttons »Ring of Amasis« ist nicht eigentlich ein neues Buch, sondern die Auffrischung einer vor 25 Jahren geschriebenen Erzählung, die abenteuerlich-mystisch, aber auch lebendig und spannend ist.
Val. Prinsep lieferte in »Virginie, a tale of one hundred years ago« eine reizende Geschichte aus der Zeit der französischen Revolution, in welcher, dem Gebrauch entgegen, das Idyllische vorwiegt. Von Begabung zeugt der anonym erschienene historisch-philosophische Roman »Zeno, by a lady«.
Aus den Namen und Werken der minder bedeutenden Schriftsteller seien noch erwähnt: S. Baring-Gould mit »Jacquetta and other stories«, »The Pennycomequicks« und »Eve«;
Clark Russell mit »Marooned« und »An Ocean tragedy«;
R. Englische
Francillon mit »King or knave«;
W. Englische
Norris mit »The baffled conspirator«
und »Misadventure«;
J. ^[John] Cordy Jeaffreson mit »Cutting for partners«;
Julian Sturgis mit »Comedy of a county house«;
Hawley Smart: »Without love or licence«;
F. W. Robinson mit »A very strange family«.
Australien, [* 24] Westamerika, Indien, Irland haben uns neue Federn zugeführt. Ein pseudonymer Ralph Boldrewood schrieb: »The miner's right« und »Robbery under arms«, Erzählungen, in denen es wüst genug zugeht, aus denen man aber mancherlei über australische Zustände lernen kann. Ähnlich auf dem Grunde des Selbsterfahrenen fußend, aber mit höhern litterarischen Ansprüchen an sich selbst, liefert Arthur Paterson in seinem Erstlingswerk: »The better man«, ein höchst anziehendes, auch humorvolles Bild aus dem fernen Westen der Vereinigten Staaten, [* 25] vielfach an Bret Harte erinnernd. Phantastisch genug ist »The Rajah's heir«, in welchem der noch ungenannte Verfasser die scheinbar von ihm geglaubte Seelenwanderung einführt. Ein junger Schriftsteller von unzweifelhaft genialer Begabung ist Rudyard Kipling, der in glänzend geschriebenen Skizzen (»Black and white« u. a.),
voll von gesundem Realismus und Humor, das Leben der Eingebornen und Anglo-Indier in Krieg und Frieden vorführt.
Aus Irland bringt uns Fräul. Tighe Hopkins in »The Nogents of Carriconna« ein liebenswürdiges Bild des keltischen Lebens, voll Anmut, Phantasterei und Humor. Aber bitterer Ingrimm durchzieht ein andres irisches (zum großen Teil im Gefängnis entstandenes) Buch: »When we were boys«, von William O'Brien, dem Agitator. Von allen Romanen dieses Jahrs hat wahrscheinlich keiner einen so großen augenblicklichen Erfolg erlebt (drei Auflagen in rascher Folge), der aber hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß das Buch in die gerade auf der Tagesordnung stehenden Bestrebungen der keltischen Katholiken in Irland eingreift. Mit mehr litterarischer Übung hätte der Agitator eine gedrungenere Geschichte des irischen Aufstandversuchs von 1867 schreiben können.
Ästhetik, Kritik, Litteraturgeschichte.
Für viele hat die Größe Shakespeares seine Zeitgenossen allzusehr in den Schatten
[* 26] gerückt. Aus diesem Halbdunkel, welches
allerdings nicht sowohl für den Fachmann auf dem Felde der Litteraturgeschichte als für die allgemein
gebildete Lesewelt besteht, hat der Dichter Algernon Swinburne den Ben Jonson hervorgezogen. Wie alles aus seiner Feder, ist
sein neuestes kritisches Buch: »A study of Ben Jonson«, mit großer Frische, ja mit Begeisterung geschrieben. »Kein Riese«,
sagt er von Jonson, »kam jemals dem Range der Götter so nahe.« Hier mag zur Elisabethischen Litteratur gleich die englische
Bearbeitung von J. ^[Jean] Jusserands Buch: »The English novel in the time of Shakespeare« erwähnt werden, die er mit Fräulein
Lee herausgegeben, und in der die englische
Kritik eine der sorgfältigen, von einem Ausländer herrührenden
Ar betten erkennt, welche allmählich Tain es geistreiche Oberflächlichkeiten verdrängen. Eine andre solche Arbeit rührt
von einem Deutschen her: es ist Oskar Sommers Ausgabe des alten Thomas Malorys »Morte Darthur«, auf Grund der Urschrift von 1485,
wovon die beiden ersten Bände erschienen sind, deren Sorgfalt von der Kritik mit vieler Anerkennung hervorgehoben
wird, nur daß es Hrn. Sommer begegnet ist, manchen Ausdruck als archaisch anzusehen, der noch heute gang und gäbe ist.
Die große und kritische Ausgabe von Popes Werken, die vor langen Jahren durch Whitwell Elwyn begonnen, aber mit dem fünften Bande wegen des Widerwillens, den ihm der Dichter einflößte, aufgegeben ward, ist nun mit dem zehnten von Courthope beendet, welcher ein »Life and essay on Pope's place in English litterature« beifügte. Das Werk wird als abschließend betrachtet. Duncan Tovey hat herausgegeben: »Gray and his friends: Letters and diaries, in great part hitherto unpublished«;
L. B. Seeley: »Fanny Burney and her friends«.
In unser Jahrhundert treten wir mit Mrs. Shelley, der zweiten Gattin des Dichters und Verfasserin des ¶