Engadiner
Alpen (Kt. Graubünden,
Bez.
Albula,
Bernina,
Hinterrhein,
Inn, Maloja,
Münsterthal und Ober
Landquart). Als Engadiner Alpen
werden die
das
Engadin einschliessenden Gebirgsmassen bezeichnet. Durch dieses Thal und dessen Rückverlängerung, das
Bergell, zerfallen
sie natürlicherweise in die
Nord- und Südengadineralpen
, die beide von SW.-NO. streichen.
Die Nordengadiner
Alpen erfüllen den Raum zwischen dem
Bergell und
Engadin, bezw. Innthal bis Landeck im
SO., dem Paznauner- und obern Montafonerthal bis St.
Gallenkirch im NO., dem
Schlappinerjoch,
Klosters, Wolfgangpass,
Davoser-
und Albulathal bis
Thusis im NW. u. der Splügenlinie von
Thusis bis Chiavenna im SW.; die Südengadiner
Alpen dagegen umfassen
den Raum zwischen dem
Bergell und
Engadin im NW., dem
Pass über
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die Reschenscheideck von Finstermünz bis Glurns im NO., dem Stilfserjoch und Veltlin im SO. und S. und dem untern Maïrathal
bis Chiavenna im SW. Die Nordengadiner
Alpen teilt man durch den Flüelapass (2388 m; Süs-Davos) oder durch den etwas nordöstlicher
gelegenen und einfacher verlaufenden Flesspass (2452 m; Süs-Klosters) in die sw. Albulagruppe und die nö.
Silvrettagruppe, die Südengadiner
Alpen durch den Berninapass (2334 m; Samaden-Tirano) in die Berninagruppe im SW. und die Ofenpassgruppe
im NO. Darnach erhält man also folgende Uebersicht der Engadiner Alpen:
A. Nordengadiner
Alpen: 1. Albulagruppe; 2. Silvrettagruppe. B. Südengadiner
Alpen: 1. Berninagruppe; 2. Ofenpassgruppe.
Von diesen vier Gruppen ist die Berninagruppe als die höchste und gletscherreichste des Kantons Graubünden bereits in einem besondern Artikel behandelt (siehe Band I, Seite 232-236); Ofenpassgruppe und Silvrettagruppe werden an ihrer alphabetisch bestimmten Stelle besprochen werden, so dass also hier nur noch die bis jetzt nicht ausführlich erwähnte Albulagruppe zu besprechen übrig bleibt.
Die Albulagruppe stellt sich als mächtiger Gebirgswall dar, dessen Kammlinie in geringer Entfernung vom Bergell und Engadin vom Piz Stella im SW. zum Flüela Weisshorn im NO. zieht und der mit steilen Wänden zu den genannten Thälern abfällt, während die entgegengesetzte Abdachung, durch zahlreiche Thäler vielfach gegliedert, allmähliger sich gegen das Davoser-, Albula- und Hinterrheinthal senkt. Die steile SO.-Abdachung ist wenig gegliedert, nur kleine Thäler schneiden in dieselbe ein, so dass blos kurze Seitenrippen sich bilden.
Nur das Val Bever, das Val Sulsanna und das Val Susasca greifen etwas tiefer in den Gebirgskörper ein und bewirken an ihren Hintergehängen ein Ausbiegen des wasserscheidenden Kammes, der sonst sich immer ganz nahe ans Bergell und Engadin hält. Dagegen weist die NW.-Seite eine Reihe langer und ständig bewohnter Thäler auf: Avers mit seinen Seitenthälern (Val Bregalga, Madriserthal und Val di Lei), das Oberhalbstein, das Albulathal von Filisur an aufwärts und die Seitenthäler von Davos (das Sertig-, Dischma- und Flüelathal). Der Abstand von Tiefenkastel bis zum Septimer- und Julierpass beträgt z. B. je etwa 30 km, von da hinab ins Bergell und Engadin aber nur 5 km. Aehnliche Verhältnisse finden wir im Averser- und Albulathal. Erst gegen das nö. Ende werden die Differenzen zwischen den beiden Abdachungen weniger gross.
Die ganze breite NW.-Seite entwässert sich zum Rhein, während die schmale SO.-Seite ihre kurzen Bäche teils durch den Inn zur Donau, teils durch die Maïra zum Po schickt. Die drei Flussgebiete berühren sich am Piz Lunghino, zwischen Maloja und Septimer, einem zwar nicht sehr hohen, aber aussichtsreichen Gipfel, der einen bemerkenswerten hydrographischen Knotenpunkt darstellt, an dem die Gewässer nach drei Stromgebieten und drei Meeren sich scheiden.
Für die Gliederung der Albulagruppe kommt zunächst das Oberhalbstein mit dem Septimer in Betracht, durch welche fast genau von N. nach S. verlaufende Thal- und Passlinie unser Gebiet in einen sw. und einen nö. Teil zerfällt. Der erstere umschliesst hauptsächlich das Averserthal und kann darum als Aversergruppe bezeichnet werden. In eigentümlich gewundener Linie zieht diese von den Surettahörnern bei Splügen zuerst annähernd s. zum Piz Stella (3129 m), dann ö. bis an den Septimer, dann in einem Bogen nw. über den Piz Platta zum Piz Grisch, der den Surettahörnern wieder ganz nahe ist, so dass das Averserthal hier nur einen engen, schluchtförmigen Ausgang findet, während es weiter hinten mit mehreren Armen sich fächerartig ausbreitet.
Aus der Gegend des Piz Grisch zieht der Gebirgskamm direkt nach N. über den Piz Curvèr in die Thalgabel zwischen Viamala und Schyn. Durch den Pass vom Septimer über die Forcellina nach Avers zerfällt dieser gewundene Gebirgsbogen in zwei Glieder, die man als die Gruppen des Piz Stella und des Piz Platta bezeichnen mag, jene links oder w. und s. von Avers, diese rechts oder ö. von Avers und Schams. Der Piz Stella ist zwar in seiner Gruppe nicht der höchste, aber der zentralste Gipfel, der Scheitel des dortigen Gebirgswinkels.
Die vom Septimer nö. folgende Gebirgsmasse bis zum Flüela- resp. Flesspass ist die Albulagruppe im engern Sinn, die sich fast ausschliesslich zur Albula entwässert. Durch den Albula- und Sertigpass teilen wir sie in drei, wieder mehrfach verzweigte Abschnitte, die nach ihren Hauptgipfeln als die Gruppen des Piz d'Err, des Piz Kesch und des Piz Vadret bezeichnet werden. Somit erhalten wir folgende Uebersicht der Albulagruppe im weitern Sinne: I. Aversergruppe: 1. Gruppe des Piz Stella;
2. Gruppe des Piz Platta.
II. Albulagruppe im engern Sinn: 1. Gruppe des Piz d'Err; 2. Gruppe des Piz Kesch; 3. Gruppe des Piz Vadret.
Die Gruppe des Piz Stella fällt nach W. und S. steil zu den Thälern des Liro und der Maïra ab, während die Abdachung gegen Avers viel sanfter geneigt und durch eine Reihe von Thälern in mehrere Ketten gegliedert ist. Die am Piz Stella rechtwinklig gebogene Hauptkette beginnt im NW. mit dem breiten, mehrgipfeligen Stock der Surettahörner zwischen dem Splügenpass einerseits und dem Val d'Emet und dem Passo di Madesimo andererseits. Obwohl nicht das höchste, ist er doch das am stärksten ¶
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vergletscherte Glied dieser Gruppe. Der Surettagletscher senkt sich durch das gleichnamige Thal nach N. und ist der einzige, der eine grössere Eiszunge bildet. Bemerkenswert ist der nach NO. über das Hirli streichende Kamm durch seine Eisenerze, die früher in einer grössern Eisenschmelze zwischen Ausser und Inner Ferrera verhüttet wurden. Jenseits des Passo di Madesimo folgt der Piz Timun, mit 3201 m der höchste Gipfel der Gruppe, dann der Piz Groppera (2934 m) und weiter der Piz Stella (3129 m, oder nach der italienischen Karte 3162 m), der Eck- und Zentralpunkt der Gruppe, eine schöne weitschauende, aber selten besuchte Pyramide, die sich hoch über dem Thalwinkel von Chiavenna erhebt (früher gaben ihr die Karten irrtümlicherweise die für diese Lage ganz ungewöhnliche Höhe von 3406 m). In dem von hier nach O. streichenden Kamm sind die Cima di Lago (3015 und 3082 m), der Piz Gallegione (3135 und 3110 m), der Piz della Duana (3133 m), das Gletscherhorn (3106 m), der Piz Piott (3040 m) und Piz della Forcellina oder Piz di Val Turba (3023 m) die Hauptgipfel.
Davon sind der Piz Gallegione und der Piz della Duana herrliche Aussichtspunkte, die in neuerer Zeit öfteren Besuch erhalten. Die Vergletscherung ist hier überall gering und beschränkt sich auf einige nach N. geneigte Hängegletscher. Auch die vier nach N. ziehenden Seitenketten überschreiten in ihren s. Teilen noch öfter 3000 m und sind dort mit kleinern Gletschern geschmückt, so an der Cima di Sovrana (3060 m) und am Blesehorn (3048 m) in der Kette zwischen Val di Lei und Madriserthal.
Mehrere, zum Teil ziemlich stark begangene Pässe führen aus diesen Thälern nach dem Bergell und nach Italien. Die niedrigsten sind der schon erwähnte Passo di Madesimo (2280 m) und der Stellapass (2276 m), ersterer von Inner Ferrera oder Canicül durch das Val d'Emet nach dem Kurort Madesimo in einem Seitenthal des italienischen Val S. Giacomo s. vom Splügen, letzterer aus dem Val di Lei nach Chiavenna führend. Touristisch von besonderem Interesse sind auch die Forcella di Prassignola (2720 m) und der Duanapass (ca. 2800 m) als die kürzesten Uebergänge von Avers-Cresta nach Soglio und damit ins untere Bergell, ersterer durch das Madriserthal, letzterer durch das Bregalgathal. Alle diese Pässe steigen relativ sanft von N. an und fallen mit grosser Steilheit nach S. In wenigen Stunden führen sie hier aus der Fels- und Schneeregion nach den warmen Gefilden der Kastanienwälder und Weinberge. - In der Hauptsache besteht dieser ganze Gebirgsabschnitt aus Gneis und krystallinen Schiefern.
Nur in den südöstlichsten Partien, etwa von Cresta an gegen den Septimer, setzen sich an deren Stelle Sedimentgesteine, die dem vielgestaltigen und wohl auch verschiedenalterigen Komplex der Bündner Schiefer zugeteilt werden. Graue und grüne Schiefer, Kalke und Marmore, Serpentine und andere Gesteine zeigen sich da in mannigfaltigem Wechsel. Schöne Marmorlager finden sich z. B. im untern Teil des Madriserthals und von da abwärts. Das Bett des Averserrhein und die nach Cresta führende Strasse sind auf längern Strecken in diese Marmore eingeschnitten und erhalten dadurch einen besondern Reiz.
Von ganz anderer Beschaffenheit ist die Kette des Piz Platta, die als mächtiger Wall zwischen dem Oberhalbstein einerseits und den Thälern von Avers und Schams andererseits sich erhebt. In der s. Hälfte, von der Forcellina bis zum Piz Grisch, überschreiten noch zahlreiche Gipfel 3000 m, unter ihnen der gewaltige Piz Platta mit 3386 m, eine der schönsten und stolzesten Berggestalten Graubündens. Ihn begleiten als ebenfalls mächtige Trabanten das Jupperhorn (3151 m), der Mazzerspitz (3161 m), der Piz Scalotta (3003 m), der breite, mehrgipfelige Averser Weissberg (3041 und 3044 m), der Piz Grisch (3048 m) und die wildzerrissenen Gestalten des Piz Forbisch (3258 m) und Piz d'Arblatsch (3204 m), zum Teil in der Hauptkette selber, zum Teil in kurzen Auszweigungen derselben stehend.
Weiter n. nimmt die Gipfelhöhe ab, und die Bergformen nehmen im Ganzen einen sanfteren Charakter an, besonders auf der Oberhalbsteinerseite, wo sie in breiten Terrassen und Wald- und Rasenhängen aufsteigen. Nach W. freilich, gegen Schams, brechen sie immer noch in mächtigen Felsabstürzen ab. Der Hauptgipfel ist hier der Piz Curvèr (2975 m); nach W. springt der Piz la Tschera, nach O. der eigentümlich kraterartig gestaltete Piz Toissa vor, und den n. Abschluss bildet die Muttnerhöhe, von der man das ganze Domleschg überschaut. Im hintern Teil der Kette sind eine Reihe von Pässen zu nennen, die das Averserthal mit dem Oberhalbstein verbinden.
Von Touristen am meisten benutzt wird die Forcellina (2673 m), die von Avers-Cresta über Juf, das höchste ständig bewohnte Dörfchen der Schweiz (2133 m, d. h. Pilatushöhe), direkt nach dem Septimer führt, von wo man dann über den Lunghinopass (2635 m) nach dem Maloja und ins Engadin gelangt. Es ist dies die kürzeste Verbindung dieses Thales mit Avers. Fast von der Höhe der Forcellina führt die Fuorcla di Valetta nach Stalla im Oberhalbstein. Der Hauptpass dorthin ist aber der Stallerberg (2584 m), der ebenfalls von Juf ausgeht und vor der Erstellung der neuen, aus dem Schams heraufkommenden Strasse einen Hauptzugang zum Averserthal bildete. Die übrigen Bergübergänge, wie das Fallerjoch von Avers nach Mühlen, das Starlerajoch und das Schmorrasjoch von Inner- und Ausser Ferrera nach dem vordern Oberhalbstein haben nur geringe Bedeutung. - Sehr eigentümlich und mannigfaltig sind die geologischen Verhältnisse dieses Gebirgsabschnittes. Graue und grüne Schiefer, Serpentin, Diorit, Gabbro, verschiedene Kalke, Dolomit, Marmor, Gips, Rauchwacke und andere Gesteine sind bunt durcheinander gewürfelt. Der Piz Platta z. B. besteht in der Hauptsache aus Grünschiefer, ¶