Englische
[* 2] Litteratur.
Von einer Englische Litteratur
im eigentlichen
Sinne kann man erst sprechen, nachdem die
Angelsachsen (vgl.
Angelsächsische Sprache
und Litteratur
) mit den Normannofranzosen zu einem
Volke verwachsen waren, also nicht vor dem zweiten Viertel des 13. Jahrh.
Zwar dauerte es noch über ein Jahrhundert, bis die angelsächs.-engl.
Dichtung mit der am
Hofe gepflegten
französisch-normannischen zu einer einheitlichen Nationallitteratur
verschmolz und sich eine über den Mundarten stehende
Schriftsprache herausbildete. Doch tritt seit der Mitte des 13. Jahrh. das
Französische mehr und mehr zurück, bis es am
Ende des 14. ganz verschwindet. Gower war der letzte engl. Dichter, der auch
Französisch schrieb. - In der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. und in der ersten des 14. wurde
die geschichtliche
Dichtung gepflegt
(Chroniken des Robert von
Gloucester und des Robert Mannyng of
Brunne), dann die Legende
(Legendensammlungen, hg. von C. Horstmann, Paderb. 1875; Heilbr. 1878
u. 81 und Lond. 1887) und die geistliche
Dichtung (Genesis und
Exodus; Richard Rolle de Hampoles «Pricke of conscience»,
«Castell of loue»; die Gedichte Wilhelms von
Shoreham und der gegen 30000 Verse umfassende «Cursor mundi»).
Ältere Sagen sind in «Havelok» und «King Horn» bearbeitet, einheimische Stoffe in «Guy of Warwick», «Sir Bevis of Hamton» u. a. Unter die Ritterromane sind zu rechnen: das Alexanderlied, verschiedene Bearbeitungen der Trojasage, «Tristrem and Ysonde», «Richard Coeur de Lion», eine Reihe von Gedichten aus der Karls- und der Arthursage. In letzterer tritt namentlich die Gestalt des Gawain hervor (besonders in «Sir Gawain and the grene knight»). Volkstümliche Lieder schrieb Lawrence Minot auf die Kriege Eduards III. gegen Schottland und Frankreich. - In die zweite Hälfte des 14. Jahrh. fällt die Blütezeit der altengl.
Litteratur.
Die
Dichtungen von William Langland (nicht Langley), «Visionen von
Peter dem Pflüger» (dem
Vertreter des einfachen,
wahrhaft religiös gesinnten
Mannes),
leiten sie ein. In satir.-allegorischer Weise werden hierin die Zeitgebrechen, vor allem die Versunkenheit der Welt- und Klostergeistlichen, gegeißelt. Im Gedichte «Richard the Redeles» («Der Ratlose») behandelt Langland die engl. Verhältnisse unter Richard II. Als Vorläufer Chaucers verdienen noch Erwähnung Gower und der Schotte Barbour. Barbour ist der ¶
mehr
Verfasser einer gereimten Chronik, «The Bruce», welche die Geschichte Schottlands von 1286 bis 1329 und besonders die Lebensschicksale des schott. Nationalhelden Robert Bruce erzählt. Außerdem verfaßte Barbour noch eine Geschichte von Troja [* 4] und eine Reihe von Heiligenleben. Strenggenommen sollte man Barbour seine Stellung als dem Begründer der schott. Dichtung anweisen; er darf aber hier nicht fehlen, weil er gerade in dieser Eigenschaft dem «Vater der engl. Poesie», Geoffrey Chaucer (1340-1400), würdig zur Seite gestellt werden kann.
An der Verschmelzung des niederdeutschen Volkselements mit dem französisch-normannischen hat Chaucer (s. d.) durch seine litterar. und dichterische Wirksamkeit wie kein anderer thätigen Anteil genommen. Von seinen jüngern Zeitgenossen kommen nur Thomas Occleve oder Hoccleve («De regimine principum», eine engl. Bearbeitung des «Aegidius Romanus», und «La male regle») und John Lydgate, genannt der Mönch von Bury («Falls of the princes», «Troy-book», «Storie of Thebes»),
in Betracht. Beide sind Anhänger und Schüler Chaucers, reichen aber in keiner Weise an jenen heran.
Auf die kurze Blüte,
[* 5] welche die Englische Litteratur
durch das Wirken Chaucers erlebte, folgte eine lange Zeit der Verkümmerung. Ließen
einerseits die blutigen Kämpfe der beiden Rosen keine rechte Freudigkeit an dem Genusse irgendwelcher Poesie aufkommen, so
waren andererseits die Bestrebungen der vornehmsten Geister auf die Reformation der kirchlichen Zustände
gerichtet. Auch die inzwischen in England eingeführte Buchdruckerkunst konnte keine wesentliche Hebung
[* 6] der litterar.
Zustände herbeiführen. Während mehr als einem Jahrhundert nach Chaucer begegnet man nur allegorischen Dichtern wie Hawes
und Barkley, Satirikern nach der Art Skeltons, Didaktikern wie Thomas Tusser und Sonettschreibern wie Thomas
Wyatt und dem Grafen Surrey. Die Gedichte der beiden letztern erschienen in einem Sammelwerke, «Tottel's
Miscellany» (in Arbers «Reprints», Nr. 24, Lond.
1870). Mag man auch Surrey den Petrarca Englands und ihn und Wyatt «Die ersten Reformatoren des engl. Versbaues und Stils» genannt
haben, so wurde doch eine eigentlich neue Richtung der Poesie erst angebahnt durch Thomas Sackville (1530-1608)
und Sir Philip Sidney (1554-86). Das Werk, das man als die geistige Brücke
[* 7] zwischen Chaucers «Canterbury-Geschichten» und Spensers
«Feenkönigin» betrachten muß, ist der dem Plane nach von Sackville herrührende «Mirror for magistrates», ein
Gedicht, in dem nach Art des Danteschen «Inferno» unglückliche
Fürsten und andere hervorragende Gestalten aus der engl. Geschichte in der Unterwelt auftreten, um ihr Leben und Leiden
[* 8] zu
Nutz und Frommen der Nachwelt zu erzählen. Die Bedeutung, die Sir Ph. Sidney für die Englische Litteratur
erlangt hat, beruht darin, daß
er den südeurop. Schäferroman nach England verpflanzte. Die «Diana»
des Montemayor nachahmend, schrieb er seine «Arcadia». Seine Sonettsammlung
«Astrophel und Stella» ist jedenfalls von höherm poet. Werte als jenes
Schäfergedicht, dessen trostlose Langeweile selbst die engl. Kritiker nicht in Abrede zu stellen
wagen.
Später als die Poesie bildete sich die engl. Prosa aus. (Vgl. Earle, «English prose, its elements, history and usage», Lond. 1890.) Noch roh und unbeholfen in der ersten Hälfte des 14. Jahrh., wie Dan Michels «Ayenbite of inwyt» oder Richard Rolle of Hampoles «Prosaschriften» beweisen, zeigt sie schon einen Fortschritt in der Reisebeschreibung des Maundeville und in John Trevisos Übersetzung des «Polychronicon» des Ranulfus Higden. Auch die Prosa Wyclifs in seiner Übersetzung des Neuen, sowie die des Niclas von Hereford in der des Alten Testaments, selbst die Prosa Chaucers, besonders in seiner Boethius-Übersetzung, hat noch etwas Ungeschicktes.
Gewandter sind schon die umfangreichen Ritterromane in Prosa, wie der von «Merlin», Malorys «Morte Arthur», verschiedene des 15. Jahrh. aus der Karlssage beweisen. Im 16. Jahrh. hob sich die Prosa bedeutend, doch nicht, ohne auf Abwege zu geraten; die große Bibelübersetzung seit 1526 und die Streitschriften der Reformation legten den Keim, aus dem sie zur Reife und Schönheit erwachsen sollte. Zeitweilig wurde sie von dem von Lyly eingeführten «Euphuismus», sodann durch den von Sidney eingeführten «Arkadianismus» oder Schäferstil stark beeinflußt.
Auch der Gongorismus sollte an der engl. Prosa nicht spurlos vorübergehen, so wenig wie der Concettistil des Dubartas, der durch Abraham Fraunce zur Einführung gelangte. Von diesen Fesseln befreite sich die Sprache [* 9] erst gegen Ausgang des 16. Jahrh., und Samuel Daniel und Walter Raleigh dürften als die ersten zu betrachten sein, die sich zur Reinheit des Stils durcharbeiteten. Einen Schritt weiter thaten Lord Bacon, Hobbes, Sir Th. Browne in ihren philosophischen, Milton und Clarendon in ihren histor.
Schriften. Nicht ohne Einwirkung blieben Isaak Waltons «Complete angler» und John Bunyans «The pilgrims's progress». Bischof Jeremy Taylor entwickelte eine Beredsamkeit, die ihm den Beinamen eines «Shakespeare der Theologen» und eines «Spenser in Prosa» eingetragen hat, und Burton (1576-1640) öffnete in seiner «Anatomy of melancholy» eine von spätern Schriftstellern, namentlich von Sterne, viel benutzte Fundgrube des naiven Witzes und geistreicher Beobachtungen.
Die ersten Erzeugnisse dramatischer Kunst sind wie bei allen christl. Nationen Europas bei
der englischen
auf kirchlichem Boden erwachsen. Ursprünglich unterschied man zwei Arten von religiösen Dramen, die Mysterien
(Mysteries) und die Mirakelspiele (Miracles oder Miracle-plays). Die erstern schöpften den Stoff aus der Bibel;
[* 10] die letztern,
die schon einen Schritt weiter in der Verweltlichung des geistlichen Schauspiels thaten, dramatisierten
die Heiligenleben der Legenden. In England kam es nicht zu einer strengen Scheidung beider Gattungen, sondern man hat unter
Miracles Spiele biblischen wie legendenhaften Inhalts zusammengefaßt.
Vor dem normann. Einbruch ist in England eine Spur irgendwelchen Dramas nicht nachzuweisen. Die erste dramat. Aufführung, von der man Kunde hat, fand um 1110 in Dunstaple statt; zur Darstellung gelangte (ob lateinisch oder französisch, ist unbestimmt) Geoffreys, des Abts von St. Albans, «Ludus de S. Katharina». Wie Will. Fitz-Stephen berichtet, fanden noch bei Lebzeiten des Thomas a Becket oder doch kurz nach dessen Tode (1170) häufig religiöse Aufführungen in London [* 11] statt und bald in allen großen Städten des Landes. Den besten Beweis für die Volkstümlichkeit der Miracles liefern die vier großen Sammlungen, die sich unter dem Namen der Townley oder Woodkirk- (32 Stücke), der York (48 Stücke), der Coventry- (42 Stücke) und der Chester-plays (24 Stücke) erhalten haben. Von Haus ¶
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aus waren die Miracle-plays gänzlich in der Hand [* 13] der Geistlichkeit, die ihnen ihre besondere Pflege angedeihen ließ, weil sie in ihnen das beste Mittel sah, religiöse Unterweisung in verständlicher Form in das Volk zu tragen. Im Laufe des 15. Jahrh. entwickelten sich aus den Teufeln und Engeln des Mysterienspiels allegorische [* 12] Figuren, wie Geiz, Habsucht oder Gerechtigkeit, Friede u. a. So entstand die allegorische Moralität (Morality, Moral-play). Die Hauptfiguren in dem Moral-play sind die des «Devil» und des «Vice», von denen die erstere bereits in den franz. Mysterien anzutreffen ist, während man die letztere als Schöpfung des specifisch engl. Volkshumors anzusehen hat. Der «Vice» ist zum Prototyp des «Domestic fool» im spätern Drama geworden.
Vgl. Ebert, im «Jahrbuch für roman. und engl.
Litteratur»
, I; Ward, History of English dramatic literature, Bd. 1 (Lond.
1875);
Marrick, Collection of English miracle-plays (Bas. 1838);
Pollard, English miracle-plays, moralities and interludes.
Specimens of the Pre-Elizabethan drama (Oxf. 1890).
Von der Morality zum eigentlichen Drama war nur ein Schritt: die allegorischen [* 12] Figuren verwandelten sich in typische, die dann durch individuelle Charaktere ersetzt wurden. Diesen wichtigen Schritt that zuerst John Heywood (gest. 1565) in seinen «Interludes» («The four P's» u. a.). Die Interludien mit ihrem breiten Humor und ihrer derben Charakterzeichnung wurden die Vorstufe zur eigentlichen Komödie, die anfänglich unter dem Einfluß der Renaissance in Nachbildungen Plautinischer und Terenzischer, später ital. Vorbilder auftrat, das Mirakelspiel und die Moralität gingen nach der andern Seite durch das Übergangsstadium der Chronicle history, d. i. des histor.
Dramas, zur Tragödie weiter, die ihrerseits den Seneca zum Muster nahm. Durch die Vermischung komischer und tragischer Elemente entstand die Tragikomödie, und durch Nachahmung span. Vorbilder fand auch das Schäferspiel in England Eingang. Zur Zeit Heinrichs VIII. wurde ferner von Italien [* 14] her das Maskenspiel eingeführt, allerdings stets nur zur Kurzweil des Hofs und der vornehmen Welt. Besonders gepflegt und weiter gebildet wurde die Maske von Ben Jonson. Selbstverständlich konnten aber die neuen Formen dramat. Dichtung die alten Miracle-plays und Moralities nicht sofort verdrängen; diese hielten sich vielmehr unter der andauernden Gunst des Publikums bis zum Schlusse des 16. Jahrh. auf der Bühne, und Spuren lassen sich sogar bis in den Beginn des 17. verfolgen. Die Moralitäten traten, besonders erst seit Eduard VI., auch sehr entschieden für den Protestantismus ein, unter Maria dagegen für den Katholicismus.
Als die älteste engl. Komödie pflegt man «Ralph Royster Doyster» zu nerennen, deren Verfasser, Nicolas Udall, zuerst in Eton, später an der Westminsterschule Lehrer war. Sie lehnt sich an den «Miles gloriosus» des Plautus an und muß vor 1551 geschrieben worden sein. Die erste Chronicle history dürfte Bischof Bales «King Johan» sein (um 1548). Als erste regelrechte Tragödie sieht man «Gorboduc or Ferrex and Porrex» (1562) von Thom. Sackville (Lord Buckhurst) und Thom. Norton an, worin auch zuerst der «blanc verse», d. i. der ungereimte fünffüßige Jambus zur Verwendung kam. 1571 erschien «Damon and Pithias» von Rich. Edwards (1523-66),
Das Trauerspiel «Tancred and Gismunda», 1568 von den Studenten des Inner-Temple vor der Königin Elisabeth aufgeführt, war das erste nach einer ital. Novelle bearbeitete Stück, und Gascoignes «Supposes» (zuerst aufgeführt 1566) sind eine Übersetzung von Ariosts «I suppositi». In «Misogonus» von Thom. Rychardes (um 1560) trat zum erstenmal der obenerwähnte Domestic fool (Schalksnarr) auf, während in «Gammer Gurton's needle» (1575), angeblich von John Still, nachmaligem Bischof von Bath und Wells (gest. 1607),
der echte Volkshumor sich geltend machte. Die dramat. Poesie stieg unter der Königin Elisabeth zu immer höherer Blüte. Im Wetteifer um Elisabeths Gunst dichtete Lyly (1554-1606), der Erfinder des «Euphuismus», und Peele (gest. um 1598). An Geschmack ihm nachstehend, an Kraft [* 15] ihm aber überlegen, war Thom. Kyd (gest. um 1594),
als selbständiger Dichter nur durch seine «Spanish tragedy» bekannt, die den zweiten Teil bildet zu «The first part of Jeronimo»; ob aber dieser erste Teil von Kyd herrührt, hat sich bis jetzt nicht feststellen lassen. Mehr Dichter ist Thom. Lodge (1558-1625),
unter dessen Dramen «The wounds of civil war lively set forth in the true tragedies of Marius and Sylla» das nennenswerteste ist. Ein anderes Stück, an dem er mitarbeitete, «A looking glasse for London and England», führt über zu Rob. Greene (gest. 1592). Ein hervorragender Dramatiker dieser Zeit war auch Th. Nash (1565-1602). Alle vorher genannten aber überragte durch Kraft der Leidenschaft und Charakterzeichnung Christopher Marlowe (1564-93; «Tamburlaine», «Faustus» u. a.),
der größte Vorgänger Shakespeares. Zu erwähnen sind noch Anthony Munday («Sir John Oldcastle», früher Shakespeare zugeschrieben) und Henry Chettle, angeblich Verfasser von 38 Dramen (von denen indes nur 4 sich erhalten haben). Von vielen Dramatikern dieser fruchtbaren Zeit, wie Porter, Smith, Haughton, Hathaway, Anthony Brewer u. s. w., sind nur die Namen auf uns gekommen, und andererseits giebt es mehrere bemerkenswerte Stücke, deren Verfasser unbekannt geblieben sind, z. B. «Yorkshire tragedy», «Lord Cromwell», «Locrine» und «Arden of Feversham», die man Shakespeare zuschrieb; ferner «Merry devil of Edmonton» und «London prodigal». Aus dem Tagebuche Henslowes geht hervor, daß 1591-97 in London von vier Schauspielergesellschaften 110 verschiedene Stücke aufgeführt wurden, und da es deren zum wenigsten zehn gab, so kann man annehmen, daß die Menge des Verlorenen keine kleine ist.
Mit Edmund Spenser (1552-99), dem Dichter der «Fairy Queen», beginnt das goldene Zeitalter der Englische Litteratur
Die
Zahl der Lyriker, Schäferdichter, Satiriker, Romanschreiber, welche die Specialgeschichte der Elisabethanischen Zeit nennt,
ist Legion. Die bedeutendsten sind: Michael Drayton («Poly-Olbion», eine versifizierte topogr. Beschreibung Englands, und «Nymphidia,
or, the court of faery»),
Sir Walter Raleigh, der treffliche Liederdichter, die allegorischen Dichter Giles Fletcher und Phineas Fletcher, der derb-humoristische Volksdichter John Taylor, genannt der «Wasserdichter», die Satiriker und Sittenmaler John Donne und Joseph Hall; [* 16] ferner Arthur Brooke («Romeus and Juliet»),
Richard Edwards («Paradise of dainty devices»),
Robert Southwell («Saint-Peter's complaint»),
Stephen Gosson («The school of abuse»),
Sir John ¶